Diskussionsforum der stw-boerse: Strategiediskussionen: Top - Reine Strategiediskussion: Archivierte Beiträge bis 16. November 2006
chinaman - Donnerstag, 21. September 2006 - 17:25
Handelsblatt Nr. 180 vom 18.09.06 Seite 39


BULLE & BÄR

Auf einem Auge blind

P. MÖNNIGHOFF | DÜSSELDORF Dass die Rente längst nicht mehr sicher ist, sollte mittlerweile bei allen Bürgern angekommen sein. Die oberste Maxime heißt daher: privat Vorsorgen. Fleißig tragen die Anleger ihr Geld zur Bank, suchen möglichst langfristig ausgelegte und sichere Investments, um später nicht allein auf die schrumpfenden staatlichen Zahlungen angewiesen zu sein. Für die Finanzwelt ist das ein einträgliches Geschäft, an dem natürlich auch die Emittenten von Zertifikaten mitverdienen wollen.

Die Zertifikatebranche strickt daher immer mehr Produkte, die auf Sicherheit ausgelegt sind und auch bei der privaten Vorsorge eingesetzt werden können. Viele Anleger sehen in den Zertifikaten eine optimale Mischung aus Kapitalerhalt und der Chance auf ansehnliche Renditen.

Gerade wenn es um die Altersvorsorge - also um langfristig ausgelegte Investitionen geht, sind viele Sparer jedoch auf einem Auge blind. Denn trotz der zahlreichen Vorteile bleibt bei Zertifikaten ein Risiko immer: eine mögliche Insolvenz des Emittenten, meist ist das eine Bank.

Während Fonds Sondervermögen sind, die bei einer Pleite besonders geschützt sind, zählen Zertifikate als Inhaberschuldverschreibung. Folge: Wird der Emittent insolvent, sind die Papiere in der Regel wertlos. Denn Schuldverschreibungen werden nur aus der Konkursmasse bedient. Doch diese Gefahr blenden viele Anleger einfach aus.

So ignorieren sie bei Zertifikaten die Bonität der emittierenden Banken. Während beispielsweise bei Anleihen Hoch- oder Herabstufungen der Emittenten durch Ratingagenturen wie Standard & Poor's, Moody's und Fitch sich direkt in den Kursen widerspiegeln, spielen die Noten bei Zertifikaten keine Rolle. Dabei sind gerade diese Ratings ein guter Anhaltspunkt, um mögliche zukünftige Zahlungsschwierigkeiten der Banken abschätzen zu können.

Panik wäre dabei sicherlich übertrieben. Immerhin werden in Deutschland seit 16 Jahren Zertifikate angeboten, größere Ausfälle waren seit dem nicht zu verzeichnen. Doch der Markt wächst und verändert sich.

Mittlerweile buhlen über 50 Emittenten um die Kunden. Dabei sind nicht nur zahlreiche kleinere Institute und ausländische Namen, sondern mitunter auch Tochtergesellschaften, bei denen die Mutterbank nicht unbedingt für Ausfälle haften muss.

Anleger sollten daher gerade bei langfristigen Investitionen das Emittentenrisiko beachten. Ein kurzer Blick auf die Noten der Ratingagenturen reicht dabei als erster Schritt oftmals aus. Zwar lesen sich deren Bewertungsskalen mitunter etwas kryptisch. Als Grundregel gilt jedoch: Solange die Noten mit einem Doppel-A beginnen, ist das Risiko begrenzt.

Da die gute Noten die Ansicht untermauern, dass eine Pleite in diesem Fall eher unwahrscheinlich ist, können Anleger in diesem Fall durchaus zu den entsprechenden Zertifikaten des Emittenten greifen. Generelle Sicherheit gibt es jedoch nie - bei staatlicher Rente ebenso wie bei der privaten Geldanlage.

gastautor@handelsblatt.com

Mönnighoff, P.



18. September 2006

chinaman - Samstag, 23. September 2006 - 09:06
Handelsblatt Nr. 179 vom 15.09.06 Seite 40


DIFFERENZKONTRAKTE gelten als neuester Kick für risikofreudige Investoren. Doch Anleger, die nicht aufpassen, können dabei ihr gesamtes Kapital verspielen.

Wer am längeren Hebel sitzt

PETRA HOFFKNECHT | FRANKFURT Internet und fortschreitende Technik machen es möglich: Außerhalb der Börse und abseits von Optionsscheinen und Turbozertifikaten können auch Privatinvestoren immer raffiniertere Hebel beim Geldanlegen einsetzen. Hebel helfen dabei, von kurzfristigen Kursschwankungen überproportional zu profitieren. Der Gedanke - mit kleinem Kapitaleinsatz große Summen zu bewegen - bleibt der Gleiche, die Möglichkeiten jedoch nehmen zu. Die Hebelinstrumente der Privaten werden damit denen der Profis immer ähnlicher.

Doch Vorsicht: Die neuen Produkte locken zwar mit hohen Gewinnen, aber zumindest theoretisch sind auch unbegrenzte Verluste möglich. Wer die großen Hebel nutzen möchte, braucht also viel Erfahrung und noch mehr Mut zum Risiko. Wer nicht aufpasst, kann weit mehr als nur sein eingesetztes Kapital verlieren!

Den größeren Hebel gibt es ausschließlich außerhalb der Börse. Spezielle Anbieter bieten entsprechende Produkte auf speziell für diese Zwecke eingerichteten Handelsplattformen an. Dort darf nur handeln, wer vorher beim jeweiligen Anbieter ein Extrakonto eingerichtet und eine in der Regel vierstellige Summe einbezahlt hat. Ein herkömmliches Wertpapierdepot reicht für diese neuen Spekulationsarten nicht aus.

Speziell auf dem deutschen Markt für Hebelprodukte buhlen seit kurzem so genannte Differenzkontrakte, kurz CFDs (engl. Contracts for Difference) um die Gunst extrem risikofreudiger Privatanleger. Mit CFDs wetten Investoren auf die Differenz zwischen zwei Kursen: dem Kurs, zu dem sie eine Aktie, einen Index oder einen Rohstoff kaufen, und demjenigen, zu dem sie verkaufen. CFDs spiegeln dabei die Kursentwicklung ihres Basiswertes eins zu eins wider. Dabei kann sich der Anleger aussuchen, ob er auf steigende oder auf fallende Kurse setzt und wie lange er seine Position halten möchte. Schließt er sie, erhält er den Differenzbetrag zu seinem Einstand ausbezahlt. Der Clou bei diesen Geschäften: Der Anleger kauft die Aktie nicht selbst, sondern zahlt nur eine so genannte Sicherheitsleistung, die Margin, auf sein Handelskonto ein. Üblich sind fünf Prozent der Summe, für die Aktien gekauft werden sollen. Es handelt sich also um einen Aktienkauf auf Kredit. Die Höhe der Sicherheitsleistung bestimmt dabei den Hebel. Damit ähneln CFDs der klassischen Terminmarktspekulation, den Futures, die überwiegend von Profis an Terminbörsen wie der Eurex gehandelt werden.

Während Privatkunden mit CFDs in Großbritannien seit etwa sechs Jahren bereits ein Milliardengeschäft generieren, führen Differenzkontrakte hier zu Lande bislang ein Nischendasein. Ein Grund dafür könnte das Handelskonto sein, das Anleger extra für diese Geschäfte eröffnen müssen. "Das schreckt wahrscheinlich viele Investoren ab", glaubt Christopher Maaß, Derivateexperte bei Sal. Oppenheim. Hinzu kommt, dass die Konditionen der CFD-Anbieter bislang in Höhe und Struktur sehr unterschiedlich und damit schwer vergleichbar sind, wie Professor Ralf Trost und sein Mitarbeiter Alexander Fox von der Technischen Universität Ilmenau in ihrem wissenschaftlichen Artikel "Contracts for Difference - alternative Derivate mit Zukunft?" feststellen. CFD-Anbieter verdienen ihr Geld zum einen durch Provisionen zwischen 0,05 und 0,25 Prozent je Geschäft, zum anderen mit festen Transaktionsgebühren und Zinsen von vier bis acht Prozent auf die kreditfinanzierten Positionen, die über Nacht gehalten werden.

Anleger müssen außerdem wissen, dass bei Differenzkontrakten wie bei Futures ein möglicher Verlust nicht auf das eingesetzte Kapital beschränkt bleibt. Läuft die Wette gegen den Investor, weil sich der Basiswert entgegen der erhofften Richtung entwickelt, und der Verlust wird größer als die hinterlegte Sicherheitsleistung, muss der Anleger die Margin sofort aufstocken.

Kommt er dieser so genannten Nachschusspflicht nicht nach, löst der Anbieter die Position auf - und der Anleger realisiert seinen Verlust. Das Gefährliche an der Nachschusspflicht ist, dass sich mit ihr Zeit kaufen lässt. Dies kann unerfahrene Anleger dazu verführen, sich mit zunehmenden Verlusten immer weiter gegen den Markt zu stemmen und dadurch gutes Geld dem schlechten hinterher zu werfen.

Der Engländer Nick Leeson erlag Mitte der 90er-Jahre in Singapur diesem Fehler - und ruinierte damit seinen Arbeitgeber, die traditionsreiche englische Barings Bank. Experten raten daher, CFD-Positionen täglich zu beobachten und grundsätzlich mit vorher definierten Stop-Loss-Marken abzusichern, um dieses Risiko abzufedern.

Neben CFD-Brokern wie CMC Markets, dem Hanseatic Brokerhouse, der dänischen Saxo-Bank, GNI Touch und IG Markets können Anleger seit August dieses Jahres auch mit ABN Amro auf deren Handelsplattform Marketindex Differenzkontrakte handeln.

ABN nennt sie Power Trading. Nach einer ersten Überweisung von mindestens 1 000 Euro auf ein Extrakonto bei ABN kann es losgehen, bezogen auf die notwendige Sicherheitsleistung entsteht ein Hebel zwischen dem zehn- und 50fachen des eingesetzten Kapitals. Stop-Loss-Marken lassen sich individuell festlegen und später verändern. Eine Nachschusspflicht gibt es nicht, dafür werden automatisch alle Power-Trading-Positionen geschlossen, sobald die Hälfte der hinterlegten Margin verbraucht ist.

Hoffknecht, Petra



15. September 2006

chinaman - Montag, 25. September 2006 - 11:15
Handelsblatt Nr. 184 vom 22.09.06 Seite 26


Die Angst vor Blasen wächst

Hohe Investitionen in Alternative Investments und drohende Rezession schüren Bedenken

UDO RETTBERG | FRANKFURT Noch wird das "R"-Wort von Ökonomen bei der Zukunftsbeschreibung der Weltwirtschaft gemieden. Jan Loeys und Nikolaos Panigirtzoglou von JP Morgan in London scheuen sich jedoch nicht, über Rezession zu sprechen. Auch Klaus Martini, weltweiter Chef-Anlagestratege der Deutschen Bank, sagt, die Wahrscheinlichkeit eines Abschwungs in den USA sei größer geworden. "Eine Rezession könnte Auslöser für das Platzen spekulativer Blasen am Markt für Alternative Investments sein", warnt JP Morgan. Diese Anlageklassen wie Hedge-Fonds, Private Equity, Rohstoffe und Immobilien erlebten zuletzt einen starken Kapitalzufluss .

Die inzwischen erreichte Größe dieses Marktes schürt bei Experten Sorgen. Das Platzen spekulativer Blasen könnte erhebliche Auswirkungen auf die gesamte Finanzwelt haben, fürchten sie. "Die Welt der Alternativen hat ein Volumen von drei Billionen Dollar erreicht", warnen Loeys und Panigirtzoglou. Allerdings sei es schwierig, den Zeitpunkt zu bestimmen, an dem sich eine spekulative Blase so weit aufgebläht habe, dass sie platze. Daher gelte es, die Marktentwicklungen immer wieder kritisch zu überprüfen.

Neben einer Rezession könnten auch andere Faktoren einen Knall an den Finanzmärkten auslösen und Risiken für Manager von Alternativ-Investment-Produkten hoch spülen. In der Vergangenheit platzten spekulative Blasen z.B. durch Unternehmenspleiten, Betrugsfälle, ungünstige Zinskonstellationen oder auch durch Warnungen von Notenbankern.

Signale für eine "Bubble" gibt es grundsätzlich, wenn drei Elemente zusammentreffen: außerordentlich hohe Erträge, exorbitant hohe Bewertungen und zunehmende spekulative Aktivitäten in einer Anlageklasse. Spekulative Aktivitäten werden dabei als starker Kapitalzufluss, lebhafte Handelsumsätze und Einsatz von Derivaten sowie die Nutzung von Krediten definiert.

All diese drei Elemente erkennen die JP Morgan-Fachleute am Erdölmarkt, bei US-Gewerbe-Immobilien sehen sie zwei dieser Bubble-Elemente gegeben. Für in Private Equity und Hedge-Fonds investierende Anleger geben sie hingegen Entwarnung. Hier habe sich die Lage noch nicht dramatisch zugespitzt.

Ein Blick in die Vergangenheit hilft dem Anleger bei der Frage, in welche Alternativ-Investments er heute investieren soll. In früheren Rezessionsphasen verloren Rohstoffe und Immobilien deutlich an Wert. Auch Private Equity schnitt wegen der hohen Korrelation zu Aktien in Rezessionen nicht sonderlich gut ab.

Anders ist die Lage bei Hedge-Fonds, die mit Ausnahme der Strategie Long/Short Equity rezessive Phasen der Weltwirtschaft fast unbeschadet überstanden. "Wer eine Rezession fürchtet, sollte stärker in Hedge-Fonds investieren", sagt Jan Loeys. Ähnlich sieht Martini die Situation: "Wir werden den Anteil von Hedge-Fonds am Gesamtportfolio unserer Kunden sukzessive auf zehn Prozent aufstocken", sagte er im Gespräch mit dem Handelsblatt.

Rettberg, Udo



22. September 2006

chinaman - Dienstag, 26. September 2006 - 06:05
Handelsblatt Nr. 184 vom 22.09.06 Seite 8


HEDGE-FONDS

Ein Balanceakt

TORSTEN RIECKE In der Mythologie gilt Amarant als eine Pflanze, die niemals verblüht. Ein Symbol der Unsterblichkeit sozusagen. In der Finanzwelt ist Amaranth seit dieser Woche ein Symbol dafür, wie sich sechs Milliarden Dollar in kurzer Zeit in Luft auflösen können.

Der tiefe Fall des Hedge-Fonds Amaranth hat die Finanzmärkte geschockt. Zwar hat die Fehlspekulation bislang nicht zu einer weltweiten Finanzkrise geführt wie die Pleite des Hedge-Fonds LTCM 1998. Dennoch sind die Aufsichtsbehörden blass geworden und fordern, die risikofreudigen Finanzinvestoren endlich an die Leine zu nehmen.

Der Ruf nach einer strikteren Regulierung der Hedge-Fonds erwächst jedoch vor allem aus dem Misstrauen gegenüber einer Branche, die meist im Verborgenen wirkt und deren komplexe Transaktionen kaum noch jemand versteht. Unbehagen und Unwissenheit sind jedoch keine guten Ratgeber, wenn es um Eingriffe des Staates in die Wirtschaft geht. Besser ist es, die Hedge-Fonds unter die ökonomische Lupe zu nehmen. Dabei sollten zwei Fragen im Mittelpunkt stehen: Neigt die Branche zu einem Marktversagen, das zu einem nicht akzeptablen Risiko für den Rest der Wirtschaft führen kann? Und wie lässt sich dieser Marktfehler korrigieren?

Hedge-Fonds gehören heute zu den besten Kunden der großen Wall-Street-Banken. Täglich bewegen sie Milliarden hin und her, um aus geringen Preisunterschieden auf den Aktien-, Anleihe-, Rohstoff- und Devisenmärkten einen Gewinn zu machen. Die Banken stehen den Finanzakrobaten zur Seite, wickeln ihre Handelsaufträge ab und finanzieren die riskanten Wetten. Ein Blick in die Quartalsergebnisse der Investmentbanken zeigt, wie lukrativ und umkämpft das Geschäft ist.

Der harte Wettbewerb unter den Banken hat dazu geführt, dass Hedge-Fonds anders als Privatanleger deutlich geringere Sicherheiten für die Finanzierung ihrer Transaktionen hinterlegen müssen. Die Wall-Street-Häuser rühmen sich, dass ihr ausgefeiltes Risikomanagement sie vor bösen Überraschungen schützt. Oft wissen die einzelnen Banken jedoch nicht, wie tief die Heimlichtuer der Finanzwelt noch bei anderen Häusern in der Kreide stehen.

Rutscht ein Hedge-Fonds tief in die Verlustzone, werden so genannte "margin calls" fällig. Das heißt, die Fonds müssen zusätzliche Sicherheiten nachlegen. Der New Yorker Notenbank-Chef Timothy Geithner hat jedoch kürzlich darauf hingewiesen, dass dieser Sicherheitsmechanismus unter bestimmten Umständen zu einer Kettenreaktion führen kann. Um die "margin calls" zu bedienen, müssen die Hedge-Fonds sehr schnell andere Handelspositionen auflösen.

Diese Verkäufe bringen weitere Investoren unter Druck und ziehen neue Forderungen nach sich. Die Panik führt so dazu, dass die Krise sich fortpflanzt und verschärft. Dabei gilt: Je geringer die Sicherheitsverpflichtung am Anfang, umso heftiger fallen im Krisenfall die panischen Reaktionen aller Beteiligten aus. Die Marktmechanismen versagen hier gleich zweimal: Unvollkommene Informationen führen dazu, dass Banken den Hedge-Fonds mehr Kredite geben, als gut ist. Darüber hinaus können rationale Entscheidungen der Einzelnen eine Finanzkrise noch verschärfen.

Vollkommen beseitigen lassen sich diese Mängel in einem marktwirtschaftlichen System nicht. Vielmehr kommt es für die staatliche Aufsicht darauf an, die richtige Balance zu finden. Dabei ist zu bedenken, dass Hedge-Fonds für die gesamte Wirtschaft eine wichtige Rolle spielen. Nicht nur, weil sie mit ihren Spekulationen Preisunterschiede ausgleichen und so die Effizienz der Märkte steigern. Sie erhöhen darüber hinaus die Liquidität auf den Finanzmärkten und streuen die vorhandenen Risiken. Das Finanzsystem ist dadurch krisenfester geworden.

Zwei Maßnahmen erscheinen je-doch sinnvoll. Zunächst sollten Banken von den Hedge-Fonds höhere Sicherheiten für ihre riskanten Wetten verlangen. Das würde den Puffer für Krisenfälle verstärken. Außerdem müssen die Fonds ihre Bücher zumindest so weit öffnen, dass Kreditgeber und Investoren sich ein klares Bild von den Risiken machen können.

Diese Sicherheitsvorkehrungen werden Schieflagen wie bei Ama-ranth nicht völlig ausschließen. Aber sie würden helfen, dass die Fehlspekulation eines 32-jährigen Energiehändlers die Welt nicht an den Rand einer Finanzkrise bringt.

riecke@handelsblatt.com

Riecke, Torsten



22. September 2006

chinaman - Donnerstag, 28. September 2006 - 04:33
Handelsblatt Nr. 186 vom 26.09.06 Seite 30


BULLE & BÄR

Schall und Rauch

P. HOFFKNECHT | FRANKFURT Zertifikate? Das sind doch die mit den immer länger werdenden, vor Anglizismen strotzenden Namen", witzelte neulich ein Kollege. "Wer blickt denn da eigentlich noch durch?" Zugegeben, bei "Deep Momentum", "Best Unlimited Turbos", "Outperformance Protect Capped" und "Rollover Double Chance Zertifikaten" fällt das mitunter schwer.

Zertifikate sind von Banken begebene Inhaberschuldverschreibungen, deren Rückzahlung von der Kursentwicklung anderer Finanzinstrumente wie beispielsweise Aktien oder Rohstoffe abhängen. Insbesondere Kleinanleger haben Zertifikate für sich entdeckt, da sie mit diesen Produkten Anlageideen auch auf Märkten umsetzen können, zu denen sie sonst keinen Zugang hätten. Derzeit gibt es über 100 000 dieser verbrieften Derivate, das sind mehr als dreimal so viele wie vor drei Jahren.

Alle paar Tage kommen neue Produktkonstruktionen mit wohlklingenden Namen hinzu, die allerdings bei näherem Hinsehen oft nur wenig, manchmal auch gar keinen Mehrwert gegenüber der bereits bestehenden Zertifikate-Palette bieten. Ein Beispiel: Hebelzertifikate sind je nach Anbieter als Turbos, Knock-Outs, Waves oder Mini-Futures im Umlauf. Es handelt sich jedoch immer um dasselbe Produkt.

Viele Namen für ein und dasselbe Produkt sorgen lediglich für Verwirrung. Dabei lassen sich 90 Prozent aller Produkte in zehn Grundtypen wie beispielsweise Discount-, Bonus- oder Hebelzertifikate einteilen. Wenn sich der Anleger darauf verlassen kann, dass hinter einer bestimmten Zertifikatebezeichnung immer exakt dieselbe Rückzahlungsart steckt, müsste er nur die individuellen Kontraktbedingungen wie beispielsweise Laufzeit und Bezugsverhältnis beachten, um sich ein aufschlussreiches Urteil über das jeweilige Zertifikat bilden zu können. Mit einfachen Mitteln wäre der komplexe Zertifikatemarkt dann übersichtlicher, heißt es in einem aktuellen Diskussionspapier des Grünen-Bundestagsabgeordneten Gerhard Schick zur Transparenz auf dem Zertifikatemarkt. Das Deutsche Derivate Institut, das für heute übrigens Interessierte und Emittenten zum Deutschen Derivate Tag nach Frankfurt eingeladen hat, hat für seine Marktstatistiken bereits Produktklassen gebildet, die eine erste Orientierung bieten.

Einerseits haben sich die Emittenten zwar verbal bereits für mehr Transparenz ausgesprochen, andererseits profitieren sie jedoch auch von der derzeitigen unübersichtlichen Situation. Ermöglicht diese ihnen doch zumindest theoretisch, mit Zertifikaten im Vergleich zu anderen Finanzprodukten höhere Preise und damit auch höhere Gewinnmargen zu erzielen.

Emittenten sollten dennoch freiwillig auf verwirrende Namen verzichten. Schließlich können einheitlichere und leichtere Produktnamen Zertifikaten zu noch mehr Akzeptanz verhelfen. Denn auf Dauer werden Anleger nur die Produkte kaufen, die sie auch wirklich verstehen.

hoffknecht@handelsblatt.com

Hoffknecht, P.



26. September 2006

chinaman - Mittwoch, 4. Oktober 2006 - 04:30
Handelsblatt Nr. 190 vom 02.10.06 Seite 38


BULLE & BÄR

Auf den nächsten Aufschwung

ULF SOMMER | DÜSSELDORF Die Börsen stellen das gerade abgelaufene Quartal auf den Kopf. Denn ausgerechnet die statistisch betrachtet schwächsten drei Monate des Jahres entpuppen sich als großer Renner. Wer sich vorsichtshalber das Geschehen von der Seitenlinie aus anschaute, um im Schlussquartal wieder aufzuspringen, weil es traditionell das stärkste ist, könnte diesmal schief liegen. Schließlich verdüstern sich die Konjunkturwolken mit Blick auf 2007. Dennoch: Gerade der eigentlich so problematische September zeigte mit seinen Kursgewinnen eindrucksvoll, dass die Börsen auch für schwierigere Zeiten gut gerüstet sind.

Sechs Prozent gewannen die 30 Titel im Deutschen Aktienindex (Dax) von Juli bis September hinzu. Das entspricht mehr als der Hälfte der bisherigen Jahresperformance. Dabei waren die Voraussetzungen gar nicht gut. In London vereitelten die Sicherheitsbehörden einen großen Terrorangriff, Thailand erlebte einen Militärputsch, und prominente Unternehmen wie Yahoo und Daimler-Chrysler schockierten die Märkte mit niedrigeren Wachstumsprognosen. Doch die Börse steckte die schlechten Nachrichten genauso gut weg wie die trüberen Konjunkturaussichten. In den USA schwächte sich die Wirtschaft bereits im vergangenen Quartal deutlich ab, und alles deutet darauf hin, dass sich der Negativtrend 2007 fortsetzt. Das gilt auch hier zu Lande, wo die höhere Mehrwertsteuer zusätzlich die Stimmung verdirbt.

Sind Börsianer ignorant oder blauäugig, weil sie all die Gefahren nicht sehen? Denn nicht nur der Dax, auch die übrigen europäischen Börsen legen seit Monaten kräftig zu. Der amerikanische Dow Jones notiert sogar nahe seinem Rekordstand aus der Boomzeit zur Jahrtausendwende.

Darauf zu spekulieren, dass Anleger Gefahren ausblenden, greift jedoch zu kurz. Schließlich spiegelt die Börse die Meinung sehr vieler Marktteilnehmer wider. Sie ist damit durchaus repräsentativ. Allerdings sollte niemand die Ausgangslage vernachlässigen. Wenn die Börse diesmal nicht fällt, obwohl sich die Perspektiven eintrüben, dann ist das die Konsequenz daraus, dass sie zuvor nicht exorbitant gestiegen ist, als sich die Bedingungen deutlich besserten. Denn obwohl die Unternehmen so viel wie noch nie verdienen, notieren Dax & Co sehr viel niedriger als im Boom zur Jahrtausendwende. Anders ausgedrückt: Selbst wenn die US-Wirtschaft 2007 in eine Rezession schlittert, womit Pessimisten rechnen, bedeutet das keineswegs, dass die Börsen deshalb kräftig fallen müssen.

Dafür gibt es Beispiele. Mitte der 90er-Jahre kündigten sich auch schwächere Zeiten an, ohne dass die Aktienkurse einknickten. Warum? Niedrige Aktienbewertungen - so wie jetzt - schufen gemeinsam mit sinkenden Zinsen - sie stimulieren die Ausgaben der Verbraucher und Unternehmen - ein Umfeld, dass Anleger im Bewusstsein einer sehr fairen Bewertung ihrer Aktien bereits auf den nächsten Aufschwung spekulierten. sommer@handelsblatt.com

Sommer, Ulf



02. Oktober 2006

chinaman - Montag, 9. Oktober 2006 - 05:44
Serie: Kapitalmarktrisiken

Derivate verunsichern Finanzprofis

Derivate sind das bei weitem dynamischste Segment der globalen Finanzmärkte. Doch die exorbitanten Wachstumsraten dieser Instrumente lösen inzwischen immer mehr Argwohn aus.

Derivate sind das bei weitem dynamischste Segment der globalen Finanzmärkte. Doch die exorbitanten Wachstumsraten dieser Instrumente lösen inzwischen immer mehr Argwohn aus.


FRANKFURT. Anleger-Legende Warren Buffett sieht in Derivaten "finanzielle Massenvernichtungswaffen" der Neuzeit. Und Buffett ist mit seiner Kritik am ungezügelten Wachstum dieses Marktes nicht allein. Auch bei den Aufsichtsbehörden nimmt die Sorge zu, dieses ungebremste Wachstum könnte an den Säulen des globalen Finanzsystems rütteln und die Welt ins Wanken bringen. Was Kritikern die Schweißperlen auf die Stirn treibt ist vor allem die Tatsache, dass gerade die Derivatemärkte exponentiell stärker wachsen als die Realwirtschaft - und zwar in einem bedenklich hohen Tempo.

Wenn man das globale Volumen des Marktes für Derivate in Höhe von 1 600 Bill. US-Dollar - gemessen an den diesen Instrumenten zu Grunde liegenden Nominalwerten - mit dem auf dem Globus erwirtschafteten Bruttoinlandsprodukt in Höhe von 59 Bill. Dollar vergleicht, lässt sich erahnen, welch hohe Risiken Derivate für die Stabilität der Finanzmärkte aufweisen.

Vor allem den ausgefeilten Anlagestrategien der Hedge-Fonds ist das enorme Wachstum der Derivatemärkte zuzuschreiben. Fachleute fürchten in diesem Zusammenhang eine Wiederholung der im Jahr 1998 durch den Hedge-Fonds LTCM ausgelösten Krise. Zuletzt läuteten die Alarmglocken an den Märkten, als der US-Hedge-Fonds Amaranth Advisors das Handtuch warf. Die Probleme von LTCM und Amaranth lagen nicht nur darin, dass sie den Trend falsch eingeschätzt hatten, sondern darin, dass sie auch Positionen in wenig liquiden Derivatemärkten aufgebaut hatten.

Eberhardt Unger, Chefökonom des Analysehauses Fairesearch in Frankfurt, sieht den Derivateboom als Spiegelbild der hohen Risikobereitschaft der Finanzmarktakteure. Für Unger ist klar: "Die Finanzmärkte werden durch den hohen Einsatz von Derivaten anfällig."

Doch es ist längst nicht nur die schiere Größe der unterschiedlichen Derivatemärkte, die so manchen Banker schlecht schlafen lässt. Unbehagen entsteht auch deshalb, weil einige Märkte intransparent und zum Teil illiquide sind. Timothy F. Geithner, Präsident der Federal Reserve Bank von New York, meint, dass sich die Gefahr großer Schocks für das Welt-Finanzsystem erhöht hat. Moderne Risikosteuerungsinstrumente wie Derivate hätten allerdings dazu beigetragen, die Anfälligkeit einzelner Märkte für kleinere Schocks zu reduzieren.

Die geringste aus Derivaten abzuleitende Gefahr besteht am Teilmarkt börsennotierter Optionen und Futures. Grund: Hier wird das Kontrahentenrisiko durch die Clearinghäuser der Börsen - die meist von den großen global tätigen Finanzhäuser getragen werden - übernommen. Demgegenüber müssen die Akteure am OTC-Markt (Freiverkehr) bei meist bilateral ausgehandelten Geschäften mit Bonitätsrisiken leben. Da Derivate handelbar sind, kennen ihre Besitzer nämlich oftmals ihre Gegenpartei überhaupt nicht. Dieses Manko hatte bei Kreditderivaten eine krisenhafte Situation ausgelöst und die US-Aufsicht in Alarmbereitschaft versetzt.

Auch am Markt für Privatanleger-Derivate (so genannten "strukturierten Produkten"), der in Deutschland rund 104 Mrd. Euro erreicht hat, nehmen Anleger Bonitätsrisiken in Kauf. Strukturierte Produkte sind nämlich nichts anderes als Schuldverschreibungen. Anleger werden daher als Gläubiger im Falle einer Insolvenz von Zertifikate emittierenden Banken entsprechend der Insolvenzquote nur nachrangig bedient.

Da Derivate als künstliche Finanzinstrumente stets einen Basiswert als Bezugsgröße haben, würden Probleme direkt auf die Kassamärkte (Aktien, Anleihen, etc.) durchschlagen und auch hier Turbulenzen auslösen. Die Hebelwirkung von Derivaten - mit einem geringen Kapitaleinsatz von zehn bis 20 Prozent werden 100 Prozent des zu Grunde liegenden Basiswertes kontrolliert - wird zunehmend von modernen Finanzinvestoren wie Hedge-Fonds genutzt. Diese Akteure setzen auch Kredite ein, mit denen sie ihr Engagement weiter hebeln. Dass die Zahl dieser Akteure seit Jahren zunimmt, verschärft die Situation. Hedge-Fonds liefern nämlich seit langem nicht mehr jene zuvor erzielten überdurchschnittliche Erträge ab. Dies birgt die Gefahr, dass sich diese Investorengruppe ihrem Image verpflichtet sieht, höhere Risiken eingeht und stärker auf die Hebelwirkung von Derivaten setzen könnte.

Kein Zweifel: Derivate erfüllen im Einzelfall zwar ihre Aufgabe als Instrumente der Risikosteuerung. Vorausgesetzt, sie werden entsprechend fachkundig genutzt. Derivate ermöglichen Sicherheit suchenden Anlegern den Transfer von Risiken hin zu jenen Akteuren, die Risiko-Appetit haben. Die Realwirtschaft wird durch die Existenz von Derivaten also effizienter - in der Theorie zumindest. Noch ist jedoch nicht bewiesen, dass Derivate in ihrer Gesamtheit kein Systemrisiko für die globalen Finanzmärkte darstellen; denn einem Stresstest unter den veränderten Bedingungen des letzten Jahrzehnts wurden die Märkte nicht unterzogen.

Gerade Notenbanken wissen die Verdienste von Derivaten bei der Revolutionierung der Märkte zu schätzen. Nichtsdestotrotz hat die Nervosität bei Zentralbankern, Aufsichtsbehörden und supranationalen Finanzinstituten wie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zugenommen, "Die ruhige Oberfläche ist trügerisch", sagt ein führender Frankfurter Banker.

Querdenker und Kritiker wie Warren Buffett zweifeln nicht daran, dass das globale Finanzsystem vor neue Herausforderungen gestellt wird, die eine Folge der stürmischen technologischen Entwicklung, der grenzüberschreitenden Vernetzung der Finanzmärkte und der dadurch bestehenden Interdependenzen sind. "Diese Triebkräfte wirken weltweit" sagt Jürgen Stark von der EZB.

Gerade in Aktionen von Hedge-Fonds sehen Beobachter zunehmende Risiken für das Welt-Finanzsystem. "Aus Gründen der Finanzstabilität bleibt es dringlich, hier die Transparenz zu erhöhen", hebt Bundesbank-Präsident Axel Weber den Zeigefinger. Es bleibe zu prüfen, ob die Akteure die eingegangenen Risiken angemessen überblickten und wie widerstandsfähig die Märkte bei auftretenden größeren Marktanspannungen seien.

Hintergrund: Derivate sind künstliche Finanzinstrumente, die sich stets auf einen Basiswert beziehen und ohne diese Verbindung nicht existieren können. Ein anderes Merkmal von Derivaten ist, dass Abschluss und Erfüllung des Geschäfts zeitlich abweichen. Neben an Terminbörsen gehandelten Optionen und Futures, die für Käufer und Verkäufer standardisierte Verträge abbilden, existieren in der Welt der Derivate am OTC-Markt (Freiverkehr) auch andere Arten von Termingeschäften wie Forwards und Swaps, die maßgeschneidert auf die Bedürfnisse ihrer Nutzer abgestellt werden. In Europa hat sich zudem mit Hilfe mathematisch geschulter Banker eine Derivate-Subkultur mit der Kreation strukturierter Produkte (wie Zertifikate, Aktienanleihen, Optionsscheine) entwickelt, die immer neue Blüten treibt. Strukturierte Produkte sind Schuldverschreibungen, weisen also ebenso wie OTC-Derivate Bonitätsrisiken auf, die dann wirken, wenn es an den Märkten zu ernsthaften Krisen kommt. Kurz gesagt: Bei Derivaten setzen Finanz-Hasardeure nur einen Teil des eigenen Kapitals für Transaktionen ein.

Von Ingo Narat und Udo Rettberg



07. Oktober 2006

chinaman - Montag, 9. Oktober 2006 - 05:49
Serie: Kapitalmarktrisiken

Derivate verunsichern Finanzprofis

Derivate sind das bei weitem dynamischste Segment der globalen Finanzmärkte. Doch die exorbitanten Wachstumsraten dieser Instrumente lösen inzwischen immer mehr Argwohn aus.

Derivate sind das bei weitem dynamischste Segment der globalen Finanzmärkte. Doch die exorbitanten Wachstumsraten dieser Instrumente lösen inzwischen immer mehr Argwohn aus.


FRANKFURT. Anleger-Legende Warren Buffett sieht in Derivaten "finanzielle Massenvernichtungswaffen" der Neuzeit. Und Buffett ist mit seiner Kritik am ungezügelten Wachstum dieses Marktes nicht allein. Auch bei den Aufsichtsbehörden nimmt die Sorge zu, dieses ungebremste Wachstum könnte an den Säulen des globalen Finanzsystems rütteln und die Welt ins Wanken bringen. Was Kritikern die Schweißperlen auf die Stirn treibt ist vor allem die Tatsache, dass gerade die Derivatemärkte exponentiell stärker wachsen als die Realwirtschaft - und zwar in einem bedenklich hohen Tempo.

Wenn man das globale Volumen des Marktes für Derivate in Höhe von 1 600 Bill. US-Dollar - gemessen an den diesen Instrumenten zu Grunde liegenden Nominalwerten - mit dem auf dem Globus erwirtschafteten Bruttoinlandsprodukt in Höhe von 59 Bill. Dollar vergleicht, lässt sich erahnen, welch hohe Risiken Derivate für die Stabilität der Finanzmärkte aufweisen.

Vor allem den ausgefeilten Anlagestrategien der Hedge-Fonds ist das enorme Wachstum der Derivatemärkte zuzuschreiben. Fachleute fürchten in diesem Zusammenhang eine Wiederholung der im Jahr 1998 durch den Hedge-Fonds LTCM ausgelösten Krise. Zuletzt läuteten die Alarmglocken an den Märkten, als der US-Hedge-Fonds Amaranth Advisors das Handtuch warf. Die Probleme von LTCM und Amaranth lagen nicht nur darin, dass sie den Trend falsch eingeschätzt hatten, sondern darin, dass sie auch Positionen in wenig liquiden Derivatemärkten aufgebaut hatten.

Eberhardt Unger, Chefökonom des Analysehauses Fairesearch in Frankfurt, sieht den Derivateboom als Spiegelbild der hohen Risikobereitschaft der Finanzmarktakteure. Für Unger ist klar: "Die Finanzmärkte werden durch den hohen Einsatz von Derivaten anfällig."

Doch es ist längst nicht nur die schiere Größe der unterschiedlichen Derivatemärkte, die so manchen Banker schlecht schlafen lässt. Unbehagen entsteht auch deshalb, weil einige Märkte intransparent und zum Teil illiquide sind. Timothy F. Geithner, Präsident der Federal Reserve Bank von New York, meint, dass sich die Gefahr großer Schocks für das Welt-Finanzsystem erhöht hat. Moderne Risikosteuerungsinstrumente wie Derivate hätten allerdings dazu beigetragen, die Anfälligkeit einzelner Märkte für kleinere Schocks zu reduzieren.

Die geringste aus Derivaten abzuleitende Gefahr besteht am Teilmarkt börsennotierter Optionen und Futures. Grund: Hier wird das Kontrahentenrisiko durch die Clearinghäuser der Börsen - die meist von den großen global tätigen Finanzhäuser getragen werden - übernommen. Demgegenüber müssen die Akteure am OTC-Markt (Freiverkehr) bei meist bilateral ausgehandelten Geschäften mit Bonitätsrisiken leben. Da Derivate handelbar sind, kennen ihre Besitzer nämlich oftmals ihre Gegenpartei überhaupt nicht. Dieses Manko hatte bei Kreditderivaten eine krisenhafte Situation ausgelöst und die US-Aufsicht in Alarmbereitschaft versetzt.

Auch am Markt für Privatanleger-Derivate (so genannten "strukturierten Produkten"), der in Deutschland rund 104 Mrd. Euro erreicht hat, nehmen Anleger Bonitätsrisiken in Kauf. Strukturierte Produkte sind nämlich nichts anderes als Schuldverschreibungen. Anleger werden daher als Gläubiger im Falle einer Insolvenz von Zertifikate emittierenden Banken entsprechend der Insolvenzquote nur nachrangig bedient.

Da Derivate als künstliche Finanzinstrumente stets einen Basiswert als Bezugsgröße haben, würden Probleme direkt auf die Kassamärkte (Aktien, Anleihen, etc.) durchschlagen und auch hier Turbulenzen auslösen. Die Hebelwirkung von Derivaten - mit einem geringen Kapitaleinsatz von zehn bis 20 Prozent werden 100 Prozent des zu Grunde liegenden Basiswertes kontrolliert - wird zunehmend von modernen Finanzinvestoren wie Hedge-Fonds genutzt. Diese Akteure setzen auch Kredite ein, mit denen sie ihr Engagement weiter hebeln. Dass die Zahl dieser Akteure seit Jahren zunimmt, verschärft die Situation. Hedge-Fonds liefern nämlich seit langem nicht mehr jene zuvor erzielten überdurchschnittliche Erträge ab. Dies birgt die Gefahr, dass sich diese Investorengruppe ihrem Image verpflichtet sieht, höhere Risiken eingeht und stärker auf die Hebelwirkung von Derivaten setzen könnte.

Kein Zweifel: Derivate erfüllen im Einzelfall zwar ihre Aufgabe als Instrumente der Risikosteuerung. Vorausgesetzt, sie werden entsprechend fachkundig genutzt. Derivate ermöglichen Sicherheit suchenden Anlegern den Transfer von Risiken hin zu jenen Akteuren, die Risiko-Appetit haben. Die Realwirtschaft wird durch die Existenz von Derivaten also effizienter - in der Theorie zumindest. Noch ist jedoch nicht bewiesen, dass Derivate in ihrer Gesamtheit kein Systemrisiko für die globalen Finanzmärkte darstellen; denn einem Stresstest unter den veränderten Bedingungen des letzten Jahrzehnts wurden die Märkte nicht unterzogen.

Gerade Notenbanken wissen die Verdienste von Derivaten bei der Revolutionierung der Märkte zu schätzen. Nichtsdestotrotz hat die Nervosität bei Zentralbankern, Aufsichtsbehörden und supranationalen Finanzinstituten wie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zugenommen, "Die ruhige Oberfläche ist trügerisch", sagt ein führender Frankfurter Banker.

Querdenker und Kritiker wie Warren Buffett zweifeln nicht daran, dass das globale Finanzsystem vor neue Herausforderungen gestellt wird, die eine Folge der stürmischen technologischen Entwicklung, der grenzüberschreitenden Vernetzung der Finanzmärkte und der dadurch bestehenden Interdependenzen sind. "Diese Triebkräfte wirken weltweit" sagt Jürgen Stark von der EZB.

Gerade in Aktionen von Hedge-Fonds sehen Beobachter zunehmende Risiken für das Welt-Finanzsystem. "Aus Gründen der Finanzstabilität bleibt es dringlich, hier die Transparenz zu erhöhen", hebt Bundesbank-Präsident Axel Weber den Zeigefinger. Es bleibe zu prüfen, ob die Akteure die eingegangenen Risiken angemessen überblickten und wie widerstandsfähig die Märkte bei auftretenden größeren Marktanspannungen seien.

Hintergrund: Derivate sind künstliche Finanzinstrumente, die sich stets auf einen Basiswert beziehen und ohne diese Verbindung nicht existieren können. Ein anderes Merkmal von Derivaten ist, dass Abschluss und Erfüllung des Geschäfts zeitlich abweichen. Neben an Terminbörsen gehandelten Optionen und Futures, die für Käufer und Verkäufer standardisierte Verträge abbilden, existieren in der Welt der Derivate am OTC-Markt (Freiverkehr) auch andere Arten von Termingeschäften wie Forwards und Swaps, die maßgeschneidert auf die Bedürfnisse ihrer Nutzer abgestellt werden. In Europa hat sich zudem mit Hilfe mathematisch geschulter Banker eine Derivate-Subkultur mit der Kreation strukturierter Produkte (wie Zertifikate, Aktienanleihen, Optionsscheine) entwickelt, die immer neue Blüten treibt. Strukturierte Produkte sind Schuldverschreibungen, weisen also ebenso wie OTC-Derivate Bonitätsrisiken auf, die dann wirken, wenn es an den Märkten zu ernsthaften Krisen kommt. Kurz gesagt: Bei Derivaten setzen Finanz-Hasardeure nur einen Teil des eigenen Kapitals für Transaktionen ein.

Von Ingo Narat und Udo Rettberg



07. Oktober 2006

chinaman - Mittwoch, 11. Oktober 2006 - 04:07
Eberhardt Unger im Interview

"Ein Markt der Illusionen"

Eberhardt Unger, Chefvolkswirt von Fairesearch in Frankfurt, über den Derivate-Boom und Risiken, die damit einhergehen.

Eberhardt Unger, Chefvolkswirt von Fairesearch in Frankfurt, über den Derivate-Boom und Risiken, die damit einhergehen.


Wie beurteilen sie Derivate?

Der Markt der Derivate ist ein Markt der Illusionen. Teils aggressive Anlagestrategien und hohe Volumina, die durch Aktivitäten professioneller Investoren wie Hedge-Fonds zustande kommen, sind zu einem großen Risiko geworden.

Das ruft nach einer Erklärung. Wieso boomen Derivate so stark?

Das liegt auch an der Zinsentwicklung. Die Geldmarktsätze sind zu stark gesunken - in den USA auf ein, in der Eurozone auf zwei und in Japan auf null Prozent. Auch die Anleiherenditen sind abgesackt. Für Anleger sind Zinsanlagen daher unattraktiv. Fondsmanager suchen über Derivate nach einer höheren Rendite. Höhere Renditen sind jedoch nur bei Inkaufnahme höherer Risiken zu erzielen.

Derivate sollen Risiken reduzieren. Jetzt sollen sie plötzlich Risiken auslösen - wieso das?

Derivate werden häufig als "Absicherungsinstrumente zur Risikobegrenzung" definiert. Das gilt jedoch nur für einen kleinen Teil des Marktes. Das hohe Volumen zeigt, dass es sich meist um Spekulationen mit dem Ziel der Renditeoptimierung handelt. Das schiere Volumen der Derivatemärkte hat den Bezug zur Realwirtschaft verloren. Daraus resultieren große Risiken.

Ist die Illiquidität von Derivaten das größte Risiko?

Tatsächlich ist die Illiquidität einiger Märkte ein Risiko. Gibt es ein Problem, das zum Abbau der Positionen zwingt, finden Anleger oft keine Gegenpartei mehr. Wir finden hier ja meist keine Märkte mit einer Vielzahl von Anlegern und Nachfragern. Die einseitige Orientierung an aus Charts bezogenen Signalen für Kauf und Verkauf und die Abkoppelung von Fundamentalfaktoren führen dazu, dass alle gleichzeitig durch eine Tür wollen.

Haben die Märkte aus der LTCM-Krise nichts gelernt?

Offensichtlich nicht! Das aktuelle Beispiel ist der hohe Verlust des Hedge-Fonds Amaranth Advisors wegen Fehlspekulationen in Erdgas-Futures. Bei LTCM war ein Kollaps der Weltwirtschaft im Herbst 1998 nur durch entschlossenes Eingreifen der Notenbanken zu vermeiden. Es ist jedoch nicht die Aufgabe der Notenbanken, Fehlspekulationen zu finanzieren.

In welchen anderen Derivate-Segmenten gibt es Risiken?

Bei Goldzertifikaten zum Beispiel. Der Umfang dieser Zertifikate ist deutlich größer als der globale Bestand an Gold. Bei einer Krise können sich die Besitzer von Zertifikaten ihr Gold nicht real ausliefern lassen, weil es in dieser Menge überhaupt nicht verfügbar ist.

Liegen Risiken auch im unbedachten Umgang mit Derivaten?

Das hohe Volumen spricht für eine Unterschätzung der Gefahr - und zwar nicht nur bei Derivate-Anbietern, sondern auch bei Privatanlegern. Die kennen das Risiko oft gar nicht, sondern verlassen sich auf ihren Berater. Für Banken sind Derivate inzwischen eine gute Ertragsquelle geworden. Gibt es noch weitere Risiken?

Durch die enorme Vielfalt komplexer Konstruktionen können Anleger das Risiko oft nicht abschätzen. Das Kleingedruckte in den Prospekten wird ignoriert. Berichten Berater den Anlegern von der vielfachen Hebelwirkung und Chancen eines Derivates und entdecken sie dann das Glitzern in deren Augen, wissen sie, dass das Geschäft läuft.

Sind sich die Emissionsbanken ihrer Verantwortung für das globale Finanzsystem bewusst?

Wenn es um Ertragsoptimierung geht, scheint sich nicht jeder seiner Verantwortung für das Ganze bewusst zu sein.

Wer sind die Gewinner, wer die Verlierer bei Derivaten?

Die Frage beantwortet sich auf Grund des zuvor Gesagten ja fast von allein. Gewinner sind in der Regel die Derivate kreierenden und ausgebenden Finanzinstitute. Verlierer sind meist die Anleger.

Welche Folgen hätte eine von Derivaten ausgelöste Krise?

Durch die Institutionalisierung der Märkte bringt ein gleichgerichtetes Verhalten immer heftigere Fluktuationen. Fonds müssen am Quartalsende zum Beispiel gute Ergebnisse zeigen. Drohen sie unter der Benchmark zu bleiben, werden sie vor Quartalsende oft unbedacht aktiv. Das ist der Herdentrieb, der einen so genannten Domino-Effekt auslösen kann.

Was wären die Auswirkungen auf die Realwirtschaft?

Nehmen wir die US-Privathaushalte. Bei einer negativen Sparquote von 0,7 Prozent des verfügbaren Einkommens würden Verluste aus Finanzgeschäften zwangsläufig den Konsum einschränken. Zur Erinnerung: Dieser macht 65 Prozent des US-Bruttoinlandsprodukts aus. Auch die Beleihung eigener Immobilien zu Konsumzwecken wäre dann für US-Verbraucher nicht mehr möglich.

Die Fragen stellte Udo Rettberg.


07. Oktober 2006

chinaman - Donnerstag, 12. Oktober 2006 - 04:39
Handelsblatt Nr. 196 vom 11.10.06 Seite 28


WIEBES WEITWINKEL

Alle kassieren kräftig mit

Die Finanzbranche wird immer komplexer. Eine Entwicklung, die zwei Seiten hat - vor allem aus Sicht der Anleger. Denn je komplizierter die Finanzwelt, desto mehr Leute wollen daran verdienen.

Ein Beispiel: Anleger können Aktien kaufen und ins Depot legen. Dann verdient die Bank daran, die Börsen, vielleicht noch ein Kursmakler. So läuft das Geschäft seit über 100 Jahren.

Aber es geht heute auch komplizierter. Etwa so: Der Anleger schließt eine Lebensversicherung ab. Die investiert einen Teil ihrer Anlagen in Beteiligungsfonds (Private Equity). Der Fonds wiederum - das scheint ja jetzt Mode zu werden - kauft Aktien eines Dax-Unternehmens. Vielleicht verkauft der Anleger seine Police noch an einen Aufkäufer, und der gibt sie weiter an einen Fonds, der in gebrauchte Lebensversicherungen investiert - und daran erst beteiligt sich der private Anleger. Die Liste der Unternehmen, die in diesem Fall an den Aktien verdienen wollen, ist ziemlich lang.

Ähnlich bei Anleihen. Natürlich kann der Anleger einfach das Zinspapier eines Unternehmens kaufen. Es geht aber auch anders: Die Bank vergibt einen Kredit, verbrieft ihn und lässt ihn in Tranchen mit verschiedenen Bonitäten strukturieren, ein Rentenfonds kauft einen Teil davon und wird selbst wiederum von einem Dachfonds eingespannt, in den der Anleger sein Geld investiert. Unterwegs spielt auch noch eine Ratingagentur mit und benotet die strukturierten Papiere. Auch hier gilt: Aus den Kreditzinsen müssen eine Menge Adressen bedient werden, bis etwas davon beim privaten Anleger ankommt.

Man darf keine vorschnellen Schlüsse ziehen. Zum Teil führt die Evolution der Finanzbranche einfach dazu, dass Funktionen, die bisher unter einem Dach vereinigt waren, sich auf mehrere Spezialisten verteilen, was die Effizienz steigert. Beispiel Kreditwürdigkeit: Je mehr öffentliche Ratings es gibt, desto weniger sind Banken und Investoren allein auf ihre eigene Einschätzung angewiesen.

Aber bei jeder Evolution gibt es auch Verlierer. Und so ist zu erwarten, dass der Trend zu immer mehr Spezialistentum nicht ungebrochen weiterläuft. Mehr und mehr werden neue Mitspieler beweisen müssen, dass ihre Dienstleistungen einen echten Mehrwert bieten.

wiebe@handelsblatt.com blog.handelsblatt.de/weitwinkel

Wiebe, Frank



11. Oktober 2006

chinaman - Donnerstag, 26. Oktober 2006 - 04:56
Handelsblatt Nr. 206 vom 25.10.06 Seite 1


Zertifikate erobern die Bankschalter

Kreditwirtschaft will mit offensiver Vermarktung auch Kleininvestoren für schnell wachsendes Anlagesegment gewinnen

FRANKFURT.Die deutschen Finanzkonzerne wollen Zertifikate mit einer offensiven Vertriebs- und Marketingstrategie als Massenprodukt etablieren. Nach einer beispiellosen Boomphase in den vergangenen Jahren sollen Zertifikate, die maßgeschneiderte Anlagen ermöglichen, verstärkt an Kleininvestoren verkauft werden. Der Trend geht quer durch die Kreditwirtschaft: Neben den Banken, die das lukrative Zertifikategeschäft bereits mit intensiverem Vertrieb und besserem Service vorantreiben, haben auch einige deutsche Versicherer den Trend erkannt und bieten erste zertifikategebundene Policen an. Mittlerweile nehmen selbst Makler und Finanzberater den dynamischen Markt ins Visier.

Zertifikate sind strukturierte Finanzprodukte, die von den Banken auf Aktien, Anleihen und Indizes, aber auch auf Zinsen, Währungen oder Rohstoffe aufgelegt werden. Der Anleger partizipiert dabei an der Entwicklung eines Basiswertes, etwa einer Anleihe. 1989 brachten die Banken erstmals Zertifikate auf den Markt. Breit etabliert haben sich die Produkte in der Börsenbaisse ab 2001. Weil man mit Zertifikaten auch auf fallende und seitwärts laufende Märkte setzen kann, griffen sicherheitsorientierte Anleger in dieser Zeit verstärkt zu diesen Produkten.

Im laufenden Jahr hat das investierte Volumen nach Angaben des Branchenverbandes Derivate Forum erstmals 100 Mrd. Euro überschritten. Verglichen mit anderen Anlageformen ist das immer noch wenig. In Fonds für Privatanleger lagen Ende September rund 574 Mrd. Euro, Marktführer DWS allein übertrumpfte mit 122 Mrd. Euro die gesamte Zertifikatebranche. Doch genau hieraus schöpfen die Emittenten ihre Zuversicht: "Ich sehe keinen Grund, warum wir nicht irgendwann dahin kommen sollen, wo die Fonds heute sind", sagt Stefan Armbruster, Zertifikateexperte der Deutschen Bank.

Vorbild für die deutschen Emittenten ist die Schweiz, der weltgrößte Markt für Zertifikate. "Nach unseren Schätzungen liegen dort bereits 230 bis 250 Mrd. Franken (145 bis 157 Mrd. Euro) in strukturierten Produkten", sagt Siegfried Piel, Sprecher des Deutschen Derivate Forums und Vertreter des Bankhauses Sal. Oppenheim. Anders als in Deutschland setzen die Schweizer Banken Zertifikate bereits verstärkt im Private Banking, also der Vermögensverwaltung für wohlhabende Anleger, ein.

Hier zu Lande waren Zertifikate hingegen lange Zeit vor allem ein Instrument von Anlegern, die ihre Investmententscheidungen selbst in die Hand nehmen. Nun wird die Zielgruppe erweitert. Neue Kunden erreichen die Banken jetzt fast nur noch über den Schalter, konstatieren führende Vertreter der Branche. "Die Vertriebe spielen eine immer größere Rolle für das Wachstum von Zertifikaten", sagt Piel.

Großes Absatzpotenzial sehen Fachleute noch bei Finanzvermittlern: "Die Aktivitäten der Berater sind noch stark ausbaufähig", sagte Petra Becher, Derivateexpertin der UBS. Bei den unabhängigen Vermittlern stößt sie damit grundsätzlich auf Interesse. Der Finanzdienstleister MLP schult bereits einige Berater für das Zertifikategeschäft. "Wir beobachten den Markt mit seinem starken Wachstum", sagt auch Rudolf Reil, Vorstand der BCA Bank, des größten deutschen Maklerpools. Allerdings verfügen bisher nur wenige Vermittler über die erforderliche Lizenz.

Zertifikate entwickeln sich außerdem zum Exportschlager für die deutschen Banken. "Es gibt nur wenige Derivateexperten im Ausland, die das nötige Wissen nicht in Deutschland gelernt haben", sagt Verbandssprecher Piel. Standbeine der Deutschen Bank in Asien seien beispielsweise Hongkong und Singapur, sagt Stefan Armbruster von der Deutschen Bank. In Europa sieht er die Schweiz, Italien, Polen und neuerdings auch Spanien und Skandinavien als interessante Märkte. Die steigende internationale Bedeutung des Zertifikatehandels signalisiert auch die gestern beschlossene Kooperation zwischen den Börsen in Frankfurt und Zürich, die 2007 eine gemeinsame Derivateplattform starten wollen.

Mit der Expansion im Ausland reagieren die deutschen Banken auch auf den Wettbewerbsdruck in der Heimat. Inzwischen kämpfen hier 35 Anbieter mit regelmäßigen Neuemissionen um die Gunst der Anleger. Folge ist zum einen ein hohes Innovationstempo, mehr als 110 000 Produkte sind zurzeit zum börslichen Handel zugelassen. Auf der anderen Seite rücken die Bedürfnisse des Anlegers immer stärker in den Vordergrund: "Der Serviceaspekt, also die Versorgung mit Kursen und Informationen sowie die gute Handelbarkeit der Produkte, wird für alle Anbieter eine immer wichtigere Rolle spielen", glaubt UBS-Expertin Becher.

Fachleute erwarten, dass der harte Wettbewerb nicht ohne Folgen bleibt. "Wir werden in zwei, drei Jahren weniger Anbieter am Markt haben", sagt Jürgen Scharnowske, Zertifikateexperte der DZ Bank. ckk/jr/pga/rad/rez BERICHT SEITE 24

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25. Oktober 2006

chinaman - Dienstag, 31. Oktober 2006 - 03:29
Handelsblatt Nr. 206 vom 25.10.06 Seite 25


EU spielt Finanzkrisen durch

Finanzminister und Notenbanken proben mit Stresstests den Ernstfall an den Finanzmärkten

FRANKFURT. Die Finanzminister der Europäischen Union (EU) haben erstmals in so genannten Stresstests Finanzkrisen durchspielen lassen. Konkret sollte die Frage geklärt werden, ob es bei Insolvenzen großer, grenzüberschreitend tätiger Finanzinstitute gerechtfertigt ist, Steuergeld einzusetzen, um den Schaden für die Volkswirtschaft zu minimieren. Gleichzeitig stand die Zusammenarbeit von Finanzministerien, Aufsehern und Notenbanken auf dem Prüfstand. Die Ergebnisse standen in der jüngsten Sitzung der EU-Finanzminister (Ecofin) ganz oben auf der Agenda.

Logistik, Kommunikation und Kooperation zwischen den Beteiligten seien erfolgreich getestet worden, verlautete aus Aufsichtskreisen. In der Bewertung von Stützungsaktionen hätten sich allerdings zwischen den EU-Ländern Unterschiede herausgestellt. Auch in der Frage, wie und in welchem Umfang der private Sektor in eine Stützungsaktion eingebunden werden sollte, habe sich kein einheitliches Bild ergeben. Wie sich früher bei drohenden Insolvenzfällen gezeigt hat, haben große Banken und Finanzinstitute ein existenzielles Interesse an stabilen Marktverhältnissen.

Die Stresstests der Finanzminister werden ergänzt durch parallele Tests des Eurosystems, die der EZB-Rat in seiner letzten Sitzung diskutiert hat. Dabei geht es zwar auch um grenzüberschreitende Insolvenzen, es stehen aber nicht Hilfen durch den Einsatz von Steuergeld, sondern Aspekte des Geldmarkts, der Zahlungssysteme und der Bereitstellung von Liquidität im Vordergrund. Die Kernfrage lautete: Sollen Notenbanken Geld zur Verfügung stellen, wenn durch zusätzliche Liquidität Stabilitätsgefahren abgewendet werden können? Bei dem Test, an dem sich sechs Notenbanken beteiligten, sollte primär der Informationsaustausch und die Kooperation zwischen den Notenbanken geprüft werden.

Einige EU-Regierungen hätten signalisiert, sie seien durchaus bereit, die Insolvenz einer Bank oder eines sonstigen Finanzinstituts hinzunehmen, verlautet aus dem Berliner Finanzministerium. Andere Regierungen hätten sich wegen der möglichen Erschütterungen im nationalen und internationalen Finanzsystem dagegen bereiterklärt, mit staatlichen Hilfen einzuspringen, wenn die sonstigen Sicherungen - etwa die Einlagensicherungsfonds von Banken - nicht ausreichen sollten.

Ein zentrales Ergebnis der Tests war zudem, dass bei drohenden oder eingetretenen grenzüberschreitenden Insolvenzfällen eine möglichst enge Kooperation mit dem privaten Sektors sichergestellt werden müsse. Doch auch in diesem Punkt hätten sich die EU-Länder erheblich unterschieden, was auf unterschiedliche historische und institutionelle Bedingungen zurückzuführen sei. Im Gegensatz zu manchen anderen Partnerstaaten habe Deutschland wegen des engen Zusammenwirkens im dreigliedrigen Bankensektor mit der Einbindung des privaten Sektors wenig Probleme.

Finanzminister und Notenbanken verfolgen mit Blick auf die Stresstests eine äußerst restriktive Informationspolitik, um den Eindruck zu vermeiden, dass die öffentliche Hand oder die Notenbanken jederzeit bereitstünden, um in Schwierigkeiten geratenen Instituten zu helfen.

Mario Draghi, der Chef der Banca d'Italia und neuer Vorsitzender des Forums für Finanzmarktstabilität, hat angekündigt, die Arbeit dieses internationalen Gremiums künftig - wie die EU-Stresstests - stärker an operativen Fragen der Krisenprävention auszurichten. mak/egl

egl
mak



25. Oktober 2006

chinaman - Dienstag, 14. November 2006 - 04:50
Handelsblatt Nr. 216 vom 08.11.06 Seite 30


BULLE & BÄR

Selbst ist der Privatanleger

ROLF BENDERS | FRANKFURT Jeder Privatanleger kennt die Geschichte: Man hat sich nach einigen Beobachtungen im Alltag zu einer Aktie oder einem Produkttrend eine Meinung gebildet und will aus dem "gesunden Menschenverstand" heraus investieren. Ein Beispiel aus der Vergangenheit ist der Autohersteller Volkswagen. Zuvor massiv in der Krise, jetzt aber mit neuen Sanierern an Bord, konnte man davon ausgehen, dass ein solcher Koloss irgendwann wieder in die Gänge kommt. Ein klassisches Langzeitinvestment für Privatanleger also. Wer damals aber die einschlägigen Webseiten nach Analystenempfehlungen durchforstete, war mehr als verwirrt. Neben ein paar wenigen Kaufempfehlungen fanden sich dort Ratschläge wie "halten" oder "untergewichten" und ein Reihe von "verkaufen". Erst als die Aktie wieder stieg, wurden die Empfehlungen positiver. Da war für den vorsichtigen Anleger, der auf die Analysten gehört hatte, der Zug aber schon abgefahren.

Spricht man mit Analysten über solche Unternehmen, die zwar langfristig gute Aussichten haben, aber kurzfristig wenig Kurspotenzial bieten, ist die Begründung für die Noten "halten" und "verkaufen" immer dieselbe: "Wenn ich meine Kunden da jetzt rein schicke, ist das Investment für sie in den nächsten zwei, drei Quartalen totes Geld!" Meist folgt dann der Hinweis, dass in einem Abschnitt im hinteren Bereich einer Studie die langfristigen Chancen der Aktie sehr wohl aufgeführt seien. Mit "Kunden" meinen die Banker natürlich institutionelle Anleger, die täglich riesige Summen disponieren. Für die ist der Einsatz einiger hunderttausend Euro, die zwei, drei Quartale keinen Gewinn bringen, tatsächlich ein Verlustgeschäft. Denn sie müssen intern die Kapitalkosten buchen, und da kann auch bei wenigen Prozentpunkten viel Geld zusammenkommen.

So richtig diese Sichtweise für die großen Investoren ist, so wenig einleuchtend ist sie für den Privatanleger. Er ist meist nicht in der Lage, täglich die Kurse zu verfolgen und das Geld umzudisponieren und ist deshalb auf langfristige Anlagen angewiesen. Aber für solche Zeithorizonte und Strategien schreibt der durchschnittliche Wertpapieranalyst nicht, denn dafür wird er von den Pensions- und Hedge-Fonds nicht bezahlt.

Fazit: Wer langfristig investieren will, sollte sich von durchwachsenen Analystenempfehlungen nicht gleich von seiner Idee abbringen lassen. Das beste Beispiel, dass die Abkopplung von der Hektik der Profis funktionieren kann, ist der legendäreGroßinvestor Warren Buffett. Investitionen in einfache Kapitalmarktstories, wie die des Getränkemultis Coca-Cola, brachten ihm viele Millionen.

Leider führt nicht jede aus Alltagsbeobachtungen entstandene Investmentidee auch zum Erfolg. Zu den Risiken sollte man vorher seinen Bankberater fragen und dann mutig die Verantwortung für die Entscheidung selbst tragen.benders@handelsblatt.com

Benders, Rolf



08. November 2006

al_sting - Dienstag, 14. November 2006 - 12:33
"So richtig diese Sichtweise für die großen Investoren ist, so wenig einleuchtend ist sie für den Privatanleger. Er ist meist nicht in der Lage, täglich die Kurse zu verfolgen und das Geld umzudisponieren und ist deshalb auf langfristige Anlagen angewiesen. Aber für solche Zeithorizonte und Strategien schreibt der durchschnittliche Wertpapieranalyst nicht, denn dafür wird er von den Pensions- und Hedge-Fonds nicht bezahlt."
Sehr schön formuliert!
Dem ist nur zuzustimmen!

chinaman - Mittwoch, 15. November 2006 - 05:30
Handelsblatt Nr. 217 vom 09.11.06 Seite 27


Investoren fordern Nachhaltigkeit

Nur drei deutsche Unternehmen unter den Top-50 der Welt bei Umwelt- und Sozialstandards

SUSANNE BERGIUS | BERLIN Führende Unternehmen verstehen Umwelt- und Sozialstandards mehr und mehr als strategische Chance für Innovationen. Sie richten ihre Nachhaltigkeitsstrategie progressiver und unternehmerischer aus, um Möglichkeiten für zusätzliche Wertschöpfung und Marktentwicklung zu finden. Zu diesem Ergebnis kommen die unabhängige britische Ideenschmiede Sustain Ability, die Ratingagentur Standard & Poor's und das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP). Die internationale Studie "Tomorrow's Value", die heute vorgestellt wird, bewertet die Transparenz großer Unternehmen zur Nachhaltigkeit.

Auf Platz eins des Rankings steht dieses Jahr mit großem Abstand British Telecom (BT). Unter den Spitzenreitern dominieren britische und niederländische Konzerne. Aus Deutschland kamen Adidas (Rang 21), Henkel (42) und KarstadtQuelle (47) unter die besten 50. Vor zwei Jahren waren es noch fünf deutsche Unternehmen. "Einige der interessantesten Berichte kommen aber von Nicht-OECD-Ländern", sagt Sustain-Ability-Chef John Elkington.

Ein weiterer Trend sei, dass Nachhaltigkeit ins Kerngeschäft dringe. Viel mehr Konzerne als 2004 hätten begonnen, Nachhaltigkeitsaspekte in Entscheidungsprozesse für ihr Geschäft aufzunehmen sowie zentrale Risiken und Chancen zu sondieren. 80 Prozent der 50 Top-Konzerne integrierten wenigstens einen Aspekt - hier sei aber noch viel zu tun, urteilen die Experten. Allerdings seien die meisten Nachhaltigkeitsberichte nur ein erster Schritt in diese Richtung.

"Vorstände und Vorstandschefs sollten beachten, wie Nachhaltigkeitsthemen die internationale Wettbewerbslandschaft veränderten", rät Sustain-Ability-Direktor Peter Zollinger. Sie müssten sich fragen, wie gut ihre Firmenstrategie und ihr Portfolio darauf eingestellt seien. Beispielhaft mache das die Entwicklung von Wal-Mart deutlich: der Einzelhandelskonzern, oft wegen seiner Arbeitsbedingungen kritisiert, nimmt seit 2005 ökologische Nachhaltigkeit in seine Wettbewerbsstrategie auf.

Die Qualität der Nachhaltigkeitsberichte sei im Vergleich zu 2004 gestiegen, ergab die Studie. Jedoch informieren Unternehmen Investoren nicht genügend. Obwohl gut zwei Drittel berichteten, sie hätten sich mit Investoren zu Nachhaltigkeitsthemen ausgetauscht, "fehlen in vielen Berichten immer noch harte Ziele und zukunftsorientierte Informationen für Analysten", kritisiert Sustain-Ability. Investitionen in Know-how und Fachpersonal - ein Erfolgsfaktor für Wertschöpfung - blieben selbst bei Top-Unternehmen im Unklaren. "Investoren sollten zentrale Werttreiber identifizieren und Unternehmen auffordern, das kurz- und langfristige Wertschöpfungspotenzial ihrer Nachhaltigkeitsaktivitäten zu benennen", rät Zollinger.

Finanzmärkte fordern inzwischen die Offenlegung von Nachhaltigkeitsinformationen, wie Sustain Ability feststellte. Ausdrucksstarke Nachhaltigkeitsberichte gälten nicht nur für nachhaltigkeitsorientierte Anleger als Kerninformation, sondern zunehmend auch für konventionelle Investoren. Die Beurteilung von Aktienvolatilität und langfristigem Anlagewert profitiere von höherer Transparenz, urteilte eine dazu befragte Finanzexpertengruppe.

"Transparenz und Offenlegung sind Schlüsselelemente für gesunde Finanzmärkte und die Offenlegung von Informationen zu Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungsthemen spielt eine wichtige Rolle", sagt George Dallas, Geschäftsführer bei Standard & Poor's. Die Studie sei aber auch für traditionelle Investoren interessant, die nach Indikatoren für Managementqualität suchen.

Bergius, Susanne



09. November 2006

stw - Mittwoch, 15. November 2006 - 08:46
VW ist wirklich ein tolles Beispiel dafür, wie schlecht Privatanleger beraten sind, wenn sie die Analystenmeinungen allzu ernst nehmen.

@chinaman: vielen Dank nochmal für das Zusammentragen auch solch kritischer Artikel.

:-) stw

chinaman - Donnerstag, 16. November 2006 - 09:33
Handelsblatt Nr. 215


CHINAS WÄHRUNGSRESERVEN haben die Marke von einer Billion Dollar überschritten. Die Zentralbank denkt über eine neue Anlagestrategie nach. Sollte sie künftig weniger US-Staatsanleihen kaufen, könnte das zu einer Krise auf den Finanzmärkten führen.

Den Dollar im Griff

ANDREAS HOFFBAUER | PEKING TORSTEN RIECKE | NEW YORK Die magische Grenze ist durchbrochen. Die Währungsreserven der chinesischen Zentralbank haben die Marke von einer Billion Dollar überschritten. Das bestätigte gestern die staatliche Devisenaufsichtsbehörde SAFE in Peking. China hatte bereits vor einigen Monaten Japan überholt und ist heute das Land mit den größten Devisenreserven weltweit. Wichtigste Quelle für den steigenden Zufluss ausländischer Währungen ist der riesige Exportüberschuss im Außenhandel. Die Devisen- und Handelspolitik der Regierung in Peking trägt jedoch zu den größer werdenden globalen Ungleichgewichten bei und sorgt insbesondere in Amerika für wachsenden Unmut.

Die USA werfen China seit Jahren vor, mit Hilfe seiner Devisenbestände eine Aufwertung der eigenen Währung Yuan zu verhindern, um so die Weltmarktpreise chinesischer Waren künstlich niedrig zu halten. Dadurch wächst der Handelsüberschuss und bringt noch mehr Devisen ins Land. Das Ergebnis sind massive globale Ungleichgewichte, die die Weltwirtschaft nach Meinung von Ökonomen in eine Rezession oder Finanzkrise stürzen könnten. Der Internationale Währungsfonds (IWF) versucht, das Problem mit multilateralen Gesprächen in den Griff zu bekommen.

Im Fokus stehen jedoch die USA und China. Die Schieflage ist hier nicht nur besonders groß, sondern hat auch zu einem Dauerstreit zwischen der heutigen und der kommenden Weltmacht geführt. Im August erreichte das US-Handelsdefizit mit etwa 70 Mrd. Dollar einen neuen Höchststand. Etwa ein Drittel davon geht auf das Konto des Handels mit China. Der amerikanische Markt wird mit Billigwaren aus China überschwemmt. Heimische Industriebetriebe geraten unter Druck, Arbeitsplätze gehen verloren oder werden in das Reich der Mitte verlagert.

Daraus entsteht in Washington ein explosives politisches Gemisch, das zu immer lauter werdenden Rufen nach protektionistischen Sanktionen gegen China geführt hat. Nur mit Mühe konnte US-Finanzminister Hank Paulson eine Gesetzinitiative im Kongress vereiteln, die auf alle Importe aus China einen Strafzoll von 27,5 Prozent verhängt hätte. "Wir können es nicht länger hinnehmen, dass China seine Waren mit Hilfe einer künstlich niedrig gehaltenen Währung auf den US-Markt schüttet", sagt der US-Parlamentarier Phil English.

Durch den Handelsstreit wird jedoch eine nicht minder wichtige Frage in den Hintergrund gedrängt: Was macht China mit seinem Geld? Dass von der Antwort auf diese Frage heute auch das Schicksal der amerikanischen Wirtschaft abhängt, zeigen die neuen Machtverhältnisse in der Weltwirtschaft. Die riesigen Dollar-Bestände in Peking sind ein potenzielles Risiko für Preisstabilität und Wachstum in Amerika.

Um ihr Handelsdefizit zu finanzieren, müssen sich die USA jeden Tag etwa drei Mrd. Dollar auf den internationalen Kapitalmärkten leihen. Größter Kreditgeber ist China, das mit seinen Währungsreserven massenhaft amerikanische Staatsanleihen kauft. Solange die Chinesen sich mit einer stabilen, aber geringen Rendite zufrieden geben und das einseitige Währungsrisiko nicht scheuen, kann der heimliche Pakt zwischen den Supermächten noch eine ganze Weile halten.

Eine Eskalation im Handelsstreit, politische Konflikte oder aber eine Umschichtung der Devisenreserven in andere Währungen könnten jedoch schnell in eine Krise münden. Sinkt die Nachfrage nach Dollar-Anleihen abrupt, könnte der Greenback abstürzen. Die US-Notenbank müsste mit Zinserhöhungen gegensteuern, und die amerikanische Wirtschaft geriete rasch an den Abgrund einer Rezession. Verlieren würde in diesem Fall jedoch nicht nur Amerika. Chinas Dollar-Reserven würden massiv entwertet.

Auch in Peking macht sich angesichts dieser Schreckensszenarien allmählich Unbehagen breit. Die Chinesen fragen sich, warum sie für ihr Kapital nur so wenig Zinsen bekommen und dabei noch ein hohes Währungsrisiko tragen sollen. Regierungschef Wen Jiabao hat eingeräumt, dass der hohe Devisenbestand die Geldmenge steigen lässt und einen kreditgetriebenen Investitionsboom ausgelöst hat.

Vergangene Woche wurde die Reservehaltung der Banken erneut erhöht, um so die Kreditvergabe zu dämpfen. Auch die Zentralbank in Peking hat erst vor einem Monat vor den Gefahren zu hoher Dollar-Reserven gewarnt. In dem Gremium werden vermehrt Stimmen laut, die einen langsameren Aufbau und eine breitere Anlagestrategie fordern. Als Alternativen werden in Chinas Notenbank auch Investments in Ölquellen und in Wertpapiere diskutiert. So hat sich Wu Xiaoling, stellvertretende Governeurin der Notenbank, öffentlich dafür ausgesprochen, die Devisenreserven zum Teil in ausländische Aktien anzulegen.

China könnte außerdem seine Reserven künftig verstärkt in Euro investieren, hat Yi Gang, Assistant Governor der chinesischen Zentralbank, erklärt. Das macht EU-Finanzexperten jedoch eher nervös. Steige die Volksrepublik stärker in andere Währungen ein, würde die Zentralbank in Peking großen Einfluss auf die Wechselkurse weltweit nehmen.

Experten wie Nicholas Lardy vom Institute for International Economics (IIE) in Washington fordern seit langem, dass China seine Mittel nutzt, um den lahmen Konsum im Reich der Mitte anzukurbeln. Minggao Shen, Analyst der Citigroup in Peking, schlägt vor, das Geld in ein Sozialsystem zu investieren. In China ist die Sparrate sehr hoch, was mit einem fehlenden sozialen Netz begründet wird. Eine Verbesserung der Situation "kann das Vertrauen der Konsumenten erhöhen und die Sparrate senken", sagt Minggao. Es sei doch absurd, dass China seine Währungsreserven im Ausland investiert, "während die eigene Bevölkerung unter einem schlechten Gesundheits- und Rentensystem leidet".

Riecke, Torsten
Hoffbauer, Andreas

prof - Donnerstag, 16. November 2006 - 11:12
Dieses Spielchen kann nicht unendlich weiter gehen und ist meiner Meinung nach die größte Gefahr für die Weltwirtschaft.

Wenn China für sein bedrucktes Papier plötzlich etwas sehen will, bricht alles zusammen. Bis auf Edelmetalle ...

Prof

al_sting - Donnerstag, 16. November 2006 - 13:00
Warum sollten Edelmetalle davon weniger betroffen sein? Kann ich davon etwas essen, etwas produzieren (wie bei Industriemetallen), Energie freisetzen (Brennstoffe aller Art) oder etwas anderes Sinnvolles machen?
Ich mag mich irren, aber eigentlich ist der materielle Wert von Goldspeichern nichts anderes als der von Papiergeld: Entweder viele Leute einigen sich darauf, dass dieses Handelsmaterial etwas wert ist und bieten einem dafür Leistungen an oder sie bezweifeln eben dieses. Ich sehe keinen strukturellen Wert in Edelmetallen. Ich sehe lediglich, dass viele dank ihrer kulturellen Prägung Gold einen speziellen Wert als Handelsgut zubilligen - so wie heute Währungen.
Es gab in der Vergangenheit auch viele Beispiele von Hyperinflationen der Edelmetalle (z.B. im spanischen Reich). Warum nicht auch heute?

chinaman - Donnerstag, 16. November 2006 - 13:35
Hallo Al Sting,


nachdem ich Dich persönlich sehr schätze, würde ich diese Diskussion nun doch einmal sehr gerne mit Dir weiter spinnen ... Wir treffen uns demnächst hierzu im Silber Thread. Bitte behalte Ihn dafür im Auge ...


Gruß
Chinaman

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