Diskussionsforum der stw-boerse: Sonstiges: Berufskläger
al_sting - Montag, 25. Februar 2013 - 16:33
Mal etwas ganz anderes, rein informativ: Berufskläger und Pseudoaktionäre als Erpresser von börsennotierten Unternehmen.
------------------------------------------------
http://www.wirtschaftspresse.biz/psepp/fn/pcc/sfn/showedetail/DocID/1405318/EditionID/4/SectionID/896/PageID/1405309/pDay/25.02.2013%2000:00:00/showtyp/1/SH/473d031c36a430147f1097375ddd8d/index.html
Die Abzocker
Jahrelang setzten drei Münchener Anwälte deutsche Firmen mit Aktionärsklagen unter Druck. Angeblich zum Schutz von Kleinanlegern. Tatsächlich aber ging es nur darum abzukassieren. Ihr Erfüllungsgehilfe Thomas Höder erzählt erstmals im Handelsblatt, wie das trickreiche System der Berufskläger funktioniert.

Fabian Gartmann, Düsseldorf

Thomas Höder sitzt im Ring-Karree der Kölner Gerling-Versicherung und döst. Es ist der 20. September 2006. Der Konzern hat seine Aktionäre zu einer Sondersitzung geladen. Kurz zuvor ist er von dem Hannoveraner Konkurrenten Talanx übernommen worden, dem drittgrößten Versicherer Deutschlands. Talanx will jetzt die Kleinaktionäre aus der Firma drängen. Die Hauptversammlung muss dem zustimmen. Als Talanx-Chef Herbert Haas den Aktionären sein Abkaufangebot unterbreitet, isst Thomas Höder eher gelangweilt eine Wurst.

Am Mikrofon halten Aktionärsschützer theatralische Reden, greifen die Strategien der Chefs an. Thomas Höder tippt derweil einige SMS und wartet auf das Ende der Versammlung. Er weiß schon jetzt: Ganz gleich, welches Angebot der Vorstand den Aktionären macht, er wird es nicht akzeptieren.

Nach der Abstimmung geht Höder zum Notar der Hauptversammlung und sagt den Satz, für den er eigens nach Köln gereist ist: "Ich fechte alle Beschlüsse der Hauptversammlung an." Mit diesem Satz verdient Höder sein Geld.

Mehr als zehn Millionen Gerling-Aktien sind zu diesem Zeitpunkt im Umlauf. Höder besitzt nur eine. Er hat sie für knapp fünf Euro gekauft, und könnte den Milliardenkonzern damit in einen jahrelangen Rechtsstreit verwickeln. Dem deutschen Aktienrecht ist es gleich, ob Höder Großaktionär ist oder nur Kleingeld für seine Aktie ausgegeben hat - sein Einspruch zählt.

Acht Monate später wird ihn dieser eine Satz um 90 000 Euro reicher machen. Für ihn ist das ein normales Geschäft: Thomas Höder ist Berufskläger.

Die Anwälte kassieren ab

Seit 2004 hat Höder fast 60 deutsche Unternehmen verklagt. Kleine Gesellschaften wie Leica, aber auch Branchenriesen wie Axa oder die Telekom. Höder weiß nicht einmal, was in seinen Klageschriften steht. Denn Höder tut nur, so sagt er, was drei Anwälte aus München ihm auftragen: die Inhaber der Anwaltskanzlei Dr. Meier, Marzillier & Dr. Guntner Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, kurz MMG.

Wenn man so will, ist Höder der Strohmann der Anwälte.

Unternehmer und Juristen nennen Personen wie Thomas Höder "räuberische Aktionäre". Sie klagen nicht, weil sie für die Rechte der Kleinaktionäre kämpfen, sondern, um Unternehmen zu möglichst hohen Vergleichen zu zwingen. Ihr Druckmittel ist die Zeit. Liegt eine Klage vor, können die Hauptversammlungsbeschlüsse nicht ins Handelsregister eingetragen werden - und sind damit nicht gültig.

Für die Unternehmen sind die Räuber unter den Anlegern deshalb ein großes Risiko. Oft blockieren sie existenzielle Entscheidungen, etwa Sanierungskonzepte, Übernahmen oder Kapitalerhöhungen. Aus Zeitnot lassen sich die Unternehmen erpressen, willigen in teure Vergleiche ein, um langwierige Prozesse zu verhindern. Sie zahlen millionenschwere "Lästigkeitsprämien", um das Risiko eines Milliardenverlusts zu vermeiden. "Das Räuberische dieser Klagen liegt in der hohen Vergütung der Anwälte. Je höher der Vergleich ausfällt, desto höher ist das Anwaltshonorar", sagt ein Jurist einer Großkanzlei, der seinen Namen nicht nennen will.

Schon seit Jahren vermuten viele Unternehmen, dass sich die Berufskläger und deren Anwälte im Hintergrund diese Honorare unerlaubt teilen. Dem Handelsblatt liegen nun erstmals Verträge, E-Mails und Zahlungsbelege vor, die diese Praxis belegen. Mehr noch: Sie zeigen, dass im Fall Thomas Höder die Anwälte selbst die Fäden in der Hand hielten.

Der Frankfurter Wirtschaftsrechtler Theodor Baums wertete in den vergangenen Jahren fast 600 dieser Fälle aus. 49 Berufskläger hat Baums ausgemacht. Von ihnen gehen 80 Prozent aller Aktionärsklagen aus. Thomas Höder ist nach Anzahl der Klagen die Nummer drei in Deutschland. Laut Baums Studie klagten nur der Berliner Umzugsunternehmer Klaus Zapf und dessen Kompagnon Tino Hofmann noch öfter.

360 000 Euro für eine Aktie

Weder die Juristen der Unternehmen noch die Firmen selbst äußern sich zu den Berufsklägern. Aus Angst, diese könnten aus Trotz Vergleiche verweigern und Verfahren durchpeitschen. Das kann zwei Jahre dauern oder auch zehn. Für die Firmen ein Alptraum, deshalb zahlen sie lieber.

So wie bei Gerling. Auf seiner Hauptversammlung bot der Versicherungsriese jedem Kleinaktionär 5,47 Euro pro Anteilsschein. Der durch die Klagen erzwungene Vergleich sah vor, dass der Konzern weitere 2,53 Euro pro Aktie drauflegte.

Doch der wahre Gewinn für die Kläger lag im Vergleichsmehrwert. Da alle Aktionäre Anspruch auf den gleichen Aufschlag haben, wurde der Streitwert der Klage mit 25 704 000 Euro beziffert - der Aufschlag von 2,53 Euro multipliziert mit der Gesamtanzahl der 10 159 677 Aktien. Laut Gebührentabelle errechnet sich daraus ein Anwaltshonorar von rund 360 000 Euro. Neben Höder gab es 38 weitere Kläger. Gerling zahlte insgesamt 14,5 Millionen Euro an Anwaltsgebühren. Dazu 25,7 Millionen als zusätzliche Abfindung an die Aktionäre. Im Gegenzug ließen alle Beteiligten ihre Klage fallen, der Konzern bekam seine Handlungsfreiheit zurück.

Für Thomas Höder und die drei Anwälte stellte sich die Angelegenheit so dar: Aus einer Aktie für fünf Euro machten sie 360 000 Euro, also das 72 000-Fache. Das ergibt 90 000 Euro für jeden - die erhöhte Abfindung ohne den Vergleich hätte ihnen gerade einmal 2,53 Euro eingebracht.

Viel Aufwand war dafür nicht nötig. Mit mehrseitigen Musterklagen fochten Meier und seine Partner die Beschlüsse der Kölner Hauptversammlung an. "Die anderen Berufskläger", erzählt Höder, "haben immer über Meier gelacht, weil seine Klagen so schlecht waren." Die Vergleiche mit den Unternehmen handelten meist andere Anwälte aus. Kassieren durften am Schluss aber alle.

Meier und Höder begegneten sich erstmals im März 2004. Höder hatte gerade sein Studium als Bergökonom im sächsischen Freiberg abgeschlossen und suchte einen Job. Die drei Anwälte boten Höder an, als Geschäftsführer bei mehreren Gesellschaften aufzutreten. Es ging um Prozesskostenfinanzierung und Aktionärsklagen.

Offiziell würde immer nur Höder im Handelsregister auftauchen. Meier, Marzillier und Guntner sicherten sich durch einen Vertrag jeweils 25 Prozent - als stille Gesellschafter (siehe Ausriss). Weil Werner Alois Meier in römischer Rechtsgeschichte promoviert hatte, gab er den Firmen lateinische Namen. Höder war das alles egal, er willigte ein. Und so wurde Höder, ein lateinuninteressierter Muskelprotz aus Bad Tölz, Geschäftsführer der Ulpian GmbH, benannt nach dem römischen Rechtsgelehrten Domitius Ulpian. Er wurde Geschäftsführer der Celsus GmbH, benannt nach dem römischen Enzyklopädiker Aulus Cornelius Celsus. Und er wurde Geschäftsführer der actio GmbH, benannt nach dem römischen Rechtsbegriff für die Klage. Außerdem war Höder Geschäftsführer seiner eigenen Firma Höder Bau GmbH.

"Meier versprach mir, dass wir mit den Gesellschaften schnelles Geld machen können", sagt Höder. Und tatsächlich spülten die Anfechtungsklagen zwischen 2005 und 2009 mehr als eine Million Euro in die Kasse der vier Komplizen. Zahlen mussten das Geld die verklagten Konzerne.

Höders Anteil überwiesen ihm die Anwälte immer auf sein privates Konto. Offiziell floss nie Geld der Kanzlei an die Ulpian GmbH, die gegen die Unternehmen klagte. Höder stellte im Gegenzug Rechnungen an die Kanzlei. Von der Höder Bau GmbH oder als Beratungsleistung.

Provokation gehört zum Job

Kurz vor Weihnachten, als Höder erstmals dem Handelsblatt von seiner Karriere als Berufskläger erzählte, saß der 36-Jährige in einem Münchener Lokal. Braun gebrannt von Ägyptens Sonne, erklärte er einen Betrug, der eigentlich keiner ist.

Das Prinzip war simpel. Auf jeder Hauptversammlung, die Höder besuchte, legte er Einspruch gegen alle Beschlüsse ein. Wenn es keine Gründe gab, provozierte er sie. Ein leichtes Spiel, so Höder. Man muss nur viele Fragen stellen, etwa nach unwichtigen Tochtergesellschaften im Ausland oder Immobilien, die keiner auf dem Schirm hat. In den Anfechtungsklagen werden meist Formfehler moniert und wird gegen Kapitalmaßnahmen Widerspruch eingelegt.

Glaubt man Höder, hat Anwalt Meier die Idee gehabt, aus den Klagen ein Geschäft zu machen. Meier und seine Kanzleikollegen gaben Höder das Geld, damit er sich ein Aktiendepot anlegte. Meier bestimmte, welche Firmen Höder verklagte. Meier schrieb die Klagen, kassierte das Geld und verteilte es an die anderen drei. Irgendwann soll er sogar in Höders Namen geklagt haben, ohne dass der davon wusste, ohne eine Vollmacht seines Mandanten. So beschreibt es zumindest Thomas Höder. Einschlägige E-Mails und Briefe zeichnen das gleiche Bild. Die E-Mails zeigen, dass die Anwälte eine Vollmacht für sein Aktiendepot bei Contal Consors hatten, und am 30. Juli 2008 schrieb Höder an Meier: "Bis wann brauchen Sie die Vollmachten für Senator und Leica? Ich habe Ihnen doch schon eine Menge Blankovollmachten zukommen lassen."

Die Anwaltskanzlei will sich zu den Vorwürfen nicht äußern, dementiert sie aber auch nicht.

Laut Höder sind die Münchener nicht die Einzigen, die das Prinzip Aktionärsklage als Einkommensquelle nutzen. "Alle Berufskläger machen das so", sagt er. "Wir haben uns auch mit anderen Berufsklägern abgesprochen, wer bei welcher Hauptversammlung klagt. Manchmal haben wir uns auch untereinander bei den Aktionärstreffen vertreten." Immer wieder traf sich Höder mit Klaus Zapf, dem bekanntesten deutschen Berufskläger. Ein Berliner Altlinker, der mit einem Umzugsunternehmen Millionen machte. Und Zapf mischte sich kräftig ein. Im Juni 2008 schrieb Höder an Werner Meier: "Habe gerade ein längeres Gespräch mit Zapf gehabt. Um es kurz zu fassen, er ist stinksauer wegen des bescheidenen, um nicht zu sagen lächerlichen Vergleichs. Ich habe meine Bedenken, ob er die Ulpian GmbH noch auf HVs vertreten wird."

Meier sagte, was ich tun soll

Im Dezember 2012 saßen Meier, Marzillier und Guntner mit schwarzen Roben im Münchener Justizpalast, IX. Zivilsenat, Sitzungssaal 10, Erdgeschoss. Aber diesmal klagen sie nicht, sie sind vielmehr selbst beklagt. Von einem ehemaligen Klienten. Es geht um die Frage, inwieweit die drei Anwälte in die Geschäfte der Gesellschaften eingreifen, die von Höder und auch anderen Marionetten betrieben werden. Auch Höder sitzt dort. Er erzählt von der stillen Beteiligung und davon, dass ihm Meier vorgab, was er tun sollte.

Werner Meier notierte die Vorwürfe auf vergilbtem Papier. Gregor Gunter stellte leise Fragen, kaum hörbar für Richter und Zeugen. Und Frank Marzillier scheint immer wieder das Wort "Scheiße" in sich hineinzumurmeln, wenn ein Zeuge sie schwer belastet. So wie jetzt, als Höder dem Richter erklärt: "Wenn ich Geld brauchte, um Gerichtskosten zu bezahlen, fragte ich Meier. Wenn ich meinen Viertelanteil an den erstrittenen Anwaltsgebühren bekommen habe, schrieb mir Herr Meier eine Mail."

Meier, Marzillier und Guntner streiten alles ab. Aber mit jedem Zeugen werden ihre Zwischenrufe leiser.

Höder sieht sich als Opfer - angeblich hat er nicht kapiert, was die Anwälte von ihm verlangten. Im März soll es ein Urteil geben.

Schon jetzt aber sagt der Frankfurter Rechtsexperte Theodor Baums: "Der Vertrag zwischen den Anwälten und Höder beweist erstmals, was alle seit Jahren vermuten: Dass sich die Anwälte und die Berufskläger die Honorare teilen." Für Baums ist klar: Es ging bei den Anfechtungsklagen nur ums Abkassieren.

Fabian Gartmann

chinaman - Dienstag, 26. Februar 2013 - 15:30
Da wird systematisch die nächste Gesetzesänderung zur weiteren Reduzierung der Aktionärsrechte vorbereitet. Motto: wenn etwas missbraucht werden kann, schafft man das Eigentumsrecht am besten gleich ab.

Diskussionsforum der stw-boerse: Sonstiges: Berufskläger
Eine Nachricht hinzufügen

Benutzername:   Dies ist ein privater Board-Bereich. Bitte geben Sie Ihre ID und Ihr Passwort an.
Passwort: