Diskussionsforum der stw-boerse: Strategiediskussionen: Frankreich
al_sting - Sonntag, 27. April 2014 - 20:50
Ich überlege, bei Auslandswerten (USA mal außen vor) zukünftig nicht einen Faden je Unternehmen aufzumachen, sondern diese in Länderfäden einzusortieren. Ich beginne also mit dieser Diskussion zu Frankreich.
Außerdem bieten sich hier auch Artikel und Diskussionen zum volkswirtschaftlichen Blick auf das ganze Land an. Zumindest im Fall von Frankreich spielte bei meinem intensiven Einstieg auch die Einschätzung des Handlungsdrucks im ganzen Land eine zentrale Rolle.

al_sting - Sonntag, 27. April 2014 - 20:54
Ich sehe die Chance, dass die Diskussion des Übernahmekampfes um Alstom einen "heilsamen Schock" in Frankreich auslöst, der die Durchführung intensiverer Reformen und im Anschluss eine Wiederbelebung der französischen Wirtschaft erleichtert.
Irland oder Portugal scheinen hier schon weiter zu sein, und Frankreich traue ich diesen Kraftakt definitiv zu - sie müssen nur damit anfangen. Wenn es dazu kommt und diese Reformen wirken, sollten meine stark auf den Binnenmarkt ausgerichteten französischen Aktien noch einmal davon profitieren können.
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http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/uebernahmeangebot-alstom-auf-dem-abstiegspfad-12912605.html


Französischer Industriekonzern Alstom auf dem Abstiegspfad

27.04.2014 · Der französische Traditionskonzern Alstom könnte bald die Unabhängigkeit verlieren. Der industrielle Abstieg des Landes in die zweite Liga schreitet damit beunruhigend voran.
Von Christian Schubert, Paris

Innerhalb weniger Tage ist der traditionsreiche französische Industriekonzern Alstom zum Spielball amerikanischer und deutscher Interessen geworden. General Electric und Siemens buhlen um den Kauf des fast hundert Jahre alten Unternehmens mit 93000 Beschäftigten. Wer sich in die Lage der Franzosen hineinversetzen möchte, möge sich vorstellen, Siemens – das deutsche Pendant zu Alstom – wäre plötzlich Gegenstand von zwei ausländischen Übernahmeangeboten. Kein Wunder also, dass Frankreich in heller Aufregung ist. Einer der letzten großen klassischen Industriekonzerne des Landes, Hersteller der schnellsten Züge der Welt sowie Turbinenlieferant für Kern-, Gas- und Kohlekraftwerke, könnte bald die Unabhängigkeit verlieren.

Seit Beginn der Finanzkrise fürchtet Frankreich einen Souveränitätsverlust durch hochschießende Zinsen für Staatsanleihen, wie es in südeuropäischen Ländern der Fall war. Dazu ist es nicht gekommen. Der Souveränitätsverlust droht stattdessen in der Industriepolitik. Die Symbolik dieses Übernahmekampfes könnte kaum stärker sein: Die Alstom-Führung sieht offenbar keine Alternative zum Ausverkauf des im Konzern dominierenden Energiegeschäftes an General Electric und hat daher die Amerikaner um Hilfe gebeten. Mit der Schnelligkeit eines Hochgeschwindigkeitszuges versucht Alstom-Chef Patrick Kron nun, die Regierung zu überrumpeln.

Die Überraschung ist ihm gelungen. Sonst geben sich die Politiker in Frankreich gerne als industrielle Oberaufseher, hier laufen sie der Entwicklung hinterher. Mangels Alternativen hat die französische Regierung jetzt sogar den Siemens-Konzern zum Einschreiten eingeladen – jenen Konkurrenten, den sie vor gut zehn Jahren beim letzten Beinahe-Ruin von Alstom aufs Messer bekämpft hatte.


Konzern noch zu stark auf Europa konzentriert

Der industrielle Abstieg Frankreichs in die zweite Liga schreitet damit beunruhigend voran. Seit den achtziger Jahren ist dieser Prozess im Gange, mit der Finanzkrise 2008 hat er sich verschärft. Die Unternehmen investieren und exportieren zu wenig, sie liegen in der Automatisierung der Fabriken zurück und schaffen es nicht, preisstabile hochwertige Produkte im Markt zu positionieren. Die Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe sank seit 1980 von 5,1 Millionen auf weniger als 2,9 Millionen. Wie die Faust aufs Auge passt es, dass am vergangenen Freitag, als sich das Ringen um Alstom zuspitzte, die Aktionäre des Autoherstellers PSA Peugeot-Citroën den Einstieg des chinesischen Investors Dongfeng und des französischen Staates genehmigten. Diese Rettungsaktion beschreibt die Existenzkrise des größten Autoherstellers Frankreichs in grellen Farben.

Dass Alstom nun in die Fänge von General Electric und Siemens geraten ist, hat sich der Konzern aber auch selbst zuzuschreiben. Sicherlich stellen die Energiewende und das amerikanische Schiefergas die Gas- und Kohlekraftwerke in Europa vor eine neue Lage. Die traditionellen Abnehmer der Alstom-Turbinen arbeiten häufig nicht mehr rentabel, sie stellen Investitionen zurück oder schließen. Die Staatsschuldenkrise bremst zudem die Nachfrage nach Hochgeschwindigkeitszügen und anderen Bahnen.

Alstom hat die Zeichen der Zeit verkannt. Der Konzern ist noch zu sehr vom europäischen Markt abhängig, es fehlt ihm an Masse. Bei Turbinen ist Alstom zu stark auf Kohlekraftwerke konzentriert, ins Geschäft mit Windkraft stieg man spät ein, und die jüngsten Modelle der Alstom-Hochgeschwindigkeitszüge kommen im Ausland nicht an. Selbst der französisch dominierte Traditionskunde Eurostar hat Siemens für den Verkehr im Eurotunnel vorgezogen. In Korruptionsaffären ist Alstom ebenfalls verwickelt, zum Beispiel auf dem indonesischen Markt. All das ließ die Wettbewerbsfähigkeit bröckeln. Großaktionär Bouygues, der 2006 den Staat im Kapitalkreis ablöste, war keine Hilfe. Als Mischkonzern kann er sich nicht entscheiden, die Priorität im Industriegeschäft, der Telekommunikation, im Bau oder im Fernsehen zu setzen und verweigerte die Finanzierung von Investitionen.


Franzosen haben nur noch wenige Optionen

So sucht die Alstom-Führung die Rettung bei General Electric. Die Übernahme durch die Amerikaner hätte sicherlich viel industrielle Logik, die Überschneidungen wären geringer als mit Siemens. Ein Zusammenschluss mit den Deutschen könnte dagegen gleich zwei europäische Champions schaffen, von denen auch französische Politiker schon lange träumen. Siemens hätte die Führung im Energiegeschäft, Alstom bei den Zügen. Die Frage ist, ob die Kartellbehörden mitspielen.

Die Franzosen haben auf jeden Fall nur noch wenige Optionen. Ihre Furcht, Entscheidungszentren, Technologie und Arbeitsplätze zu verlieren, ist verständlich. Doch staatlicher Schutz vor ausländischen Übernahmen ist kein gutes Mittel. Ausschlaggebend für den Erhalt von Arbeitsplätzen sind die richtigen Standortbedingungen. Dazu könnten etwa auch private Pensionsfonds zur Stützung französischer Unternehmen gehören, die man trotz jahrelanger Diskussionen nie aufgebaut hat. Die Regierung beginnt erst langsam Verantwortung für Frankreichs Wettbewerbsfähigkeit zu übernehmen. Für Alstom könnte das zu spät sein.

prof - Sonntag, 27. April 2014 - 21:10
Ausgerechnet Siemens soll einen französischen Kernenergiespezialisten kaufen? Da können die Franzosen ganz beruhigt sein, denn das wird/darf nicht passieren...

Pro Land einen Faden finde ich gut, denn die meisten ausländischen Aktien sind ja Eintagsfliegen.
Prof

al_sting - Dienstag, 20. Mai 2014 - 19:09
Der französische Nebenwerteindex CAC90 (ISIN QS0010989125), in dessen Bereich man auch meine Franzosen zählen kann, hat dieser Tage die 55-d-Linie gebrochen.
Frage an Prof: Wie schätzt du aus charttechnischer Sicht die Entwicklung dieses Indexes ein? Wo siehst du hier relevante Marken, bei denen ich mir Sorgen machen sollte?
Hintergrund: Meine Franzosen sind schon gut gelaufen. Bei Guillin ist definitiv noch Potential, bei Thermador ist am oberen Ende der klassischen Bewertungsebene, und Gerard Perrier ist nicht mehr wirklich günstig.
Aber bei Griechenland bin ich letztlich zu früh ausgestiegen.

prof - Dienstag, 20. Mai 2014 - 20:57
Der Bereich 8400 - 8200 muss halten, sonst sehe ich viel Abwärtspotential. Kaufen würde ich jetzt den Index nicht.
Prof

al_sting - Dienstag, 20. Mai 2014 - 21:46
Vielen Dank für deine Einschätzung!
Und nein, kaufen würde ich jetzt in Frankreich auch nicht mehr. Es geht mir hier um eher um das Ausstiegstiming.

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