Diskussionsforum der stw-boerse: Strategiediskussionen: Welt-Tendenz: Archivierte Beiträge bis 4. März 2007
chinaman - Freitag, 20. Oktober 2006 - 04:09
Handelsblatt Nr. 199 vom 16.10.06 Seite 32


KAPITALMARKTRISIKEN: Eine globale Grippewelle gilt als große Gefahr für Wirtschaftswachstum und die Aktienbörsen

Die Furcht vor der Pandemie

INGO NARAT UDO RETTBERG | FRANKFURT Die Bilder toter Hühner und Wildvögel sind aus den Medien verschwunden, aber die Bedrohung durch die Vogelgrippe ist nicht gebannt. Auch die große Gefahr einer Viren-Mutation, die eine direkte Übertragung der Krankheit von Mensch zu Mensch ermöglichen würde, besteht nach wie vor. "Der Virus könnte in wenigen Monaten einmal den Erdball umkreisen, und es könnte eine zweite Welle geben, weil beim ersten Mal nicht alle angesteckt wurden", sagt der Mediziner Michael Fischer von Medical Strategy.

Virusforscher halten ein solches Horrorszenario sogar für unvermeidlich. Fachleute rechnen für diesen Fall mit Millionen Todesfällen, wirtschaftlichen Schäden in Billionen-Dollar-Höhe und einem Crash an den Aktienmärkten mit drastischen Verlusten von bis zu 60 Prozent. Die Weltgesundheitsorganisation WHO, die Weltbank, Forschungsinstitute, Broker und Versicherungen haben derartige Szenarien durchgerechnet.

Bisher ist die Vogelgrippe eine vorwiegend auf Hühner beschränkte Krankheit, die insbesondere in asiatischen Ländern auftritt (siehe "Schäden in Billionenhöhe"). Dort hat die Geflügelzucht einen hohen Stellenwert. Hier leben die Menschen mit den Tieren oft auf engstem Raum zusammen, was dem so genannten H5N1-Virus nicht nur ideale Bedingungen für die Verbreitung in den Hühnerbeständen bietet. Unter diesen Umständen besteht auch eine verstärkte Ansteckungsgefahr für Menschen.

"Außerdem begünstigt die Nähe von Tier und Mensch eine Viren-Mutation, die Vogelgrippe würde dann zur ansteckenden Menschengrippe", sagt Jan Amrit Poser, Chefökonom der Bank Sarasin in Zürich. Die mutierten Viren könnten dann mit aggressivem Verhalten eine so genannte Pandemie initiieren - die im Gegensatz zu einer Epidemie nicht regional beschränkt wäre.

Für einen solchen Fall sind unterschiedlichste Szenarien denkbar. Viele Wissenschaftler erwarten wegen der geschilderten Lebensumstände in Asien jedoch einen Ausbruch genau dort. Die Höhe der Schäden hängt unter anderem davon ab, wie viele Menschen betroffen sind, wie viele im Krankenhaus behandelt werden müssen, wie hoch die Ansteckungs- und Sterberate ist, welche und wie schnell Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Grundsätzlich würde das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben stark eingeschränkt sein, da enge Kontakte zwischen Menschen vermieden werden müssten.

Experten rechnen mit Einbrüchen beim Wirtschaftswachstum und - zumindest teilweise - mit disinflationären Effekten. Das bestätigen die Erfahrungen mit der Lungenkrankheit Sars, die vor drei Jahren in Asien ausbrach und auch andere Länder wie Kanada in Mitleidenschaft zog. Allerdings handelte es sich hierbei nicht um eine Pandemie. Betroffen waren etwa 8 000 Menschen, von denen etwa jeder Zehnte starb. Aber schon bei dieser vergleichsweise geringen Zahl Betroffener schätzte die Weltbank die wirtschaftlichen Schäden auf 30 Mrd. Dollar.

Eine Grippepandemie würde andere Dimensionen erreichen. Im vergangenen Jahrhundert registrierten die Wissenschaftler drei solcher Ereignisse, wobei insbesondere die spanische Grippe am Ende des Ersten Weltkrieges mit geschätzten 50 bis 100 Millionen Toten die Welt erschütterte. Daher sagt auch Aktienananalyst und Gesundheitsexperte Christophe Eggmann von der Bank Julius Bär über einen erneuten Ausbruch: "Die Welt würde sich über Nacht verändern." Eine direkte Folge wäre die Einschränkung von Reisen und des Außenhandels durch die politisch Verantwortlichen: "Eine Reaktion, die wir in Teilen Asiens beim Ausbruch von Sars bereits beobachtet haben." Die von der Globalisierung geprägte und auf Handel ausgerichtete Wirtschaft "könnte abrupt zum Erliegen kommen", fürchtet Eggmann.

Laut Sherry Cooper, Chefökonomin von BMO Nesbitt Burns in Toronto, würden die weltweiten Gesundheitssysteme schnell ihre Belastungsgrenze überschreiten. Sie erwartet anhaltende Ausfälle von Energie- und Versorgungseinrichtungen sowie Behörden. Cooper zeichnet ein Szenario: "In einer moderaten Variante würden wir beim weltweiten Wirtschaftswachstum einen Abschlag von zwei Prozentpunkten gegenüber der sonst realisierten Rate erwarten." Das entspricht in ihrer Rechnung einem Verlust von etwa 1,1 Bill. Dollar. In einer Worst-Case-Rechnung kommt sie gar auf sechs Prozentpunkte bzw. 3,2 Bill. Dollar Wachstumseinbußen.

Eine der umfangreichsten Studien über die möglichen Folgen eines Ausbruchs stammt von Wissenschaftlern des Lowy Institute for International Policy in Sydney. Im Unterschied zur BMO-Chefökonomin Cooper rechnen die Forscher Warwick McKibbin und Alexandra Sidorenko auch ein extrem scharfes Szenario durch. Hierbei unterstellen sie ähnliche Bedingungen wie bei der spanischen Gruppe. Allerdings waren damals vor allem Jüngere von der Krankheit betroffen. Die Wissenschaftler unterstellen in ihrer Rechnung, dass ältere Menschen von einer künftigen Pandemie ähnlich stark betroffen wären. Sie kommen hier auf 142 Millionen Tote und Schäden von 4,4 Bill. Dollar. Der Rückschlag wäre regional sehr unterschiedlich: "Es gäbe einen starken Kapitalstrom von den betroffenen Wirtschaften in die als sichere Häfen geltenden Ökonomien Europas und Nordamerikas."

Das Bankhaus Bär versucht, die Auswirkungen auf einzelne Wirtschaftsbereiche sowie Branchen zu kalkulieren (siehe "Szenario für den schlimmsten Fall"). "Aktien würden fallen, weil die Unternehmensgewinne sinken", sagt Analyst Eggmann. Er empfiehlt eine Differenzierung nach Branchen. Vor allem Sektoren, die unter einer Einschränkung des Verkehrs leiden würden, hält Eggmann für gefährdet, also Hotels, Reiseunternehmen und Fluglinien. Er erwartet wie auch Cooper sinkende Rohstoff- und Ölpreise. "Anleihen und Sicherheitsinvestments wie Gold sehe ich dann allerdings auf der Gewinnerseite", ergänzt der Julius-Bär-Experte.

Poser von Sarasin taxiert die erwarteten Aktienverluste je nach Schwere der Pandemie auf eine Größenordnung von 35 bis über 60 Prozent. Er sieht jedoch Probleme, auf dieser Erwartung eine Investmentstrategie aufzubauen, weil der Zeitpunkt des Ausbruchs einer Pandemie unbestimmt ist. Eine Lösung über den Depotschutz durch Absicherungen hält der Sarasin-Mann für wenig sinnvoll, da die damit verbundenen Optionskosten im Zeitablauf sehr hoch seien. "Es gibt keinen Impfschutz für das Portfolio", urteilt er.

Unternehmen dagegen können Vorbereitungen treffen. Die Ausweitung von bestehenden Notfallplänen hält etwa der Versicherungskonzern Marsh für unumgänglich. Diese Notfallpläne bestimmen, welche Schritte eingeleitet werden müssen und wie die Weiterführung der Geschäfte organisiert werden kann, wenn beispielsweise die Beschäftigten generell zu Hause bleiben müssen oder wenn große Teile der Mitarbeiter krankheitsbedingt ausfallen. Mögliche Pandemie-Maßnahmen reichen über den Einsatz von Technologien, die verstärkten Einsatz von Heimarbeit ermöglichen, bis hin zu interner und externer Kommunikation, um Kunden wie Mitarbeiter auf dem Laufenden zu halten.

Narat, Ingo
ina
Rettberg, Udo



16. Oktober 2006

chinaman - Samstag, 21. Oktober 2006 - 05:34
Handelsblatt Nr. 200 vom 17.10.06 Seite 34


KAPITALMARKTRISIKEN: Katastrophen kommen unerwartet - und werden von der klassischen Theorie unterschlagen

Die unbekannte Gefahr

INGO NARAT UDO RETTBERG | FRANKFURT Die steigende Zahl von teilweise unbekannten Risikoquellen mit möglichen katastrophalen globalen Folgen stellen Ökonomien, Unternehmen und die Finanzmarktteilnehmer vor große Probleme. Wissenschaftler und Praktiker arbeiten an verschiedenen Lösungsansätzen. Die Palette der Ideen reicht von verbesserten statistischen Prognoseansätzen über Expertengremien bis hin zum Rückgriff auf organisierte Wettmärkte. Dagegen setzen Investmentstrategen stärker auf reale Vermögensobjekte und arbeiten unter anderem mit Depotabsicherungen und Optionen.

Der Blick auf globale Risiken wird immer wichtiger. Davon ist auch das Weltwirtschaftsforum WWF in Genf überzeugt. Die private Stiftung mit Wirtschaftsführern, Politikern und andere Persönlichkeiten aus der Gesellschaft als Mitgliedern lancierte einen Report, der die globalen Risikoquellen zu orten und zu bewerten versucht ("Global Risks 2006"). "Ziel ist es im ersten Schritt, das allgemeine Verständnis für die zunehmenden Gefahren zu erhöhen", sagt WWF-Mann Jesse Fahnestock. Er betont: "Die Globalisierung ist ein wesentlicher Treiber dafür, dass diese Risiken komplexer werden, immer stärker miteinander vernetzt sind und damit auch die Potenziale für Ereignisse mit katastrophalen Folgen wachsen."

Der umfangreiche Report lokalisiert für den Zeitraum bis 2015 rund 30 Problemfelder und ordnet ihnen Eintrittswahrscheinlichkeiten sowie mögliche Folgen zu. Nach Ansicht des WWF hat beispielsweise ein großes Erdbeben in Tokio nur eine Wahrscheinlichkeit von weniger als einem Prozent. Es würde aber im schlimmsten Fall über eine Million Tote fordern und mehr als eine Billion Dollar an Schäden verursachen (siehe "Die größten langfristigen Risiken bis 2015").

Die Versuche der Einschätzung derartiger Risiken fördern ein Problem ans Licht. Manche Risiken sind zwar bekannt, und ihre Ursachen, Eintrittswahrscheinlichkeiten und Folgen sind ungefähr abschätzbar, etwa bei Naturkatastrophen. Dagegen lassen sich andere Risiken wie beispielsweise terroristische Anschläge kaum mit Eintrittswahrscheinlichkeiten belegen oder in ihren Folgen erfassen. Darüber hinaus gibt es Risiken, die möglicherweise erst in Zukunft ins Bewusstsein dringen werden, beispielsweise die Gefahren elektromagnetischer Wellen - dazu kommen Risiken, die heute noch niemand kennt.

"Praktisch definitionsgemäß kommen echte Katastrophen unerwartet", beschreibt Michael Mauboussin ein Kernproblem. Der Chef-Anlagestratege der US-Investmentgesellschaft Legg Mason Capital Management denkt ähnlich wie Wissenschaftler Taleb (siehe "Ökonomen versagen bei Prognosen"), wenn er urteilt: "Die gängigen Risikomanagementmodelle sind unterdurchschnittlich, weil sie Ereignisse mit extremen Folgen für die Finanzmärkte kaum berücksichtigen." Der Legg-Mason-Experte erkennt weitere Unwägbarkeiten: "In schwierigen Lagen wie beispielsweise bei der Pleite des Hedge-Fonds LTCM vor einigen Jahren entwickeln sich plötzlich auch andere Vermögensformen völlig unerwartet."

Investmentstrategen finden bei ihren Risikomanagementmodellen kaum Lösungen für diese außerordentlichen Ereignisse. Oft basieren die verwendeten Modelle auf der so genannten Normalverteilung von Renditen. Diese unterstellt eine gleichmäßige Verteilung der kurzfristigen Renditen um ihren langfristigen Durchschnitt. "Aber manche Risiken mit extremen Folgen kommen schlagartig und häufiger als in diesem Konzept unterstellt", sagt Heinz-Werner Rapp, Chefstratege von Feri Wealth Management. Er empfiehlt daher, immer auch die möglichen Effekte plötzlicher, sehr starker Rückschläge einzubeziehen und dabei zunehmend gleichgerichtete Entwicklungen an den Finanzmärkten zu unterstellen.

Experten wie Fahnestock vom WWF betrachten das noch junge Konzept der internetbasierten Prognosemärkte als einen Startpunkt bei der Suche nach zukunftsfähigen Lösungen. Auf Seiten wie tradesports.com oder newsfutures.com können Interessierte auf alle möglichen Ereignisse wetten. "Die Ergebnisse geben zumindest eine gewisse Vorstellung von Zukunftsszenarien", sagt auch Mauboussin. Hinter dem Blick auf Prognosemärkte steht die Überlegung: Die Masse ist intelligenter als der Einzelne. Das Prinzip gilt auch an den Börsen: Der Markt, repräsentiert durch den Index, schlägt langfristig den Einzelnen.

Die Idee entstand vor über einem Jahrhundert. Auf einer Nutztiermesse wurden die vorüber Gehenden aufgerufen, das Gewicht eines Ochsen zu schätzen. Einem britischen Wissenschaftler fiel auf, dass der Durchschnitt der Antworten nur ein halbes Kilo von der Wirklichkeit entfernt lag. Das war die Geburtsstunde des Gedankens von der "Intelligenz der Masse".

Andere Überlegungen setzen beim "Mangel an interdisziplinärem Denken" an, wie Mauboussin es formuliert. Für ein übergreifendes Denken plädiert auch George Friedman, Chef von Stratfor, einer US-Beratungsfirma für Geopolitik und Sicherheitsfragen. Rapp von Feri hält das ebenfalls für zukunftsweisend. Eines seiner Gedankenspiele: Die LTCM-Strategen vertrauten mit ihrem computergesteuerten Anlagesystem auf russische Anleihen - bevor die Titel in den Keller rutschten. Gespräche mit Politikexperten hätten vielleicht zu dem Ergebnis geführt, dass eine Risikosenkung angebracht sein könnte. Der Feri-Mann ist mit Blick auf die Umsetzung in der Praxis jedoch weniger hoffnungsfroh: ",Die meisten Anwender freuen sich, wenn sie Computermodelle haben, die ihnen Sicherheit suggerieren."

Viele Großinvestoren gehen sehr pragmatisch vor und erhöhen ihre meist kleinen Bestände an weniger gefährdeten Vermögensformen. Paradebeispiele sind einige Stiftungsfonds in den USA, die schon seit langem hohe Anteile an Alternativen Investments halten und damit sogar die Crashjahre nach dem Platzen der Aktienblase im Jahr 2000 ohne Depotverluste überstanden.

In der jüngsten Zeit springen auch Pensionsfonds auf den Zug auf. Die mit 208 Mrd. Dollar Anlagevermögen größte US-Adresse Calpers beispielsweise hat die Weichen für ihre ersten Investments in Commodities gestellt und könnte noch in diesem Monat starten. Das angesehene US-Analysehaus Ibbotson Associates hat den Pensionsfonds übrigens zu einer Quote von bis zu 20 Prozent Rohstoffanlagen geraten - wovon die meisten noch weit entfernt sind.

Narat, Ingo
ina
Rettberg, Udo



17. Oktober 2006

prof - Samstag, 21. Oktober 2006 - 10:31
Ja, das ist trivial aber wahr: "Das Unerwartete kommt unerwartet!" Im Augenblick herrscht an den Finanzmärkten eitel Sonnenschein, man erwartet nichts dergleichen ...
Prof

chinaman - Dienstag, 31. Oktober 2006 - 05:04
SPIEGEL ONLINE - 30. Oktober 2006, 19:27


URL: http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,445528,00.html


NEUE STUDIEN


CO2-Ausstoß steigt kräftig - Klimapolitik verpufft


Dramatische Trendwende: Noch in den neunziger Jahren ging der Ausstoß des Klima-Killers Kohlendioxid allmählich zurück. Doch jetzt steigt er nach neuen Daten der Uno wieder, und zwar satt. Experten warnen zur neuen Klimakonferenz in Nairobi vor verheerenden Folgen - auch für die Wirtschaft.

Uno-Klimasekretär Yvo de Boer wurde deutlich, als er am heute in Bonn den neuen Klimareport der Weltgemeinschaft vorstellte: "Wir müssen sehr dringend auf den Klimawandel reagieren. Sonst wird es sehr teuer." Er verwies auf wissenschaftliche Studien, die diese These untermauern - und ging damit in die gleiche Richtung wie der frühere Weltbank-Chefökonom Nicholas Stern in London, der als wirtschaftlicher Gutachter der britischen Regierung zeitgleich eine nicht minder drastische Warnung aussprach: Er erwartet eine Weltwirtschaftskrise, wenn die Folgen des Klimawandels nicht bekämpft werden.

Der Uno-Klimareport zeigt im Detail, dass sich die Entwicklung genau in die falsche Richtung gedreht hat. Der wichtigste Messwert für den menschlichen Einfluss auf das Weltklima, der Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2), steigt kräftig. Seit dem Jahr 2000 nimmt der Ausstoß an Kohlendioxid nicht mehr ab wie im Jahrzehnt davor - sondern wieder zu. Und zwar zwischen 2000 bis 2004 um insgesamt 2,4 Prozent, hat das Uno-Klimasekretariat errechnet.

Heizt die Menschheit der Erde im Angesicht des Crashs noch mal ordentlich ein? Die Nachrichten aus Bonn und London fachen die Debatte vor der Weltklimakonferenz in Nairobi an: Dort werden in der kommenden Woche Wirtschafts- und Umweltpolitiker der Staatengemeinschaft Antworten auf diese Fragen suchen: Ist die Menschheit auf dem richtigen Weg aus der befürchteten Klimakatastrophe? Wie stark müssen die Anstrengungen verstärkt werden? Und was kommt nach Kyoto?

Erbitterter Streit steht bevor. Denn ein massiver Wandel bei Energiegewinnung und Schwerindustrie, Verkehr und Konsum wäre dringend nötig. Zur Mitte des Jahrhunderts müsse der CO2-Ausstoß wahrscheinlich um 60 bis 80 Prozent verringert werden, zumindest in den Industrieländern, sagte de Boer.

60 bis 80 Prozent - dagegen wirken die zaghaften Klimaschutz-Erfolge in den neunziger Jahren geradezu winzig. In dem Jahrzehnt waren die CO2-Werte gesunken, vor allem wegen des Zusammenbruchs des Ostblocks und der weltweiten wirtschaftlichen Abkühlung, auch wegen umweltfreundlicherer Technik. Doch selbst wenn man dieses Jahrzehnt einrechnet, ist der CO2-Ausstoß zwischen 1990 und 2004 gerade mal um 3,3 Prozent gesunken. Ein läppischer Erfolg für 15 Jahre, gemessen an den versprochenen Anstrengungen im Klimaschutz.

Trendwende in die falsche Richtung

Zu dem verheerenden Gesamtergebnis haben die 41 untersuchten Industriestaaten unterschiedlich beigetragen:


Deutschland verringerte seine Emissionen zwischen 2000 und 2004 immerhin noch um bescheidene 0,7 Prozent - zwischen 1990 und 2004 waren es infolge des Zusammenbruchs der ostdeutschen Wirtschaft ingesamt minus 17,2 Prozent. Das sei "ziemlich nah dran an der Zielvorgabe des Kyoto-Protokolls", sagte Sergey Kononov vom Bonner UN-Klimasekretariat.
Die USA legten zwischen 2000 und 2004 noch 1,3 Prozent zu und erhöhten zwischen 1990 und 2004 ihren CO2-Ausstoß um satte 15,8 Prozent.
Die stärksten Zuwachsraten zeigten zwischen 1990 und 2004 jedoch die Türkei (72,6 Prozent), Spanien (49 Prozent) und Portugal (41 Prozent)
Boomende Volkswirtschaften wie China und Indien wurden dabei noch nicht einmal berücksichtigt.

Die Idee des Protokolls von Kyoto war: Bis 2012 reduzieren die Industriestaaten ihren Klimagasausstoß schon mal, später kommen auch die Entwicklungsländer dazu. Dieses Konzept wird durch die Trendwende seit 2000 schwer beschädigt. Das wird die Verhandlungen für eine Nachfolgeregelung zusätzlich erschweren - gerade weil die Hauptleidtragenden der Folgen des Klimawandels in den Entwicklungsländern leben. Afrika werde am stärksten betroffen sein, hatte der britische Klimagutachter Nicholas Stern festgestellt. Gleichzeitig verursachen die Menschen dort besonders wenig der schädlichen Gase.

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hat eingestanden: Die EU-Staaten werden ihre selbst gesteckten Ziele zur CO2-Verringerung wahrscheinlich nicht erfüllen. Dabei fehlt es in Europa nicht einmal am prinzipiellen Konsens, dass zuviel Kohlendioxid in der Atmosphäre vom Menschen verschuldet wird - und die globale Erwärmung befördert. "Sie ist keine Erfindung von einigen Umweltschützern", sagte Barroso, "sie ist ein ernstes Problem, das die Zukunft des Lebens auf diesem Planeten bedroht." Bei einer Energiekonferenz am heutigen Montag in Lissabon betonte der Chef der EU-Kommission dann allerdings vor allem Fragen der Versorgungssicherheit und Konkurrenzfähigkeit.

Für die unerfreuliche Trendwende beim CO2-Ausstoß machen die Uno vor allem die wirtschaftliche Erholung im ehemaligen Ostblock und den internationalen Luftverkehr verantwortlich - der gegenwärtig äußert dynamisch wächst.

"Wir können wachsen und grün sein"

EU-Umweltkommissar Stavros Dimas hatte es unlängst als "sehr wichtige Entwicklung" bezeichnet, dass in den USA Industrie-Schwergewichte wie Shell oder Wal-Mart eigene Richtlinien zum CO2-Einsparen erlassen. Einzelne Bundesstaaten wie Kalifornien setzen genau jene Politik um, welche die Bush-Regierung seit Jahren blockiert. Ganz sanft, so scheint es, entdecken auch die USA ihr grünes Gewissen.

Doch Europa muss sich an die eigene Nase fassen, zeigen die Zahlen der Uno: Bis 2020 müsse hier der CO2-Ausstoß um 30 Prozent und bis 2050 um 60 Prozent sinken, fordert der Stern-Report. Demnach würde es jährlich ein Prozent des weltweiten Bruttoinlandsproduktes kosten, die Emissionen jetzt zu drosseln. "Das ist machbar", sagte Nicholas Stern, "wir können wachsen und grün sein." Würde der Klimawandel ignoriert, bestünden Risiken für die Wirtschaft und das Sozialwesen "ähnlich denen, die mit den Weltkriegen und der Wirtschaftskrise in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Verbindung gebracht werden".

Der britische Premierminister Tony Blair sagte bei der Vorstellung des Berichtes: "Investitionen werden sich auszahlen. Nicht nur für die Umwelt, sondern auch wirtschaftlich." Die Welt könne allerdings nicht "wieder fünf Jahre verhandeln wie beim Kyoto-Abkommen - wir haben einfach nicht so viel Zeit und wir müssen akzeptieren, dass wir weit darüber hinaus gehen müssen". Auch diese Bemerkung zielte in Richtung Nairobi.

stx/AFP/AP/dpa

phlipster - Dienstag, 31. Oktober 2006 - 14:15
Danke für das Posting.

Dieses Thema beschäftigt mich schon seit Jahren (als Kind der 80er habe ich die Anfänge der Grünen noch gut in Erinnerung; wie sie auf dem Wochenmarkt mit kranken Aalen aus der Elbe auf die Umweltproblematik aufmerksam machten). Und ich stelle mir - neben den Konsequenzen für die Finanzmärkte (wer profitiert? wer nicht?) vor allem die Frage, ob die Marktwirtschaften/Politiker/Unternehmen allein den Turnaround bewirken.

Ganz konkret: soll ich (häufig reisend) weiter Software verkaufen, für ein gutes Familienauskommen sorgen, Elektro-Geräte nicht dauernd auf Standby laufen lassen etc. und darauf hoffen, dass irgendwann irgendwie indirekt weniger CO2 ausgestossen wird.

Vielleicht runzelt Ihr die Stirn bei der folgenden Frage, aber sie beschäftigt mcih halt sehr stark: Leitet Ihr aus solchen Nachrichten irgendwelche Handlungsempfehlungen für Euch ab?

al_sting - Dienstag, 31. Oktober 2006 - 17:17
Ich finde übrigens den Film "Eine unbequeme Wahrheit" von Al Gore, der gerade in den dt. Kinos läuft, ausgesprochen gut und extrem sehenswert, auch wenn er nicht zum einfacheren Schlaf beitragen wird.

"Leitet Ihr aus solchen Nachrichten irgendwelche Handlungsempfehlungen für Euch ab?"

Auch in oben genanntem Film werden einige, klassische, Empfehlungen gegeben.

Weitere persönliche Handlungsempfehlungen?

- Ich habe derzeit kein Auto (Stadt --> nicht notwendig, geringere finanzielle Belastung ...) und bin stattdessen Radfahrer sowie bei einem Carsharing-System.
- Nicht zuletzt die Strom-, Heizungs- und Spritpreise motivieren zu überlegterem Umgang mit Heizung, mit stromfressenden Geräten etc.
- Ich überlege derzeit, etwas Geld in eine "Solaranlagenpark" zu stecken. Die angepeilten 4% Rendite sind zwar nicht der Hammer, aber dafür "sorgenfreies" Geld. Und derzeit besser angelegt als direkt bei den Anlagenbauern.
- Wahlen, politische Unterstützung etc.
- Die Umweltthematik war schon vor einigen Jahren ein Auslöser für mein Studienfach (Umwelttechnik/Verfahrenstechnik). Heute würde ich allerdings eher Energietechnik studieren (Energieversorgung der Zukunft), aber auch andere technische Studienrichtungen halte ich nach wie vor für extrem spannend. Effizientere Resourcennutzung wird immer wichtiger, ebenso Schadstoffabtrennung, Wasseraufbereitung und -versorgung etc.
- Strategisch gesehen dürfte die Umwelttechnik an Bedeutung zukünftig deutlich zulegen. Erst heute wieder folgenden Aufmacher in der FTD gefunden:
"Umweltbranche bald wichtiger als Autohersteller"
von Timm Krägenow (Berlin)
Die Umweltindustrie wird in den kommenden 15 Jahren die deutsche Automobilindustrie überholen und dann die Leitbranche der deutschen Wirtschaft werden. Dies jedenfalls sagt eine Studie von Roland Berger für das Bundesumweltbundesministerium vorher.
[...]
http://www.ftd.de/politik/deutschland/127066.html?zid=82973
Auch daher reizt mich Masterflex

(Brennstoffzellen) und ich würde mich hier über mehr Diskussionen interessante und bezahlbare Firmen aus der Umweltbranche freuen.

Ciao, Al Sting

prof - Dienstag, 31. Oktober 2006 - 18:28
Zu DDR-Zeiten habe ich mir alle Infos zu Windrädern und Solarzellen besorgt, die beschaffbar waren.
Heute lasse ich meine Geräte (wieder) meist auf Standby durchlaufen und gebe auf der Autobahn Vollgas. Natürlich nutze ich Energiesparlampen, aber mehr wegen der Geldersparnis.

Das Energieproblem in D ließe sich mit ein paar ordentlichen AKW professionell lösen!
Heute denke ich, die Umweltbilanz der Windräder und Solarkraftwerke sieht gar nicht so rosig aus, zumal sie niemals Grundlast liefern können.

Brennstoffzelle und Wasserstoffantrieb sind dann schon eher was!

Prof

@ Al Sting: Vergiss Masterflex!

chinaman - Montag, 13. November 2006 - 16:33
SPIEGEL ONLINE - 13. November 2006, 14:56
URL:

http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,448094,00.html

ERWÄRMUNG

Klimabombe aus den Boom-Ländern

Von Volker Mrasek

Seit Jahren mühen sich die westlichen Industrieländer, die Erderwärmung zu bremsen. Doch jetzt zeigt der neue Klimaschutzindex: Alle Anstrengungen könnten vergeblich sein - denn in Boom-Ländern wie China und Indien steigt der Treibhausgas-Ausstoß dramatisch an.

Erinnert sich noch jemand an Frank Loy? Das war der Chef-Unterhändler der USA auf der 6. Weltklimakonferenz 2000 in Den Haag. Der einzige bisher, dem enttäuschte Umweltaktivisten eine Torte ins Gesicht geschleudert haben. Der US-Delegationsführer hatte nicht nur fantasievoll hochgerechnet, wie viel Kohlendioxid die heimischen Wälder speichern können. Knorrig wies er auch alle Ansinnen zurück, die USA - der größte Klimasünder auf dem Globus - möge doch endlich das Kyoto-Protokoll absegnen. Loys nonchalante Begründung: Solange Entwicklungs- und Schwellenländer nicht verpflichtet seien, ihre Treibhausgas-Emissionen zu senken, komme das für die Vereinigten Staaten auch nicht in Frage. Basta.

Die Industriestaaten hatten den Klimakarren in den Dreck gefahren, der Hauptverursacher stahl sich ungeniert aus der Verantwortung und instrumentalisierte auch noch die armen Länder, denen niemand sonst CO2-Minderungen aufbürden wollte. Loys Argumentation war fadenscheinig, aber sie enthielt auch einen wahren Kern, der heute immer stärker zum Vorschein tritt: Der Treibhausgas-Ausstoß von Ländern wie China, Indien und Brasilien geht im Galopp nach oben.

Zwischen 2000 und 2005 sind die globalen Kohlendioxid-Emissionen um 3,2 Prozent gestiegen - und damit viermal so stark wie in den zehn Jahren zuvor. Diese Zahlen veröffentlichte das von Wissenschaftlern getragene Welt-Kohlenstoffprojekt ("World Carbon Project") jetzt in Peking. Eine der treibenden Kräfte hinter dem "sehr besorgniserregenden" Trend: China mit seiner entfesselten Wirtschaft und Energienachfrage.

Chinas fatale Aufholdjagd

Neuen Hochrechnungen der Internationalen Energieagentur (IEA) zufolge könnte das bevölkerungsreichste Land der Erde binnen zehn Jahren die USA als größten Treibhausgas- Produzenten überholen. Nach einer Veröffentlichung der angesehenen Pekinger Universität Tsinghua war Chinas CO2-Ausstoß aus der Verbrennung fossiler Energieträger, vor allem der Kohle, schon 2002 mit über 3,5 Milliarden Tonnen so hoch wie die von Russland, Japan und Deutschland zusammen.

Bei der Weltklimakonferenz in Kenias Hauptstadt Nairobi präsentierte Germanwatch am heutigen Montag eine aktualisierte Version seines Klimaschutzindex. Auf der Basis der umfangreichen IEA-Daten bewertet die deutsche Nicht-Regierungsorganisation die Klimapolitik von 56 Staaten der Erde. Auch aus dieser Statistik schält sich China als Problemfall heraus: Es landet auf dem drittletzten Platz, gleich hinter den USA, gefolgt nur noch von Malaysia und Saudi-Arabien.

Den Germanwatch-Zahlen zufolge sind Chinas Treibhausgas-Emissionen im Energiebereich zwischen 1998 und 2004 um 56 Prozent gestiegen. Im Verkehrssektor kletterte der Pro-Kopf-Ausstoß im selben Zeitraum um fast 25 Prozent. "Rasante Emissionssteigerungen" hätten die deutschen Beobachter besonders im letzten Jahr ermittelt. Inzwischen geht mehr als ein Fünftel (21,8%) der weltweiten CO2-Abgase auf das Konto der USA und mehr als ein Sechstel (17,9%) auf das Chinas. Nach Russland auf Rang drei der größten Klimasünder folgt auch schon Indien, das seinen Erdölverbrauch nach Zahlen des Worldwatch Institute in Washington seit 1992 glatt verdoppelt hat - und wie China stark auf klimabelastende Kohle angewiesen ist.

Westliche Länder müssen auf Newcomer zugehen

Inzwischen gilt als gesichert, dass ohne die USA, aber auch ohne drastische Klimaschutzmaßnahmen in Ländern mit aufstrebenden Ökonomien eine katastrophale Erderwärmung nicht mehr aufzuhalten ist. "Das sind ja eigentlich gar keine Schwellenländer mehr, sondern schon Industriestaaten", sagt Franzjosef Schafhausen, Koordinator des Klimaschutzprogramms der Bundesregierung, über Länder wie Indien und China. Mit ihnen über eigene CO2-Reduktionsziele zu sprechen, sei zwar weiterhin "eine schwierige Sache", sagte Schafhausen im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Doch hinter den Kulissen der Konferenz in Nairobi wird eifrig an Konzepten gefeilt, die "Gruppe der 77" mit ins Boot zu holen.

In der G77 sind die Entwicklungs- und Schwellenländer bei den Klimakonferenzen organisiert. Für Kenner der Szene zeichnet sich inzwischen ein System ab, das sehr viel differenzierter sein soll als die heutigen Regelungen für Industriestaaten. Da die G77 sehr heterogen sei, könne man sich für sie eine Aufteilung der Lasten wie in der Europäischen Union vorstellen: Finanzkräftigere G77-Mitglieder würden sich zu absoluten CO2-Minderungen verpflichten, ärmere Länder dagegen erst einmal damit beginnen, Strom effizienter zu erzeugen oder den Kraftstoff-Verbrauch im Verkehr zu drosseln.

In der EU ist es so, dass Deutschland und Großbritannien ihre CO2-Emissionen um zweistellige Prozentwerte reduzieren müssen, während Länder wie Portugal, Spanien und Griechenland die ihren noch kräftig steigern dürfen. Unterm Strich soll dennoch ein Minus von acht Prozent bis 2012 herauskommen - was allerdings schwierig werden dürfte.

Positive Signale aus Monterrey

Zugeständnisse der Entwicklungs- und Schwellenländer gelten tatsächlich nicht mehr als abwegig. Schon "aus Gründen der Energie-Versorgungssicherheit" überdenke China seine Position, sagt ein Beobachter. Auch Indien wolle verstärkt auf regenerative Energieträger wie Windkraft oder Solarenergie setzen, weil es sich teure Importe für seine boomende Wirtschaft nicht mehr leisten könne.

Positive Signale registrierte Sir David King, oberster Wissenschaftsberater des britischen Premierminister Tony Blair, auch im mexikanischen Monterrey. Dort trafen sich kürzlich die Energie- und Umweltminister der G8-Staaten mit ihren Kollegen aus 20 Industrie- und Schwellenländern. Es ging um die Fortsetzung des 2005 im schottischen Gleneagles begonnenen Klima- und Energiedialogs. Mit dabei waren auch China, Indien, Südkorea, Brasilien, Mexiko und Südafrika - allesamt Staaten, für die noch keine verbindlichen CO2-Reduktionsziele nach dem Kyoto-Protokoll gelten.

Das Treffen fand zwar hinter verschlossenen Türen statt. Doch soviel verriet King, zurück in Birmingham, dann doch: Es habe "zum erstenmal einen vollständigen Konsens" darüber gegeben, dass man rasch zu wirklichen Emissionsreduktionen kommen müsse.

Wenn das stimmt, wäre das eine echte Überraschung. Denn im Debattierklub von Gleneagles und Monterrey sitzen auch die USA. Sollte die führende Wirtschaftsmacht tatsächlich stärkere Anstrengungen im Klimaschutz unternehmen, könnte das Länder wie China und Indien am ehesten dazu bringen, ihren Widerstand gegen eigene CO2-Reduktionen aufzugeben.

Regierungsexperte Schafhausen will sich gar keine andere Entwicklung ausmalen: "Diese Welt kann es sich nicht leisten, kein internationales Klimaschutzregime zu haben."

chinaman - Donnerstag, 16. November 2006 - 09:36
Handelsblatt


Im Teufelskreis der Finanzmärkte

Auf der Suche nach immer höheren Renditen verleiten Pensionsfonds börsennotierte Unternehmen zu immer kurzsichtigeren Entscheidungen

Wie beschreibt man einen Teufelskreis? Fangen wir mit einer Geschichte an, wie sie jeder kennt. Der Geschichte von Heinz etwa, 55 Jahre alt, bis vor kurzem im mittleren Management einer großen Bank in Frankfurt. Er hat bei der letzten Stellenabbaurunde das Angebot angenommen, freiwillig mit einer ordentlichen Abfindung in Vorruhestand zu gehen. Die Geschäfte der Bank liefen gut, doch der Vorstandschef beharrt darauf, 25 Prozent Eigenkapitalrendite vor Steuern machen zu müssen. Sonst sei die Bank international nicht wettbewerbsfähig, sagt er. Natürlich hat Heinz gut vorgesorgt, mit Lebensversicherung und Anteilen an Aktienfonds. Er muss im Ruhestand keine Abstriche machen und hat endlich Zeit für die Familie.

Auch Bob, 58, der gerade nach fast vierzig Jahren seinen Job am Fließband bei Ford in den USA verloren hat, sieht mit Zuversicht in die Zukunft. Er geht mit einer hohen Abfindung, und aus der Pensionskasse des Konzerns wird er eine auskömmliche Rente beziehen.

Heinz und Bob haben Glück im Unglück. Sie gehören zu einer Armee von Arbeitern und Angestellten, die in den westlichen Industriestaaten in diesen Jahren in Rente oder Vorruhestand gehen, doch sie gehen gut versorgt. Erwirtschaftet wird ihre Altersversorgung auf den Finanzmärkten. Und dort müssen sich die Pensionskassen, Fondsgesellschaften, Vermögensverwalter und Lebensversicherer immer mehr ins Zeug legen.

Die Verwalter der Investmentfonds werden auch in Kontinentaleuropa immer aktiver. Sie fordern auf Hauptversammlungen Shareholder- Value ein und machen sich zum Fürsprecher von Millionen Kleinanlegern. Sie haben dazu beigetragen, dass es in Deutschland einen Corporate-Governance-Kodex gibt, der Aktiengesellschaften zu Transparenz verpflichtet und den Aktionären mehr Mitsprache sichert.

Mit ihren großen Aktienpaketen verbünden sie sich von Fall zu Fall mit aggressiven Anlegern wie Hedge-Fonds und so genannten Shareholder-Aktivisten. Wenn die aggressiven Anleger, oft mit kleinen Minderheitsbeteiligungen, öffentlich Vorstände attackieren, deren Ablösung oder eine ganz neue Strategie fordern, dann stimmen viele traditionelle Großanleger auf Hauptversammlungen mit ihnen.

So war es bei der Deutschen Börse, der eine Gruppe von Hedge-Fonds mit Hilfe traditioneller Aktienfonds die Übernahme der Londoner Börse austrieb, so war es bei dem niederländischen Fachinformationskonzern VNU, der vom Käufer zum Kaufobjekt wurde. Solche Kämpfe enden meistens damit, dass viel Geld aus dem Unternehmen an die Aktionäre fließt. Den Fonds hilft das, die Renditen zu steigern und im Kampf um die Milliarden der Anleger zu punkten.

Pensionsfonds sind hingegen die stillen Größen in den Kulissen der Kapitalmärkte. Sie haben ungeheure Summen anzulegen. Allein die 300 größten Pensionsfonds der Welt haben an die zehn Billionen Dollar in ihren Kassen. Schon mit geringfügigen Verschiebungen in ihren Anlageentscheidungen erschüttern sie die Börse und verhelfen neuen Anlageformen zum Durchbruch. Wenn zum Beispiel, wie jüngst geschehen, die größte britische Pensionskasse Hermes, Verwalter der Alterssicherung der Angestellten von BT, den Anteil alternativer Anlageformen in ihrem Portefeuille von sieben auf 15 Prozent erhöht, dann horchen die Märkte auf.

Von diesem weltweit sichtbaren Trend zu alternativen Anlageformen profitieren vor allem die relativ jungen Anlageklassen Hedge-Fonds und Private Equity. Pensionsfonds sind heute die größten Geldgeber der europäischen Private-Equity-Fonds: Sie vervierfachten 2005 ihre Zusagen auf 17 Milliarden Euro. In Hedge-Fonds wird nach einer Schätzung der Beratungsfirma Mercer bis Jahresende jede achte britische und fast jede fünfte kontinentaleuropäische Pensionskasse investiert haben. Hedge-Fonds und Private-Equity-Fonds sind dank dieser Zuflüsse innerhalb weniger Jahre zu mächtigen neuen Spielern an den internationalen Kapitalmärkten geworden.

Mit geschätzten 1,5 Billionen Dollar können die Hedge-Fonds spekulieren; Private-Equity-Fonds haben seit Anfang 2003 laut Thomson Financial mehr als 700 Milliarden Dollar eingesammelt. Doch das zeigt nur einen Bruchteil ihrer Macht: Sie hebeln ihr Kapital, indem sie bei Übernahmen oder Aktienkäufen ein Vielfaches des eigenen Einsatzes an Fremdkapital aufnehmen. Die Kredite dafür drängen ihnen Banken derzeit geradezu auf. Das können sie tun, weil sie selber eine enorme Nachfrage nach Anleihen und Kreditderivaten zu befriedigen haben - unter anderem wiederum von Hedge-Fonds.

Der Aufstieg von Hedge-Fonds und Private-Equity-Firmen ist also kein Zufall, er beruht unmittelbar auf Anlageentscheidungen an sich erzkonservativer Organisationen wie Pensionskassen und Versicherungsfirmen. Sie wollen höhere Renditen als an der Börse und zugleich einen Ausgleich zu deren Schwankungen. Das hat bisher oft funktioniert, wird es aber nicht ewig. Denn je mehr Kapital in diese alternativen Anlagen fließt, desto schwerer werden es die Fonds haben, ihre Renditeversprechen einzuhalten.

Dieses Risiko nehmen die Investoren in Kauf. Es bleibt ihnen keine Wahl: Die herkömmlichen Renditen reichen nicht, um die wachsenden Ansprüche an die Altersvorsorge zu befriedigen. Die demographische Entwicklung in den westlichen Industriestaaten setzt die stillen Verwalter der Renten-Billionen unter Druck. Die Zahl der Leistungsempfänger steigt, und die Rentner leben länger. Gleichzeitig sinkt die Zahl der Einzahler. Immer mehr von Unternehmen gegründete Pensionsfonds schließen daher ihre Kassen für neue Mitglieder. Sie kämpfen nur noch darum, ihre Verpflichtungen zu erfüllen. Selbst das gelingt ihnen kaum, ohne dass die Firmen Geld zuschießen - das ihnen dann für Investitionen fehlt.

Was bedeutet all das für die Unternehmen? Die Kapitalmärkte setzen ihnen immer ehrgeizigere Renditeziele. Nur selten sind sie Gegenstand öffentlicher Diskussion wie bei der Deutschen Bank, die sich bei der Vorgabe von 25 Prozent Eigenkapitalrendite vor Steuern auf internationale Rentabilitätsvergleiche beruft. Die Renditeziele sind nicht mehr länger nur interne Zielmarken. Geschäftsbereiche, die sie regelmäßig verfehlen, stehen immer schneller zur Disposition. So trennte sich Siemens von der Handy-Tochter, und RWE stellte die Wassersparte zum Verkauf. Doch wo ist die Rendite-Obergrenze erreicht, wann kann ein Unternehmen mit der erreichten Marge zufrieden sein, wann darf es aufhören, die Kosten zu drücken? Es gibt keine Naturgesetze, die bestimmen, ob eine Rendite von 15, 20 oder 25 Prozent die richtige ist. Es ist der Wettbewerb um die Gunst der Investoren, der diese Aufwärtsspirale treibt.

Wer dauerhaft weniger Rendite als die Konkurrenten einfährt, wird an der Börse niedriger bewertet und läuft Gefahr, zum Übernahmeziel zu werden. Wer Top-Renditen einfährt, wird sich eher als Käufer betätigen können. Also geht der Wettlauf um immer höhere Renditen weiter. Unternehmen, die in die Hand von Private-Equity-Fonds geraten, müssen ihre Renditen schon deshalb hochtreiben, um die höheren Zinslasten zu finanzieren.

Gleichzeitig drängen Investoren die Unternehmen, erwirtschaftetes Geld nicht zu investieren, sondern lieber so viel wie irgend möglich direkt an sie auszuschütten. Sie kritisieren sogar Unternehmen, die sie für zu gering verschuldet halten, und fordern sie auf, Fremdkapital aufzunehmen, um mehr an die Aktionäre abführen zu können. Das führt zu Absurditäten wie bei Vodafone. Der mit hohem Cash-Flow gesegnete Konzern legte Aktionären Ziele vor, wie er die Verschuldung von Jahr zu Jahr erhöhen will - ohne operative Begründung.

Zugleich schüttete er im Jahr darauf zweistellige Milliarden-Einnahmen aus von Anlegern erzwungenen Beteiligungsverkäufen an selbige aus. Wer heute noch Reserven für schlechte Zeiten anlegt oder Schulden nur aufnimmt, wenn es sein muss, ist aus Sicht der institutionellen Anleger ein hoffnungslos altmodischer Wertvernichter.

Die volkswirtschaftliche Folge dieses Wettlaufs ist, dass viele Aktiengesellschaften heute Investitionen regelrecht gegen ihre Aktionäre durchsetzen müssen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Rohstoffbranche, der die rasche Industrialisierung Asiens einen riesigen Boom beschert hat. Die Konzerne fahren Rekordgewinne ein und investieren auch Rekordsummen. Doch vielen institutionellen Anlegern sind die Investitionen zu hoch. Sie fordern die Vorstände auf, das verdiente Geld lieber auszuschütten.

Der Druck auf hohe Renditen bremst so nicht nur volkswirtschaftlich notwendige Investitionen und lähmt unternehmerisches Denken, er zwingt Unternehmen auch, alle Geschäftsfelder permanent in Frage zu stellen. Wenn man nicht Nummer eins oder zwei in einem Markt sei, postulierte der viel bewunderte Jack Welch, gelte: "Fix it, close it, or sell it." Weltweit beten Manager das Motto des Ex-Chefs von GE nach.

Aus dieser Logik heraus wird der Vorstand einer Aktiengesellschaft zum Portfolio-Manager, er schlüpft in die Rolle eines Finanzinvestors mit einem Kranz jederzeit veräußerbarer Beteiligungen, den er für die Geldgeber verwaltet. Er wird auch eher Wachstum durch Übernahmen anstreben als durch unternehmerische Investitionen in neue Geschäftsfelder. Ein Unternehmen, das regelmäßig an seiner Effizienz arbeitet, wird auch regelmäßig Menschen wie Bob und Heinz wie unnötigen Ballast abwerfen.

Der Teufelskreis schließt sich hier: Am Ende haben sich Bob und Heinz im Grunde selber wegrationalisiert, indem sie hohe Renditen von Kapitalverwaltern verlangt haben und diese den Druck an Unternehmen weitergegeben haben. Mit anderen Worten: Die Renditeforderungen sind keine turbokapitalistische Erfindung "der Finanzmärkte", sie sind aus wirtschaftlichen Zusammenhängen heraus erklärbar. Diese Zusammenhänge übersehen wir aber, so wie wir uns über billige Fernsehgeräte aus Fernost freuen und den Tod der heimischen Hersteller beklagen.

In den angelsächsischen Ländern ist der Mechanismus des Teufelskreises schon länger zu besichtigen, für Deutschland ist er noch neu. Die klare Renditeorientierung und der Trend zur Konzentration auf das Kerngeschäft, die Idee des Shareholder-Values, haben sich hier erst in jüngerer Zeit endgültig durchgesetzt. Sie haben die Unternehmenslandschaft durchaus positiv verändert: Die Vorstandschefs werden besser kontrolliert, die Unternehmen sind fitter aus der jüngsten Flaute gekommen. Sie haben den Renditerückstand auf angelsächsische Konkurrenten verkürzt, ihre Börsenbewertungen gesteigert und können sich daher jetzt oft als Konsolidierer ihrer Branchen betätigen. Sind sie damit am Ziel? Nein. Der von der Demographie getriebene Renditedruck wird nicht nachlassen, weil sich die demographische Schieflage in den Industriestaaten nicht so bald bessern wird.

Kann es uns gelingen, diesen Teufelskreis zu durchbrechen? Ein erster Schritt wäre die Einsicht, dass die Forderungen der Finanzmärkte debattierbar sind. Deutsche Manager haben gelernt, mehr auf die institutionellen Anleger zu hören, das heißt aber nicht, dass sie sich ihre Strategie diktieren lassen sollten. Wir brauchen eine breite Definition von Nachhaltigkeit. Es geht nicht nur darum, die Umwelt zu schützen, sondern auch darum, die wirtschaftlichen Grundlagen für künftiges Wachstum zu sichern. Wenn wir uns aber kollektiv aus jeder wirtschaftlichen Tätigkeit verabschieden, die nicht eine bestimmte Mindestrendite erbringt, dann geben wir den globalen Wettbewerb kampflos auf.

Was wir brauchen, sind Vorstände und Aufsichtsräte, die Unternehmen so rüsten, dass sie auf den Weltmärkten bestehen können und aus dieser Position der Stärke heraus langfristige Strategien gegen kurzfristige Gewinnoptimierung durchsetzen. Auf der anderen Seite müssen auch institutionelle Investoren eine nachhaltige Investitionsstrategie verfolgen, statt aggressive Opportunisten mit Kapital auszustatten und die Hände in Unschuld zu waschen.

Heilmann, Dirk

phlipster - Donnerstag, 14. Dezember 2006 - 22:05
Klaus' Meinung

- Interview „Eine Hausse stirbt nie in der Normalität“

Kaldemorgen: "Die Vereinigten Staaten sind nicht mehr der Nabel der Welt"
12. Dezember 2006

Klaus Kaldemorgen, Chef der Fondsgesellschaft DWS, im F.A.Z.-Interview über die Fortsetzung der Aktienrally, seine Begeisterung über China und die Rückkehr der Technologiewerte.


Hat das Aktienjahr 2006 Ihre kühnsten Erwartungen übertroffen?


Was die Wertentwicklung betrifft, sicherlich. Es war ein außerordentlich gutes Jahr, und wir sind noch nicht fertig. Bis Ende des Jahres sehen wir sicher noch mehr Kursgewinne. Das Interesse der Anleger blieb allerdings hinter unseren Erwartungen zurück. Eigentlich hätte man schon davon ausgehen sollen, daß sich bei solchen Kurssteigerungen wieder mehr Anleger am Aktienmarkt engagieren.


Wie erklären Sie sich denn die Zurückhaltung der Privatanleger?



Kaldemorgen in seinem Büro
In ihren Köpfen spuken wohl immer noch die Jahre 2000 bis 2002 herum. Schwankungen machen sie nervös, obwohl sich diese in den letzten Jahren deutlich verringert haben. Sicher, es gab auch im Mai dieses Jahres wieder Schreckmomente. In den vier Monaten davor hatte man Kursgewinne von fast 10 Prozent aufgebaut, die dann innerhalb von vier Wochen wieder wegschmolzen. Immer mehr Anleger nähern sich deshalb dem Aktienmarkt über strukturierte Produkte, die mehr Sicherheit versprechen.


Glauben Sie denn, daß den vier guten Aktienjahren noch ein fünftes folgen wird?


Ja, das glaube ich. Man muß sich schon fragen, wer denn eigentlich die Aktienkurse getrieben hat, wenn die privaten Anleger nicht dabei sind. Wir erleben ein völlig neues Phänomen. Es sind professionelle Anleger, Private-Equity-Firmen und die Unternehmen selber, die investieren, entweder in ihre eigenen Aktien oder in Übernahmen. Hinzu kommen jetzt die neuen reichen Nationen dieser Welt als Aktienkäufer. In der Vergangenheit investierten sie ihre Devisenreserven vornehmlich in Anleihen. Mittlerweile treten Unternehmen aus diesen Ländern, sei es Brasilien, Rußland, Indien oder China, direkt am Aktienmarkt auf. Sie kaufen die besten Unternehmen in Europa und Amerika. Das wird uns noch viele Jahre beschäftigen.



DWS Vermögensbildungsfonds I
Also speist sich Ihr Optimismus vor allem aus dem Reichtum und den Liquiditätsüberschüssen der neuen Industrienationen?


Mein Optimismus steht auf drei Füßen: Einmal auf einer sehr ordentlichen Wirtschaftsentwicklung, die ins nächste Jahr hineinreichen sollte, obwohl darin vielleicht die größte Unsicherheit zu sehen ist. Zweitens darauf, daß die Bewertungen an den Aktienmärkten immer noch günstig sind. Und drittens darauf, daß wir in der Tat weltweit eine außerordentlich hohe Liquidität haben. Man kann vielleicht noch einen vierten Punkt hinzufügen. Wir haben auch, und das hatten wir in der Vergangenheit nicht, einen außerordentlich großen Abstand zwischen der Profitabilität der Unternehmen, also ihrer Rendite auf das eingesetzte Eigenkapital, und der Verzinsung des Fremdkapitals. Fremdkapital bekommen Sie zu 4 Prozent, Eigenkapital rentiert mit 25 Prozent. Das sind 21 Prozent Differenz. Die Profis in den Private-Equity-Firmen nutzen das natürlich aus. Der längste Aktienboom war übrigens von 1982 bis 1990. Statistisch gesehen, sind somit vier Jahre in Folge mit steigenden Kursen nicht unbedingt außergewöhnlich.


Sie erwähnen aber selbst die Konjunkturrisiken. Noch wetten die Märkte auf eine sanfte Landung in Amerika. Allerdings ging fast jeder Rezession in der Vergangenheit die Hoffnung auf eine sanfte Landung voraus.


Jim O'Neill, der Chefstratege von Goldman Sachs, hat die Sache unlängst auf den Punkt gebracht. „We have a happy slowdown.“ Wir können es uns zum ersten Mal seit vielen Jahren leisten, daß sich die amerikanische Wirtschaft abschwächt und dies gut und nicht schlecht für den Rest der Welt ist. Die Weltwirtschaft wird auch im nächsten Jahr mit gut 4 Prozent überdurchschnittlich wachsen.


Es wäre das erste Mal, daß die Welt nicht von Amerika angesteckt wird.


Das predige ich schon seit Jahren. Der Nabel der Welt sind, wirtschaftlich gesehen, nicht mehr die Vereinigten Staaten. Der Nabel der Welt hat sich nach China, Indien und Südostasien verlagert. Amerika hingegen ist eine reife Volkswirtschaft und wird vermutlich in der Zukunft nicht mehr die Wachstumslokomotive der Weltwirtschaft sein.


Das mag stimmen. Aber die Abhängigkeit der Finanzmärkte von der Politik der amerikanischen Notenbank ist immer noch gegeben.


In der Frage der Zinsen bin ich aber Optimist. Die amerikanische Zinspause dürfte sich im nächsten Jahr fortsetzen. Es besteht sogar die Chance, daß die amerikanischen Leitzinsen wieder anfangen zu sinken.


Was sind denn Ihre favorisierten Anlageregionen? Sind die sogenannten Bric-Länder, also Brasilien, Rußland, Indien und China, noch vielversprechend?


Das Bric-Thema ist nach wie vor aktuell, und ich glaube, man sollte auch weiterhin in diese Länder investieren. Im Augenblick sehen wir vor allem in China enorme Mittelzuflüsse. Wahrscheinlich passiert in China derzeit das, was wir in Japan in den achtziger Jahren gesehen haben. Die Investoren sehen das weit überdurchschnittliche Wachstum Chinas und pumpen deshalb frohgemut Mittel in den dortigen Aktienmarkt. Irgendwann mag das in einer Spekulationsblase enden. Nur die vermag ich im Augenblick noch nicht zu sehen. Auch im nächsten Jahr werden wir in China und vielen anderen aufstrebenden Märkten steigende Kurse sehen. Die Wachstumszentren der Welt sind nun einmal die Emerging Markets.


Das schlägt sich aber noch nicht in der Struktur Ihres DWS Vermögensbildungsfonds I nieder. Dort ist zum Beispiel Amerika noch mit 32 Prozent gewichtet, Deutschland mit 12 Prozent, China aber nur mit 2,5 Prozent.


Emerging Markets werden zumindest subjektiv als riskanter wahrgenommen, was aber, wenn man sich die Zahlen dieses Jahr anschaut, eigentlich gar nicht mehr stimmt. Japan beispielsweise ist mittlerweile riskanter als China geworden, wenn man es an der Volatilität mißt. Insofern haben wir in der Tat Nachholbedarf.


In welchen regionalen Märkten sehen Sie denn schon heute Übertreibungen?


Indien ist mittlerweile, gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis, einer der teuersten Emerging Markets geworden. Allerdings basiert die Wirtschaft stark auf technologischen Produkten wie Software, die anderswo noch viel teurer gehandelt werden. Indien hat zudem sehr stabile politische und wirtschaftliche Strukturen und eine akzeptable Corporate Governance, was eine Bewertungsprämie durchaus rechtfertigt. Indien gehört denn auch in ein diversifiziertes Emerging-Markets-Portfolio hinein.


Und wie sieht es mit Rußland aus?


In Rußland habe ich Probleme mit den Corporate-Governance-Strukturen und der Handhabung der Eigentumsrechte. Wir beobachten zum Beispiel sehr sorgfältig das Sachalin-Projekt von Royal Dutch Shell, wo offenbar mit nicht ganz nachvollziehbaren Argumenten starker Druck ausgeübt wird, Eigentumsrechte an ein russisches Unternehmen zu übertragen. Das muß man kritisch beobachten. Deshalb sollte jedes Investment in Rußland eine entsprechende Risikoprämie haben.


Hängt denn die Wertentwicklung eines Depots mehr von der regionalen Streuung als von der Aufteilung nach Branchen ab?


Ich habe meinen Teamkollegen seit den neunziger Jahren immer wieder gesagt, daß wir uns von den regionalen Strukturen lösen und stärker auf Sektoren setzen müssen. Das ging in diesem Jahr nicht auf. 2006 sind Anleger mit einer regionalen Fokussierung eindeutig besser gefahren. Ich glaube, man muß beide Seiten analysieren. Und dort, wo man klare Trends sieht und klare Argumente hat, sollte man denen folgen.


Ihre Depotumschichtungen in jüngerer Zeit signalisieren, daß die Informationstechnologie, in diesem Jahr die Branche mit der schlechtesten Kursentwicklung, jetzt zu Ihren Favoriten zählt.


Ja, ich glaube, daß sich das etwas korrigieren wird. Die Bewertungen im IT-Sektor haben sich deutlich reduziert. Und wir sehen ein steigendes Investitionsvolumen. Das veränderte Kommunikationsverhalten zwischen Konsumenten - denken Sie nur an das Phänomen Youtube - erfordert weit mehr Netzkapazitäten. Dem müssen die Unternehmen Rechnung tragen, indem sie die Breitbandigkeit der Netze ausbauen. Microsoft bringt zudem im nächsten Jahr mit dem neuen Betriebssystem Vista ein Programm auf den Markt, das - darauf können Sie wetten - Speicherplatz ohne Ende benötigen wird. Und ich glaube, das ist nicht ganz zufällig. Es gibt da schon eine Allianz in der Industrie, die sich gegenseitig die Bälle zuspielt.


Welche IT-Werte haben Sie denn gekauft?


Das komplette Programm, vor allem in der Netzwerktechnologie. Cisco Systems, Broadcom und Ericsson haben wir im Portfolio, aber auch SAP, Microsoft, Symantec, Intel oder Samsung Electronics.


Und die Deutsche Telekom?


Interessant ist die Aktie schon. Die Marktkapitalisierung der Telekom beträgt 60 Milliarden Euro. Allein das Amerika-Geschäft dürfte schon halb soviel wert sein. Und es gibt noch ein beträchtliches Immobilienvermögen. Auch ohne eine knallharte Sanierung ließen sich da werttreibende Maßnahmen auf den Weg bringen. Ansonsten ist die Dividendenrendite mit gut 5 Prozent attraktiv. Für Anleger, die auf laufendes Einkommen viel Wert legen, gibt es schlechtere Investments. Das Kursrisiko nach unten ist mittlerweile klein geworden, während durchaus Potential nach oben da ist.


Aus einer anderen dividendenstarken Branche, den Ölwerten, haben Sie sich etwas zurückgezogen.


Wir haben das sicher auch unter dem Eindruck des sinkenden Ölpreises getan, der vermutlich mit 80 Dollar erst mal auf Sicht von 12 Monaten sein Hoch gesehen hat. Wir sehen zudem eine unheilvolle Kombination aus sinkender Produktion und steigenden Investitionen. Wenn die Ölreserven sinken, die Produktion sinkt und die Investitionen steigen, kaufe ich mir lieber Ölservice-Unternehmen wie Schlumberger, weil die wenigstens von steigenden Investitionen profitieren. In Europa war mit Ölwerten wenig zu verdienen. BP, Royal Dutch Shell und Total sind, verglichen mit amerikanischen und kanadischen Produzenten, schlecht gelaufen. Kanadische Energiewerte haben noch Potential. Kanada hat ein sehr liberales Regime, steigende Ölpreise führen dort auch zu steigenden Gewinnen. Zudem gibt es dort wirklich interessante Vorkommen. Denken Sie nur an die Ölsande.


Insgesamt scheint aus der Investmentstory Rohstoffe aber erst einmal die Luft heraus zu sein, oder?


China und andere Schwellenländer werden weiterhin in steigendem Maße Rohstoffe nachfragen. Dem steht allerdings die Konjunkturschwäche in Amerika gegenüber. Zudem glaube ich, daß Finanzinvestoren wie Hedge-Fonds, die zuletzt sehr stark zur Nachfrage beigetragen haben, in Zukunft etwas vorsichtiger mit dem Thema umgehen und nicht noch Öl ins Feuer gießen werden. Man kann das sehr schön an der Preisdifferenz zwischen dem Kassa- und dem Terminmarkt für Rohöl sehen. Dieser Spread ist keine Einladung mehr an Finanzinvestoren. Es macht keinen Spaß, Öl teuer in der Zukunft zu kaufen und dann billig in der Gegenwart zu verkaufen. Insofern wird die Rohstoffstory über das nächste Jahr etwas nüchterner betrachtet werden. Ich sehe keine Baisse, aber ich sehe auch nicht, daß dieses Thema so heiß ist, wie das noch in diesem Jahr der Fall war.


Was trauen Sie denn dem Dax im nächsten Jahr zu?


Die Unternehmen könnten durchaus ein Gewinnwachstum von 10 Prozent schaffen, wenn die Konjunktur mitspielt. Da wir bewertungstechnisch am unteren Ende sind, müßte der Aktienmarkt auf jeden Fall diesen Gewinnsprung von 10 Prozent nachvollziehen. Je nachdem, wieviel Zinsphantasie aufkommt, könnten noch einmal 5 Prozent aus einer Höherbewertung der Aktien hinzukommen. Unter dem Strich sind also durchaus bis zu 15 Prozent Wertzuwachs drin.


Das käme einem Dax von deutlich über 7.000 Punkten gleich.


Das ist durchaus denkbar und noch nicht mal eine Extremposition. Börsen-Haussen, und wir haben jetzt eine Hausse, sterben nie in der Normalität, sondern in der Euphorie. Und Euphorie haben wir noch nicht. Die Phantasien sind nicht ins Kraut geschossen. Wir haben vielmehr im Mai gesehen, daß die Investoren nervös sind. Nächstes Jahr wird es auch keine Einbahnstraße geben, sondern es mag durchaus sein, daß es gerade am Anfang des Jahres zu erheblichen Irritationen durch die Mehrwertsteuererhöhung kommt. Im Januar wird es nicht viel Nachfrage geben. Die Auguren werden dann ein Feld der Unsicherheit vor sich finden und den geneigten Endverbraucher mit allen möglichen Spekulationen überziehen. Insofern glaube ich, daß die ersten zwei Monate im nächsten Jahr nichts für schwache Nerven sein werden. Aber über das ganze Jahr gesehen, halte ich diese 10 bis 15 Prozent für eine seriöse Schätzung.

Deutschlands bekanntester Fondsmanager

Menschen seines Kalibers findet man in der Fondsbranche wenige: Klaus Kaldemorgen ist der Erfolg nicht zu Kopf gestiegen. Die Bescheidenheit des bekanntesten deutschen Fondsmanagers ist auch nicht aufgesetzt. Der 53jährige Aktienspezialist eignet sich denn auch bestens als Aushängeschild der größten deutschen Fondsgesellschaft, der zum Deutsche-Bank-Konzern gehörenden DWS, Verwalter von 250 Milliarden Euro. Seit dem 1. Dezember ist Kaldemorgen Sprecher der Geschäftsführung.

Dem Fondsmanagement wird Kaldemorgen freilich erhalten bleiben. Dazu zählt auch die direkte Betreuung des 6,7 Milliarden Euro schweren Flaggschiffs DWS Vermögensbildungsfonds I, dessen Wert sich in den vergangenen zehn Jahren vervierfacht hat. Im laufenden Jahr hat der Fonds (per Ende November) die Benchmark MSCI World wieder einmal hinter sich gelassen. Die 10 größten Posten in dem Fonds sind Deutsche Post, ABN Amro, Schlumberger, Medronic, SAP, Symantec, Samsung Electronics, Cisco Systems, Microsoft und Barclays.


Das Gespräch führte Folker Dries.

Text: F.A.Z.

phlipster - Montag, 18. Dezember 2006 - 19:32
Finanzmärkte

An den Märkten dominiert der Optimismus


Wie wird das Jahr 2007?
18. Dezember 2006
Nach Ansicht der Aktienanleger ist der Zeitpunkt so günstig wie nie zuvor, doch Anleihenkenner sind vom Gegenteil überzeugt. Die Berichte über die gleichzeitige Rally zweier Märkte stellen uns vor zwei widersprüchliche Szenarien: Wird es zu einer Rezession kommen, wie man aufgrund der jüngsten Erholung auf dem Anleihenmarkt vermuten möchte? Oder steht der Wirtschaft eine seltene weiche Landung bevor, bei der sich Gewinn- und Wirtschaftswachstum lediglich auf ein tragfähigeres Niveau abschwächen, wie es der Aktienmarkt signalisiert?


Seit langem befinden sich amerikanische Unternehmen auf der Überholspur. Unternehmen des S&P-500 fahren im vierten Quartal womöglich zum 19. Mal in Folge zweistellige Gewinne ein. Gemessen am prozentualen Anteil des Bruttoinlandsprodukts erreichen diese Gewinne den höchsten Wert seit vierzig Jahren. Darüber hinaus weisen die S&P-500-Unternehmen den höchsten Cashflow seit zwei Jahrzehnten auf. Optimistische Anleger, die eine Fortsetzung dieses Trends im Jahr 2007 erwarten, haben die Aktien in die Höhe getrieben: Der S&P-500 legte bis zum 8. Dezember 2006 um 12,9 Prozent zu, der NASDAQ Composite kletterte um 10,5 Prozent nach oben und der Dow Jones Industrial Index schloß bei 14,8 Prozent. Mittlerweile ist die Volatilität auf dem Aktienmarkt auf ein 12-Jahrestief gesunken, was darauf schließen läßt, daß der Optimismus bei den Anlegern historische Ausmaße erreicht hat.


Warnsignale mehren sich


Doch die Warnsignale mehren sich. Der Einbruch im Häusermarkt könnte sich verschärfen und die Verbraucherausgaben mit nach unten ziehen. Mitte Dezember schlug ein maßgeblicher Industrieindikator nach unten aus und warnte somit vor einer möglichen Rezession. Außerdem wirft die Krise im Irak Fragen hinsichtlich der Ölvorräte und der geopolitischen Stabilität auf. „Man wird wohl mit einer relativ großen Menge an Problemen rechnen müssen, und jedes einzelne davon könnte die Situation aus dem Ruder laufen lassen“, meint Timothy L. Swanson, der als Chef-Investment-Officer im Privatkundensektor bei der in Cleveland ansässigen Bankgesellschaft National City Corp für Anlagen in Höhe von 30 Milliarden Dollar zuständig ist.


Dies ist nicht das erste Mal, daß Aktien- und Anleihenmärkte widersprüchliche Signale senden. Die in Westport (Connecticut) ansässige Analyse- und Vermögensverwaltungsgesellschaft Birinyi Associates Inc. fand seit 1982 16 derartige Fälle. In 100 Prozent der Fälle, in denen sowohl Aktien als auch Anleihen ein 52-Wochenhoch erreichten, kletterten die Aktien sechs Monate später mit einem durchschnittlichen Zuwachs von 8 Prozent nach oben. Lediglich 75 Prozent der Anleihen konnten in diesem Zeitraum Gewinne verzeichnen, die sich im Schnitt auf 4,1 Prozent beliefen.


Die Geschichte muß sich nicht zwangsläufig wiederholen. Die gegenwärtige Rally bei den Anleihen- und Aktienmärkten „spiegelt die Komplexität der heutigen Finanzwelt wider, und darin liegt leider das Problem, vor dem die Anleger stehen“, meint Laszlo Birinyi Junior, President von Birinyi. „Die statistischen Grundlagen für viele dieser neuen Fragen sind oft begrenzt.“


Zum Beispiel gibt es keinen Präzedenzfall für den heutigen Anleihenmarkt. Wenn langfristige Staatsanleihen niedrigere Renditen erzielen als kurzfristige Schatzwechsel, wie das gegenwärtig der Fall ist, deutet dies für gewöhnlich auf eine Rezession hin. Doch einige Anleihenbeobachter sind der Ansicht, daß die jüngsten Käufe vor allem auf China, Japan und andere Länder zurückgehen, die dringend nach Anlagemöglichkeiten für ihre aus dem Handel mit den Vereinigten Staaten erwirtschafteten Dollars suchen. Ausländer, so heißt es, neigen dazu, ihre Anlagen ohne Berücksichtigung der Konjunkturaussichten auf alle Anleihelaufzeiten zu verteilen. „Ihnen sind unsere wirtschaftlichen Gegebenheiten relativ gleichgültig, da sie keine Ausweichmöglichkeiten haben“, sagt James Swanson, Chef-Investment-Stratege bei MFS Investment Management in Boston und Verwalter des MFS Diversified Income Fund im Wert von 150 Millionen Dollar. „Ich glaube nicht, daß sich das ändern wird. Eine zu hohe Liquidität sorgt derzeit für niedrige Renditen.“


Die meisten Börsenbeobachter stützen sich auf das sogenannte Liquiditätsargument. Werfen Sie einen kurzen Blick auf unsere Fearless Forecaster-Umfrage und sie werden sehen, daß Optimismus vorherrscht. Trotz der vielen Risiken sind die positiven Vorzeichen zu zahlreich, um ignoriert zu werden. Die diesjährigen Cashflow-Rekorde wird man 2007 in Betriebsabläufe investieren oder zur Finanzierung aktionärsfreundlicher Aktivitäten wie Aktienrückkäufe und Dividendensteigerungen verwenden. Von letzteren beiden wird erwartet, daß sie mit den vergangenen Jahren mithalten können. Die Fusionsbegeisterung wird die Aktien auch weiterhin stützen. Noch immer liegen die Bewertungen nicht einmal annähernd im Bereich der Blase der späten 90er Jahre. Und da die Zinssätze im Vergleich zu früheren Werten noch immer recht niedrig sind, scheinen Aktien der absolute Renner zu sein.


Risiko und Ertrag stehen vielfach in keinem günstigen Verhältnis zueinander


Das nachlassende Wirtschaftswachstum sollte indes als gutes Omen für Investitionen in amerikanische Titel gewertet werden. In den vergangenen Jahren stürzten sich die Anleger auf alles, angefangen bei Gold bis hin zu Schwellenländer-Aktien. „Wir glauben, daß sich dies nun ändert“, meint Gary Thayer, Chefvolkswirt bei A.G. Edwards & Sons. „Die Anleger stehen den amerikanischen Kapitalanlagen jetzt viel positiver gegenüber, ob es sich dabei nun um Aktien oder Anleihen handelt.“ Marc D. Stern, Chef-Investment-Officer des Bessemer Trust in New York, der 46 Milliarden Dollar verwaltet, fügt hinzu: „Bei uns wird darüber diskutiert, daß Risiko und Preis in keinem Verhältnis zueinander stehen. Die Leute stecken ihr Geld in Länder, die sie niemals bereisen würden.“ Stern geht davon aus, daß Anleger im Jahr 2007 von Hochzinsanleihen sowie einigen Schwellenländer-Aktien Abstand nehmen und sich den relativ hochwertigen amerikanischen Emissionen zuwenden werden.


Welche Aktien sollte man nun kaufen? George F. Foley, Portfoliomanager der Large Cap Value- und Core Value-Fonds bei Glenmede, setzt auf Rohstoffunternehmen, insbesondere auf bekannte Namen wie Alcoa, Alcan und Phelps Dodge, die seiner Ansicht nach von Effizienzsteigerungen profitieren können. Richard Bernstein, Chef-Investmentstratege bei Merrill Lynch & Co., favorisiert erstklassige Technologieunternehmen, Discount-Einzelhändler, internationale Rüstungsunternehmen and Multiline-Versicherungen. Außerdem empfiehlt er Industrie- und Telekommunikationsaktien, da mit einer aufkeimenden globalen Infrastruktur eine erhöhte Nachfrage nach Rohstoffen und Know-how besteht.


Technologie scheint mit Blick auf 2007 in aller Munde zu sein. John B. Cunningham, Chef-Investment-Officer bei J. & W. Seligman & Co. in New York, setzt auf Hardwarespezialisten wie Computer-, Festplatten und Speicherhersteller, da die Verbrauchernachfrage verstärkt auf Elektronikprodukte gerichtet ist und sich die Investitionsausgaben der Unternehmen weiterhin auf hohem Niveau befinden. „Die Fundamentaldaten sind nach wie vor solide“, sagt er. „Unserer Meinung nach kann der Technologiesektor eine bessere Wertentwicklung als der breitere Markt erzielen.“ Darüber hinaus empfiehlt er Telekommunikationsausrüster, da regionale Telekommunikationsbetreiber ihre Systeme ausweiten, um mit Kabelanbietern konkurrieren zu können.


Gewinner und Verlierer


Edward Yardeni, Chef-Investmentstratege bei Oak Associates rät, den Finanzsektor nicht außer Acht zu lassen. Seiner Ansicht nach bieten die Aktien von Investmentbanken und Vermögensverwaltern gute Möglichkeiten im Hinblick auf den Fusionswahn und die sich zunehmend aus dem Arbeitsleben zurückziehende Babyboom-Generation. Obwohl der Energiesektor bereits in den vergangenen drei Jahren mit die besten Ergebnisse im S&P erzielte, hat er noch einiges mehr an Potential zu bieten, so Yardeni. Es steckt noch immer Schwung in den Bohr-, Ausrüstungs- und Dienstleistungsunternehmen. „Man muß sich nur umschauen“, meint Yardeni. „Derzeit geben die Leute das Geld mit vollen Händen aus.“


International orientierte Anleger sollten mit einem nachlassenden Weltwirtschaftswachstum, nicht aber mit einem Wachstumseinbruch rechnen. Sie können auch künftig von guten Chancen ausgehen. Entwickelte Märkte erscheinen besonders günstig. Nach Aussage von MFS werden sie derzeit durchschnittlich mit dem 12,4fachen der für 2007 erwarteten Gewinne gehandelt. Im Vergleich beträgt der Schnitt der letzten zehn Jahre das 18,7fache. „Noch immer befinden sich Unmengen an Liquidität auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten, und in einer Reihe von Märkten sind die Bewertungen nach wie vor attraktiv“, pflichtet der in London ansässige Simon Davis bei, zweiter Chef-Investment-Officer bei Putnam Investments. Seiner Ansicht nach ist es trotz der zu hohen Bewertungen vieler in China ansässiger Unternehmen ratsam, den Blick auf die Zulieferer einer Volkswirtschaft zu richten, die auch künftig um 10 Prozent pro Jahr wachsen wird. Er setzt auf Bergbau und Bodenschätze in Australien und Unternehmen wie Zinifex, BHP Billiton sowie Rio Tinto, das sowohl in Melbourne als auch in London einen Hauptsitz hat.


Und die möglichen Verlierer? Marc D. Stern von Bessemer warnt Anleger vor Aktien, die mit dem Häusermarkt in Verbindung stehen, etwa im Bereich Hausbauunternehmen, Baufirmen sowie Bau- und Immobilienfinanzierung. Auch wenn der Gedanke an mögliche Schnäppchen unter ihnen verlockend scheint, so sagt er, „überzeichnen doch die in den vergangenen Jahren ausgewiesenen Gewinne das langfristige Gewinnpotential dieser Unternehmen.“ Die Gewinnmargen der kleinen regionalen Banken werden auch künftig durch die höheren kurzfristigen Zinssätze unter Druck geraten. Der Druck auf die Unternehmen, ihre freien Mittel für Aktienrückkäufe und Dividendenausschüttungen zu verwenden, anstatt damit Schulden abzuzahlen, verheißt ebenfalls nichts Gutes für erstklassige Industrieanleihen.


Das größte Risiko für Anleger ist die Unachtsamkeit. Laut Yardeni, der die Stärke des Aktienmarkts des Jahres 2006 vorhersagte, kann der S&P zur Jahresmitte die Marke von 1.600 Punkten erreichen, also einen 13prozentigen Zuwachs verzeichnen, der bei den Anlegern Ängste vor höheren Zinsen auslösen wird. Die darauffolgende Verkaufswelle werde wiederum neue Chancen entstehen lassen..

Englund ist Chefvolkswirt bei Action Economics.


Text: Business Week online

levdul1 - Freitag, 29. Dezember 2006 - 01:07
Ein sehr schönes Börsenjahr liegt hinter uns. Die Weihnachtsanalyse meines Depots hat mich zu dem Entschluß gebracht, in 2007 ein wenig konservativer zu investieren. Allerdings bin ich verhalten optimistisch und glaube sogar, dass wir bei gutem Wetter im Frühjahr DAX-Stände von 7000 und zum Jahresende von 8000 sehen könnten. Natürlich nur bei gutem Wetter !

Welche Störfeuer könnte es geben ? Meines Erachtens sind dies:

1. Politische Instabilitäten - nicht vorhersagbar !
2. Die weitere Zinsentwicklung (lohnt es sich auf eine Zinswende zu spekulieren ?
3. Der Dollarkurs.

Wie kann man sich gegen Schlechtwetterlagen absichern ?

Meine Ideen:

1. Investitionen in Rohstoffe zur Diversifizierung.
2. Puts auf Indizes - bei guter Großwetterlage
extrem rentidteschmälernd, bei schlechtem Wetter sollte vor allem in den BRIC-Staaten einiges zu holen sein.
3. Calls auf den Bund Future.
4. Puts auf den Dollar (Ich glaube irgendwie nicht an einen totalen Verfall des Dollars - reines Bauchgefühl, aber viele Engagements in Übersee und die Rohstoffinvestments wären so abgesichert).

Wenn jemand in diesem Board sich ähnliche Gedanken macht bezüglich der Gesamtsituation, wäre ich für Anregungen und Diskussionen dankbar.

chinaman - Freitag, 29. Dezember 2006 - 05:03
Hallo levdul1,


interessantes Thema. Für die Abteilung Störfeuer hätte ich zwei Ergänzungen:

4. Rezesssion in den USA (statt des allseits erwarteten Soft Landings)
5. Ein wieder steigender Ölpreis


Zur möglichen Absicherung:

Puts sind natürlich der sicherste Weg. Allerdings (wie Du schon postest ...) sollte man tunlichst nicht falsch liegen.

Natürlich plädiere ich auch für eine Diversifikation in den Rohstoffbereich. Allerdings beachten, dass insbesondere gut gelaufene Exploreraktien auch teilweise vor allem als riskante Aktien betrachtet werden. Will heissen, die werden von einer Verkaufswelle auf dem Aktienmarkt u.U. mit erfasst. Am sichersten fährt man da wohl mit einer Direktinvestition in Rohstoffe selber. Außerdem gilt es die Konjunkturabhängigkeit mancher Rohstoffe zu beachten.

Calls auf Renten (u.a. Bund Future) sind ein interesanter Gedanke, da muss ich mich noch einmal mit beschäftigen. Ebenfalls mit der Absicherung meiner Währungsposition. Allerdings kostet hier natürlich auch eine Schieflage viel Geld ...


Gruß
Chinaman

xenon - Montag, 1. Januar 2007 - 09:00
Ein anderes interessantes Absicherungsinstrument wäre ein Zertifikat auf den VDAX - allerdings kenne ich noch kein günstiges - der Zeitwertverlust ist teuer. Was nützt einem zu wissen, dass der VDAX in der Nähe seines Allzeittiefs nicht ewig sein wird, wenn man für das Warten auf die Trendumkehr monatlich 1000 Euro in den Sand setzt. Aber spätestens ab Mai sollten wir deutlich höhere Volatilitäten sehen.
Auch ein weiterer DAX-Anstieg mit steigendem VDAX wäre möglich. Kennt jemand ein sinnvolles Investpapier ?

levdul1 - Montag, 1. Januar 2007 - 23:34
chinaman: Ich spreche auch von einem Dirketinvestment in Rohstoffe. Ich habe seit der Korrektur im Sommer jeweils einen Call auf Silber und Gold, eine Kakao-Zertifikat und eine Basket-Zertifikat auf Agrarrohstoffe. Ich denke nun üeber einen Einstieg in Industriemetalle nach und ueber eine gehebeltes Investment in Oel.
Bei direkten Minenaktien bin ich nur in Uran investiert, da hier ein Direktinvestment nicht möglich ist.
Ansonsten fehlen mir bei den Minenaktien Daten und Erfahrung, obwohl die Performance (siehe auch dein Depot) natürlich verlockend ist.

Xenon: Die V-DAX-Geschichte ist natürlich genial, leider gibt es zur Zeit wohl kein Zertifikat, wo sich der Einstieg lohnt. Ich beziehe den Zertifikate-Newsletter des Handelblattes und auch dort wurde festgestellt, daß zur Zeit kein geeignetes Produkt im Markt ist.

chinaman - Dienstag, 2. Januar 2007 - 08:40
"Ich denke nun üeber einen Einstieg in Industriemetalle nach und ueber eine gehebeltes Investment in Oel. "


levdul1: Hmm, bei Industriemetallen würde ich doch stark differenzieren. Insbesondere bei Kupfer wäre ich aktuell vorsichtig. Zink gefällt mir dagegen noch ganz gut. Allerdings haben die Industriemetalle in den letzten Jahren jedoch schon excellent performt ... Oel könnte dagegen wirklich reizvoll sein.

Welche Uranaktien hälst Du denn ?


Gruß
Chinaman

levdul1 - Dienstag, 2. Januar 2007 - 10:00
Für die Industriemetalle gibt es ein sehr schönes Zertifikat: sg336z.

Bei Uran bin ich in Uranium Power investiert.

chinaman - Dienstag, 2. Januar 2007 - 10:36
Das Industriemetallzertifikat scheint ein ungehebelter Basket zu sein ... Also eher was als Langfristanlage ...

chinaman - Sonntag, 4. März 2007 - 09:31
Ich denke, die scharfe und heftige Korrektur hat uns alle mehr oder weniger unvorbereitet erwischt. Nun stellt sich jeder die Frage, ist es wirklich "nur" eine Korrektur oder sind wir in einer Baisse.

Es gab kaum charttechnische Hinweise vor der Korrektur. Weder wurde ein Doppeltop ausgebildet, noch sonst eine Umkehrformation vollzogen. Deshalb ist ja auch Profs Depot voll investiert in die Korrektur hineingefahren.

So ganz genau weiss dass natürlich keiner ... In einer Korrektur könnte man seine Positionen einfach "durchhalten" in einer Baisse hingegen wäre dies tödlich.

Wie können wir versuchen zu erkennen, wohin die Reise geht ?

Gibt es hierzu Meinungen bzw. Ideen ?


Gruß
Chinaman

al_sting - Sonntag, 4. März 2007 - 13:11
Ich denke, eigentlich sollten da erfahrene Geister als ich antworten. Aber ich will trotzdem beginnen ;-)

Aber kurz meine Einschätzung:
- Die Reaktion zeigt m.E. eine gestiegene Nervosität der Weltmärkte auf. Daher rechne ich jetzt eher mit einer Seitwärtsbewegung.
- Gerade mit der deutschen Brille sehe ich derzeit wenig Anzeichen für eine globale Rezension: Deutschland brummt an, Europa ebenfalls, Asien sowieso. Meine Hauptskepsis liegt bei den USA und - falls die Rohstoffpreise mal wieder deutlich fallen sollten - in Russland, Südamerika und anderen rohstoffgetriebenen Volkswirtschaften.

Chancen:
- Dass es in Dt. nur noch wenige deutlich unterbewertete Aktien gibt wurde hier im Forum ja schon einhellig beklagt. Nicht ganz zufällig geht hier ja derzeit mehr international als national.
- Für noch interessanter als ohnehin schon halte ich ökologische bzw. nachhaltig wirtschaftende Unternehmen, allerdings haben diese oftmals schon einen (mir zu) fetten Aufpreis. Umso spannender die Darco-Geschichte.
Hier ein mögliches Thema: Holz? Spätestens wenn BtL (Biomass to Liquids) marktfähig wird, dürften die Biomasse- und Holzpreise weltweit deutlich ansteigen. Suche daher interessante Holzfirmen, die nicht an den Folgeprodukten (z.B. Papier) übermäßig beteiligt sind.
- Die relativ neue Strategie von Prof, Aktienkäufe von der Saison abhängig zu machen klingt derzeit für mich einleuchtend. Daher will ich bis zum Spätsommer zurückhaltender mit Neukäufen sein, es sei denn die Bilanzzahlen drängen sich förmlich auf.

Risiken/ Skepsis:
- Sorgen macht mir weiterhin die amerikanische Wirtschaft - also weiterhin relatives NoGo-Area.
- Ich glaube, dass Rohstoffpreise bei aufkommenden Rezessionen relativ früh abfallen - daher bleibe ich im Segment der Rohstoffförderer eher unterdurchschnittlich investiert.
- Sorgen machen mir mögliche Auswirkungen eines in Konkurs gehenden Hedgefonds auf die gesamte Branche der Beteiligungsgesellschaften. (Falls die Preise für zu verkaufende Firmen abstürzen) Daher werde ich hier zunehmend skeptischer (DBAG u.a.).

Ciao, Al Sting

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