Diskussionsforum der stw-boerse: Strategiediskussionen: Langfristinvestment in Baisse
charles9 - Freitag, 28. Juli 2000 - 11:28
Hallo Boardgemeinde

Um das Sommerloch zu füllen, wage ich einmal den Beginn eines neuen Strategiethemas.
Dieses Board zeichnet sich nach meinem Eindruck durch ein klares Votum für Langfristinvestments aus. Für den überwiegenden Anteil (mich eingeschlossen) ist diese Strategie sicher in der Vergangenheit sehr erfolgreich gewesen. Allerdings befinden sich die Aktienmärkte seit fast 20 Jahren in einem beispiellosen Boom. Die Frage ist daher: Wie repräsentativ sind unsere guten Erfahrungen angesichts dieses in der Weltgeschichte fast einmaligen Vorganges? Hat jemand unter uns denn schon einmal eine längere Baisse miterlebt? Damit meine ich ja gar nicht 1929-34, aber beispielsweise die 70er Jahre. Ist eine Buy-and-Hold-Strategie in Zeiten allgemeiner Baisse immer noch empfehlenswert?
Wiso ich gerade jetzt darauf komme? Nun, wir befinden uns in den traditionell schlechten Sommerbörsenmonaten und alle Welt erwartet, daß -einem Naturgesetz gleich - ab dem Herbst die Märkte wieder wie immer steigen. Ist es denn so unwahrscheinlich, daß es in den Vereinigten Staaten zu einer harten Landung kommt? DAvon würde sich auch Europa nicht dauerhaft abkoppeln können. Im Falle einer echten Baisse (damit meine ich nicht wenige Monate sondern einen jahrelangen Trend) können sich doch auch die hier beobachteten Qualitätswerte einer Korrektur kaum widersetzen. Meiner Meinung nach ist das Argument, daß so etwas nicht passieren kann, nur weil es das vor seit Menschengedenken der in der Mehrzahl jungen Börsianer noch nie gegeben hat, nicht gültig.
Sollten wir nicht - zumindest im Hinterkopf - Strategien für diesen Fall zurechtlegen und auf entsprechende Signale (gestern Haushaltsdaten USA) achten?

Viele Grüße von einem nachdenklichen Charles

stw - Samstag, 29. Juli 2000 - 14:12
Hallo charles,

das ist ein sehr interessanter Gedanke von Dir, der mir auch öfters durch den Kopf geht. Ich selbst habe mittlerweile zwar ca 15 Jahre Börsenerfahrung, aber eine langjährige Baisse mit immer weiter fallenden realen Kurs-Gewinn-Verhältnissen habe auch ich noch nicht erlebt.

"Ist eine Buy-and-Hold-Strategie in Zeiten allgemeiner Baisse immer noch empfehlenswert?"

Ja und nein würde ich sagen: eine Buy + Hold-Strategie kann gerade in einem dauerhaft schwachen Gesamtmarkt tödlich sein. Aber nur dann, wenn man die falschen (fundamental schwachen) Aktien im Depot hat denke ich. Wenn die Qualität der Aktien im Depot nicht stimmt, dann kann es in einer Baisse viel weiter runtegehen, als man sich das heute vorstellen kann. Viele Leute, die heute meinen, bestimmte INets (auch die Marktführer) seien billig, nur weil sie 50-70% von ihren AllTimeHighs entfernt sind, werden sich noch wundern, dass sich diese Aktien vom heutigen Stand aus durchaus nochmal dritteln oder auch zehnteln können !

Aber es gibt auch Qualitätstitel, mit denen man gut durch eine mehrjährige Baisse kommen kann. Natürlich immer vorausgesetzt, es kommt zu keiner echten Weltwirtschaftskrise. Man muss meiner Meinung nach gerade in schwachen Börsenzeiten auf günstig bewertete Wachstumswerte setzen. Selbst bei fallendem realen KGV werden diese Aktien nicht ins Bodenlose fallen, solange diese Unternehmen in der Lage sind, den Gewinn pro Aktie weiter zu steigern. Das stw-Musterdepot ist zum Grossteil übrigens mit genau solchen Titeln bestückt, daher wahrscheinlich auch die ausnehmend gute Performance dieses Depots im bisher durchwachsenen Aktienjahr 2000.

In schwachen Börsen-Zeiten wird auch die Ausschüttungspolitik der Unternehmen wieder an Bedeutung gewinnen. Wenn eine Aktie bereits 5 oder 7% Dividendenrendite bietet, dann ist sie dadurch doch recht gut nach unten abgesichert, solange die Dividendenzahlung auch in Zukunft gesichert ist und vielleicht im Idealfall sogar jährlich eine Dividendenerhöhung erfolgt. In der Baisse werden sich auch mit diesen Werten keine überragenden Renditen erzielen lassen, aber ein so ausgerichtetes Depot wird zumindest einigermassen ungeschoren davonkommen denke ich.

"..und alle Welt erwartet, daß -einem Naturgesetz gleich - ab dem Herbst die Märkte wieder wie immer steigen"

Du hast recht, kaum ein Marktteilnehmer geht davon aus, dass die wichtigsten Indizes das Börsenjahr auch mal mit einem dicken Minus abschliessen könnten. Ich sehe das wie Du etwas anders und halte es durchaus gut für möglich, dass gerade Technologiewerte im Minus schliessen werden in diesem Jahr.

:-) stw

avalon - Sonntag, 30. Juli 2000 - 19:53
Was wäre ich froh wenn es endlich mal ein oder
sogar zwei Jahre bei allen Indices abwärts ging.

Niemanden der lange genug dabei ist würde das schockieren und auch der zwangsläufige Rückgang
im eigenen Depot wäre überhaupt nicht dramatisch.

Aber der Markt würde endlich mal dauerhaft bereinigt von all den Sumpfblüten die in den
letzen drei Jahren aufgegangen sind.

Im Gegenteil ich wage sogar zu behaupten daß ohne
ein zwei schlechte Jahre das Risiko einer ähnlichen Entwicklung wie in Japan Ende der 80er
sehr sehr hoch ist.

Solange sich Aktien innerhalb weniger Monate
verzehnfachen, solange sich Indices wie Neuer
Markt oder Nasdaq innerhalb weniger Monate
verdoppeln ist der Markt einfach krank.
Wer kauft noch Aktien um sich am Unternehmen zu
beteiligen ?
Wen interessiert überhaupt noch das Geschäftsfeld,
wer weiß was die Companys machen ?

Gekauft wird was stark steigt, selbst die Fondmanager müssen sich diesem Phänomen anschließen weil sie ständig mit Unsummen von
Anlgegergeld überschüttet werden.

Wie kann eine Ricardo auf 200 E steigen ? - das sind nicht nur Zocker, das sind auch Fondmanager.
Und das ist ja nur ein Beispiel von vielen.

Wenn Börse dauerhaft zur Spielbank verkommt werden
wir uns nicht wundern dürfen wenn irgendwann
eine 10 jährige Baisse eintritt.

Auf dem Höhepunkt der Euphorie in Japan haben
die meisten Fondmanager ein Durchschnitts KGV
von über 100 als "günstig" angepreist !

Also sollten wir uns nicht fürchten und fragen ob irgendwann mal
ein zwei schlechte Jahre kommen, sondern man sollte sich darauf freuen.

Qualitätstitel nimmt man ins Depot um sie jahrzehntelang zu halten, wen stören da kurzfristige Schwächephasen ?

Schaut euch den Langfristchart der DT. Bank an,
was habe ich da schon durchgemacht.
Heute ist das mein bester Wert - nicht prozentual,
aber aufgrund der hohen Gewichtung in absoluten
Zahlen.
Und solche Titel kann man wenigstens hoch gewichten im Gegensatz zu den vielen kurzfristigen Highflyern am Neuen Markt oder Nasdaq.

Wer sich nicht auskennt an der Börse sollte Fonds
kaufen, einen kleinen Teil direkt investieren und mit den Jahren gewonne Erfahrung dann zur Umschichtung von Fondanteilen in Direktinvestments
nutzen.

Betonung liegt auf Jahren.

Heute sind abertausende von Anlegern am Markt
die oft ihr gesamtes Kapital (oft ererbt oder
geschenkt) in hochspekulative Titel investieren
um möglichst innerhalb von Wochen Millionär zu
werden.

Da rührt der Erfolg von den vielen Hotlines und
neuen Börsenblättchen her - mann weiß ja nichts,
man kennt sich nicht aus, selbst eine einfache
Kapitalerhöhung ist ein Buch mit sieben Siegeln.
Die Bankberater wollen nur Fondanteile verkaufen,
da wird man nicht schnell Millionär, das weiß
jeder.

Also hofft man auf die "Geheimtips" von Gurus,
liest Empfehlungen auf den Pusherboards.....

Und inzwischen weiß ja der letzte Neueinsteiger, daß man Verluste einfach aussitzen muß weil irgendwann
garantiert die nächste Hausse startet, selbst wenn
er den letzten Schrott im Depot hat.

Meistens im Herbst - und damit sind wir wieder beim Thema..........

Erst wenn diese Rechnung mal nicht mehr aufgeht
wird der Markt dauerhaft bereinigt - je früher
je besser............

Die altbewährte buy and hold Strategie berührt
das insofern überhaupt nicht sofern man genau
weiß was man im Depot hat.
Sollte man einen bewährten Titel verkaufen
nur weil der Kurs mit dem Gesamtmarkt fällt ?
Das wäre doch Blödsinn - verkauft wird wenn die
Company Mist baut, wenn man mit dem Management
unzufrieden ist usw.

Natürlich gilt das nur für Unternehmen die man
schon lange hat und sehr gut kennt, aber mit
den Jahren füllt sich das Depot normalerweise
mit solchen Titeln.

Und dadurch kann man so provokante Aussagen
die ich anfangs hier aufführte auch ohne Probleme machen - obwohl ich natürlich weiß daß die meisten wenn sie sowas lesen eine Gänsehaut kriegen.

Ich kriege ne Gänsehaut wenn ich daran denke, daß
sich vielleicht der Neue Markt bis zum Frühjar
wieder verdoppelt und der Dax die 10000 nimmt.
Und wenn ich mir dann nochmal den Chart vom Nikkei
vor über 10 Jahren anschaue - ja dann kriege ich
tatsächlich auch das Grausen.........

Aber vermutlich sind erst mal die Amis dran, die
sind wirklich in der Endphase - Sparquote
auf Null bzw. ins Minus fahren, Konsum ausweiten
weil die Aktiendepots so prächtig aussehen,
fast die ganze Altersvorsorge nur noch auf Aktienbasis......

Um also auf deine Kernfrage "was ist mit der altbewährten buy and hold Strategie" zurückzukommen - das hängt davon ab ob der Markt vernünftig wird.
Falls ja wird auch die nächsten Jahrzehnte das Investment in Aktien unschlagbar sein.

Falls nein - bleiben nur noch erstklassige
Staatsanleihen welche man mit den geretteten
Gewinnen kaufen muß...............

Siehe Japan - wer Ende der 80er dort so gehandelt
hat kann nach über 10 Jahren Börsenbaisse trotzdem
auf eine erstklassige Performance zurückblicken......

Avalon

prof_b - Montag, 31. Juli 2000 - 16:18
Gehen wir mal von einem Worst-case aus: Drittelung von DAX und NEMAX (wie in Japan)

Dann stellt sich doch sofort die Frage, in welchem Zeitraum die Drittelung erfolgen soll.

a) innerhalb von wenigen Monaten - damit wären unser Depots stark beschädigt, aber es würde danach wieder aufwärts gehen.

b) innerhalb von 10 Jahren, so wie in Japan.
Nach spätestens 3 Jahren wäre wohl die Hoffnung in das Investment "Aktie" vergangen. Die Bild-Zeitung würde wieder mehr über Lottogewinner berichten, und weniger über die Aktien.
Wir würden uns natürlich von so einer Sache nicht verschrecken lassen.
Unser Ziel wäre es, die Outperformer zu finden.
Wenn sich der DAX in 10 Jahren dritteln soll, muss er jährlich um 10 % fallen. Falls wir also den DAX jährlich um 10 % outperformen, würden wir unser Kapital zumindest erhalten.

Mich persönlich würde es aufgrund meines hohen Investitionsgrades schlimm erwischen, aber so etwas regelt sich dann sicher irgendwann, ich würde vorsichtiger werden.
CU Prof

stw - Montag, 31. Juli 2000 - 20:51
Super-Posting Prof, das macht Mut !

;-) stw

P.S. Aber ganz im Ernst: Selbst in diesem Worst Case sollte es möglich sein, durch geschicktes Stock-Picking zumindest sein Kapital weitgehend unbeschadet durch die Baisse zu bringen, egal wie lange sie auch dauert. Richtig bitter wird es nur bei einer echten Weltwirtschaftskrise, aber dann haben wir noch ganz andere Probleme neben unseren Aktiendepots...

avalon - Montag, 31. Juli 2000 - 23:43
Na - ich wollte doch bestimmt niemanden entmutigen.
Niemand braucht Angst zu haben selbst bei einem
"Japan Szenario" nicht.

Die fürchterliche Langeweile die dann aufkäme,
die fürchte ich......."g"

Stock-picking in der der Super Baisse ?
Wäre interessant zu hören ob das jemand in Japan
in den letzen 10 Jahren gelungen ist.

Ich würde es natürlich auch versuchen, schon aus
reinem Sportgeist.
Aber in Maßen........

Weil Baisse an der Börse und Rezession in der
Wirtschaft nun mal zusammenkommen.
Was zuerst kommt soll egal sein, da brauchen
wir nicht drüber spekulieren.

Da helfen wirklich nur noch erstklassige Anleihen.
In einer richtig ernsten Rezession werden ständig
die Zinsen gesenkt, siehe Japan, da steigen die
Anleihenkurse von Langläufern irrsinnig an.

Das Problem ist nur, daß die meisten Anleger wohl zu lange brauchen würden ihr Depot rechtzeitig
umzustrukturieren.

"Weil Aktien doch immer die beste Alternative
von allen sind" - wie einem mit schöner Regelmäßigkeit eingebleut wird.
Was ja auch stimmt, solange das System nicht
kaputt gemacht wird.
Ich bin doch keiner der "Dauerbären" - aber solche
Dinge muß man doch auch mal ansprechen.

Also, lieber immer wieder mal ein schlechtes Börsenjahr - im 10 Jahreschart sieht man das dann
doch gar nicht mehr - als Spekulationsblasen die
das ganze System gefährden.

Avalon

aquamarin - Dienstag, 1. Oktober 2002 - 23:49
Ich denke nun wird es langsam Zeit wieder in Aktien zu investieren.

Aquamarin

P.S.: Ganz amüsant, dieser alte Thread!

stw - Mittwoch, 2. Oktober 2002 - 13:28
Schön dass du mal wieder hier auftauchst. Hast du die Baisse bislang tatsächlich schadlos überstanden durch rechtzeitigen Ausstieg ? meinen Glückwunsch !

Ich lese mir auch gerne immer wieder mal den ein oder anderen alten Thread durch. Unsere (Fehl-)einschätzungen wirken im nachhinein manchmal wirklich fast schon unfreiwillig komisch.

:-) stw

aquamarin - Donnerstag, 3. Oktober 2002 - 08:44
Schadlos überstanden? Schön wär's! Ich hatte den Aktienanteil zwar deutlich reduziert (40% in 2001 und 20% in 2002), trotzdem musste ich in 2001 gut 10% Verluste einstecken. Ich erinnere hier nur mal an Helkon und TV Loonland. 2002 ist das Ergebnis bisher ausgeglichen, die Verluste bei den Aktien werden durch die Gewinne bei den Anleihen kompensiert.

Im Augenblick gehe ich davon aus, dass die Konjunktur in den USA und in Europa wieder anzieht. Ein Unsicherheitsfaktor ist natürlich die Irak-Krise. Daher werde ich auf keinen Fall alles auf eine Karte setzen, sondern habe zunächst den Aktienanteil auf 30% erhöht. Keine Einzelwerte, nur Indizes (MDAX, DAX, Euro Stoxx 50).

Aquamarin

prof - Freitag, 4. Oktober 2002 - 12:11
Immerhin, wir haben kaum personelle Verluste zu beklagen:
JR ist sicher in den letzten 3 Monaten nicht untergegangen. Er hat Ahnung und in Amiland war´s nicht ganz so schlimm.
Bei Pumi kann man noch hoffen.
Um Avalon mache ich mir gar keine Sorgen, der sitzt auf seinen Anleihen, wenn er nicht gerade mit den Kindern Äpfel erntet.

Wir ziehen die Sache durch und dann kommt unsere Chance ...
Prof

stw - Sonntag, 6. Oktober 2002 - 10:24
Ja, ich glaube auch, dass wir alle zusammen hier gute Chancen haben, die nächste Hausse als aktive Börsianer zu erleben. Und damit gehören wir ja fast schon zu einer aussterbenden Spezies. Vielleicht taucht Avalon ja auch irgendwann mal wieder auf, ich denke oft an ihn, der wohl der einzige war, der das Desaster in seinem ganzen Ausmass so hat kommen sehen und sich deswegen rechtzeitig verabschiedet hat. Mich würde brennend interessieren, ob er meinen Technotrans-Kauf zu 6 EUR auch für ruinös hält.

:-) stw

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