Diskussionsforum der stw-boerse: Strategiediskussionen: Deflation
chinaman - Montag, 2. Juni 2003 - 08:40
Aus der FTD vom 2.6.2003
Volkswirte warnen vor Deflationsgefahr
Von Christiane Karweil, Berlin, und Andreas Krosta, Frankfurt

Die Volkswirte internationaler Banken sehen für Deutschland die ernste Gefahr einer wirtschaftlichen Abwärtsspirale mit fallenden Preisen. In einer FTD-Umfrage rechnen 15 der 19 befragten Bankvolkswirte damit, dass Deutschland bereits 2004 in eine Deflation geraten könnte.

"Auf alle Fälle besteht die Gefahr für Deutschland", sagt der Ökonom der Investmentbank Dresdner Kleinwort Wasserstein, Rainer Guntermann. Das überraschend einmütige Urteil der Bankvolkswirte heizt die Debatte über die Deflationsgefahr in Deutschland neu an. Zunächst hatte der Internationale Währungsfonds (IWF) vor diesem Risiko gewarnt. Auch die Europäische Zentralbank schließt nicht mehr aus, dass Deutschland in eine Deflation abrutschen könnte. Bei der Bundesregierung und bei Wirtschaftsverbänden wächst dagegen die Kritik, dass die Deflationsdebatte die Gefahren einer Abwärtsspirale erst hervorruft oder verstärkt. Die Regierung hatte verärgert auf die IWF-Warnung reagiert.

Die Inflationsrate in Deutschland liegt derzeit bei 0,7 Prozent. Die EZB erwartet aber, dass sich die Teuerung in der Euro-Zone - und somit auch in Deutschland - weiter abschwächt. Ökonomen rechnen Anfang 2004 mit einer negativen Teuerungsrate in Deutschland.


In einer Deflationsphase fallen die Preise. Die Gefahr besteht, dass Konsumenten und Unternehmen in Erwartung niedrigerer Preise ihre Kaufentscheidungen zurückhalten und die Wirtschaftsleistung sinkt.


"Die Risiken für Deutschland, in eine negative Blase von schwachem Wachstum und sehr niedrigerer Inflation zu treten, ist sehr groß", sagte Svenja Nehls-Obegi, Euro-Zonen-Ökonomin von CDC Ixis Capital. Vor allem die Aufwertung des Euro zum Dollar erhöht die Risiken.


Starker Euro drückt auf die Preise


"Die Gefahr einer Deflation ist relativ groß. Deutschland stagniert bereits seit zweieinhalb Jahren. Die Inflationsrate ist nahe null. Die Euro-Aufwertung wird den Druck auf die Preise noch erhöhen", sagte Uwe Angenedt, Ökonom der ING BHF-Bank. Deutschland habe nicht die wirtschaftspolitischen Instrumente, um der Deflation entgegenzuwirken, da die Fiskal- und die Geldpolitik europaweiten Vorgaben folgen. Der europäische Stabilitätspakt schreibt eine Grenze für die Neuverschuldung von 3,0 Prozent des Bruttoinlandsprodukts vor. Nach Einschätzungen einiger Ökonomen droht eine zu restriktive Fiskalpolitik das Wirtschaftswachstum zu dämpfen.


Jörg Krämer, Chefvolkswirt von Invesco Management, entgegnete, die Währungsunion mindere die Risiken für Deutschland - vor allem wegen der Flexibilität des Bankensystems in der Euro-Zone: "Wären deutsche Banken nicht mehr in der Lage, Kredite zu geben, können sich deutsche Unternehmen an andere Banken im Euro-Raum wenden, beziehungsweise ausländische Banken könnten deutsche Geldinstitute übernehmen", sagte Krämer. "Die Kreditstatistiken zeigen, dass außerhalb von Deutschland die Banken sehr wohl in der Lage sind, zusätzlich Kredite zu vergeben."


Rogowski kritisiert "Deflationsgeschrei"


Mit scharfer Kritik reagierte der Präsident des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI), Michael Rogowski, auf die anhaltenden Warnrufe. "Dieses Deflationsgeschrei, das leider auch vom IWF kommt, ist unselig", sagte Rogowski der "Welt am Sonntag". "Deflation ist kein Automatismus, sonder ein Angstprodukt, das herbeigeredet wird."


Auch die Bundesregierung bemühte sich, die Deflationsdebatte einzudämmen. "Ich sehe in der Euro-Zone keine Anzeichen für Deflation", sagte Wirtschaftsstaatssekretär Alfred Tacke der "Welt". Der Sprecher des Finanzministeriums, Jörg Müller, wies einen Bericht des Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" zurück, das Ministerium habe in einem internen Papier die Risiken einer Deflation nicht völlig ausgeschlossen. "Wir sehen in Deutschland keine Deflationsgefahr", sagte Müller.



© 2003 Financial Times Deutschland

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