Diskussionsforum der stw-boerse: Strategiediskussionen: Sicherheitsbranche
chinaman - Dienstag, 5. September 2006 - 05:27
Profiteure der Angst

Auch fünf Jahre nach dem 11. September 2001 boomt das Geschäft in den USA. Die Branche ist 70 Milliarden Dollar schwer. Die Sorge vor neuen Anschlägen treibt die Nachfrage an.

Von Anette und Martin Dowideit

Der Weg zur New Yorker Freiheitsstatue führt durch ein Nadelöhr. Es bildet sich in einem weißen Zelt an der Südspitze Manhattans und wird von 15 Männern in dunkelbraunen Uniformen beherrscht. Aufnäher auf den Ärmeln weisen sie als Mitarbeiter der Firma Wackerhut aus. Sie agieren mit Metalldetektoren, durchsuchen Rucksäcke und Taschen. Wenn sie ihr Gesicht heben, sehen sie eine Menschenschlange, die an manchen Tagen mehrere hundert Meter lang ist. Drei Millionen Besucher wollen pro Jahr Liberty Island besuchen, und auf dem Weg dorthin wird jeder so penibel gecheckt wie vor einem Transatlantikflug.

Im Dezember 2001 hat Wackerhut die Sicherheitsschleuse aufgebaut. Das Sicherheitsunternehmen gehört zu den Profiteuren der Terrorangst. Fünf Jahre sind seit den Anschlägen vom 11. September 2001 vergangen. Seitdem versucht sich Amerika zu schützen, besonders an seinen symbolträchtigen Orten, und von denen hat kaum eine Stadt so viele wie New York.

An der Börse in der Wall Street, an Fährterminals und in U-Bahn-Stationen stehen Polizisten. In den Eingangshallen von Ämtern und Bürohäusern wird jeder Schritt von Videokameras überwacht. Die einen zahlen Milliarden für die Sicherheit und andere, wie Wackerhut, profitieren.

Private Wachdienste suchen ständig neue Mitarbeiter, die Aktien der meisten Rüstungs- und Sicherheitstechnikanbieter sind seit 2001 stark gestiegen. So legte der Aktienkurs von L-3 Communications seit Herbst 2001 um knapp 60 Prozent zu. Der Kurs des größten US-Rüstungskonzerns Lockheed Martin stieg um 98 Prozent, der des Konkurrenten Northrop Grumman um immerhin 30 Prozent.

Auch der Bedarf an Computerexperten für die Entwicklung von Sicherheitssoftware oder Zugangskontrollen ist hoch. Im ganzen Land setzt die Sicherheitsbranche jährlich rund 70 Mrd. Dollar um, schätzt die Investmentbank Morgan Keegan. Das sind 40 Prozent mehr als vor den Anschlägen. Allein die Hafenbehörde von New York und New Jersey hat seither ihre jährlichen Sicherheitsausgaben auf 625 Mio. Dollar fast verdreifacht.

Die Auswirkungen sind überall zu spüren. Vor der Börse an der Wall Street beispielsweise patrouillieren Polizisten, meterhohe quadratische Eisenblöcke blockieren die Straßen. Die Besichtigungstouren, bei denen früher bis zu 800 000 Touristen pro Jahr das Handelsparkett besuchten, gibt es seit den Terroranschlägen nicht mehr. Die Besucher der Freiheitsstatue kontrolliert Wackerhut akribisch.

Der Konzern ist mit rund 38 000 Angestellten einer der größten privaten Sicherheitsanbieter in den Vereinigten Staaten. Die Firma betreibt auch Gefängnisse und überprüft im Auftrag von Unternehmen die Lebensläufe neuer Mitarbeiter nach verdächtigen Abschnitten. In den vergangenen Jahren konnte sich das Unternehmen über zweistellige Wachstumsraten freuen, ebenso wie die meisten anderen privaten Sicherheitsfirmen.

Auch mit Sicherheitsberatung lässt sich seit September 2001 viel Geld verdienen. Überall im Land eröffnen ehemalige Sicherheitsbeauftragte der Regierung Firmen, mit denen sie Konzerne auf Sicherheitslücken in ihren Büros hinweisen. So hat der ehemalige Antiterrorismusexperte des Weißen Hauses, Richard Clarke, die Firma Good Harbor Consulting in der Hauptstadt Washington gegründet. Drei ehemals hochrangige Mitarbeiter des mächtigen Ministeriums für Homeland Security haben sich ebenfalls selbstständig gemacht. In New York berät die Firma von Rudolph Giuliani, zur Zeit der Anschläge Bürgermeister von New York, zur Terrorvorsorge und hat dafür den bisherigen New Yorker FBI-Direktor Pasqual D'Amuro eingestellt.

Auf Interviewwünsche geht Giuliani Partners allerdings nicht ein. Das Geschäftsfeld ist sensibel. Fachleute kritisieren, dass nicht alle der Neugründungen ihr Geld wert seien. "Es gibt einige gute, erfahrene Firmen auf diesem Gebiet, aber auch viele neue Firmen, die die günstige Gelegenheit ausnutzen", sagt Bill Raisch, Professor für Terrorschutz an der Universität von New York.

Am Geschäft mit der Terrorangst verdienen auch große Konzerne. Einer der führenden Anbieter von Sicherheitstechnik ist General Electric (GE). Der Gigant mit 150 Mrd. Dollar Jahresumsatz hat diesen Geschäftszweig erst nach dem 11. September eröffnet und durch Zukäufe zu einer Sparte mit zwei Mrd. Dollar Umsatz ausgebaut. Bill McGann, Technologievorstand von GE Security, glaubt an robustes Wachstum. Damit dieser Plan Wirklichkeit wird, forscht GE 250 Kilometer nördlich von New York in einem riesigen Komplex mit langen, oft fensterlosen Fluren. Manche Türen stehen offen, dahinter sieht man Forscher, die über Mikroskope, Laptops oder große Papierberge gebeugt sitzen. Insgesamt arbeiten dort etwa 1900 Biologen, Chemiker, Informatiker, Mathematiker und Elektroingenieure an Projekten für sämtliche Sparten des Konzerns. Mehrere Dutzend Wissenschaftler arbeiten an Software für intelligente Videoüberwachung, verbesserten Systemen für Zugangskontrollen, Detektoren für Sprengstoffe und biologischen Substanzen und Gepäckscannern.

Einer von ihnen ist Peter Edic. Er hat von der Gesundheitssparte des Konzerns einen Computertomographen ausgeliehen und im Keller aufbauen lassen. Damit untersucht er einen besonderen Patienten: eine graue Umhängetasche. Der Apparat schießt aus allen Winkeln Röntgenstrahlen durch die Tasche. Im Nachbarraum spuckt ein Rechner ein dreidimensionales Bild aus. Ein Ziegelstein, ein Tennisschuh und eine Kaffeetasse sind deutlich zu erkennen. Ziel des Forschers: Das System soll bald als nächste Generation der Gepäckscanner in Flughäfen eingesetzt werden. Bisher erscheint der Tascheninhalt auf herkömmlichen Geräten nicht räumlich auf dem Bildschirm. Eine dreidimensionale Darstellung wäre ein Fortschritt, meint Edic. "So können Objekte schneller erkannt und die Zahl der Fehlalarme deutlich gesenkt werden", sagt er. Darüber wird sich jeder Flughafenchef freuen, ist Vorstand McGann sicher. Denn weniger Fehlalarme bedeuten weniger Koffer, die von Hand geöffnet werden müssen. Und das bedeutet geringere Personalkosten.

Überwachung ohne viel Personaleinsatz - auch für die Stadt New York hofft General Electric derzeit auf einen solchen Großauftrag. GE könnte Subunternehmer für den Rüstungskonzern Lockheed Martin werden, der für 200 Mio. Dollar ein Videoüberwachungssystem im U-Bahn-System der Stadt aufbaut. Die eingesetzten Computer sollen etwa automatisch herrenlose Taschen erkennen können. Bei GE arbeitet der Deutsche Nils Krahnstöver an der Technik, die so etwas möglich macht.

Heute sitzt er mal wieder im "Bunker" - so nennen die Kollegen den mit Videomonitoren und Laptops vollgestopften Raum am anderen Ende des Forschungszentrums. Dort testet Krahnstöver Software, die Aufnahmen von Sicherheitskameras etwa automatisch nach verdächtigen Personen absucht. Den Innenhof hinter der Glasscheibe des Bunkers hat er schon gut im Griff. Geht ein Kollege vorbei, wird jeder Schritt gefilmt und eine zusätzliche Kamera macht eine Nahaufnahme. Bald will das Team erreichen, dass Computer verdächtige Handbewegungen erkennen können und dann die Aufmerksamkeit eines Sicherheitsmitarbeiters auf die Aufnahme lenken. Selbst Blickrichtungen sollen die Rechner analysieren und so erkennen, wenn eine Gruppe von Flughafengästen beunruhigt einen verdächtigen Passagier mustert.

Kunden könnten in Zukunft auch die Betreiber der Bürotürme in Manhattan und anderswo sein. Dort sind schon jetzt die Sicherheitsvorkehrungen hoch. Im gläsernen Bürokoloss der Firma Executive Workspace an der Avenue of the Americas ist gerade eine aufwendige Renovierung zu Ende gegangen. "Wir haben Drehkreuze eingebaut und ein neues Überwachungssystem installiert. Ohne solche Vorkehrungen bekommt man nur noch schwer neue Mieter", sagt Büromanager Jerry Morecraft.

Welche Firmen die Sicherheitstechnik liefern, will er nicht sagen. Einer der größten Anbieter von Metalldetektoren ist jedoch der US-Konzern L-3 Communications. Das Unternehmen hat seinen Jahresumsatz seit 2001 von 2,3 Mrd. Dollar auf zuletzt 9,4 Mrd. Dollar gesteigert. Die Firma verkauft aber hauptsächlich Militärtechnik. Zu den Kunden gehören das Verteidigungsministerium und mehrere Nachrichtendienste.


Seit diesem August hat der Konzern eine neue Sparte, die "Homeland Security Group". Die Leitung hat Craig Coy übernommen, der früher als Staatsangestellter die Häfensicherheit überprüfte. Auch L-3 forscht momentan an einer neuen Generation von Taschenscannern, sagt Coy WELT.de. "Unser neues Projekt, das "Portal of the Future', ist für Flughäfen gedacht", erklärt er. Dabei gleicht ein Computersystem ab, was ein Check der Tasche und der Person ergeben haben. Natürlich bedeute die steigende Sicherheit mehr Einschränkungen für Bürger, sagt Coy: "Aber es scheint, als sei die Mehrzahl der Menschen bereit, das in Kauf zu nehmen." Skrupel, an der Terrorangst zu verdienen, habe er nicht. "Wir bedienen die steigende Nachfrage."

Artikel erschienen am Di, 5. September 2006

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