Diskussionsforum der stw-boerse: Strategiediskussionen: Tendenz Deutschland: Archivierte Beiträge bis 24. November 2006
chinaman - Montag, 4. September 2006 - 15:31
@ Prof: Es ist ein Firmencheck und kein Aktiencheck. Der Unterschied sollte eigentlich klar sein ...

Gruß
Chinaman

chinaman - Mittwoch, 13. September 2006 - 05:09
Handelsblatt Nr. 175 vom 11.09.06 Seite 23


INTERVIEW: Nach 100 Tagen im EZB-Direktorium zieht Jürgen Stark eine erste Bilanz

"Die Inflation macht mir Sorgen"

Herr Stark, Sie sind seit 100 Tagen in der Europäischen Zentralbank (EZB). Wie gefällt es Ihnen?

Ausgezeichnet. Ich habe mich sehr schnell eingelebt. Zum einen hatte ich gar keine Zeit nachzudenken, denn unmittelbar nach meinem Start musste ich den EZB-Rat bei seiner auswärtigen Sitzung in Madrid auf die geldpolitische Diskussion einstimmen. Zum anderen ist die EZB für mich nicht völlig neu. Von den 189 Sitzungen, die der EZB-Rat bis Ende Mai gehalten hat, habe ich als Bundesbank-Vizepräsident an über 170 teilgenommen.

Wann können die Bürger im Euro-Raum eigentlich wieder mit Preisstabilität rechnen?

Wir gehen davon aus, dass die Inflationsrate auch in diesem und im kommenden Jahr deutlich über unserer Stabilitätsmarke von "unter, aber nahe zwei Prozent" liegen wird - wegen des hohen Ölpreises und 2007 vor allem wegen der Mehrwertsteuererhöhung in Deutschland um drei Prozentpunkte. Sie wird die Inflationsrate im Euro-Raum um rund 0,4 Prozent erhöhen. Wir können also wie in den Vorjahren sehr wohl begründen, warum wir unser Stabilitätsziel nicht erfüllen. Aber gegen externe Schocks kann eine Zentralbank wenig ausrichten.

Mit diesem Ergebnis können Sie doch nicht zufrieden sein, oder?

Ich bin nicht zufrieden. Doch hat die Glaubwürdigkeit der EZB bisher darunter nicht gelitten. Die Menschen trauen uns. Sie erwarten, dass wir Preisstabilität gewährleisten. Ich glaube, dass die Höhe der Inflationsrate in der öffentlichen Meinung in Zukunft mehr und mehr an Bedeutung gewinnen wird. Junge Menschen müssen zunehmend selbst für ihr Alter vorsorgen. Bei einer Teuerung von durchschnittlich 1,8 Prozent bleiben von 1 000 gesparten Euro in 30 Jahren real noch 568 Euro übrig. Bei einer Inflationsrate von 2,5 Prozent sind es nur 477 Euro.

Die Inflationserwartungen sind gestiegen. Befürchten Sie nicht, dass sie sich bei über zwei Prozent verfestigen?

Wir erhalten unterschiedliche Signale. Nach den qualitativen Umfragen der EU-Kommission scheinen die Inflationserwartungen kurzfristig angezogen zu haben. Nach der vierteljährlichen Umfrage der EZB, dem "Survey of Professional Forecasters", sind sie langfristig nach wie vor fest verankert. Ich sehe aber das Risiko, dass sie sich auf höherem Niveau verfestigen, wenn sich an den Märkten fälschlicherweise der Eindruck durchsetzen sollte, dass die EZB auf Dauer eine Teuerung von über zwei Prozent toleriert.

Schon jetzt ist das Gefühl weit verbreitet, dass die Notenbanken inzwischen mehr auf das Wachstum als auf die Preisstabilität achten. Haben sich die Prioritäten geändert?

Ich kann nur aus Sicht der EZB und des EZB-Rates sprechen. Unser Mandat ist es, Preisstabilität zu gewährleisten. Daran hat sich nichts geändert, und daran wird sich auch nichts ändern. Und wir betonen immer wieder, dass das der beste Beitrag der Geldpolitik zu Wachstum und Beschäftigung ist.

Sind die hohen Inflationsraten nicht auch eine Folge der hohen Liquidität an den globalen Finanzmärkten, die die Notenbanken selbst verursacht haben?

Grundsätzlich würde ich zustimmen, dass die global reichlich vorhandene Liquidität zu den hohen Inflationsraten beigetragen hat, auch wenn es sehr schwierig ist, die globale Liquidität zu bestimmen. Die Liquidität ist aber neben den hohen Öl- und Rohstoffpreisen nur ein Einflussfaktor unter vielen. Wir müssen bei der Analyse der Risiken für die Preisstabilität alle wirtschaftlichen, finanziellen und monetären Daten berücksichtigen.

Die Deutsche Bank hat ausgerechnet, dass die EZB von allen großen Notenbanken die meiste Liquidität geschaffen hat - obwohl sie der Geldmenge als Inflationsrisiko die größte Bedeutung beimisst. Wie ist das möglich?

Ich kenne solche Berechnungen. Wir berücksichtigen sie auch in der EZB. Richtig ist, dass vor ein paar Jahren alle Zentralbanken zur Ausweitung der globalen Liquidität beigetragen haben. Das gilt auch für die EZB als Zentralbank eines der größten Wirtschaftsräume der Welt. Allerdings war unser Beitrag zwischen 2001 und 2003 verzerrt. Infolge der damals großen Unsicherheit an den Finanzmärkten haben Investoren in erheblichem Umfang in liquide Anlagen umgeschichtet. Diese Umschichtungen haben wir nicht als Inflationsrisiko gewertet. Seit Mitte 2004 begann sich die Situation zu ändern. Seitdem wird die Liquidität stärker von den niedrigen Zinsen getrieben. Der EZB-Rat hat reagiert: Seit Dezember 2005 hat er vier Mal den Leitzins angehoben.

Besteht die Gefahr, dass die Zinsen zu schnell angehoben werden und dies die wirtschaftliche Dynamik gefährdet?

Im Euro-Raum sehe ich kein größeres Risiko, dass höhere Zinsen die wirtschaftliche Erholung nennenswert beeinträchtigen könnten. Der Aufschwung hat an Breite gewonnen, er ist ziemlich robust und mit der Sicherung der Preisstabilität leisten wir hierzu einen Beitrag.

Die EZB wird immer wieder aufgefordert, die Geldmenge bei ihren zinspolitischen Entscheidungen zu vernachlässigen. Wie sehen Sie die Zukunft der monetären Analyse der EZB?

Unsere geldpolitische Strategie ist das Zwei-Säulen-Konzept mit der wirtschaftlichen und der monetären Analyse. Die monetäre Analyse möchte ich weiter vertiefen. Wir müssen noch bessere, zuverlässige Erkenntnisse darüber gewinnen, von welchen Elementen der monetären Aggregate längerfristig Inflationsgefahren ausgehen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass es uns gelingen wird, die monetäre Säule weiter zu stärken.

Sie sagen der Zwei-Säulen-Strategie also noch ein langes Leben voraus?

Ich habe keinen Zweifel daran, dass wir bei dieser Strategie bleiben werden und auch bleiben müssen.

Wird die EZB künftig regelmäßig Inflationsprognosen auf der Basis monetärer Indikatoren veröffentlichen?

Bisher haben wir solche Prognosen zwei Mal veröffentlicht. Wir arbeiten hart daran, unsere Methoden zu verbessern. Ich gehe davon aus, dass wir auch in Zukunft monetäre Inflationsprognosen publizieren werden, allerdings nicht regelmäßig.

Bundesbankpräsident Axel Weber will die Bundesbank in Sachen monetärer Analyse zur Nummer eins im Eurosystem machen. Wird die Bundesbank der EZB den Rang ablaufen?

Die Bundesbank hat auf diesem Gebiet ein hohes Maß an Expertise. Es wäre enttäuschend, wenn sie mit ihrer Erfahrung in der Geldmengensteuerung keinen Beitrag zur Diskussion leisten würde. Im Übrigen verstehen wir uns im Eurosystem als Team - mit der EZB und ihren hoch qualifizierten Mitarbeitern im Zentrum.

Bei der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Singapur geht es auch um die globalen Ungleichgewichte. Werden die Marktkräfte sie abbauen, oder müssen sie wirtschaftspolitisch korrigiert werden?

Ich denke, wir brauchen beides, indem wir an den Ursachen der Ungleichgewichte ansetzen. Wichtig ist, dass die Anpassungsstrategien weiter umgesetzt werden, zu denen sich die G7-Staaten seit 2003 bekannt haben: in Europa und Japan die Umsetzung von Strukturreformen, in den USA die Stärkung der Ersparnisbildung und in den ostasiatischen Schwellenländern flexiblere Wechselkurse. Ich bin aber der Meinung, dass wir uns bereits mitten in dem erforderlichen Anpassungsprozess befinden. Die Chancen stehen gut, dass die Abkühlung in den USA durch höheres Wachstum im Euro-Raum und anhaltendes Wachstum in Asien kompensiert wird. Dies kann zu einem Abbau der globalen Ungleichgewichte beitragen.

Ist die Stärkung der Überwachungsfunktion des IWF durch "multilaterale Konsultationen" ein geeignetes Mittel zum Abbau der Ungleichgewichte?

Zusätzliche Analysen können sicherlich dazu beitragen, besser zu verstehen, welche Auswirkungen die Wirtschafts- und Finanzpolitik eines Landes eventuell auf andere Regionen hat und was einzelne Länder tun sollten. Aber im Prinzip steht die international vereinbarte Strategie fest. Ihr ist nichts hinzuzufügen. Ich sehe die Rolle des IWF darin, dass er darauf achtet, dass sie umgesetzt wird.

Welche Rolle sollte dem IWF in Wechselkursfragen zugestanden werden?

Zweifellos hat der IWF in Wechselkursfragen hohe Sachkenntnis. Er ist wichtig für die Analyse. Er muss sich aber darüber im Klaren sein, dass die Wechselkurse in vielen Ländern mit entwickelten und hoch liquiden Finanzmärkten nicht das Ergebnis politischer Entscheidungen, sondern des freien Spiels der Marktkräfte sind. Auf keinen Fall dürfen wir in eine Situation geraten, in der die Finanzmärkte den Eindruck gewinnen, dass die notwendigen Anpassungen allein über den Wechselkurskanal erfolgen. Es gibt dafür ein breites Spektrum an Instrumenten, das wir nutzen müssen.

Die Fragen stellten Marietta Kurm-Engels und Hermann-Josef Knipper.

Knipper, Hermann-Josef
Kurm-Engels, Marietta



11. September 2006

chinaman - Donnerstag, 14. September 2006 - 06:28
Handelsblatt Nr. 176 vom 12.09.06 Seite 8


BANKEN

Bedingt krisenfest

Deutschlands Banken haben schwierige Jahre hinter sich. Einige große Banken hatten sich mit Engagements im Investment-Banking verspekuliert. Den meisten machten zudem hohe Kreditausfälle zu schaffen. Viele Banken reagierten mit einer ausgeprägten Zurückhaltung bei der Kreditvergabe, weil sie einerseits mit ihrer dünnen Eigenkapitaldecke nur begrenzt Kredite unterlegen konnten und weil sie andererseits die weithin als zu niedrig eingeschätzten Zinsmargen ausdehnen wollten. Das führte zeitweise zu einem Teufelskreis von schwacher Konjunktur, hohen Kreditausfällen, Kreditverknappung und dadurch belasteter Konjunktur.

Inzwischen geht es mit der deutschen Wirtschaft wieder deutlich bergauf, und auch ein Blick in die Bankbilanzen legt den Schluss nahe, dass die Rentabilitätsverbesserung geglückt ist. Doch der Schein könnte trügen. Zwar hat sich die Eigenkapitalrendite der Banken in den letzten beiden Jahren ganz erheblich verbessert. Dies scheint allerdings vor allem auf Gewinne am Kapitalmarkt und im sonstigen Investment-Banking sowie auf geringere Kreditausfälle zurückzugehen. Trotz der jahrelangen Zurückhaltung bei der Kreditvergabe scheint es den Banken nicht gelungen zu sein, ihre Zinsmargen im Kreditgeschäft auszuweiten. Vielmehr waren diese zuletzt im Zuge eines sich verschärfenden Wettbewerbs sogar deutlich rückläufig.

Das gibt Anlass zur Sorge, kann man sich doch nicht darauf verlassen, dass die Konjunktur und die Kapitalmärkte sich weiter so günstig entwickeln wie zuletzt. Es wäre fatal, wenn die Banken auf einen neuen Konjunktureinbruch wieder mit einer Kreditrationierung antworten müssten. Gefordert sind eine ausreichende Vorsorge für das Ausfallrisiko auch in guten Zeiten, eine nachhaltige Effiziensteigerung und ein Verzicht auf Kreditgeschäfte um jeden Preis. haering@handelsblatt.com

Häring, Norbert



12. September 2006

chinaman - Dienstag, 19. September 2006 - 19:49
Handelsblatt Nr. 180 vom 18.09.06 Seite 36


Manager weiter in Kauflaune

Die Firmeninsider beweisen mit ihren Aktienkäufen, dass sie mit steigenden Kursen rechnen

CHRISTIAN SCHNELL | FRANKFURT Deutschlands Top-Manager kaufen zwar weiterhin deutlich mehr ihres Unternehmens als sie verkaufen. Die Zahl der Transaktion ist in den letzten beiden Wochen aber deutlich zurückgegangen. Das geht aus dem aktuellen Insider-Barometer hervor, das das Forschungsinstitut für Asset Management (Fifam) an der RWTH Aachen in Zusammenarbeit mit Commerzbank Private Banking alle zwei Wochen exklusiv für das Handelsblatt berechnet. Das Barometer selbst stieg zuletzt auf über 148 Punkte und legte damit gegenüber dem Stand vor 14 Tagen, als es bei 146 Punkten bereits auf dem höchsten Stand seit über drei Jahren notiert hatte, noch einmal leicht zu.

"Wir sehen weiter ein klares Übergewicht auf Käuferseite, das alles jedoch auf deutlich reduziertem Niveau", sagt Professor Rüdiger von Nitzsch von der Fifam. Die Zahl der Käufe war fast dreimal so hoch wie die der Verkäufe.

Allerdings gab es nur je zwei nennenswerte Käufe und Verkäufe in den für das Barometer untersuchten Indizes Dax, MDax, TecDax und SDax (siehe Tabelle). Von Nitzsch führt die wenigen Transaktionen auf die Urlaubssaison zurück. Gerade in den wirtschaftsstarken Ländern Bayern und Baden-Württemberg waren in den letzten beiden Wochen noch Schulferien. Bereits in der neuen Woche dürfte deswegen die Zahl der Transaktionen spürbar zunehmen. Dadurch könnten auch Privatanleger wieder deutlich stärker profitieren, in dem sie sich an den neuesten Transaktionen von Vorstände, Aufsichtsräten sowie deren nahen Familienmitgliedern orientieren. Als eindeutiges Indiz gilt bereits jetzt: Deutschlands Top-Manager rechnen trotz des deutlichen Kursanstieges zuletzt mit weiter steigenden Kursen. Anleger sollten deshalb ihre Aktienquote aufstocken.

Namhaftester Wert, in dem es zuletzt zu einer Transaktion kam, war die im MDax vertretene Wacker Chemie. Für über 140 000 Euro hat Aufsichtsratsmitglied Franz-Josef Körtum Aktien verkauft. Bereits Anfang August hatte er einen Kurssprung um rund zehn Prozent nach oben zum Verkauf genutzt. Damals hatte Wacker Chemie seine Gesamtjahresprognose angehoben. Die Experten von Commerzbank Private Banking raten jedoch, die Verkäufe nicht unbedingt nachzuvollziehen. "Nach der Korrektur halten wir das aktuelle Kursniveau wieder für vernünftig und angemessen", heißt es von dort. Zuletzt hatte die Aktie wieder einen Kurs von knapp 100 Euro erreicht, nachdem sie im Frühjahr zu 80 Euro an die Börse gebracht worden war.

Ebenfalls auffällig in den letzten beiden Wochen: Bei mehreren Unternehmen, die davor mit ihren Zahlen enttäuscht hatten, nutzten Manager das deutlich gesunkene Kursniveau zum Aufstocken ihrer Bestände. Beispielsweise bei der im Moment noch im Kleinwertesegment SDax gelisteten Schlott- Gruppe. Der Katalog-Hersteller für Verlage und Versandhäuser hatte Ende Juni die Anleger mit einer Gewinnwarnung erschreckt, worauf die Aktie in der in den folgenden Tagen um rund 20 Prozent gesunken war und deswegen ab heute aus dem SDax genommen wird. Mittlerweile notiert sie unter ihrem Buchwert, ist also weniger wert als die Summe ihrer Vermögenswerte. Aufsichtsrat Joachim Kohm, der da bereits 515 000 Stücke besaß, kauft dort seither kontinuierlich über seine private Vermögens-GmbH Just-Us weitere Schlott-Aktien zu und hält inzwischen fast zehn Prozent am Unternehmen. "Für Investoren mit einem langfristigen Horizont könnte sich der Kursverfall als Kaufgelegenheit entpuppen", heißt es von Seiten der Commerzbank. Kurs- bis mittelfristig dürfte die Nachrichtenlage jedoch schwach bleiben, wodurch der Kurs weiter im Keller bleiben wird.

Die mit weitem Abstand höchste Transaktion der letzten Wochen kam indes von einem Unternehmen, das in keinem Index mehr vertreten ist und deswegen auch nicht in das Insider-Barometer mit eingeht. Beim Flensburger Erotik-Händler Beate Uhse kaufte die familieneigene Rotermund Holding eigene Aktien für über zwölf Mill. Euro.

Schnell, Christian



18. September 2006

prof - Donnerstag, 21. September 2006 - 22:28
Grassiert in Westeuropa das Stockholm-Syndrom?

Bei den Zuschauern der Nachrichtensendungen löst ein Bild mit Sicherheit Kopfschütteln aus: eine Geisel, die mit ihren Entführern sympathisiert oder sich sogar in diese verliebt. Wie kann ein Entführungsopfer, das tage-, wochen- oder monatelang der Freiheit beraubt wurde, den Täter nicht hassen, ihn nicht vorbehaltlos der Freiheitsberaubung anklagen, ihn als menschliche Bestie verurteilen? Erstmals wurde dieses Phänomen 1973 vom schwedischen Psychiater Niels Bejerot als „Stockholm Syndrom” beschrieben, als bei einem Banküberfall in Stockholm die Bankräuber vier Geiseln nahmen. Nach der viertätigen Geiselhaft verspürten die Geiseln jedoch keinen Hass gegen die Geiselnehmer. Auch im aktuellen Fall „Natascha Kampusch“ überraschte die mehr als acht Jahre festgehaltene Österreicherin mit relativ wohlwollenden Aussagen über ihren Entführer, der sie fast um die gesamte Kindheit gebracht hatte. Das „Stockolm-Syndrom“ beschreibt im weitesten Sinne eine emotionale Annäherung des Opfers an den Täter, die bis zur vollständigen Verkennung der realen Entführungssituation führen kann und seine Ursache im Abhängigkeitsverhältnis des Opfers vom Wohlwollen des Täters findet.

Dieser Artikel soll einen Beitrag zu der Frage liefern, warum der freiheitsberaubende Staat die individuelle Freiheit des Einzelnen im Laufe der letzten Jahrzehnte so stark beschneiden konnte und das fast ohne Widerstand. Dabei beziehe ich mich nicht auf Anthony de Jasays Interpretation der „churning society", in gewissem Sinne eine Weiterentwicklung von Frédéric Bastiats Einsicht, wonach der Staat jene Fiktion sei, die es jedem ermögliche auf Kosten der anderen zu leben. Diesen rational-ökonomischen Interpretationen füge ich die psychologische These hinzu, daß ein Großteil der Bevölkerung am „Stockholm-Syndrom“ leidet. Dabei subsumiere ich alle ausführenden Organe des Staates unter Entführer, all diejenigen, die sich der freiheitsberaubenden Qualität des Sozialstaats anfangs nicht bewußt sind als am „Stockholm-Syndrom"-Leidende. Die Betonung liegt auf „anfangs“, da im Laufe der Zeit die Entführten auch zu Entführern werden können. Diese Grenze zwischen Entführten und Entführern verläuft dabei doppelt fließend. Einerseits aus dem gerade erwähnten Grund und andererseits, weil der Einzelne, wenn er sich der Reflexion über das Sein und Sollen seiner Existenz entzieht, sein Potential als Mensch nicht ausschöpft und dem Entführer das Spiel zu einfach macht.

Zur Analyse ziehe ich eine Auflistung von Symptomen des kanadische Psychiaters Paul T.P. Won heran. Einschränkend muß vorweggeschickt werden, daß es noch keine eindeutige Diagnose für das „Stockholm-Syndrom“ zu geben scheint. Professor Wong betont daher, daß eine Anhäufung von mehreren Symptomen zur Diagnose des „Stockholm-Syndrom“ im Allgemeinen ausreicht.



Emotionale Bindung mit dem Entführer
Das Verhältnis der Bürger zum Staat ähnelt immer mehr dem eines von der Mutterbrust abhängigen Säuglings. Die vermeintliche Selbstbefreiung des Einzelnen von den einengenden Beschränkungen der Tradition und althergebrachter Normen und Sitten, die nicht evolutionär durch eigenes Handeln, sondern revolutionär durch die Macht des Staates herbeigewunschen und in vielen Bereichen bereits umgesetzt wurde, diese Scheinbefreiung degeneriert den Menschen vom vernunftgeleiteten homo sapiens zu einem von Emotionen getriebenen Wesen, das die echten, weil zwischenmenschlichen Gefühle verlernend, im unpersönlichen Gebilde Staat einen Mutter-, Partner- und Freundeersatz sieht. Jegliche gesetzliche Einschränkung der persönlichen Freiheit, sei es durch höhere Steuern und Abgaben, Regulierungen und Verhaltensvorschriften werden kritiklos als gutherzige Zuwendungen hingenommen und der Liebesentzug der Parteien durch Stimmentzug bestraft. Gewählt wird, wer am besten das Gefühl der „sozialen Wärme“ vorgaukeln und die dafür zwingend notwendigen Einschränkungen der persönlichen Freiheit am besten verschleiern kann. Mit „Brot und Spielen“ wie sportlichen Großveranstaltungen und nur scheinbar „kostenlosen“ Volksfesten, die moderne Variante der römischen Gladiatorenkämpfe, wird die emotionale Bindung zwischen dem fürsorgenden Staat und dem Untertan gefestigt. Wer den "von-der-Wiege-bis-zur-Bahre"-Staat kritisiert, erntet häufig einen emotionalen Sturm der Entrüstung, der frappant an das verängstigte Geweine eines Kleinkindes erinnert, der seine Mutter verloren glaubt.



Das Opfer sucht Gefallen und Bestätigung vom Täter
Das Streben nach staatlich zertifizierten Diplomen als offizielle Bestätigung des Wissenserwerbs und nicht die individuelle Suche nach der Wahrheit unabhängig von der Gutheißung durch staatliche Zertifizierungsbehörden dominiert das heutige Bildungsverständnis. Schließlich siebt der Staat als Arbeitgeber die Bewerbungen besonders stark danach aus, ob der Bewerber das richtige Diplom vorweisen kann. Dieselbe Logik liegt auch die Notwendigkeit, einen von einer staatlichen Behörde ausgestellten Befähigungsnachweises vorlegen zu können, um überhaupt ein Gewerbe ausüben zu dürfen. Es soll natürlich nicht verschwiegen werden, daß diese Zertifizierungsmanie gerade auch dazu dient, die Anzahl der Anbieter künstlich niedrig zu halten und damit den Profit der bereits am Markt etablierten Unternehmer auf Kosten der Konsumenten zu erhöhen.

Mit dem bereits wieder verhallenden Aufruf zum lebenslangen Lernen – als ob das beständige Erweitern des eigenen Wissens etwas Besonderes zu Anfang des 21. Jahrhunderts gewesen wäre – war denn auch nicht das eigenständige Fortbilden gemeint. Sondern als Aufruf, das eigene edukative Tun permanent durch staatliche Behörden zertifizieren zu lassen; die Qualität und Quantität der Diplome als vermeintlicher Ausdruck des Wissens. Letztlich war die bürokratische Umsetzung dieses Aufrufs ein weiterer Versuch, die für die staatliche Planwirtschaft unumgänglichen Objektivierung jeglicher menschlichen Handlung voranzutreiben. (Aus dieser Quelle speist sich auch die grassierende Monetarisierung jedes Lebensbereichs. Nicht als Ausdruck eines Zuviels an Freiheit, sondern der Vervariabelisierung der menschlichen Existenz zur mathematischen Lösung planwirtschaftlicher Modelle. Selbsttranszendenz ist nicht in Formeln zu gießen(!).)

Mit der zunehmenden Abhängigkeit vom Entführer, im ausufernden Staat ist das Entführtsein kein binärer entweder – oder Zustand, sondern ein gradueller Prozeß, nimmt das Bedürfnis, einen Gefallen vom Staat in Form eines Auftrags zu erhalten, existentielle Dimensionen an. An Stelle des Grundsatzes „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“, der nur in der aufopfernden Nächstenliebe seine zutiefst menschliche Ausnahme erfährt, tritt ein neuer: „Wer nicht gehorcht, soll nicht essen.“ Diese von Leo Trotzki überlieferten Worte verdeutlichen die zunehmende Allmacht des Staates über das Denken, ja das Persönliche schlechthin. Aus dem Menschen, der sein eigenes Schicksal tagtäglich zu meistern versucht, wird die nur oberflächlich widersprüchliche Figur des sich selbstentführenden Entführten, der dem Entführer auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist. Im Zustand der Freiheit sucht der Mensch in der Zusammenarbeit, im Tausch, im Handel mit anderen Menschen seine eigenen, höchst individuellen und damit subjektiven Zielvorstellungen zu verwirklichen und webt so an einem für alle Seiten gewinnbringendem Netz einer zivilisierten Gesellschaft. Dem gegenüber steht das wohlstandsreduzierende Abhängigkeitsverhältnis zwischen Entführer und Entführtem, das den Entführten zum Bittsteller degradiert oder um das Bild der Scheinbefreiung und des selbstentführenden Entführten zu kombinieren, der freie Mensch degradiert sich selbst von einer handelnden, eigenverantwortlichen Persönlichkeit zu einem devoten, für jeden Brotkrümmel dankbaren Bittsteller.


Abhängigkeit vom Täter für die eigenen Sicherheit und den Zweck der eigenen Existenz
Sämtliche Lebensrisken wie Krankheit, Alter, Pflegebedürftigkeit und Arbeitslosigkeit wurden in den letzten Jahrzehnten an den Staat ausgelagert. Die aufkommende Debatte um ein Grundeinkommen als ein „Menschrecht“, das den Menschen vor existentieller – materieller – Not beschützen soll, verleiht der Abhängigkeit vom Entführer eine neue Qualität. Man überläßt sein Sein vollkommen dem „kältesten aller Ungeheuer“ (Nietzsche), ohne dessen Kälte der Unmenschlichkeit zu verspüren. Im Gegenteil. Weite Teile der Bevölkerung verfallen der Illusion von der „sozialen Wärme“ des fürsorgenden Staates und dem Glauben, die subjektive Einstellung könne sich gegen die objektiven Grundbedingungen der Realität auflehnen. Wie ein Alkoholiker, der meint, der Alkohol schütze seinen Körper vor der Kälte. Dem Entführer wird hingegen das Überwinden dieser nicht aus der Welt zu schaffenden Rahmenbedingungen, sei es aus bequemer Naivität oder aus heroischer Überhöhung, zugestanden. Damit wird er zur sine qua non, zum Dreh- und Angelpunkt der eigenen Existenz, die ohne den Entführer in der vermeintlichen Grausamkeit der Realität gefangen bliebe.


Der Aufbau einer freundschaftlichen Beziehung zum Entführer und die Sorge um das Wohlbefinden des Entführers
Über Jahrhunderte galt die staatliche Macht als – wenn auch notwendiges – Übel menschlichen Zusammenlebens. Der Kampf des Einzelnen galt der Einschränkung staatlicher Macht, die sich auf Kosten der individuellen Freiheit und zum Vorteil einiger weniger immer und immer wieder auszubreiten versuchte. Allen voran mit der Rousseauschen Theorie vom – fiktiven – Gesellschaftsvertrag als notwendige Grundlage einer Gesellschaft, verschwammen zusehendsdie Grenzen zwischen Staat (Entführer) und Volk (Entführtem). Die letzten Ausläufer jener realistischen Klassentheorie, die zwischen der Klasse derjenigen, die auf Kosten der anderen leben und denjenigen, die Zwangsabgaben leisten müssen und sich durch den friedfertigen Tausch von Gütern ernähren, unterscheidet, finden sich heute bei den Vertretern der „Österreichischen Schule der Nationalökonomie“. Diese beziehen sich dabei auf Denker wie James Mill und Franz Oppenheimer. Dieser klassifizierte ersteres Verhalten als Bedürfnisbefriedigung mit „politischen Mitteln“, zweiteres als Bedürfnisbefriedigung mit „ökonomischen Mitteln“.

Diese scharfe Unterscheidung wurde seit der Französischen Revolution durch die zunehmende Demokratisierung verwischt, bevor sie noch richtig Fuß fassen konnte als sie Oppenheimer 1909 in seinem Buch „Der Staat“ in die akademische Diskussion einführte. Schließlich, so die demokratische Grundvorstellung, regiere sich das Volk selbst. Im Fahrwasser dieser Selbsttäuschung verschwand mit beängstigender Geschwindigkeit die Furcht des Bürgers vor der Macht des Staatsapparates. Schließlich könne heute jeder und nicht nur der von Geburt an privilegierte Kaiser „Verantwortung übernehmen“ und „mitbestimmen“.

Die Klimax gesellschaftlicher Entwicklung, ja das „Ende der Geschichte“, das Francis Fukuyama mit dem Zusammenbruch des Kommunismus 1989 datiert, fand in den Köpfen schon viel früher statt und zwar spätestens mit der Verfestigung der Nachkriegsordnung, des demokratisch-interventionistischen Staates. Gab es früher bei merklich niedrigeren Steuerquoten Volksaufstände, Rebellionen und Bürgerkriege, so nimmt der Bürger des 21. Jahrhunderts die schleichende Enteignung, die unaufhaltsam scheinende Fährfahrt vom selbstbestimmenden Individuum zum abhängigen Entführten, mit einer stoischen Ruhe auf, die ihres Gleichen sucht. So wird auch nahezu jeder Aufruf, die Steuern zu senken oder das Regulierungsdickicht zu lockern, mit der Sorge um die Handlungsfähigkeit des Staates (des Entführers?) abgeschmettert. Manchmal beschleicht mich das Gefühl, die Hingabe an den Entführer ist schon so weit fortgeschritten, daß man Steuern nicht mehr als Zwangsabgabe, als „politisches Mittel“ um mit Oppenheimer zu sprechen, bezeichnen kann. Der Einkommensransfer erfolgt über weite Strecken ohne ersichtlichen Widerstand. Nicht einmal die ehemals höchst unbeliebten Steuereintreiber müssen noch um ihr Heil zittern.

Symptomatisch für die sich intensivierende Funktion des Staates als Freundesersatz, für das Platzmachen von genuin freundschaftlichen Beziehungen zwischen Individuen durch die Pseudofreundschaft zwischen Person und staatlichen Dienststellen ist die neue Kampagne des „Sozialruf“ der Stadt Wien. Unter anderem wird mit dem Eintrag eines Kindes in sein Tagebuch geworben: “Immer wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.“ Und dieses Lichtlein ist, so die Auflösung des Sujets, der durch und durch unpersönliche "Sozialruf" der Stadt Wien; denn „Wenn Worte nicht mehr helfen, hilft die Stadt Wien“ und nicht mehr die Eltern, Geschwister oder Freunde.


Die Aufgabe der eigenen Identität, um sich mit dem Entführer zu identifzieren
Die Verfolgung der eigenen Persönlichkeitsbildung, die Inangriffnahme individueller Projekte oder die Zurückweisung von Eingriffen in die persönliche Integritätssphäre, werden in zunehmendem Maße als Verrat am Gemeinwohl angesehen. Wer sich dem Schulzwang entzieht, entzieht sich der Gesellschaft. Wer Neues ohne Zustimmung der Bevölkerung ausprobiert, wird gemaßregelt. Wer schließlich seinen eigenen Lebensstil pflegen möchte und beispielsweise raucht, trinkt, schnell Auto fährt wird als Steuerverschwender gebrandmarkt, selbst wenn kein anderer gefährdet wird. Immer häufiger kommen „opferlose Verbrechen“ zur Anklage, weil Gemeineigentum hinterzogen wird, das Individuelle nicht dem großen Ganzen untergeordnet wird. Der Hurra-Patriotismus in Deutschland während der Fußball-WM, die Verkollektivierung des Einzelnen in Parolen wie „Wir sind Deutschland“ oder „Wir sind Papst“ sind nur die Spitze des an Umfang gewinnenden Eisberges der de-individualisierenden Selbstaufgabe.


Übernehmen der Perspektive des Täters
Mit der Politisierung der Gesellschaft, da jeder Lebensbereich direkt oder indirekt vom Staat kontrolliert wird und der sich daraus ergebenden Abhängigkeit vom Goodwill des Täters, geht auch eine Veränderung des Denkens einher. Immer mehr Gespräche drehen sich um die optimale politische Ausgestaltung und um die Finanzierung dieser – häufig gutgemeinten – Vorhaben. Die Selbstaufgabe des Bürgers, das Aufgehen des Einzelnen im Holismus der Gesellschaft, der, wie bereits angedeutet, die Grenzen zwischen Täter und Opfer bis zur Unkenntlichkeit verwischt, erreicht in der Verpolitisierung jeder Debatte einen Höhepunkt. „Der Staat“, „die Gemeinschaft“ müsse nicht nur tun, nein, diese höheren Instanzen wären als Einzige auch dazu fähig, die überall sichtbaren Übel aus der Welt zu schaffen. „Ich selber kann doch nichts bewegen.“


Erfolgversprechende Fluchtversuche bleiben ungenutzt
Im Unterschied zu einem gewöhnlichen Entführer stellt sich die Frage nach örtlichen Fluchtversuchen im Verhältnis Bürger-Staat nicht in derselben Weise, da einerseits die Fluchtkosten deutlich höher liegen und es andererseits im Augenblick kaum ein Land gibt, das seine Bürger nicht als unmündige und hilflose Objekte betrachtet. Auf der intellektuellen Ebene, im Kampf der Ideen, lassen sich trotz der sich beständig intensivierenden Gehirnwäsche in staatlichen "Bildungs"-Institutionen, die auf der Universität ihre akademische Klimax erreichen, einige Anzeichen der Unwilligkeit feststellen, aus den gewohnten Denkmustern auszubrechen. Zu groß sind mittlerweile die finanziellen Anreize im staatlichen oder halb-staatlichen Bereich, um die Grundfeste der eigenen Überzeugung einer redlichen intellektuellen Auseinandersetzung auszusetzen. Die durch den interventionistischen Staat verursachten gesellschaftlichen und ökonomischen Verwerfungen sind inzwischen so allumfassend, daß insbesondere unter der von der Arbeitslosigkeit zunehmend betroffenen Studentenschaft, die Losung „Rette sich wer kann“ die Runde macht. Anders ist es nicht zu erklären, warum bereits 75% der Jugendlichen im französischen Staatsdienst unterkommen wollen und sich nicht kreativ schöpferisch, sprich unternehmerisch, betätigen, sondern willenlose Befehlsempfänger in einer straff regulierten Bürokratie sein möchten. Und so von Opfern zu Tätern, zumindest aber willfährigen Mitläufern, mutieren, die sich alle, egal ob Opfer, Täter oder Mitläufer ihre Abhängigkeit von der Idee Staat, vom verführerischen Entführer, vom Gentleman-Dieb wie Sean Connery in „Verlockende Falle“ nicht eingestehen wollen. Lieber mit hunderten Knoten in Kopf leben, von den Dissonanzen der eigenen Realität aufgefressen werden, als das Undenkbare zu wagen: in einem unbeobachteten Moment hinter den Vorhang zu blicken, .


Schlußbemerkung
Einiges deutet darauf hin, daß das „Stockholm-Syndrom“ in der westlichen Welt sehr stark verbreitet ist, wenngleich meine Analyse keinesfalls den Anspruch einer vollständigen Diagnose erheben kann. Und doch. Die Indizien weisen in eine eindeutige Richtung. Professor Wong betont, daß nicht jeder Persönlichkeitstyp gleich anfällig für das "Stockholm-Syndrom" ist. Menschen mit einer ausgeprägten Persönlichkeit, mit einem klaren Sinn im Leben und stimmigen ethischen Grundprinzipien lassen wesentlich seltener von der realistischen Einschätzung der Situation ab. Und genau hier muß die Therapie ansetzen, den ersten Schritt dazu muß jedoch der Einzelne setzen. Zu seinem Glück, zu einem Leben in Freiheit, das der biologischen Gattung "Mensch" erst die wahrlich menschliche Dimension, die sprituelle Dimension, verleiht, kann niemand gezwungen werden. Allerdings schwingt Kants Aufforderung, den Schritt aus der "selbstverschuldeten Unmündigkeit" zu wagen und Mut zu fassen, sich des eigenen Verstandes zu bedienen, bei vorliegender Problemstellung zweifelsohne mit.


Meine Ausführungen sollen daher unter keinen Umständen als Pauschalverurteilung mißverstanden werden, sondern als Angebot, sich die Frage zu stellen, wie denn die Welt, die eigene Zukunft aussähe, wenn die Dinge gänzlich anders liegen als sie scheinen. Wenn sich Dr. Jekyll in Wirklichkeit als Mr. Hyde entpuppt.

Quelle: http://de.liberty.li/?id=3367&t=Grassiert+in+Westeuropa+das+Stockholm-Syndrom?

chinaman - Samstag, 23. September 2006 - 08:48
Handelsblatt Nr. 182 vom 20.09.06 Seite 1


Analysten unken lauter

ZEW-Index sinkt auf niedrigsten Stand seit 1999 - Volkswirte relativieren

DÜSSELDORF.Die Konjunkturerwartungen deutscher Finanzmarktexperten haben sich im September erneut verschlechtert. Das geht aus dem gestern vorgelegten ZEW-Index hervor, einer Umfrage des Mannheimer Instituts unter rund 300 Analysten und institutionellen Anlegern. Das Barometer sank von August auf September unerwartet klar um 16,6 Punkte auf minus 22,2 Zähler. Damit liegt der Index weit unter dem historischen Mittelwert von 34,7 Punkten und erreicht ein so schlechtes Niveau wie zuletzt im Januar 1999.

Volkswirte waren von dem klaren Rückgang überrascht und relativierten die Daten mehrheitlich. Von einer "Übertreibung" sprach etwa Andreas Rees, Bankvolkswirt der Hypo-Vereinsbank. Zudem verunsichert die Konjunkturbeobachter die unterschiedliche Entwicklung des ZEW-Barometers, verglichen mit dem Ifo-Geschäftsklima, das auf einer Umfrage unter etwa 7 000 Unternehmen beruht. Während der ZEW-Index im September bereits das achte Mal in Folge zurückging, sank die Erwartungskomponente des Ifo-Geschäftsklimas erst zweimal und liegt noch immer auf hohem Niveau. Unverändert positiv entwickelte sich bei beiden Stimmungsindikatoren zuletzt die Einschätzung der aktuellen konjunkturellen Lage. Der entsprechende ZEW-Index stieg von 33,6 im August auf 38,9 Punkte.

Dass sich die Konjunktur im laufenden Jahr positiv entwickelt, unterstreicht auch die Wachstumsprognose des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI). Es hob seine Vorhersage für das Gesamtjahr 2006 um 0,4 Punkte auf 2,2 Prozent an. Für 2007 rechnet das RWI mit einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um 1,7 Prozent. Einen Widerspruch zu den rückläufigen ZEW-Zahlen sieht RWI-Konjunkturexperte Roland Döhrn nicht: Der Index sage nur aus, dass die kommenden sechs Monate schwächer würden als die aktuelle Lage. Das erwarte das RWI auch. doh BERICHT SEITE 9

doh



20. September 2006

chinaman - Montag, 2. Oktober 2006 - 04:43
Handelsblatt Nr. 187 vom 27.09.06 Seite 31


EZB überzeugt die Märkte nicht

Wirtschaftsdaten konterkarieren den Versuch der Notenbank, die Öffentlichkeit auf steigende Zinsen einzustimmen

NORBERT HÄRING | FRANKFURT Vertreter der Europäischen Zentralbank (EZB) sind mit ihrem Versuch gescheitert, die Märkte auf eine lange Zinserhöhungsphase einzustimmen. Mehrere Vertreter des EZB-Rats hatten die Absicht angedeutet, die Leitzinsen nicht nur, wie vom Markt erwartet, bis Jahresende um einen halben Punkt auf 3,5 Prozent zu erhöhen, sondern im nächsten Jahr mit Zinserhöhungen weiter zu machen (siehe "Stimmen aus der EZB"). Die Marktteilnehmer ließen sich aber nicht überzeugen. Das Ausmaß der erwarteten Zinserhöhungen, das in den Terminsätzen zum Ausdruck kommt, ist in den vergangenen Wochen immer weiter geschrumpft.

Seit Anfang August liegt der Leitzins der EZB bei 3,0 Prozent. Eine Erhöhung auf 3,25 Prozent am 5. Oktober gilt am Markt als ausgemacht, eine weitere im Dezember auf 3,5 Prozent ebenfalls. Dann ist aber nach Ansicht der meisten Marktteilnehmer Schluss.

Schon bevor Bundesbankpräsident Axel Weber und weitere Hardliner im EZB-Rat Anfang des Monats mit ihren Überzeugungsversuchen begannen, hatten die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in die Gegenrichtung gedreht. Der Ölpreis, der bisher maßgeblich für die zu hohe Inflation verantwortlich war, fiel in den letzten sieben Wochen um fast ein Viertel. Nach dem Rückgang der vorläufigen Inflationsrate in Deutschland rechnen die meisten Bankvolkswirte damit, dass die Preissteigerung im Euro-Raum im September erstmals seit 19 Monaten wieder unter die Stabilitätsmarke der EZB von zwei Prozent fallen wird. Gleichzeitig haben mehrmonatige Rückgänge des ZEW-Indexes und des Ifo-Indexes Zweifel an der Nachhaltigkeit des Aufschwungs in Deutschland genährt. Die Tatsache, dass der Ifo-Index gestern nur leicht zurückging, verschaffte den Zinsfalken zwar wieder Auftrieb, wenn auch nur in geringem Umfang. "Der stabile Ifo-Index erlaubt der EZB, ihren Plan einer Zinserhöhung am 5. Oktober zu verwirklichen", kommentierte David Brown, Europa-Chefvolkswirt von Bear Stearns, zurückhaltend.

Auch international nehmen die Konjunktursorgen zu. Vom amerikanischen Immobilienmarkt kamen Signale einer starken Abkühlung. Die Finanzmärkte gehen davon aus, dass der Zinserhöhungszyklus in den USA zu Ende ist, und schon bald Senkungen anstehen. Ein gegenläufiger Trend in den USA erschwert der EZB aber Zinserhöhungen, weil dann die Gefahr besteht, dass der Euro übermäßig aufwertet. Außerdem würde ein Einbruch in den USA den Export des Euro-Raums abbremsen.

Seit einer Woche sind die Notenbankvertreter in Europa in der Defensive und bemühen sich, wenigstens die Erwartung am Leben zu halten, dass der Leitzins bis Jahresende auf 3,5 Prozent steigt. Sie ignorieren daher offiziell, dass der Ölpreisrückgang die Inflationsperspektiven verbessert. EZB-Ratsmitglied Erkki Liikanen sagte gestern dazu nur ausweichend: "Wenn sich die Wirtschaftsentwicklung verstärkt, muss die geldpolitische Akkommodierung reduziert werden."

Häring, Norbert

chinaman - Mittwoch, 4. Oktober 2006 - 04:24
Handelsblatt Nr. 190 vom 02.10.06 Seite 32


EZB überzeugt Skeptiker

Die anstehende Zinserhöhung der Notenbank findet in der Fachwelt fast einhellige Zustimmung

NORBERT HÄRING | FRANKFURT Wenn die Europäische Zentralbank (EZB) am Donnerstag wie erwartet ihren Leitzins von drei auf 3,25 Prozent anhebt, hat sie dafür so viel Rückhalt in Fachkreisen wie seit Jahren nicht mehr. Darauf deutet die jüngste Sitzung des EZB-Schattenrats Ende vergangener Woche hin. Das Gremium, das seit November 2002 regelmäßig tagt, besteht aus 18 renommierten europäischen Geldpolitik-Experten von Banken, Hochschulen und Forschungsinstituten. Mit 15 war die Zahl der Befürworter einer Zinserhöhung in dem Gremium so hoch wie nie zuvor. Hatte vor der ersten EZB-Zinserhöhung im Dezember noch eine Mehrheit dagegen votiert, war die Unterstützung unter den Experten für eine weitere Straffung der Geldpolitik mit jeder Zinserhöhung gewachsen. "Im Nachhinein muss man sagen, die EZB hat es richtig gemacht", sagte José Luis Escrivá, Chefvolkswirt der spanischen Großbank BBVA, der zum ersten Mal für eine Zinserhöhungsempfehlung stimmte.

Hauptgrund dafür, dass eine weitere Straffung der Geldpolitik fast einmütig für nötig befunden wird, ist das starke Wirtschaftswachstum in den ersten beiden und voraussichtlich auch im dritten Quartal des Jahres sowie die Wahrnehmung, dass der Inflationsdruck zugenommen hat. "Inflation ist von einer Gefahr zu einer Realität geworden", sagte Veronique Riches-Flores, Europa-Chefvolkswirtin von Société Générale.

Den kräftigen Rückgang der Inflationsrate im Euro-Raum im September auf 1,8 Prozent betrachten die meisten Schattenräte als ein vorübergehendes Phänomen, das die EZB nicht besonders ernst nehmen sollte. Lediglich Agnès Bénassy Qúeré, Directorin des Pariser Wirtschaftsforschungsinstitut CEPII warf ein, es sei sonderbar, den Leitzins gerade dann zu erhöhen, wenn die Inflationsrate unter die Stabilitätsmarke von zwei Prozent falle.

Die meisten Experten befürworten eine moderate Leitzinserhöhung um einen Viertel Prozentpunkt. "Die EZB sollte den Leitzins langsam anheben und dabei beobachten, wie sich die früheren Zinserhöhungen, der stärkere Euro und die im nächsten Jahr restriktivere Fiskalpolitik auswirken", sagte Julian Callow, Europa-Chefvolkswirt von Barclays Capital.

Aus diesen Gründen, und weil die meisten Fachleute eine deutliche Abkühlung des Wirtschaftswachstums in den USA erwarten, ist die große Mehrheit Experten der Ansicht, dass die EZB ihren Leitzins aus heutiger Sicht nicht über 3,5 Prozent oder maximal 3,75 Prozent hinaus anheben sollte. Selbst Joachim Fels von Morgan Stanley und Thomas Mayer von der Deutschen Bank, die für eine kräftige Zinserhöhung auf 3,5 Prozent eintreten, würden danach auf weitere Erhöhungen verzichten. "Bei 3,5 Prozent wäre ein neutrales Zinsniveau erreicht, danach könnte die EZB gänzlich offen in beide Richtungen sein", meinte Fels.

EZB-Vertreter wie Bundesbank-Präsident Axel Weber, die versuchen, die Öffentlichkeit darauf einzustimmen, dass der Zinserhöhungszyklus auch im nächsten Jahr weitergehen dürfte, finden derzeit wenig Rückhalt in der Fachwelt. Nur Willem Buiter von der London School of Economics und Thorsten Polleit von Barclays zeigten sich aus heutiger Sicht überzeugt, dass der Leitzins über vier Prozent steigen müsse. Die anderen sahen wegen der immer noch sehr moderaten Lohnzuwächse wenig Grund für die EZB, eine restriktive Geldpolitik zu verfolgen.

Am Finanzmarkt wird das ebenso gesehen. Die Kurse von Termingeschäften am Geldmarkt zeigen, dass lediglich zwei kleine Zinserhöhungen bis Jahresende auf 3,5 Prozent fest eingeplant sind. Eine weitere Erhöhung auf 3,75 Prozent Anfang des nächsten Jahres ist mit einer Wahrscheinlichkeit von rund 50 Prozent in den Kursen enthalten. Dass der Markt damit rechnet, dass die Leitzinserhöhungen bald zu Ende gehen, zeigt sich auch daran, dass die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen in den letzten Wochen bis auf 3,66 Prozent gefallen ist. "Damit berücksichtigt der Anleihemarkt korrekt das Risiko, dass es in den USA zu einem Abschwung kommen könnte, dem sich auch Europa nicht würde entziehen können", kommentierte dies Schattenratsmitglied Angel Ubide vom Hedge Fonds Tudor Investment in Washington.

Häring, Norbert



02. Oktober 2006

chinaman - Samstag, 7. Oktober 2006 - 05:38
Handelsblatt Nr. 190 vom 02.10.06 Seite 36


Insider werden vorsichtiger

Deutsche Manager kaufen weiter mehr Aktien als sie verkaufen. Die Tendenz ist aber leicht fallend.

CHRISTIAN SCHNELL | FRANKFURT Deutschlands Top-Manager haben bei Dax-Ständen von 6 000 Punkten zuletzt weniger Aktien des eigenen Unternehmens gekauft als noch in der ersten Septemberhälfte. Da war das Marktbarometer kurzzeitig unter das Niveau von 5 800 Punkten gefallen. Das zeigt die aktuelle Ausgabe des Insider-Barometers, das das Forschungsinstitut für Asset Management (Fifam) an der RWTH Aachen in Zusammenarbeit mit Commerzbank Private Banking im vierzehntägigen Turnus berechnet.

"Bei den gestiegenen Indexständen gab es zuletzt zwar weniger Aktienkäufe, umgekehrt hat aber die Zahl der Verkäufe nicht zugenommen", sagt Fifam-Experte Olaf Stotz. Das Insider-Barometer gibt mit 141 Punkten noch immer ein eindeutiges Kaufsignal, auch wenn es vor zwei Wochen noch bei 148 Punkten lag. Der neutrale Bereich, in dem sich Käufe und Verkäufe etwa die Waage halten, liegt zwischen 90 und 110 Punkten. Alles, was darüber liegt, zeigt, dass Vorstände, Aufsichtsräte und deren Familienmitglieder von steigenden Kursen ausgehen. In der Vergangenheit lagen sie damit in den meisten Fällen richtig.

Damit sind die so genannten Firmeninsider im Moment deutlich optimistischer als die Aktienstrategen der großen Banken. Diese sprachen in einer Handelsblatt-Umfrage in der vergangenen Woche mehrheitlich von einer Seitwärtsbewegung bis zum Jahresende.

Den auffälligsten Kauf der letzten beiden Wochen gab es beim Dax-Unternehmen Linde. Beim Industriegase- und Gabelstapler-Hersteller hat Vorstandsmitglied Aldo Belloni für knapp 140 000 Euro Aktien über die Börse gekauft. "Der Insiderkauf unterstreicht unsere äußerst positive Einschätzung zu Linde", heißt es von Commerzbank Private Banking. Das hat besonders mit der Übernahme des britischen Konkurrenten BOC zu tun, die allgemein am Aktienmarkt als "sehr sinnvoll" eingestuft wurde. Hinzu kommt die geplante Abspaltung der Gabelstaplersparte, für die Linde dank des jetzt schon sehr großen Interesses von Finanzinvestoren einen hohen Verkaufspreis erzielen dürfte.

Generell unterliegen Aktienkäufe von Dax-Vorständen über die Börse besonderer Beachtung, da diese gewöhnlich schon über hohe Aktienoptionsprogramme verfügen. "Wer zusätzlich Papiere über die Börse zukauft, dokumentiert besonderes Vertrauen in die künftige Kursentwicklung seines Unternehmens", sagt Fifam-Experte Stotz.

Das gilt in diesem Fall auch für BASF-Vorstand Stefan Marcinowski, der zuletzt für knapp 120 000 Euro Aktien orderte. Damit liegt er im Gleichklang mit den meisten Analysten. Von den 32 Experten, die die Aktie laut dem Nachrichtendienst Bloomberg beobachten, raten 20 zum Kauf, jedoch nur einer zum Verkauf der Aktie.

Längst nicht so klar sind jedoch die Langfristprognosen für die Branche. Manche Analysten sehen bereits einen nahenden Abschwung in der Chemie-Industrie, was für sie ein Grund dafür ist, dass die Aktie zuletzt kaum vom Fleck kam. Vieles dürfte deshalb in Zukunft davon abhängen, wie sich die Öl- und Rohstoffpreise entwickeln werden.

Den auffälligsten Verkauf gab es in den letzten beiden Wochen beim TecDax-Wert Kontron. Vorstandsmitglied Thomas Sparrvik hat dort Aktien für knapp 118 000 Euro verkauft. Hätte er allerdings noch einige Tage gewartet, wäre sein Erlös spürbar höher ausgefallen. Denn Sparrvik hat zu 9,05 Euro je Stück abgegeben, am Freitag notierte die Aktie bei 9,72 Euro.

Für die Zukunft sehen die Analysten weiterhin gute Chancen für den Hersteller kleiner Elektronikgehirne zur Steuerung von Anlagen und Applikationen. Roland Pitz von der Hypo-Vereinsbank hat beispielsweise gerade erst seine Prognosen für Kontron für dieses und nächstes Jahr angehoben. Gründe dafür sind zum einen die positiven Aussagen von Vorstandschef Hannes Niederhauser zur weiteren Entwicklung sowie die Verlagerung der Produktion nach Malaysia, die voll im Plan liege.

Schnell, Christian



02. Oktober 2006

chinaman - Montag, 16. Oktober 2006 - 18:45
Handelsblatt Nr. 198 vom 13.10.06 Seite 6


EU sieht demographische Zeitbombe

Brüssel warnt vor untragbaren Kosten durch alternde Bevölkerung - Deutschland muss Anteil älterer Arbeitnehmer steigern

HELMUT HAUSCHILD | BRÜSSEL Die Kosten der alternden Bevölkerung in Europa werden zu einer untragbaren Verschuldung der öffentlichen Haushalte führen, wenn die EU-Staaten nicht sofort einschneidende finanz- und sozialpolitische Reformen ergreifen. Zu diesem alarmierenden Ergebnis kommt eine neue Studie der EU-Kommission im Auftrag der Mitgliedstaaten. "Die Kosten für unsere Kinder und Enkelkinder werden unbezahlbar, wenn jetzt nicht Gegenmaßnahmen ergriffen werden", warnte EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Joaquín Almunia.

Die Analyse kommt zu dem Ergebnis, dass die öffentlichen Schulden in der EU ohne einschneidenden Politikwechsel bis 2050 auf 200 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ansteigen werden. Heute beträgt die Schuldenquote 60 Prozent. Hauptursache des massiven Anstiegs der öffentlichen Ausgaben seien die Kosten der Renten- und Pensionssysteme, die Gesundheitsfürsorge und Pflege würden weniger stark ins Gewicht fallen. In den staatlichen Haushalten werde eine Finanzierungslücke von 3,5 Prozent des BIP entstehen, die nicht durch Einnahmen gedeckt werden könne. Der Stabilitätspakt für den Euro würde damit zur Makulatur, denn er erlaubt eine jährliche Neuverschuldung von maximal drei Prozent des BIP.

Deutschland gehört laut der Kommissionsstudie zu den Ländern mit einem "mittleren" Haushaltsrisiko. Lobend erwähnt die Brüsseler Behörde die Reform des Rentensystems durch die Bundesregierung. Dennoch müsse Deutschland dringend Maßnahmen ergreifen, um sein Budgetdefizit in den Griff zu bekommen. Zu den Staaten, in denen die alternde Bevölkerung ein mittleres finanzielles Risiko darstellt, zählt die Kommission ferner unter anderem Frankreich, Italien und Großbritannien. Auch Spanien gehört zu dieser Gruppe trotz "relativ solider Haushaltslage, da dort in den nächsten Jahren die Kosten der alternden Bevölkerung explodieren werden.

Vor besonders hohen finanziellen Risiken warnt die Brüsseler Behörde die sechs Länder Griechenland, Portugal, Tschechien, Slowenien, Ungarn und Zypern. Sie hätten mit Ausnahme Sloweniens schon jetzt hohe Haushaltsdefizite und einen hohen Schuldenstand und müssten mit einem erheblichen Anstieg der Kosten durch den zunehmenden Anteil an Rentnern rechnen.

Auf dem EU-Gipfel im Herbst 2005 in Hampton Court bei Londen hatten die Staats- und Regierungschefs der EU die Kommission aufgefordert, Vorschläge zu unterbreiten, wie die "demografische Zeitbombe" für die öffentlichen Haushalte entschärft werden kann. Wirtschaftskommissar Almunia und Beschäftigungskommissar Vladimir Spidla nennen in ihren gestern vorgelegten Strategiepapieren drei Kernbereiche: Den Abbau der hohen Staatsschulden, eine höhere Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmer und die Reform der Renten- und Gesundheitssysteme.

Die bisherigen Maßnahmen der EU-Regierungen zur Konsolidierung ihrer Haushalte werden dabei als völlig unzureichend bewertet. Selbst wenn alle EU-Staaten ihre mittelfristigen Haushaltsziele einhalten würden, verbleibe eine erhebliche Finanzierungslücke. Deshalb müsse die Lebensarbeitszeit verlängert werden. Die EU-Staaten sind hier bisher kaum vorangekommen. Obwohl sie sich schon 2001 verpflichteten, bei den 55- bis 64-jährigen den Anteil der Erwerbstätigen auf mehr als 50 Prozent zu steigern, liegen 17 Länder noch immer unter diesem Wert, auch in Deutschland (siehe Grafik).

Doch um politisch heikle Forderungen an die Mitgliedstaten, etwa die Anhebung des Renteneintrittsalters, drücken sich die Kommissare. Der FDP-Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff kritisierte, die Vorschläge der Kommission seien so schwach, dass sie die Mitgliedstaaten nicht zu Konsequenzen zwängen. "Die Kommission hat die Chance verpasst, konkrete Maßnahmen einzufordern", sagte Lambsdorff. Ihr Bericht sei deshalb nurmehr eine akademische Fingerübung.

Hauschild, Helmut



13. Oktober 2006

chinaman - Donnerstag, 19. Oktober 2006 - 05:31
Handelsblatt Nr. 199 vom 16.10.06 Seite 25


Top-Manager werden vorsichtig

Das Jahreshoch beim Dax schürt Skepsis. Unternehmensvorstände kaufen weniger Aktien der eigenen Firmen.

CHRISTIAN SCHNELL | FRANKFURT Das Fünf-Jahres-Hoch, das der Deutsche Aktienindex (Dax) zum Ende der vergangenen Woche erreicht hat, ist für Analysten und für die Top-Manager der Unternehmen Anlass, am Aktienmarkt vorsichtiger zu agieren. Das Gros der Experten geht davon aus, dass beim Freitags-Niveau von knapp 6 200 Punkten kaum noch Potenzial nach oben vorhanden ist. Das deckt sich mit den Einschätzungen deutscher Top-Manager, die in den letzten beiden Wochen bereits deutlich weniger Aktien ihrer Unternehmen geordert haben als beispielsweise noch in der ersten Septemberhälfte.

Einer der Hauptgründe liegt in der gerade anlaufenden Quartalssaison. Die ist in den USA bereits mit Enttäuschungen gestartet. In dieser Woche stehen nun in der Euro-Zone die ersten Berichte an. "Gewinnrevisionen könnten in den nächsten Wochen belasten", sagt beispielsweise Tammo Greetfeld von der Hypo-Vereinsbank (HVB). Dabei spielt weniger die Vorstellung, dass es zu einem generellen Einbruch kommt, eine Rolle. "Es sind eher die mittlerweile überzogenen Erwartungen, die zu Kursrückschlägen führen können", heißt es bei der Landesbank Berlin.

Die zunehmende Vorsicht spiegelt sich auch im Insider-Barometer wider, das das Handelsblatt im 14-tägigen Rhythmus in Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut für Asset-Management (Fifam) an der RWTH Aachen und Commerzbank Private Banking vorstellt. Gegenüber dem Jahreshoch von rund 150 Punkten Anfang September ist der Gradmesser für die Transaktionen der Top-Manager (der "Insider") auf 129 Punkte gesunken. "Mit dem Steigen der Aktienkurse hat die Zahl der Insiderkäufe abgenommen", sagt Fifam-Experte Olaf Stotz. Positiv ist zumindest, dass sich die Zahl der Verkäufe kaum verändert hat. Noch immer gibt das Insider-Barometer damit ein Kaufsignal, jedoch in abgeschwächter Form. Die Zone dafür beginnt bei 110 Punkten.

Es sind jedoch eher die kleineren Werte, die zur Nachahmung einladen. Als auffälligster Kauf ragte in den letzten Septembertagen eine Order von Mark Wössner, dem stellvertretenden Aufsichtsratschef des Fernsehherstellers Loewe, über rund 100 000 Euro hervor. Der Auftrag deckt sich mit der positiven Meinung, die Analysten nach der erfolgreichen Sanierung wieder von dem fränkischen Traditionsunternehmen haben. Von insgesamt sieben Analysten raten laut dem Informationsdienst Bloomberg fünf zum Kauf der Aktie.

Auffälliger war dagegen zuletzt die Höhe der Verkäufe. So hat beim TecDax-Wert Wirecard ein Familienmitglied von Aufsichtsratschef Klaus Rehnig für über 1,3 Mill. Euro Aktien verkauft. Immerhin für eine knappe halbe Million Euro hat sich Jürgen Behrend, Aufsichtsrat bei der IKB, von Aktien getrennt.

Während die Analysten bei Wirecard keinerlei Erklärung dafür haben - alle sechs Experten empfehlen die Aktie weiterhin zum Kauf-, ist die Stimmung gegenüber der IKB deutlich skeptischer. "Die fundamentale Einschätzung bleibt angesichts des qualitativ schwachen Ergebnisses, der unterdurchschnittlichen Kapitalausstattung und der Bewertungsprämie von rund 15 Prozent gegenüber lokalen Vergleichsbanken negativ", meinen die Experten von Commerzbank Private Banking.

Schnell, Christian



16. Oktober 2006

chinaman - Freitag, 20. Oktober 2006 - 04:06
Handelsblatt Nr. 199 vom 16.10.06 Seite 30


Übernahme-Boom hält an

2006 wird ein guter M&A-Jahrgang, und auch für 2007 sehen Experten gute Perspektiven

JENS KOENEN | FRANKFURT Den deutschen Unternehmen steht auch 2007 ein fusionsreiches Jahr bevor: "Die Zahl der M&A-Transaktionen in den ersten neun Monaten des Jahres 2006 deutet auf eine weiterhin dynamische Entwicklung des deutschen M&A-Marktes hin", sagt Andreas Dietzel, Partner und Leiter des Bereichs Corporate bei der Anwaltssozietät Clifford Chance.

Er steht mit dieser Einschätzung nicht alleine. "Auch 2007 wird ein sehr starkes Jahr werden, getrieben von weiter niedrigen Zinsen, den Wachstumsplänen vieler Unternehmen und der höheren Bereitschaft, komplexe und auch feindliche Übernahmen anzugehen", bestätigt Thomas Knipp, der Deutschlandchef des Kommunikationsberaters Brunswick. "Grund dafür ist auch die unverändert ausgeprägte Investitionsbereitschaft deutscher Unternehmen", ergänzt Dietzel.

Nach Berechnungen des Datenbank-Anbieters Mergermarket wurden in Europa im dritten Quartal Transaktionen im Wert von 186,4 Mrd. Euro angekündigt. Das ist gegenüber dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum zwar ein Rückgang um 24 Prozent. Allerdings können die Statistiken schnell durch nur einen Megadeal verzerrt werden. Experten sprechen nach wie von einer sehr hohen "Übernahme-Aktivität".

Das freut die Beraterzunft. Unter den Rechtsanwälten hat sich in den ersten neun Monaten laut Mergermarket Freshfields Bruckhaus Deringer an die Spitze gearbeitet. Ein Jahr zuvor hatte dort noch Linklaters gestanden. Freshfields hat unter anderem Altana beim Verkauf der Pharmasparte an Nycomed beraten.

In Deutschland hat sich ein alter Bekannter an die Spitze des Rankings geschoben. Hengeler Mueller, die führende unabhängige Sozietät hier zu Lande, hat sich von Platz vier auf Rang eins verbessert. Dabei dürften so prominente Mandate wie Eon (Übernahme von Endesa) oder Schering (Übernahme durch Bayer) geholfen haben. Angesichts solcher Aufträge gibt sich Rainer Krause, Partner von Hengeler Mueller, zuversichtlich. "Die strategischen Investoren sind wieder da, aber auch die Finanzinvestoren bleiben sehr wichtig und sind sehr stark." Hinzu kämen attraktive "Deals" auf dem Immobilienmarkt.

Zusätzliche Chancen eröffnen sich nach Ansicht von Dietzel jenseits der Grenze: "Durch die Öffnung der asiatischen und osteuropäischen M&A-Märkte werden sich dort zunehmend Möglichkeiten für Transaktionen ergeben. Umgekehrt erwarten wir immer mehr Interesse aus diesen aufstrebenden Volkswirtschaften an europäischen Zielunternehmen."

Einen weiteren Trend haben die Kommunikationsberater aufgetan. "Wir erwarten deutlich mehr feindliche Übernahmen in Deutschland, sowohl von Unternehmen als auch von Finanzinvestoren", sagt Knipp von Brunswick. Die Firma hat sich nach neun Monaten sowohl in den europäischen als auch den deutschen Ranglisten vom zweiten auf den ersten Platz vorgeschoben. Brunswick war unter anderem für Schering aktiv, als es um die Übernahme durch Bayer ging. Auffällig ist der steile Aufstieg der Finsbury Group im deutschen Ranking. Das liegt allerdings am Beratungsmandat in der Übernahmeschlacht um Endesa.

Koenen, Jens



16. Oktober 2006

chinaman - Mittwoch, 1. November 2006 - 03:11
Handelsblatt Nr. 209 vom 30.10.06 Seite 29


Die Kauflaune lässt nach

Top-Manager in Deutschland und USA ordern deutlich weniger Aktien ihres Unternehmens

CHRISTIAN SCHNELL | FRANKFURT Die Kauflaune der Top-Manager für Aktien ihres Unternehmens hat in den letzten Wochen spürbar nachgelassen. Sowohl in Deutschland als auch in den USA tendieren die entsprechenden Barometer deutlich unter den Niveaus, die sie im August und September erreicht haben. "Wir haben den Höhepunkt nachhaltig überschritten", sagt Olaf Stotz vom Forschungsinstitut für Asset Management (Fifam) an der RWTH Aachen. Das Insider-Barometer, das die Fifam alle zwei Wochen in Zusammenarbeit mit Commerzbank Private Banking veröffentlicht, zeigt derzeit 130 Punkte und liegt damit deutlich unter den 150 Punkten vom September.

Damit steht die für Privatanleger abzuleitende Indikation zwar weiter auf Kauf, schließlich beginnt diese Zone bereits ab 110 Punkten. Dennoch: "Im Vergleich zur letzten Analyse haben die Käufe weiter abgenommen", sagt Stotz. Stützend wirkt im Moment, dass auch bei den Verkäufen das Volumen leicht gesunken ist.

Ein ähnliches Bild ergibt sich in den USA, wo der Blick auf Insiderdaten eine weitaus größere und längere Bedeutung hat als in Deutschland. Dort waren die Insiderkäufe im Zeitraum vom Frühjahr bis August auf den höchsten Stand seit dem Jahr 2000 gestiegen. Seitdem aber der Dow Jones von Allzeithoch zu Allzeithoch eilt und auch der breitere S&P-500-Index so hoch steht wie seit über fünf Jahren nicht mehr, lässt die Kauflaune nach. Gleichzeitig ist die Zahl der Verkäufe, die im Sommer auf den niedrigsten Stand seit Frühjahr 2003 gesunken war, gestiegen. Ein Trendwechsel steht jedoch nicht bevor. "Die Unternehmenslenker hier sind weiter sehr, sehr optimistisch", sagt Richard Mastain, Chef des US-Vermögensverwalters Jennison Associates.

Obwohl die Top-Manager den Handel mit Aktien ihres Unternehmens in den letzten Wochen ruhiger angehen ließen, gab es einige auffällige Bewegungen. So hat sich beim österreichischen Ölservice-Unternehmen Catoil ein Familienmitglied von Vorstandschef Manfred Kastner kaum ein halbes Jahr nach dem Börsengang von Aktien im Wert von 180 000 Euro getrennt. Zusätzlich für 90 000 Euro kamen Papiere der ebenfalls mit Catoil verbundenen VPM Vermögensverwaltung zum bisherigen Höchstkurs von 18,10 Euro auf den Markt. Seither ging es mit dem Kurs bergab. Für die Verkäufer war es ein guter Schnitt, beträgt doch das Kursziel der Ersten Bank für die Aktie nur 17,50 Euro.

Einen ähnlichen Fall gab es zuletzt beim ostdeutschen Solar-Unternehmen Ersol. Dort hat zuletzt mit Angelika Beneking ein Familienmitglied von Vorstandschef Claus Beneking Aktien für über 200 000 Euro verkauft, nachdem von ihr im August bereits Aktien im Wert von 425 000 Euro auf den Markt kamen. Anschließend ging es mit der Ersol-Aktie bergab. Aktuell liegt sie etwa auf Höhe des Kursziels von HVB-Analyst Lars Korinth bei 56 Euro. Phantasie nach oben ist damit nicht vorhanden.

Schnell, Christian



30. Oktober 2006

chinaman - Mittwoch, 8. November 2006 - 05:33
Handelsblatt Nr. 214 vom 06.11.06 Seite 1


Firmen zahlen Rekord-Dividenden

Ausschüttungen der Dax-Konzerne doppelt so hoch wie vor drei Jahren - Gute Aussichten auch für 2008

ULF SOMMER | DÜSSELDORF Deutschlands 30 größte Unternehmen werden im nächsten Jahr mit rund 21,5 Mrd. Euro so viel Geld wie noch nie an ihre Aktionäre ausschütten. Drei Viertel der Konzerne wollen ihre Dividende erhöhen. Niemand wird sie kürzen. Lediglich Schlusslicht Infineon legt erneut eine Nullrunde ein. Das ergeben Berechnungen des Handelsblatts in Kooperation mit den Landesbanken Baden-Württemberg (LBBW) und Rheinland-Pfalz (LRP).

Damit sind die Ausschüttungen der Dax-Konzerne doppelt so hoch wie noch vor drei Jahren. Im Vergleich mit dem bisherigen Rekord-Dividendenjahr 2005 ergibt sich ein Plus von 18 Prozent - wobei die außerordentlich hohen Sonderausschüttungen von Eon in diesem und Altana im nächsten Jahr nicht mitgerechnet sind. Gemessen am aktuellen Dax-Niveau von rund 6 250 Punkten, erhalten die Aktionäre eine Dividendenrendite von 2,5 Prozent.

Die Vorstände schlagen der Hauptversammlung durchweg zwar erst im Winter oder Frühjahr vor, wie viel sie für das abgelaufene Geschäftsjahr ausschütten wollen. Auswertungen der bisherigen Quartalsberichte, Aussagen des Managements und Analystenschätzungen ermöglichen aber schon heute zuverlässige Prognosen. Danach wird RWE die Dividende fast verdoppeln und damit von allen Dax-Konzernen am stärksten erhöhen. Grund dafür ist das deutliche Gewinnplus. Der Konzern hat angekündigt, bis zu 80 Prozent des Gewinns auszuschütten. Die Dividende dürfte fast 3,50 Euro ergeben. Die Deutsche Bank wird zwar wahrscheinlich noch zehn Cent mehr zahlen, wegen des niedrigeren Aktienkurses kommt der Energieversorger aber auf eine höhere Dividendenrendite.

Bemerkenswert ist, dass die Dividenden erstmals seit fünf Jahren stärker als die Konzerngewinne steigen. "Die Unternehmen zeigen Größe, wenn sie ihr Geld ausschütten, an Stelle es in zweifelhaften Projekten anzulegen", sagt der Mannheimer Professor für Bankbetriebslehre, Martin Weber. Mit ihrem Schwenk nähern sich die deutschen Konzerne der Praxis europäischer Großunternehmen an. Während diese stets 40 bis 45 Prozent ihres Nettogewinns weitergeben, erreichen die deutschen Firmen jetzt erstmals seit fünf Jahren wieder die Marke von 40 Prozent.

"Die Unternehmen zahlen eine attraktive Dividende, um den eigenen Aktienkurs zu stärken", sagt LRP-Stratege Andreas Hürkamp. Tatsächlich sind Dividenden für steigende Börsenkurse verantwortlich. Seit Einführung des Dax 1988 sind 40 Prozent des Kursanstiegs auf Dividendenzahlungen zurückzuführen. Studien belegen, dass sich weltweit Aktien von Unternehmen mit hohen Ausschüttungen besser als der Gesamtmarkt entwickeln. Fonds und Zertifikate, die auf dividendenstarke Unternehmen setzen, verstärken den Effekt. "Besonders in raueren und schwierigen Börsenzeiten stehen werthaltige Anlagen und damit Unternehmen mit hoher Ausschüttungsquote im Fokus der Anleger", sagt DWS-Fondsmanager Thomas Schüssler. Er ist bei Deutschlands größter Fondsgesellschaft für den Fonds Top-Dividende verantwortlich.

Wie sehr Dividenden die Gesamtstrategie beherrschen, zeigt das Beispiel Deutsche Telekom. Der Konzern dürfte trotz eines um sieben Prozent geringeren Gewinns vor Steuern und Abschreibungen die Dividende erhöhen - und damit über 80 Prozent des Nettogewinns an die Aktionäre weitergeben.

Was bei Aktionären gut ankommt, stößt bei Experten auf Skepsis. "Wenn die Gewinne nicht mitsteigen, drohen künftig Kürzungen", sagt LBBW-Stratege Frank Schallenberger. 2002 und 2003 hatte die Telekom die Dividende gestrichen. Der Aktienkurs geriet dadurch verstärkt unter Druck. Auch in den folgenden Jahren zählte die T-Aktie zu den größten Verlierern im Dax.

Als einziger Dax-Konzern wird Tui mit einer Dividende von 0,77 Euro pro Aktie sogar an die Substanz gehen: Der Nettogewinn liegt wahrscheinlich zwölf Cent niedriger. "In guten wie in schlechten Zeiten hält Tui seine Anleger mit konstanten Dividenden bei der Stange. Das ist in Ordnung, solange Unternehmen nicht mehrere Jahre in Folge an die Substanz gehen", sagt Schallenberger. Beispiele wie in Italien, wo der Energiekonzern Enel über Jahre mehr ausschüttet, als er verdient, gibt es in Deutschland nicht. Einen Teil der Dividende finanziert Enel durch Beteiligungsverkäufe.

Da die deutschen Konzerne 2007 erneut Rekordgewinne erwirtschaften dürften, werden die Dividenden 2008 wieder steigen. "Die Nagelprobe, ob Firmen kontinuierlich stabile Ausschüttungen präsentieren, steht erst an, wenn die Gewinne nicht mehr sprudeln", sagt Schallenberger.

BERICHT SEITE 20

Sommer, Ulf



06. November 2006

chinaman - Dienstag, 14. November 2006 - 05:04
Handelsblatt Nr. 215 vom 07.11.06 Seite 12


FINANZINVESTOREN

Schwierige Balance

PETER KÖHLER Wir erinnern uns noch schwach: Im Frühjahr 2005 gerieten die Finanzinvestoren hier zu Lande unter die politischen Räder. Damals hatte es das Private-Equity-Haus Texas Pacific Group beim Badarmaturenhersteller Grohe etwas zu bunt getrieben. Die Strategie, vor allem über einen Stellenabbau die Rendite zu treiben, war eine goldene Gelegenheit für den damaligen SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering: Er stigmatisierte mit der großen Handbewegung gleich die ganze Branche als "Heuschrecken", die über die Unternehmen herfallen, sie abgrasen und dann weiterziehen. Seither kämpft die Beteiligungsbranche gegen das Image, hier flögen Deal-Maker aus New York und London mal eben ein, um "quick and dirty" das große Geld zu machen - ohne Rücksicht auf die Belegschaften.

Gestern hörte man nun ganz andere Töne. Ausgerechnet die Betriebsräte von Linde sollen jetzt ein Konzept von Goldman Sachs und Kohlberg Kravis Roberts für ihre Gabelstapler als wachstumsorientiert und zukunftsweisend gelobt haben. Was ist in der Zwischenzeit passiert? Haben die Finanzinvestoren jetzt ihre soziale Ader entdeckt? Wandeln sich die Renditejäger vom Saulus zum Paulus?

Die Antwort ist ein knallhartes "Jein". Der weltweite Beteiligungsmarkt ist heute so differenziert wie noch nie zuvor. Es gibt Fonds, die auch in Zukunft auf eine reine Finanzakrobatik setzen. Sie werden von den spottbilligen Kreditfinanzierungen der Investmentbanken geradezu verführt, immer mehr Fremdkapital bei den Transaktionen einzusetzen. Bei ihnen ist die Haltedauer der Firmen in ihrem Besitz eher kurz, rund ein bis zwei Jahre. Und nicht selten reichen sie ihre Investments in einem "secondary deal" zu einem höheren Preis an den nächsten Finanzinvestor weiter. Der muss dann noch mehr Schulden auftürmen, um möglichst wenig von seinem kostbaren Eigenkapital einzusetzen. Hier spielen die Arbeitnehmerinteressen eher eine untergeordnete Rolle.

Am anderen Ende der Private-Equity-Branche sind jene Häuser, die vor allem mit dem Wachstum ihrer Investments und dem Stellenaufbau punkten wollen. An die Stelle eines monolithischen Marktes, wie es ihn vielleicht vor 15 oder 20 Jahren gab, sind heute so die unterschiedlichsten Strategien getreten.

Allerdings gibt es im gesamten Markt auch eine Art "Grundrauschen", auf das alle Finanzinvestoren in den vergangenen Monaten zunehmend reagieren. Nicht nur in Deutschland, wo ein Private-Equity-Gesetz in Arbeit ist, sondern weltweit sind Beteiligungsmanager in die Visiere der Politik, Aufsichtsbehörden und sogar der Kartellwächter geraten. Die Branche ist zusammen mit den Hedge-Fonds zu einer derartigen Macht aufgestiegen, dass ihr Geschäftsgebaren jetzt genauer unter die Lupe genommen wird. Deshalb ist es nur zu verständlich, dass soziale und volkswirtschaftliche Aspekte auf einmal auch eine Rolle spielen, was noch vor Jahren undenkbar war. Ein bisschen Kalkül ist natürlich auch dabei, schließlich wollen sich die Finanzinvestoren bei der künftigen Privatisierung von Infrastruktur-Unternehmen ein möglichst großes Stück vom Kuchen abschneiden. Wer dabei nur auf ausgebrannte Firmen im Portfolio verweisen kann, hat keine guten Karten.

So werden die Private-Equity-Manager in Zukunft stärker ihr "Verantwortungsbewusstsein" in den Vordergrund rücken. Aber wenn sie ehrlich sind, werden sie auch immer den Renditedruck zugeben, der ihnen im Nacken sitzt. Denn die gesamte Branche lebt vom Mittelzufluss aus den Taschen der institutionellen Investoren. Und die global analysierenden Manager der Pensionskassen und Stiftungen kennen das Metier ganz genau. Sie wollen eine Verzinsung sehen, die mindestens fünf Prozentpunkte über der auf den Aktien- und Rentenmärkten liegt, und dürfen und wollen dabei keine Kompromisse machen.

Während die Geldgeber für Private Equity mit ihren Vorgaben in der Regel anonym und im Hintergrund bleiben, müssen die Finanzinvestoren ihre Strategien zunehmend in der Öffentlichkeit verteidigen und ihre "Sozialfestigkeit" unter Beweis stellen. Ob das "private" Geschäftsmodell diesen Balanceakt verträgt, bleibt abzuwarten. Auf jeden Fall wird das Handeln für die Private-Equity-Manager in Zukunft nicht leichter.

koehler@handelsblatt.com

Köhler, Peter



07. November 2006

chinaman - Dienstag, 14. November 2006 - 05:20
Börsenausblick


Luft für weitere Kursgewinne wird dünner


Nach der heißen Phase der Berichtssaison wird die Flut der Unternehmensberichte in dieser Woche deutlich abebben. Infineon wird als einziger Dax-Wert Zahlen vorlegen. Nachdem mittlerweile 27 Dax-Unternehmen ihre Bücher geöffnet haben, fällt damit für das deutsche Marktbarometer ein wesentlicher Antriebsmotor aus.
"Wir haben in den vergangenen Wochen eine sehr gute Kursentwicklung gesehen. Daher könnte ich mir vorstellen, dass wir eine Verschnaufpause einlegen", sagt Kai Stefani vom Dit. Dafür spricht auch, dass sich zuletzt das das Umfeld für hiesige Dividendenpapiere leicht eingetrübt hat. So nähert sich der Euro seinem Jahreshoch bei 1,2940 Dollar. Gleichzeitig ist der Ölpreis erneut über die Marke von 60 Dollar geklettert.

Technische Analysten rechnen in den kommenden Handelstagen mit einer Konsolidierung. Als hartnäckiger Widerstand habe sich der in den Bullenjahren der achtziger und neunziger Jahre langfristig geprägte Aufwärtstrend herausgestellt, der momentan bei 6373 Punkten verläuft. Das zu erwartende Konsolidierungspotenzial ist den Profis zufolge gering. Spätestens bei 6200 Zählern dürften diejenigen unter den Akteuren in den Markt drängen, die die Aufwärtsbewegung bisher verpasst haben.

"Viele Marktteilnehmer sind angeblich nicht positioniert. Wenn es also einen Rückschlag gibt, werden viele die Chance nutzen, um noch auf den Zug aufzuspringen", meint Daniel Hupfer, Aktienstratege bei M.M. Warburg. Stefani rechnet nicht mit einem Einbruch der Kurse: "Für einen größeren Rückschlag wäre ein Auslöser nötig, ein Schock, der den Markt ordentlich durchschüttelt", erklärt Stefani und erinnert an den Rückschlag im Mai, als Befürchtungen, die US-Notenbank könnte mit ihrer Zinspolitik das Wirtschaftswachstum abwürgen, die Märkte weltweit unter Druck gebracht hatten.

Für eine Verschnaufpause spricht auch die durchwachsene Bilanz der weitgehend gelaufenen Dax-Berichtssaison. Frank Schallenberger, Stratege bei der Landesbank Baden-Württemberg, moniert, dass rund 60 Prozent der Firmen mit ihren Zahlen die Analystenerwartungen nur noch getroffen haben. Dagegen seien lediglich 30 Prozent und damit halb so viele Bilanzen wie im Vorquartal besser als erwartet ausgefallen. Gleichzeitig habe die Zahl der Enttäuschungen zugenommen. "Kurzfristig sind einige Wolken am bislang ungetrübten Börsenhimmel aufgezogen", so Schallenberger. Dennoch drohe dem Dax nicht die Puste auszugehen.

Andere Börsianer schließen sogar einen Anstieg des Dax auf 6400 und darüber nicht aus. Dazu könnte es kommen, wenn der langfristige Aufwärtstrend wider Erwarten herausgenommen wird. Dann wäre der Weg frei bis 6800 Punkte. Die bisher "unterinvestierten" Investoren driften sich gezwungen sehen, auf den fahrenden Zug aufzuspringen und diesen zu beschleunigen.


Der Abgang von Kai-Uwe Ricke wird die Anlegerschaft gleich zum Wochenauftakt beschäftigen. Branchenbeobachter bezweifeln jedoch, dass der Wechsel hin zu René Oberman an der Telekom-Spitze den Kurs der T-Aktie nachhaltig beflügeln kann. Auf der Unternehmensseite dürfte auch der Poker um die Neuordnung der Lkw-Branche weiter im Fokus stehen. So erwarten Börsianer eine Aufsichtsratssitzung bei Porsche. Porsche hat als VW-Großaktionär bei der von MAN angestrebten Übernahme der Schweden ein gehöriges Wort mitzureden. VW wiederum ist sowohl an MAN als auch an Scania beteiligt. Auf der Dax-Seite steht ansonsten lediglich der Zwischenbericht von Infineon an.

Aus den USA kommen in dieser Woche eine Reihe von Konjunkturdaten, die Aufschluss über die Länge der im Sommer begonnenen Zinspause geben dürften. Entscheidend sind die US-Preisdaten, die am Donnerstag veröffentlicht werden. Hierzulande stehen die Daten zum Wirtschaftswachstum im dritten Quartal an.

DW

Artikel erschienen am 13.11.2006

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WELT.de 1995 - 2006

prof - Dienstag, 14. November 2006 - 10:56
Chart zeigt nach oben, wir sind in der besten Börsenzeit:
Dax steht Ende Januar bei >= 6800 Punkten ...
Prof

chinaman - Donnerstag, 16. November 2006 - 09:43
Handelsblatt Nr. 221 vom 15.11.06 Seite 36


Dax hat sein Potenzial noch nicht ausgeschöpft

Charttechniker sieht 6 800 Punkte als nächste Zielmarke - Aufwärtstrend gilt als stabil

FREDERIK ALTMANN | FRANKFURT Der deutsche Leitindex Dax ist zuletzt auf ein neues Fünfeinhalbjahreshoch geklettert. Aus charttechnischer Sicht sollte er trotz des Kursanstiegs der vergangenen dreieinhalb Jahre weiter steigen. Bis zum nächsten Ziel bei 6 800 Punkten hat der Index noch rund acht Prozent Platz. Danach scheint mittelfristig ein Anstieg in Richtung des Rekordhochs bei 8 136 Zählern möglich.

Ein Kaufsignal gab der Dax zuletzt mit dem Bruch des im Mai 2006 markierten Zwischenhochs bei rund 6 200 Punkten. Kurzfristig kann der Index nun bis zur Oberkante des Aufwärtstrendkanals steigen. Ihn festigte das wichtigste deutsche Aktienbarometer vom Tief im Jahr 2003. Dieser Trendkanal wird nach unten von einer Verbindung der Tiefs der vergangenen dreieinhalb Jahre begrenzt - vom aktuell geltenden Aufwärtstrend. Die obere Begrenzung ist eine Parallele, die über die Hochs von 2004 und 2006 führt. Hinzu kommt eine Horizontale über die Extrempunkte von Mitte 2000 bis Anfang 2001 bei 6 800 Punkten. Zusammen ergibt sich ein Kreuzwiderstand als erstes Kursziel für den Dax.

Gute Unterstützung findet der deutsche Leitindex bei einer wahrscheinlich folgenden Korrektur bei 6 200 Punkten. Hier hält die Horizontale über das Mai-Hoch einen weiteren Kursverfall auf. Technisch wandelt sich dieser ehemalige Widerstand in sein Gegenteil und bietet eine wichtige Unterstützung. Diese Horizontale berührt auch zwei Extrempunkte aus 1998 sowie 2001 und gewinnt somit an charttechnischer Signifikanz. Hinzu kommt die Unterkante des aufwärts gerichteten Trendkanals, die wiederum zusammen mit der Horizontalen eine Kreuzunterstützung bildet.

Fazit: Prozyklisch können Investoren im Deutschen Aktienindex durchaus noch Positionen ausbauen und diese in Richtung 6 800 Punkte nutzen. Ein Warnsignal wäre allerdings ein neuerlicher Rückfall unter die wichtige 6 000-Punkte-Marke.

Der Autor ist technischer Analyst in Frankfurt am Main.

Altmann, Frederik



15. November 2006

chinaman - Sonntag, 19. November 2006 - 11:51
Handelsblatt Nr. 222 vom 16.11.06 Seite 30


BULLE & BÄR

Sehr viel Phantasie

ULF SOMMER | DÜSSELDORF Fast 200 Prozent musste der Dax zulegen, ehe endlich der Kurs von Schwergewichten wie Deutsche Telekom, Daimler-Chrysler und Siemens anspringt. Damit gewinnt der Aufschwung an Breite. Doch bekommt er auch mehr Tiefe? Zweifel sind angebracht. Anstelle harter Fakten gewinnen Phantasie und Hoffnungen die Oberhand.

Seitdem der Dax vor dreieinhalb Jahren seine Rally startete legen die Aktien all jener Unternehmen zu, deren Gewinne kräftig stiegen. Was zählt sind Umsatz, Gewinn und Marge. Vertreter der "Old Economy" wie MAN, Conti und Thyssen-Krupp zählen zu den großen Gewinnern, weil sie gestärkt aus der Krise hervorgehen.

Doch spätestens seit dem im August startenden Höhenflug der T-Aktie erfasst eine neue Welle den Börsenaufschwung - die der Zurückgebliebenen. Denn die Telekom legte kräftig zu, ohne dass sich - zunächst - Fundamentales änderte. Der Ex-Monopolist verdient zwar viel Geld, sticht mit einem starken Cashflow hervor und zahlt seinen Anlegern eine üppige Dividende. Doch es fehlt an Perspektiven, etwa wie der Konzern den Preisverfall und Kundenschwund stoppen will.

Ähnlich ist das Bild bei Daimler-Chrysler. Die Probleme der amerikanischen Tochter werden eher größer als kleiner. Unverändert buhlen zu viele Wettbewerber mit Dumpingpreisen um Kunden. Das treibt bisweilen die Umsätze, bringt aber lausige Margen.

Und doch ziehen die Kurse der Tanker an - und den Dax nach oben. Bei der Telekom mag der Aufschwung zumindest im Nachhinein ganz gut zu erklären sein: Anleger und vor allem Insider spekulierten frühzeitig auf die Zeit nach Kai-Uwe Ricke, dem Sanierer des einst hoch verschuldeten Konzerns.

Doch was ist mit dem 20-prozentigen Kursanstieg bei Daimler-Chrysler in nur drei Wochen? Wo verbessern sich da grundlegend die Perspektiven? Hier drängt sich eher der Verdacht auf, dass zum Jahresende viel Geld die Börse erreicht und noch schnell angelegt werden will.

Vorbei sind die Zeiten, in denen die Kurse in etwa so stark wie die Firmengewinnen steigen. Das ist nicht weiter schlimm, solange aus einst sehr preiswerten angemessen bewertete Aktien werden. Doch wenn dauerhaft Hoffnungen reale Fakten ablösen, droht Gefahr. So spekulieren Anleger bei Siemens auf hoch gesteckte Renditeziele. Bei der T-Aktie geht es um die Wette, ob Neu-Chef René Obermann das Ei des Kolumbus, sprich zukunftsträchtige Geschäftsfelder, entdeckt. Bei Daimler-Chrysler setzen Mutige auf die Sanierung der US-Tochter und schlussendlich auf ein Happy-End der holperigen Ehe zwischen den Deutschen und Amerikanern.

Derartige Spekulationen zählen zwar zum Urgeschäft der Börse. Doch wer mehr auf die Zukunft als auf Zahlen spekuliert, kalkuliert auch höhere Risiken ein. Erfüllen sich die Träume nicht, droht Anlegern ein böses Erwachen. sommer@handelsblatt.com

Sommer, Ulf



16. November 2006

chinaman - Freitag, 24. November 2006 - 10:18
Konjuktur


Privater Konsum stützt den Aufschwung


Die Konjunktur zieht an: Verbraucher tragen jetzt ebenso stark zum Wirtschaftswachstum bei wie der Außenhandel.


Berlin - Die Verbraucher schieben die deutsche Wirtschaft vor der Mehrwertsteuererhöhung noch einmal kräftig an. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) legte von Juli bis September um 0,6 Prozent im Vergleich zum Frühjahr zu, meldete das Statistische Bundesamt in Wiesbaden. Der Wachstumsimpuls des privaten Konsums war genauso groß wie der des gesamten Außenhandels, der das Wirtschaftswachstum in den vergangenen Jahren zeitweise alleine getragen hatte.

Die Unternehmen waren im Sommer mit ihren Investitionen zwar zurückhaltender als in den ersten beiden Quartalen des Jahres, trotzdem steckten sie zum siebten Mal in Folge mehr Geld in Bauten und Ausrüstung. Weil auch das vom Ifo-Institut ermittelte Geschäftsklima im November wieder auf ein 15-Jahres-Hoch stieg, sehen Konjunkturexperten eine Fortsetzung des Aufschwungs im kommenden Jahr mittlerweile als gesichert an. "Diese Umfrageergebnisse lassen eine Fortsetzung des konjunkturellen Aufschwungs erwarten", sagte Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn.

Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) bewertete den überraschenden Anstieg des Ifo-Geschäftsklimas als Beleg für einen stabilen Aufschwung in Deutschland. "Alle, die ein baldiges Ende der guten Konjunktur herbeireden, haben Unrecht", erklärte Glos. "Der Aufschwung ist stabil." Der Anstieg des Ifo-Indexes im November bestätige den Optimismus der Bundesregierung.

Auch Experten werten die seit zwei Monaten wieder besseren Geschäftsaussichten als Signal, dass der Rückenwind aus diesem Jahr die Wirtschaft auch 2007 anschiebt und ihr über den Schock der steigenden Umsatzsteuer hinweghelfen wird. Ifo-Experte Klaus Abberger rechnet nur mit einer kleinen Konjunkturdelle am Jahresbeginn: "Ab dem zweiten Quartal werden schon wieder die positiven Tendenzen überwiegen." Die Grundlage dafür ist die sehr gute Geschäftslage, die neben den Exporten zunehmend von der einheimischen Wirtschaft selbst getragen wird.

Der Ifo-Teilindex für die Erwartungen der Firmen stieg im November von 99,2 auf 100,1 Punkte. Der Lageindex erreichte 113,9 nach 111,9 Zählern.

Besonders hoffnungsvoll sind Industriefirmen. Sie beurteilten Lage und Aussichten positiver. "Das Verarbeitende Gewerbe ist wohl so in Schwung, dass die Mehrwertsteuererhöhung einfach weggesteckt wird", sagte Bernd Weidensteiner von der DZ Bank. Auch der Großhandel und die Bauwirtschaft fassten Zuversicht. Einzig der Einzelhandel blickt skeptischer nach vorn. Die Branche kämpft seit Jahren mit einer Konsumflaute und muss die auf 19 von 16 Prozent steigende Mehrwertsteuer am meisten fürchten. Vorgezogene Käufe ließen die Einzelhändler aber ihre Lage positiver einschätzen.

Diese Vorzieheffekte haben das Wirtschaftswachstum bereits im Sommer gestützt. Die privaten Konsumausgaben legten dabei um kräftige 0,7 Prozent zu. Im Inland wurde nicht nur mehr konsumiert, sondern auch mehr investiert. Die Unternehmen investierten 0,8 Prozent mehr in Bauten und 0,7 Prozent mehr in Ausrüstungen, wie die Statistiker mitteilten. Damit steuert die Wirtschaft auf das kräftigste Wachstum seit dem Boomjahr 2000 zu.

WELT.de

Artikel erschienen am 24.11.2006

Diskussionsforum der stw-boerse: Strategiediskussionen: Tendenz Deutschland: Archivierte Beiträge bis 24. November 2006