Eine Einführung in die Portfolio Selection Theory

Kapitel 8: Zielfunktion und Indifferenzkurve

Das persönliche Risikoverhalten von Investoren unterscheidet sich zum Teil erheblich. Kaum ein Anleger ist so risikoscheu, dass er stets nach dem Minimum-Varianz-Modell seine Anlageentscheidungen treffen wird.

Allgemein gilt: Jeder Investor verfolgt mit seiner Anlageentscheidung ein gewisses Ziel. Diese Ziele quantifizierbar zu machen ist der Gedanke der Zielfunktion.

Allen Anlegern gemeinsam ist, dass sie die Rendite möglichst maximieren wollen. Was sie unterscheidet, ist das Maß an Risiko, dass sie bereit sind dabei einzugehen. Dieses Risiko dennoch möglichst gering zu halten ist ebenfalls allen Investoren gemeinsam.

Anders ausgedrückt: Jeder Investor ist nur bereit ein zusätzliches Risiko einzugehen, wenn er dadurch entsprechende Zuwächse an Rendite erwarten kann.

Eine solche Zielfunktion Z ist also eine Funktion f der Rendite und des Risikos, also des Erwartungswerts µ und der Volatilität s oder mathematisch ausgedrückt: Z = f(µ,s). Diese Funktion lässt sich folglich in dem Rendite-Volatilitäts-Diagramm abbilden, das wir ja bereits im vorherigen Kapitel kennen gelernt haben.

Eine solche Funktion muss also einige Bedingungen erfüllen:

  • Je größer das Risiko wird, um so größer muss als Ausgleich die zu erwartenden Rendite werden. Umgekehrt muss gelten, dass bei sinkender Rendite das Risiko ebenfalls abnehmen muss (mathematisch ausgedrückt: die Funktion ist monoton steigend).

  • Selbst bei einer Volatilität von 0% wird vom Investor immer noch eine gewisse Rendite (man sagt: die sichere Rendite) erwartet. Dies wäre z.B. die Rendite, die man mit einem Sparbuch erzielen würde.

  • Alle Portfolios, die von der Funktion verbunden werden, sind dem Investor "angenehm". Es gibt keinen Punkt den er einem anderen vorziehen würde. Man sagt: der Investor ist gegenüber allen Portfolios die durch diese Funktion beschrieben werden indifferent. Man nennt diese Funktion daher auch Indifferenzkurve.

Wie könnte also eine solche Indifferenzkurve z.B. aussehen?

Eine Gerade wie in der Abbildung dargestellt würde alle geforderten Bedingungen erfüllen.

Der Anleger, der nach dieser Indifferenzkurve handelt, würde bei einer Volatilität von 0% eine "sichere Rendite" von 3% fordern. Eine Anlageform, die z.B. 5% Volatilität aufweist, müsste ihm schon mindestens eine Rendite von 7% in Aussicht gestellt werden, usw.

Eine solche Funktion mit linearem Verlauf wird oft auch als Capital Market Line (CML) bezeichnet. Mathematisch lässt sie sich mit folgender Zielfunktion beschreiben, die nach Ihrem "Entdecker" Rudolf J. Freund auch Freund'sche Zielfunktion genannt wird::

Den Faktor t nennt man Risikoaversionskoeffizient und drückt die individuelle Risikoneigung des Anlegers aus: Je größer t  ist, um so größer ist seine Risikoaversion. Donald E. Farrar hat um 1960 in einer großen empirischen Studie nachgewiesen, dass dieser Risikoaversionbskoeffizient zwar beliebig klein, aber niemals negativ werden kann. Idealtypisch liegt t zwischen 0 und 1.

Modernere Ansätze gehen jedoch von einem anderen Verlauf der Indifferenzkurve aus:

Solche Funktionsverläufe erfüllen ebenfalls alle Anforderungen, die wir gestellt haben, weisen aber darüber hinaus noch weitere Vorteile auf:

Der Verlauf der Kurve entspricht eher dem realistischen Verhalten eines Investors als der lineare Verlauf einer Geraden: Insbesondere ist nur durch einen solchen Funktionsverlauf darstellbar, dass jeder Investor so etwas wie ein "Limit" hat: Ab einem gewissen Risiko kann die zu erwartende Rendite noch so hoch sein, der Investor hat einfach sein Limit erreicht und ist nicht mehr bereit, ein solch hohes Risiko zu überschreiten. In unserem Diagramm wäre das z.B. eine Volatilität von 8%. 

Man sagt auch: Die Funktion nähert sich asymptotisch einem Grenzwert an, der hier bei etwa 8% liegt. In der Praxis kann man dieses Phänomen sehr gut beobachten: Kaum ein Durchschnittsanleger wagt sich z.B. an Warentermingeschäfte heran. Die zu erwartenden Renditen sind zwar außerordentlich hoch, aber das hohe Risiko liegt jenseits des persönlichen Grenzwertes, bis zu dem man noch bereit ist, Risiken zu akzeptieren.

Mathematisch wurden solche Zielfunktionen nach den prinzipiell ähnlichen Ansätzen von A.D. Roy und James Tobin formuliert:

Wobei RM die Mindestrendite oder auch sichere Rendite ist, die der Anleger auf jeden Fall (bei s = 0) erzielen wird.

«zurück

Überblick

weiter»