Diskussionsforum der stw-boerse: Sonstiges: Politik Deutschland: Archivierte Beiträge bis 12. Dezember 2007
prof - Mittwoch, 2. November 2005 - 11:51
Aha, es werden weiter "Wohltaten" unter das Volk gestreut: Erhöhung des ALGII im Osten auf Westniveau, kostet ja nur 220.000.000 € jährlich.
Die Gesetzgebung geht völlig an der Realität vorbei: Seit 01. Januar dürfen Jugendliche zu Hause ausziehen und bekommen dafür ALG II. Ist doch viel attraktiver, als eine Lehre zu machen, jeden Morgen um 05:30 in den Bus zu steigen und sich für den Meister den Buckel krumm zu arbeiten ...
Prof

chinaman - Donnerstag, 3. November 2005 - 08:40
Dafür erhöhen wir dann einfach die Steuern weiter. Es soll ja noch Leute geben, für sich eine Mehrleistung noch etwas lohnt. Da muss doch was dagegen gemacht werden. Sind in dieser Republik erst alle arbeitslos, geht es bei uns dann richtig "gerecht" zu ...


Chinaman

chinaman - Mittwoch, 2. August 2006 - 12:19
In Berlin wird mehr oder weniger heimlich an Notstandsgesetzen gefeilt. Diskussion in der Öffentlichkeit bzw. in der Presse ? Fehlanzeige !

Bereits 2004 unter Kanzler Schröder wurde ein Notstandsgesetz für den Fall einer Kriese (Krieg, Währungsverfall u.s.w) verabschiedet.

http://www.flegel-g.de/notstandsgesetz.html#s2

Weiterhin wurde vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz die Seite:

http://www.ernaehrungsvorsorge.de/index.php?id=20


Aber alles natürlich keinerlei Grund zur "Beunruhigung" ...


;-))
Gruß
Chinaman

chinaman - Dienstag, 5. September 2006 - 05:02
Kommentar: Altbekanntes für die Alten


Trotz neuer Verpackung und frischem Etikett: Die Vorschläge in Franz Münteferings "Jobinitiative 50plus" - vom Kombilohn über Einstellungszuschüsse bis hin zur schlichten Arbeitsgelegenheit für einen Euro die Stunde - kommen uns bekannt vor.

Von Stefan von Borstel

In der einen oder anderen Form gibt es das alles schon längst. Gebracht hat es freilich wenig. Doch wer die Radikalkur am Arbeitsmarkt scheut, dem bleibt eben nichts übrig, als Placebos zu verteilen.

Müntefering geht es in erster Linie darum, seinen Vorstoß für die ungeliebte Rente mit 67 politisch zu flankieren. Viele Bürger fragen sich, wo die Arbeitsplätze denn herkommen sollen, wenn künftig bis zum 67. Lebensjahr gearbeitet werden soll. Die "Jobinitiative 50plus" soll eine Antwort auf diese Fragen geben. Mit den Zuschüssen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer kommt der Vizekanzler dem Herzenswunsch der Union nach Kombilöhnen entgegen - und kann zugleich die Einführung eines flächendeckenden Kombilohnmodells verhindern.


Eine Botschaft von Müntefering jedoch ist wichtig: Die Alten werden noch gebraucht. Das Umdenken fällt schwer, nicht nur in den Unternehmen, auch bei vielen Arbeitnehmern, die sich so schnell wie möglich in den Ruhestand verabschieden wollten. Aber Deutschland kann es sich nicht länger leisten, ein Land der 50plus-Frührentner zu sein.

Artikel erschienen am Di, 5. September 2006
Die Welt

chinaman - Dienstag, 12. September 2006 - 14:42
Tja, die Politik mag noch so viel diskutieren. Die Fakten schafft der Markt ...

Gruß
Chinaman


SPIEGEL ONLINE - 12. September 2006, 11:09


URL: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,436348,00.html

Abbau des Sozialstaats

Dolchstoß durch den Konsumenten

Von Gabor Steingart

Der normale Käufer bei Karstadt, Metro und Lidl ist ein regelrechter Globalisierungsfanatiker: Er vergleicht Preis und Leistung und will immer das Billigste. So vernichtet er massenweise Jobs in Europa - am Ende auch den eigenen. Der Sozialstaat ist im Grunde nichts anderes als ein Kartell. Der Unterschied zwischen dieser Schutzvereinigung und den üblichen Kartellbrüdern in den Konzernspitzen besteht darin, dass der Sozialstaat nicht nur wenigen, sondern vielen nützt. Eigentlich fast allen Bürgern, die in seinen Grenzen leben. Vereinfacht kann man es auch so sagen: Der moderne Sozialstaat hat uns alle zu Kartellbrüdern gemacht. Wir profitieren von seinen Schutzrechten wie von seinen finanziellen Zuteilungen.

Wir nehmen gern die getrennten Betriebstoiletten in Anspruch, die unsere Arbeitsstättenverordnung für Mann und Frau vorsieht, akzeptieren die gesetzlich festgeschriebenen Urlaubstage, den Kündigungs- wie den Krankheitsschutz, und wenn alles schief läuft im Leben, greifen wir auf die Sozialhilfe zurück, die sich samt Wohnungs- und Kindergeld bis auf die Höhe eines Verkäufergehalts summieren kann.

Wenn dieses Schutzkartell, das den Preis der Arbeitskraft um einen Sozialaufschlag verteuert, mit einem Wirtschaftsraum konkurriert, der eine solche Schutzvorrichtung und damit auch einen derartigen Sozialaufschlag nicht kennt, wirkt das Kartell nicht mehr beschützend, sondern bedrohlich. Denn einer der Gründe für die Preisdifferenz zwischen den neuen und den alten Mitgliedern des Weltarbeitsmarkts ist der Sozialstaat, dessen Früchte die einen genießen, derweil die anderen ihn nur vom Hörensagen kennen. Die Mitglieder der Sozialbruderschaft sind von Stund an in Gefahr, ihrer beruflichen Existenz beraubt zu werden. Was gestern noch eine Errungenschaft westlicher Zivilisation war, wirkt nun wie ein Klotz an ihrem Bein.

Der Angriff findet in freundschaftlicher Atmosphäre statt

Es sind die Gegner des Sozialstaats, die daher die weltweite Arbeiterinflation freudig begrüßen. Sie ist erwiesenermaßen die wirkungsvollste Methode, den Sozialstaat zu schleifen. Man muss seinen Abbau nicht mehr fordern und braucht ihn auch nicht zu betreiben, seine Zersetzung passiert scheinbar von allein. Man kann den Sozialstaat einfach ignorieren, zum Beispiel dadurch, dass man beim sozialstaatsfreien Anbieter in Asien bestellt. Das ist fast automatisch ein Votum gegen getrennte Toiletten und ein Plädoyer für niedrigere Löhne.

Es sind andererseits die Freunde des Sozialstaats, die bis heute nicht wahrhaben wollen, dass es diese Nebenwirkung der Globalisierung ist, an der sie leiden. In der Absicht, die Nation gegen die Zumutungen der neuen Zeit zu verteidigen, hat selbst ein so kluger Mann wie Lord Dahrendorf die Augen vor der Wirklichkeit verschlossen. Es gebe eine legitime öffentliche Sphäre, die nicht direkt mit der anderer Länder und Regionen konkurriere, schreibt er. Zu dieser Sphäre gehörten die Bildung, die Steuer und die Sozialleistungen. Man dürfe den Weltmarkt nicht gegen alles ins Feld führen.

Welch ein Irrtum. Niemand führt den Sozialstaat ins Feld. Er steht längst längst da, umtost von den Winden der neuen Zeit. Der Irrtum ist erklärbar nur dadurch, dass die Angreiferstaaten sich ja nicht mit Gebrüll auf den westlichen Sozialstaat stürzen. Der Angriff findet leise und zumeist sogar in freundschaftlicher Atmosphäre statt, was vielen das Verstehen der Wirklichkeit erschwert.

Dabei sind es keine Unbekannten, die ihn attackieren: In freien Märkten mit freien Konsumenten wird ihm der entscheidende Dolchstoß von seinen Freunden versetzt. Wo auch immer ihr politisches Herz schlägt, links oder rechts, kaum dass die Kunden den Supermarkt oder das Kaufhaus betreten, sind sie nicht bereit, einen Sozialaufschlag zu zahlen.

Der normale Käufer bei Karstadt, Metro und Lidl ist ein regelrechter Globalisierungsfanatiker, der Preis und Leistung vergleicht, aber nicht Nationalitäten und ihre sozialen Sicherungssysteme. Er will Rabatte bekommen und nicht Aufschläge zahlen. Der gute Deal interessiert ihn, nicht das schmutzige Geschäft, das ihm irgendwo auf der Welt vorausgegangen ist. Er ist ein Materialist, wie er im Buche steht, auch wenn er sich selbst für einen Romantiker hält. Nur außerhalb der Geschäftszeiten befallen ihn zuweilen idealistische Zweifel. Dann wundern sich viele, wie es denn sein kann, dass so große Teppiche für so kleines Geld zu haben sind, und dass auch die Preise von Computern und Mobiltelefonen zuweilen nur noch einer Art Schutzgebühr gleichen.

Mit jedem Kauf eines fernöstlichen Produkts erteilen die Käufer dem heimischen Sozialkartell und seinen Lieferbedingungen eine Absage. Sie vergleichen Preis und Leistung des Produkts, aber sie bedenken nicht Preis und Leistung der das Produkt erzeugenden Nation. So wurden die Konsumenten in allen Ländern des Westens zu Vollstreckern der Globalisierung. Im Weltkrieg um Wohlstand sind sie die wichtigsten Kombattanten der Angreiferstaaten. Wenn ihnen keiner in die Arme fällt, vernichten sie mit ihrer Kaufentscheidung kühlen Herzens die heimische Industrie. Denn fast alles, was man kaufen kann, kann man mittlerweile auch ohne diesen Zusatzstoff erstehen, den wir Sozialstaat nennen.

Wer möchte, kann sein Auto bei General Motors bestellen; dann sind 1500 Dollar Sozialkosten mit eingebaut, wie der Vorstandschef seinen Arbeitern erst kürzlich vorrechnete. Preiswerter wäre es, beim Hyundai-Händler vorzufahren, denn ein vergleichbarer Sozialaufschlag wird den Arbeitern in Korea nicht gezahlt. Es gibt an jeder Ecke Waschmaschinen mit eingebautem Sozialstaat, dann kommen sie von AEG aus Nürnberg, sind im Rhythmus der 38 Wochenstunden produziert, zu höheren Löhnen und unter Aufsicht des Betriebsrats. Aber gleich nebenan gibt es die Waschmaschine pur, dann stammt sie aus Taiwan, China oder Polen, wo die Wochenstundenzahlen hoch und die Löhne niedrig sind. Ein Sozialstaat unserer Prägung existiert dort nicht.

Noch immer besitzen 75 Prozent der Weltbevölkerung keine Arbeitslosenversicherung, was ihnen zum Nachteil, ihren Produkten aber zum Vorteil gereicht. Das Risiko von Krankheit, Armut und Alter tragen sie selbst und eben nicht die Produkte, die sie herstellen. Im Westen ist es umgekehrt.

Der nächste Schauplatz: Der Arbeitsmarkt für Akademiker

An der Stelle des Betriebsrats steht in Fernost ein gestrenger Vorarbeiter, der im besten Fall Gnade vor Recht ergehen lässt. Denn das Recht ist in den Produktionshallen der Billigkonkurrenz nicht der Freund der Beschäftigten. Sie dürfen arbeiten, aber nicht protestieren. Ihr Lohn wird festgesetzt, nicht verhandelt. Soziale Absicherung bietet die Familie, nicht aber die Firma. Den Verkaufschancen der von ihnen hergestellten Ware hat dieser Umstand sehr genutzt.

Rund 60 Prozent aller in Deutschland verkauften Haushaltsgeräte werden heute außer Landes hergestellt. Die restlichen 40 Prozent dürften in absehbarer Zeit folgen. Der Weltmarktführer Electrolux plant von den westlichen Werken, die derzeit noch in Europa, Amerika und Australien betrieben werden, die Hälfte zu schließen. Eine Fabrik von der Größe der Nürnberger AEG spart 48 Millionen Euro jährlich - wenn sie denn in Polen steht. Monatelang zögerte der Vorstand, die deutsche Traditionsfabrik zu schließen und die Herstellung zu verlagern. Es ginge ihm um die Menschen, aber nicht nur, wie Firmenchef Hans Straberg freimütig zugibt: "Eine Schließung würde auch viel Kapital zerstören", sagt er

Bei Continental in Hannover, einem der größten Reifenhersteller der Welt, läuft das gleiche Spiel. Die Löhne machen 30 Prozent der Herstellungskosten aus, aber in Osteuropa lässt sich dieser Anteil noch deutlich nach unten drücken. Die Pkw-Reifenproduktion sollte daher am Stammsitz in Hannover geschlossen werden, was die Beschäftigten mit einer kostenlosen Verlängerung ihrer Wochenarbeitszeit zu verhindern suchten. Der Verzicht nutzte nichts. "Die Mitarbeiter haben ihren Beitrag geleistet, aber es hat trotzdem nicht gereicht", meint Firmenchef Manfred Wennemer. Betroffen sind vor allem einfache Produktionsarbeiter, denen in Kürze die Akademiker folgen dürften, sagt er: "Wir beschäftigen heute bei Continental rund 5000 Ingenieure, die meisten davon in Hochlohnländern. Das wird sicher einer der nächsten Schauplätze, wo wir auf die Kosten sehen müssen."

Bevor wir Firmenmanager und Schnäppchenjäger beschimpfen, sollten wir innehalten. Es wäre töricht, ihnen den Eigennutz vorzuhalten. Es war ein doppelter politischer Wille, der die Staaten Asiens und Osteuropas an die internationale Arbeitsteilung anschloss - ihrer und unserer. Sie wollten Teil des westlichen Produktionsnetzwerks werden und ihr eigenes knüpfen. Wir haben sie ermuntert, unterstützt und oft genug auch angefeuert.

Es geht hier nicht um falsch oder richtig. Wichtig ist an dieser Stelle nur die Erkenntnis, dass der weltweite Arbeitsmarkt, so wie wir ihn bisher konzipiert haben, ein einheitliches Hoheitsgebiet für die Ware Arbeitskraft geschaffen hat. Die Arbeitsnachfrage wechselt nun von einem Staat zum anderen und natürlich bevorzugt sie solche Staaten, die ihr möglichst geringe soziale Zusatzkosten zumuten.

Viele hielten die Soziale Marktwirtschaft für das Endstadium der Geschichte und müssen sich nun einen kolossalen Irrtum eingestehen. Der Kapitalismus hat mit Hilfe eines globalen Arbeits- und Finanzmarkts seine Reichweite gesteigert, derweil das Soziale an Reichweite verlor. Der Markt hat an Kraft, Geschwindigkeit und scheinbar auch an Unvermeidbarkeit gewonnen. Der soziale Triumph von gestern aber ist verblasst. Der Kapitalismus erhält seine Ursprünglichkeit zurück.

chinaman - Samstag, 23. September 2006 - 08:56
Handelsblatt Nr. 182 vom 20.09.06 Seite 9


Nur in Frankreich kostet der Sozialstaat mehr als hier zu Lande

Neues OECD-Konzept relativiert den internationalen Vergleich

DÜSSELDORF. Nach einer bislang in der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannten Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gibt Deutschland - gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) - mehr für Sozialleistungen aus als die skandinavischen Länder. Darauf weist eine gestern vorgestellte empirische Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zum Sozialschutz in Deutschland hin.

Bisher wurde für internationale Vergleiche der Sozialquoten auf die Bruttoleistungen abgestellt. Deutschland lag nach dieser Berechnungsmethode 2001 auf Platz vier hinter Frankreich, Schweden und Dänemark. Anders sieht es nach einem neuen Konzept der OECD aus. Es berücksichtigt neben steuerlichen Anreizen für private und freiwillige Vorsorgeleistungen auch die direkten und indirekten Steuern und Abgaben, die auf Sozialleistungen entfallen. Nach dieser Methode rückt Deutschland im Vergleich von 23 OECD-Ländern für das Jahr 2001 mit einer Sozialquote von 30,8 Prozent gemessen am BIP auf den zweiten Platz nach Frankreich vor Schweden, Großbritannien und Dänemark vor.

Der Hauptgrund ist, dass in einigen skandinavischen Ländern auf Sozialeinkommen Einkommensteuern und Sozialbeiträge erhoben werden. Außerdem sind Verbrauchssteuern wie die Mehrwertsteuersätze in Skandinavien höher als hier zu Lande.

In Dänemark und Schweden holt sich damit der Staat einen beachtlichen Teil seiner sozialen Transferleistungen über relativ hohe Abgaben wieder zurück. Die Nettosozialleistungsquote ist in diesen beiden Ländern deshalb gemessen am BIP knapp acht beziehungsweise gut vier Prozentpunkte niedriger als die Bruttoquote.

In Deutschland unterscheiden sich beide Quoten dagegen kaum, weil sich laut IW Abgaben und steuerliche Zuschüsse in etwa die Waage halten. Für Jochen Pimpertz, Mitautor der IW-Untersuchung, lässt sich damit das Bild von Dänemark und Schweden als klassische Wohlfahrtsstaaten nicht mehr aufrecht halten. Dagegen "untermauert" die Nettorechnung der OECD "für Deutschland einmal mehr die These vom großzügigen Sozialstaat", sagte er. Dass die Bruttoquote nach neueren Zahlen des Bundesarbeitsministeriums seit 2004 sinkt, ändert seines Erachtens nichts an dieser Tendenz.

Auch für die USA kommt das neue OECD-Konzept zu einem überraschenden Ergebnis: Vor allem wegen der starken steuerlichen Förderung von Zahlungen an Pensionsfonds fällt die Nettosozialquote fast neun Prozentpunkte höher aus als die Bruttoquote. Bereinigt rücken die USA damit wesentlich näher an Deutschland heran und liegen sogar über dem Durchschnitt für die 23 OECD-Länder von 22,5 Prozent. ari

ari



20. September 2006

chinaman - Donnerstag, 19. Oktober 2006 - 05:45
Kommentar: Schwarzrotes Vabanque


Die Konjunktur in Deutschland läuft so gut, wie seit dem New-Economy-Boom der Jahrtausendwende nicht mehr. Die Zahl der Arbeitslosen geht zurück. Die Defizitgrenze des EU-Stabilitätspakts kann erstmals seit 2001 wieder eingehalten werden - auch ohne Steuererhöhungen. Kein Zweifel, das Konjunkturjahr 2006 ist ein gutes Jahr.

Der Aufschwung ist da, aber er könnte rasch wieder vorbei sein. Es sind nicht der Ölpreis, internationale Finanzkrisen oder Terrorattacken, die die deutsche Konjunktur bedrohen. Die drohende Konjunkturabkühlung ist hausgemacht. Es ist die Bundesregierung selbst, die mit der größten Steuererhöhung der Nachkriegszeit Anfang 2007 dem Aufschwung einen nie da gewesenen Belastungstest unterzieht. Schwarz-Rot spielt Vabanque: Ist der Konjunkturaufschwung stark genug, um den Schlag durch die Steuererhöhung zu überstehen? Selbst die Institute sind in der Frage zerstritten, wie widerstandsfähig die Wirtschaft wirklich ist.

Abschwächen wird sich die Konjunktur jedoch auf jeden Fall. Damit kommen aber auch der Stellenaufbau in den Unternehmen und der Rückgang der Arbeitslosigkeit zum Stillstand. Kommen dann noch weitere Konjunkturrisiken hinzu, könnte sich die verheerende Abwärtsspirale, aus der Deutschland doch gerade entronnen ist, wieder in Gang setzen.

Stefan von Borstel

Artikel erschienen am 19.10.2006
Die Welt

prof - Montag, 23. Oktober 2006 - 18:29
Nur 20% der Erntehelfer erschienen auf dem Feld, der Rest würde von mir keinen cent an staatlicher Unterstützung mehr bekommen!
Prof

Sachsens Landwirtschaftsminister kritisiert Erntehelfer-Regelung

Sachsens Landwirtschaftsminister Tillich hält die Erntehelfer-Regelung des Bundes für gescheitert. Tillich sagte, es sei die bittere Wahrheit, dass die Leistungen der deutschen Helfer nicht ausreichten. Oft habe ihnen auch die Motivation gefehlt. In einem Fall seien von etwa 1.200 von der Arbeitsagentur vermittelten Frauen und Männern nur 260 tatsächlich erschienen. Die Bauern hätten dadurch mehr Aufwand als Nutzen gehabt. Tillich sagte, es habe sich gezeigt, dass die Saisonarbeit kein geeignetes Instrument sei, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Er schloss sich der Forderung anderer Agrarminister an, das Gesetz entsprechend zu ändern.

al_sting - Dienstag, 24. Oktober 2006 - 12:03
Ist die Idee hinter Hartz-IV nicht, dass für jedes abgelehnte Angebot die Zuwendung um 30% gekürzt würden?
Würde mich interessieren, ob das hier angewendet wird.

chinaman - Donnerstag, 26. Oktober 2006 - 04:25
HANDELSBLATT, Mittwoch, 25. Oktober 2006, 15:12 Uhr


Kurz & knapp


Wie Sie der Rente mit 67 entgehen
Von Karl Doemens


Ab 2029 sollen Arbeitnehmer in Deutschland erst mit 67 Jahren in Rente gehen können, ohne dass sie Abschläge bei ihren Altersbezügen hinnehmen müssen. Doch wie in Deutschland üblich, soll es weit reichende Ausnahmen von dieser Regel geben. Die bisher bekannt gewordenen Eckpunkte der Reform in Stichworten.

Regelaltersgrenze

Von 2012 bis 2029 steigt die Regelaltersgrenze in Schritten von einem oder zwei Monaten je Geburtsjahrgang auf 67 Jahre. Arbeitnehmer, die 1964 geboren wurden, müssen als erste die vollen 67 Jahre arbeiten, um ein gesetzliches Ruhegeld ohne Abschläge zu erhalten. Grundsätzlich werden die Altersgrenzen auch in den übrigen Rentenarten gegenüber der bisherigen Regelung um zwei Jahre angehoben. Dies gilt beispielsweise für Schwerbehinderte, Bergleute und Witwen. Doch hat die Koalition eine Reihe von Ausnahmen vereinbart.

Ausnahme: 45 Jahre

Schon im Koalitionsvertrag vereinbarten Union und SPD, dass Arbeitnehmer, die mehr als 45 Beitragsjahre vorweisen können, künftig weiter ohne finanzielle Einbußen mit 65 Jahren in Rente gehen können. Weil von der Regelung sonst fast ausschließlich Männer profitieren würden, schlägt die Koalitionsarbeitsgruppe eine großzügigere Definition von „Beitragsjahren“ vor. Auch Zeiten der Pflege und der Kindererziehung sollen angerechnet werden. Maximal zehn Jahre pro Kind werden berücksichtigt. Sonderregelungen für bestimmte Berufsgruppen („Dachdecker“) wird es hingegen nicht geben.

Ausnahme: 35 Jahre

Langjährig Versicherte, die mindestens 35 Versicherungsjahre vorweisen können, dürfen derzeit mit 63 Jahren aus dem Berufsleben ausscheiden. Dabei müssen sie allerdings einen lebenslangen Abschlag von 7,2 Prozent von ihren Bezügen hinnehmen. Entgegen den ursprünglichen Plänen will die Koalition die Altersgrenze für den vorzeitigen Ruhestand im Rahmen der Reform nicht anheben. Für die meisten Versicherten ist also weiter der Vorruhestand mit 63 möglich. Doch das hat seinen Preis: Die Abschläge wachsen bis 2029 stufenweise auf 14,4 Prozent.

Altersteilzeit

Wer vor 1954 geboren wurde und im Vertrauen auf die bisherigen Altersgrenzen bereits verbindlich Altersteilzeit vereinbart hat, für den soll sich nichts ändern. Grundsätzlich kann die Altersrente nach Altersteilzeit oder Arbeitslosigkeit nur noch von Arbeitnehmern in Anspruch genommen werden, die vor 1951 geboren wurden.

Erwerbsminderung

Wer auf Grund seiner vom Arzt festgestellten gesundheitlichen Leistungsfähigkeit nur weniger als drei Stunden am Tag arbeiten kann, der hat Anspruch auf eine volle Erwerbsminderungsrente. Wer drei bis sechs Stunden bewältigt, erhält die halbe Rentenzahlung. An dieser Regelung ändert sich nichts. Auch werden junge Erwerbsunfähige bei der Rentenhöhe weiter so behandelt, als hätten sie bis zum 60. Lebensjahr eingezahlt. Grundsätzlich steigt die Altersgrenze für die abschlagfreie Rente von 63 auf 65 Jahre. Bis zum Jahr 2023 können aber 63-jährige Versicherte mit 35 Beitragsjahren weiter ohne finanzielle Einbußen ausscheiden. Ab 2024 gilt dies nur noch für 63-Jährige mit 40 Beitragsjahren.

Anpassungsformel

Seit dem Jahr 2005 soll eigentlich ein neuer Nachhaltigkeitsfaktor den Anstieg der Renten bremsen. Doch faktisch ist diese Kürzung ins Leere gelaufen. Eine von der rot-grünen Vorgängerregierung eingeführte Schutzklausel verbietet nämlich, dass der Nachhaltigkeitsfaktor zu Rentenkürzungen führt. In Jahren mit einem schwachen Wirtschaftswachstum, die den Ruheständlern ohnehin eine Nullrunde bescheren, kann er daher nicht wirken.

Mittlerweile schieben die Rentenkassen dadurch eine Bugwelle von 3,6 Milliarden Euro vor sich her, ohne deren Einsparung das langfristige Ziel, den Beitrag bis zum Jahr 2020 unter der 20-Prozent- Marke zu halten, gefährdet ist. Die Dämpfungen sollen nun nachgeholt werden: Ab 2011 soll in Jahren, die eine positive Rentenanpassung ermöglichen, die ansonsten fällige Erhöhung beschnitten werden – allerdings nur jeweils zur Hälfte und nur so lange, bis das ausstehende Entlastungsvolumen erbracht ist.

prof - Dienstag, 14. November 2006 - 20:00
Man kann also noch leichter in die private Pleite gehen, warum sich also um eine solide Lebenführung bemühen ... ?


Privatinsolvenzen sollen vereinfacht werden
Gesetzesentwurf.
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) will die Entschuldung mittelloser Bürger vereinfachen. Dies sieht ein erster Gesetzentwurf zur Reform des Insolenzverfahrens für Privatleute vor, den Zypries heute in Berlin vorstellte.

Justizministerin Zypries will für Vereinfachungen bei Privatinsolvenzen sorgen, Foto: AP
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Justizministerin Zypries will für Vereinfachungen bei Privatinsolvenzen sorgen, Foto: AP
Davon sollen vor allem die Länder profitieren, die bisher in 80 Prozent der Fälle auf den durchschnittlichen Verfahrenskosten von 2500 Euro sitzen bleiben. Die Reform soll die Kosten auf 800 bis 900 Euro drücken. Zypries hält eine Einführung im Jahr 2008 für möglich.

Die Wirtschaftsauskunftei Creditreform rechnet in diesem Jahr mit etwa 140 000 Verbraucherpleiten. Bundesweit gelten 3,1 Millionen Haushalte als überschuldet.
„Das vereinfachte Entschuldungsverfahren schafft einen sozial gerechten Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen von Gläubigern und Schuldnern“, sagte Zypries. Der redliche Schuldner erhalte „eine Chance für einen Neubeginn ohne Schulden“. Die seit 1999 geltende Praxis der Verbraucherinsolvenz wird kritisiert, weil Rechtspfleger an den Amtsgerichten und Insolvenzrichter der Masse an Verfahren und dem hohen Bürokratieaufwand nicht mehr gewachsen sind.


Mittellose Pleitiers kommen direkt zum Schuldenerlass

Der vorläufige Gesetzentwurf, der jetzt an Verbände und Länder verschickt wird, sieht vor, dass verschuldete Bürger, bei denen es nichts mehr zu holen gibt (80 Prozent aller Fälle), das förmliche Insolvenzverfahren überspringen. Stattdessen beginnt direkt das Verfahren für einen Schuldenerlass (Restschuldbefreiung).

Dafür füllt der Betroffene zum Beispiel bei der Schuldnerberatung ein 35-seitiges Formular über seine Vermögensverhältnisse aus. Dieser „Offenbarungseid“ wird von einem Gerichtsvollzieher geprüft. Anschließend leitet das Gericht eine sechsjährige „Bewährungszeit“ (Wohlverhaltensperiode) ein. Alle monatlichen Einkünfte über 985 Euro netto muss der Schuldner in diesem Zeitraum über einen Treuhänder an seine Gläubiger abführen.

Das neue Entschuldungsverfahren sieht zudem vor, dass der Schuldner dem Treuhänder, in der Regel ein Rechtsanwalt oder Steuerberater, monatlich 13 Euro für den Verwaltungsaufwand bezahlen muss. Zypries hob vor allem die Arbeit der Schuldnerberatungsstellen hervor: „Die Dauerbegleitung hat eine enorm stabilisierende soziale Wirkung.
wiw/dpa

al_sting - Dienstag, 14. November 2006 - 20:45
Z.B. weil man seinen Schufa-Eintrag nicht wieder los wird? Danach wird es schwer, ein Konto mit Überziehungskredit zu kriegen, von anderen Krediten mal ganz abgesehen...
(Und falls der Eintrag der Schufa verboten werden sollte, kommt es auf irgendeine "schwarze Liste", die dann auch allgemein zirkuliert)

Selbst wenn es verlockend aussehen mag, würde ich jedem empfehlen, seine Schulden abzuzahlen, sofern es irgend geht. Ist lehrreich und vermeidet eine unschöne Hypothek für den Rest des Lebens.

prof - Dienstag, 14. November 2006 - 21:12
Als Selbständiger bekomme ich bei der örtlichen Sparkasse keinen cent Dispo, obwohl ich seit 22 Jahren dort Kunde bin und noch nicht ein Mal mein Konto überzogen habe ...

Prof

al_sting - Dienstag, 14. November 2006 - 21:46
Und bei Kunden?
Beim Hauskauf?
Kreditkarte?
Hast du noch nie auf Kredit Waren ausgelegt bekommen? Nie eine Schufa-Erklärung vorweisen müssen?
...
Das hat Auswirkungen bis hin zum Abschluss eines Telefonvertrages. Ich weiß, dass viele Ausländer Handyverträge nur Prepaid bekommen, ihnen also die günstigeren Tarife verschlossen bleiben. Ich glaube, bei Schufa-Eintrag läuft das ähnlich.

Nichts destotrotz wäre das m.E. ein guter Grund, die Bank zu wechseln. Nicht dass ich auf Miese stehe, aber die Option eines tageweise zu nutzenden Dispokredites halte ich für nicht unwichtig.

chinaman - Mittwoch, 15. November 2006 - 05:17
Die Wahrheit wird wie öfter im Leben in der Mitte liegen. Einerseits haben wir einen Staat, der gerne "umverteilt". Dies bedeutet, denen etwas wegnimmt, die Leistungsfähigkeit und Motivation bewiesen haben. Andererseits haben die Finanzsysteme natürlich Repressalien entwickelt, die Bürger "gefügig" zu machen und zu halten ...

Letztendlich gehe ich aber auch davon aus, dass die "Sparer" die Dummen sein werden ... Zumindest wenn Sie in staatlichem Papiergeldvermögen sparen ... Wie heisst es so schön: Papiergeld kehrt immer zu seinem inneren Wert zurück. Der liegt nun mal aber bei nahezu null, den Papier- und Druckkosten sind vernachlässigbar ...


Gruß
Chinaman

prof - Mittwoch, 21. Februar 2007 - 17:25
Deutsche Politiker fordern Glühbirnen-Verbot
Nach dem australischen Verbot herkömmlicher Glühbirnen fordern nun auch Politiker der SPD und der Grünen den Umstieg auf Energiesparlampen. Bis zu 20 Millionen Millionen Tonnen Kohlendioxid könnten europaweit eingespart werden. Die Hersteller brauchen jedoch Zeit.


Am besten jede Stadt erhält einen Beamten für die Kontrolle des Verbotes, die Politiker wollen sich wichtig machen, mehr ist das nicht!

Im Übrigen: Zur Zeit gibt es in Treppenhausschaltungen keinerlei Alternative zu Glühbirnen.

So etwas muss doch der Markt regeln können, ich kaufe schon seit 2000 keine Glühlampe mehr. Außer fürs Treppenhaus, dort sind Glühlampen nämlich (noch) alternativlos ...
Prof

chinaman - Mittwoch, 10. Oktober 2007 - 05:45
SPIEGEL ONLINE - 09. Oktober 2007, 11:22
URL: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,509990,00.html


ARM DURCH ARBEIT


Arbeitnehmer - die wahre Unterschicht


Von Michael Sauga


Die Einkommen der Arbeitnehmer haben sich in den vergangenen Jahren viel schlechter entwickelt als die von Selbständigen, Rentnern oder Pensionären. Schuld ist eine Fehlkonstruktion des Sozialstaats, der abhängig Beschäftigte abstraft.

Für den Sachverständigenrat der Bundesregierung erforschen die Berliner Wirtschaftswissenschaftler Gert Wagner und Markus Grabka regelmäßig die Einkommensverteilung in Deutschland. Die beiden Ökonomen am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung messen, wie weit der Lebensstandard in den oberen und unteren Etagen der Gesellschaft auseinanderklafft, wer die Unterschicht bildet und wie viel in der Einkommenselite verdient wird.

Sie erheben "Median-Einkommen", berechnen "perzentile Verhältniszahlen", bilden "Verteilungskoeffizienten" und werten jenen Datensatz zur Einkommenslage des Landes aus, der als einer der aussagekräftigsten in der ganzen Republik gilt: das institutseigene "sozio-oekonomische Panel", das jedes Jahr in gut 10.000 deutschen Haushalten die finanziellen Verhältnisse erhebt.

Jüngst legten sie eine Sonderuntersuchung vor. In einer Langzeitstudie haben sie verglichen, wie sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten die Nettoeinkünfte von Bevölkerungsgruppen entwickelt haben, die in unterschiedlicher Weise am Sozialsystem des Landes beteiligt sind. Betrachtet wurden Arbeitnehmer, die Mitglieder der gesetzlichen Sozialkassen sind; Selbstständige, die sich überwiegend privat versichern; sowie verschiedene Empfänger staatlicher Transferzahlungen: Rentner, Pensionäre und Arbeitslose.

Für alle Gruppen ermittelten die Berliner Forscher die Erwerbseinkommen, zählten sonstige Einkünfte wie Kapitalerträge oder Mieten hinzu und addierten die staatlichen Sozialleistungen. Davon zogen sie die gezahlten Steuern und Beiträge ab. Unter dem Strich erhielten sie so das verfügbare Haushaltsnettoeinkommen, aus dem sich ablesen ließ, wie sich der Lebensstandard der verschiedenen Bevölkerungsgruppen im Schnitt entwickelt hatte.

Geradezu bizarre Verteilung staatlicher Lasten

Was sie ermittelten, war überraschend und brisant zugleich. Die Resultate zeigten, welch beträchtliche Folgen die unterschiedliche Beteiligung am Sozialstaat hatte, wer den Löwenanteil seiner Leistungen erhielt und wer sich als Gewinner betrachten durfte. Sie zeigten, dass sich das soziale Gefüge im Land ganz anders entwickelt hatte als vielfach gedacht. Und sie demonstrierten, dass die Jahre seit der Wiedervereinigung vor allem einer gesellschaftlichen Gruppe Verluste brachten: den Arbeitnehmern.

Das erweist sich vor allem im Vergleich mit jenen erwerbstätigen Bundesbürgern, die das Glück haben, als Selbstständige nicht in die Sozialkassen einbezogen zu sein. Anfang der neunziger Jahre überstiegen ihre Nettoeinkünfte den bundesweiten Durchschnitt um 40 Prozent. Rund 15 Jahre später war der Abstand schon auf circa 50 Prozent angewachsen. Die Einkommen der Arbeitnehmer dagegen stagnierten dauerhaft knapp fünf Prozent über dem Durchschnitt.

Die Ursache lag nicht nur darin, dass sich die Bruttoeinkommen von Freiberuflern, Unternehmern und Gewerbetreibenden besser entwickelten als die von abhängig Beschäftigten. Die Ursache lag vor allem in einer unterschiedlichen Belastung mit Steuern und Abgaben.

So sank der Betrag, den die Selbstständigen an den Staat abführen mussten, seit Anfang der neunziger Jahre um rund sechs Prozent; derjenige der Arbeitnehmer dagegen stieg im selben Zeitraum um fast drei Prozent an. Als Folge konnten sich diejenigen, die als Freiberufler oder Unternehmer ihre Existenz bestreiten, nicht unerhebliche Einkommensvorteile verschaffen. Ein Arbeitnehmerhaushalt führt heute je Mitglied gut 26 Prozent des Einkommens an den Staat ab, ein Selbstständigenhaushalt dagegen nicht einmal 15 Prozent.

Die vergangenen Jahrzehnte, so erwies die Untersuchung, haben zu einer geradezu bizarren Verteilung staatlicher Lasten geführt. Arbeitnehmer, die im Schnitt deutlich schlechter verdienen als Selbstständige, mussten deutlich steigende Abgaben verkraften. Die besser verdienenden Selbstständigen dagegen konnten ihre Zuwendungen an die Gemeinschaft beträchtlich abbauen. Solidarität paradox.

Die "Leistungsgesellschaft" - eine Sozialleistungsgesellschaft

Nicht weniger überraschende Resultate förderte der Vergleich zwischen den Einkünften von Arbeitnehmern und den Einkommen von Transferempfängern zutage. Nach der Logik des bundesdeutschen Wohlfahrtsstaates sollte sich die Einkommensentwicklung der Beschäftigten mit jenen von Rentnern oder Arbeitslosen in etwa im Gleichschritt bewegen. Doch das war nicht der Fall. Im Gegenteil: Viele Empfänger öffentlicher Zuwendungen haben in den vergangenen Jahren deutlich besser abgeschnitten als die Arbeitnehmer. Die Leistungsgesellschaft präsentierte sich, zumindest bis zu einem gewissen Grad, als Sozialleistungsgesellschaft.

Während die Einkommensposition von Arbeitern und Angestellten stagnierte, haben die gut 22 Millionen Rentner ihre Einkünfte in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten um gut zwölf Prozent gesteigert. Mitte der achtziger Jahre erreichten ihre Nettoeinkünfte 82 Prozent des Durchschnittseinkommens. 20 Jahre später war der Wert auf 92 Prozent gestiegen. Mit anderen Worten: Der Lebensstandard von Senioren entspricht heutzutage praktisch dem von Arbeitnehmern. "Keiner anderen Rentnergeneration ist es materiell je so gut gegangen wie der heutigen", sagt Einkommensforscher Wagner.

Im Seniorenparadies Deutschland schnitt nur eine Gruppe noch besser ab: die Pensionäre. Die durchschnittlichen Einkünfte der knapp eine Million Ruhestandsbeamten lagen schon immer deutlich über denen des aktiven Teils der Bevölkerung - worüber sich nur derjenige wundert, der die rentierlichen Prinzipien der deutschen Beamtenversorgung nur vom Hörensagen kennt. In den letzten Jahrzehnten jedoch hat die Distanz geradezu atemberaubende Ausmaße angenommen.


Mitte der achtziger Jahre überstiegen die Pensionärseinkommen den gesellschaftlichen Durchschnitt noch um bescheidene 18 Prozent. Mitte dieses Jahrzehnts aber ist der Abstand schon auf fast 40 Prozent angewachsen. Keine andere der untersuchten Bevölkerungsgruppen hat im Vergleichszeitraum finanziell besser abgeschnitten, keine andere hat ihre Einkünfte schneller gesteigert als das Heer der ausgemusterten Amtsräte, Staatsanwälte oder Studiendirektoren. Geht die Entwicklung weiter wie bisher, werden die Pensionärsbudgets schon in wenigen Jahren die Einkünfte jener Selbstständigen toppen, die sich mitten im Erwerbsleben befinden.

Kein Zweifel, die neunziger Jahre werden einst als das goldene Jahrzehnt der Pensionäre in die Annalen des deutschen Staatsdienstes eingehen. Selbst die Arbeitslosen sind lange Zeit im deutschen Sozialstaat gar nicht schlecht gefahren, so geht aus der Untersuchung hervor. Zwar lagen ihre Einkünfte stets deutlich niedriger als die aller anderen Gesellschaftsgruppen.

Doch in den späten achtziger- und frühen neunziger Jahren holten sie deutlich auf; zeitweise wuchs ihr Lebensstandard sogar schneller als derjenige der Arbeitnehmer. Erst in jüngster Zeit sind die Einkünfte der Jobsuchenden nach zahlreichen Sparpaketen und Reformen regelrecht abgestürzt. Seit 2000 verloren sie gegenüber den Beschäftigten gut 17 Prozent ihrer Einkommensposition.

Das Fazit der Untersuchung ist ein Alarmruf an alle Anhänger des deutschen Sozialmodells: Je weniger die Bürger mit der Finanzierung des hiesigen Wohlfahrtsstaates zu tun hatten, desto günstiger entwickelte sich ihr Haushaltsbudget. Am besten schnitten diejenigen ab, die wie Pensionäre oder Selbstständige weitgehend von den Solidarsystemen abgenabelt sind. Auch die Rentner, die von den Beiträgen der aktiven Arbeitnehmer leben, fuhren nicht schlecht. Verlierer dagegen waren die abhängig Beschäftigten, die den Wohlfahrtsstaat finanzieren mussten. Sie bilden die wahre Unterschicht.

Überdehnt und übersteuert, ausgereizt und totgeritten

Das Ergebnis zeigt mehr als die Verteilungsgewinne und
-verluste der vergangenen Jahre. Es verweist auf den Kern des Problems im deutschen Sozialsystem.

Wie in kaum einem anderen Land Europas hat die Bundesrepublik die Finanzierung des Wohlfahrtsstaates an den Faktor Arbeit gekoppelt - und die Verbindung trotz aller Beteuerungen kaum gelockert. Zum einen speisen sich von der Rente bis zur Gesundheitsversorgung alle großen Sozialsysteme vornehmlich aus Beiträgen auf den Lohn der Arbeitnehmer. Zum anderen machen die gesetzlichen Mega-Versicherungen einen größeren Anteil des Hilfs- und Unterstützungswesens aus als in vielen anderen Ländern, wo die Sozialsysteme stärker aus Steuern und über die öffentlichen Haushalte bezahlt werden.

Während vieler Nachkriegsjahrzehnte erwies sich der deutsche Sonderweg als Erfolgsmodell. Solange Wirtschaft und Beschäftigung wuchsen, war der Faktor Arbeit ergiebig genug, um von der Kassen-Kur bis zur Lohnfortzahlung immer neue soziale Bedürfnisse zu finanzieren. Ob Ludwig Erhards "Wohlstand für alle" oder Helmut Schmidts "Modell Deutschland": Die wirtschaftspolitischen Konzepte der fünfziger, sechziger und siebziger Jahre setzten im Kern auf jenes sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis, das ökonomisches Wachstum und sozialen Ausgleich gleichermaßen zu garantieren schien.

Doch dann geschah, was mit Erfolgsmodellen häufiger geschieht, wenn die Erfolge immer größer werden: Sie werden überdehnt und übersteuert, ausgereizt und totgeritten. Das Netz sozialer Leistungen wuchs und wuchs - auch dann noch, als Konjunktur und Arbeitsmarkt zu schwächeln begannen und sich jene demografische Krise ankündigte, deren volle Wucht die Wohlfahrtssysteme erst in einigen Jahren erreichen wird.

Todesspirale zu Lasten von Wachstum und Jobs

Schließlich halste das Kabinett Kohl auch noch die Kosten der deutschen Einheit zum größten Teil dem Faktor Arbeit auf und verwandelte damit das einstige Fortschrittsprinzip endgültig in einen Sanierungsfall. Eng verkettet wie sie waren, nährte nun jede Steigerung der Arbeitslosenzahlen die Misere der Sozialkassen, und umgekehrt.

Eine Todesspirale zu Lasten von Wachstum und Jobs kam in Gang, die sich Umdrehung für Umdrehung nach dem gleichen Prinzip voranfraß: Wenn irgendwo in der Kranken- oder Rentenversicherung die Kosten stiegen, musste die Regierung die entsprechenden Sozialbeiträge anheben. Das verteuerte viele Jobs, die bei nächster Gelegenheit gestrichen wurden. Die Entlassenen wiederum verstärkten die Armee der Transferempfänger auf Kosten der Sozialkassen - und lösten die nächste Umdrehung der unheilvollen Spirale aus.

Die einseitige Kopplung der Sozialkosten an den Faktor Arbeit bewirkt, dass die Beschäftigten nicht nur die Nachteile der Globalisierung und die Kosten der Wirtschaftskrise zu tragen haben. Sie sind auch die Geprellten in den großen Versicherungssystemen des Landes.

Sie müssen hinnehmen, dass andere Bevölkerungsgruppen vom sogenannten Solidarprinzip weitgehend ausgenommen bleiben. Sie müssen akzeptieren, dass sie aus den Wohlfahrtssystemen nur noch bescheiden bedient werden. Sie müssen erleben, dass die Reformpolitik der vergangenen Jahre vor allem zu ihren Lasten ging.

prof - Mittwoch, 10. Oktober 2007 - 06:43
Super Artikel, wenn der Konjunktur die Puste ausgeht, läuft das Ding gegen die Wand ...
Prof

prof - Mittwoch, 12. Dezember 2007 - 11:23
Sachsen LB: Hier wurden mindestens 1000 € pro Kopf der sächsischen Bevölkerung einfach so verspielt.
Kaum vorstellbar, welche Maßnahmen für Infrastruktur (z.B. eine Elbunterquerung statt Waldschlösschenbrücke), Kinderbetreuung, Bildung damit zu finanzieren gewesen wären.
Das Geld wurde einfach so verzockt. Seit 2005 landeten warnende E-Mails, Briefe und Faxe im Büro von Herrn Milbradt. Der Mann ist diplomierter Volkswirt!
Wer solche Summen verspielt und jegliche Warnung ignoriert für den ist ein Rücktritt zu wenig:
Meiner Meinung nach ist hier eine persönliche Haftung bis zu Hartz IV-Niveau fällig ...
:-( Prof

chinaman - Mittwoch, 12. Dezember 2007 - 13:05
"persönliche Haftung"

für Politiker ??? Nie im Leben ...


Gruß
Chinaman

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