Diskussionsforum der stw-boerse: Sonstiges: Politik Deutschland: Archivierte Beiträge bis 13. Oktober 2005
chinaman - Donnerstag, 2. Dezember 2004 - 09:24
"2005 droht eine neue Kostenlawine"
Chef der Betriebskrankenkassen warnt vor steigenden Arzneimittelausgaben
von Dorothea Siems

Der Vorstandschef des Bundesverbandes der Betriebskrankenkassen, Wolfgang Schmeinck, rechnet 2005 mit einer neuen Ausgabenexplosion im Arzneimittelsektor. Auch deshalb gebe es keinen Spielraum für sinkende Beiträge. Mit Schmeinck sprach Dorothea Siems


Die Welt: Hat die Gesundheitsreform die erhofften Einsparungen gebracht?


Wolfgang Schmeinck: Die Gesundheitsreform entlastet die Krankenkassen in diesem Jahr um sechs bis sieben Milliarden Euro. Allein für Arzneimittel werden wir in diesem Jahr 2,4 Milliarden Euro weniger ausgeben als 2003. Das ist ein Rückgang um 10,5 Prozent. Damit wird das für diesen Bereich angepeilte Einsparziel zu 80 Prozent erreicht. Allerdings nimmt der Rückgang ab. Betrug er im 1.Quartal 2004 noch 16,5 Prozent, reduzierte er sich auf 10 Prozent im 2. und 6,5 Prozent im dritten Quartal.


Die Welt: Wie verteilt sich die Belastung?


Schmeinck: Die Hauptlast tragen die Patienten. Sie müssen zum einen rezeptfreie Medikamente bis auf wenige Ausnahmen aus der eigenen Tasche zahlen. Das führt dieses Jahr zu Einsparungen von 1,3 Milliarden Euro. Hinzu kommen Zuzahlungen, die sich für verschreibungspflichtige Arzneimittel um 800 Millionen Euro erhöht haben. Das heißt, daß 2,1 Milliarden Euro des Gesamtspareffekts wurden durch Umverteilung zu Lasten der Versicherten erzielt.


Die Welt: Bezahlen die Patienten die rezeptfreien Medikamente nun selbst?


Schmeinck: Nein, der Markt für die OTC-Produkte ist praktisch zusammengebrochen. Der Umsatz ging hier um zwei Drittel auf rund 400 Millionen Euro zurück. Der Rest wird gar nicht mehr genommen. Solche Präparate sind auch nicht durch rezeptpflichtige Medikamente ersetzt worden.


Die Welt: Und wie ist der Beitrag der Leistungserbringer?


Schmeinck: Die Pharmaindustrie leistet einen erheblichen Beitrag. Die Gesundheitsreform sieht vor, daß in Zukunft für weitaus mehr Medikamente Festbeträge gezahlt werden. Bislang mußten die Kassen stets für patentgeschützte Arzneimittel den Preis bezahlen, den die Hersteller festgesetzt haben. Künftig gilt dies nur noch für tatsächliche Innovationen. Insgesamt soll die neue Festbetragsregelung eine Milliarde Euro bringen. Da die Umsetzung allerdings Zeit braucht, hat der Gesetzgeber für dieses Jahr den Herstellern einen Zusatzrabatt von zehn Prozent verordnet. Dadurch sparen die Kassen dieses Jahr 880 Millionen Euro. Allerdings knabbert die Apothekerschaft von diesen Einsparungen 630 Millionen wieder ab. Denn sie hat durchgesetzt, daß Sparmaßnahmen aus 2003, die zu ihren Lasten gingen, wieder zurückgenommen wurden. Die Apotheker sind die Gewinner der Gesundheitsreform.


Die Welt: Im Vorfeld der Gesundheitsreform wurden in Apotheken Hamsterkäufe getätigt. Die Ausgaben stiegen im letzten Quartal 2003 um ein Drittel. Wird sich das dieses Jahr wiederholen?


Schmeinck: Die Arzneimittelausgaben werden auch diesmal im vierten Quartal einen Sprung machen, der durchaus wieder diese Größenordnung erreichen könnte. Denn mittlerweile haben Millionen von Versicherten die Belastungsgrenze erreicht und müssen für den Rest des Jahres nicht mehr zuzahlen.


Die Welt: Wie wird sich der Arzneimittelbereich 2005 entwickeln?


Schmeinck: Im nächsten Jahr baut sich eine neue Kostenlawine auf. Zum einen läuft ein zweijähriges Preismoratorium aus, und die Pharmaindustrie reklamiert Nachholbedarf. Einige Hersteller haben bereits ihre Preise erhöht. Ein zweiter Effekt ist der Wegfall des Zusatzrabatts von zehn Prozent. Ursprünglich sollte die neue Festbetragsregelung bereits 2005 voll greifen. Doch die Umsetzung verläuft viel schleppender, so daß wir erst Anfang 2007 auf den Einspareffekt von einer Milliarde Euro kommen werden. Der dritte Effekt ist die sogenannte Strukturkomponente: der Trend zu neuen und immer teureren Medikamenten, den die Kassen seit zehn Jahren beobachten. Einen weiteren Effekt wird die den Apothekern zugesicherte Kompensation für den 2004 erfolgten Rückgang der Packungsmengen haben. Insgesamt drohen die Arzneimittelausgaben 2005 um eine Milliarde Euro wieder in die Höhe zu klettern.


Die Welt: Sollte die Politik Gegenmaßnahmen ergreifen?


Schmeinck: Der absehbare Ausgabenanstieg sollte verhindert werden, denn die Kassen haben das Geld nicht. Die Regierung sollte sich dazu durchringen, den zehnprozentigen Sonderrabatt zu verlängern. Schließlich ist die Pharmaindustrie nicht unbeteiligt daran, daß die Umsetzung der Festbetragsregelung länger als erwartet dauert. Die Regierung kann nicht einerseits immer wieder die Kassen zu Beitragssenkungen drängen und andererseits zusehen, wie die Arzneimittelausgaben wieder steigen.


Die Welt: Der Pharmahersteller Pfizer sorgt derzeit für Wirbel, weil er sich weigert, für seinen Cholesterinsenker Sortis den Preis auf das Niveau des Festbetrags zu senken. Wird hier über Gebühr und auf Kosten der Patienten gespart?


Schmeinck: Nein, Kassen und Ärzte sind sich einig, daß Sortis vergleichbar mit anderen, billigeren Präparaten ist und deshalb in die gleiche Festbetragsgruppe gehört. Ich erwarte, daß die Ärzte ihren Patienten klar machen, daß es Alternativen zu Sortis gibt, bei denen sie nicht mehr als die übliche Zuzahlung leisten müssen.


Die Welt: Was passiert, wenn Pfizer den Machtkampf gewinnt?


Schmeinck: Das würde einen Dammbruch bei den Festbeträgen bedeuten. Denn bisher hat die pharmazeutische Industrie im wesentlichen diese leistungsrechtliche Obergrenze akzeptiert und ihre Preise auf dieses Niveau gesenkt. Sollte dies durch einen Präzedenzfall Sortis anders werden, könnte im Arzneimittelbereich die gleiche Situation eintreten, wie sie schon heute bei Hilfsmitteln existiert. Bei Hörgeräten beispielsweise gibt es auf Festbetragsniveau keine Versorgung. Die Patienten müssen deshalb im Regelfall den Großteil allein zahlen. Eine solche Entwicklung bei Medikamenten wollen die Kassen verhindern.


Die Welt: Warum hat sich der Überschuß der Kassen im 3. Quartal nur noch leicht erhöht?


Schmeinck: Der Überschuß des 1. Halbjahrs von 2,5 Milliarden ist im 3. Quartal nur noch um rund 200 Millionen gewachsen. Insgesamt rechnen wir mit einem Jahresüberschuß der gesetzlichen Krankenversicherung von bis zu drei Milliarden Euro. Von den vier Milliarden, die die Regierung erwartet, werden wir weit entfernt bleiben.


Die Welt: Gibt es Spielraum für eine Senkung der Beiträge?


Schmeinck: Nein, einen größeren Spielraum sehe ich weder kurzfristig noch in 2005. Der Erfolg der Reform ist, daß die Beiträge stabil gehalten werden. Ohne die Einsparungen lägen die Kassen im Durchschnitt bei 15 Prozent.


Artikel erschienen am Do, 2. Dezember 2004
Die Welt

chinaman - Dienstag, 7. Dezember 2004 - 15:52
"Es droht ein massiver Vertrauensverlust"
Rentenverbandschef Ruland warnt vor Rente auf Pump - Kritik an Doppelbesteuerung der Altersbezüge
Berlin - Die ab 2005 geltende Reform der Rentenbesteuerung wird in vielen Fällen zu einer verfassungswidrigen Doppelbesteuerung führen, wie der Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR), Franz Ruland, meint. Als Folge der Arbeitsmarktreform Hartz IV drohe zudem künftig mehr Altersarmut. Mit dem VDR-Chef sprachen Alexander von Gersdorff und Dorothea Siems.


Die Welt: Ab dem kommenden Jahr werden Renten schrittweise stärker besteuert. Wie lange wird es dauern, bis auch der heutige Durchschnittsrentner Steuern zahlen muß?


Franz Ruland: Da es 2005 neben den allgemeinen Freibeträgen für die Rentner einen speziellen Freibetrag in Höhe der Hälfte ihrer Rente gibt, wird sich in dem Jahr für die meisten Rentner noch nichts ändern. Es werden allerdings schon ab 2005 die Rentner mit höheren Steuern rechnen müssen, die eine Bruttorente von mehr als 1550 Euro im Monat beziehen. Die zweite Gruppe, die es treffen kann, sind Rentner mit Zusatzeinkünften wie Mieten oder Betriebsrenten. Im Laufe der Zeit aber wächst ein immer größerer Anteil der Rentner des Jahres 2005 in die Besteuerung hinein, weil der spezielle Freibetrag für Rentner nicht dynamisch ist. Der Eckrentner des Rentenzugangs 2005...


Die WELT: ... der also 45 Jahre lang durchschnittlich verdient hat ...


Ruland: ...wird erstmals 2015 Steuern zahlen müssen. Die Eckrente beträgt im nächsten Jahr 1175 Euro. In den Folgejahren sinkt der spezielle Freibetrag für die Versicherten, die dann in Rente gehen, bis 2040 die Renten zu 100 Prozent zu versteuern sind. Der Eckrentner, der im Jahr 2011 in Rente geht, wird dann erstmals Steuern zahlen müssen, allerdings noch nicht viel.


Die Welt: Auch die Beiträge werden schrittweise steuerfrei gestellt. Ist damit eine Doppelbesteuerung ausgeschlossen?


Ruland: Nein. Zunächst aber: Grundsätzlich ist es sinnvoll, daß mit der Reform auf eine nachgelagerte Besteuerung der Renten umgestellt wird. Doch während des Übergangs wird es zu einer massiven Doppelbesteuerung kommen. Erst 2025 werden die Rentenbeiträge vollständig freigestellt sein. Wer ab 2040 in den Ruhestand geht, muß seine Rente voll versteuern, obwohl er bis 2025 noch auf einen beträchtlichen Teil seiner Beiträge Steuern gezahlt hat. Es kommt also zwangsläufig zu einer Doppelbesteuerung, weil die Übergangsregelungen nicht angemessen aufeinander abgestimmt sind.


Die Welt: Droht auch heutigen Rentnern eine Doppelbesteuerung?


Ruland: Ja, das Problem stellt sich unmittelbar ab 2005 bei vielen Selbständigen, die rentenversichert sind, und bei den Mitgliedern berufsständischer Versorgungswerke wie Rechtsanwälten und Steuerberatern. Denn sie haben ihre Beiträge in voller Höhe allein - ohne steuerfreien Arbeitgeberanteil - und zum großen Teil aus versteuertem Einkommen gezahlt.


Die Welt: Rechnen Sie mit Klagen?


Ruland: Ja, es wird erneute Verfahren geben, zumal sich viele der sofort Betroffenen im Steuerrecht gut auskennen.


Die Welt: Der Rentenbeitragssatz bleibt 2005 bei 19,5 Prozent. Wird das Geld reichen oder brauchen Sie einen Kredit vom Finanzminister?


Ruland: Wenn die von der Bundesregierung zu Grunde gelegten Wirtschaftsannahmen eintreten - die allerdings von ihr selbst als "ehrgeizig" bezeichnet werden -, wird die Schwankungsreserve am Ende des kommenden Jahres exakt die gesetzlich vorgeschriebene Mindesthöhe von 20 Prozent einer Monatsausgabe erreichen. Der volle Betrag steht uns aber wegen der üblichen Schwankungen nicht das ganze Jahr über zur Verfügung. Unterjährig müssen Raten des Bundeszuschusses vorgezogen werden. Im Spätherbst ist es nicht ausgeschlossen, daß wir für kurze Zeit die Bundesgarantie in Anspruch nehmen müssen. Ich hoffe aber immer noch, daß dieser Kelch an uns vorüber geht. Andernfalls würde das Vertrauen der Bevölkerung in die Stabilität der Rentenversicherung massiv beschädigt.


Welt: Die Regierung geht nicht nur von optimistischeren Arbeitsmarktzahlen aus als die Wirtschaftsweisen, sondern auch von niedrigeren Krankenkassenbeiträgen. Ein weiteres Risiko für die Rentenfinanzen?


Ruland: Ja. Die Berechnungen für die Rentenversicherung basieren auf der Annahme, daß der Beitragssatz in der Krankenversicherung von derzeit 14,2 auf 13,7 Prozent in 2005 und auf 12,9 Prozent im Jahr 2006 absinkt. Wegen der Diskussion in der Krankenversicherung kommen nicht nur mir Zweifel, ob diese Entwicklung tatsächlich eintritt. Jedes 0,1-Prozent, um das dieser Beitragssatz hinter den Erwartungen zurückbleibt, kostet uns 100 Millionen Euro.


Die Welt: Sollte der steuerfinanzierte Bundeszuschuß, mit dem die versicherungsfremden Leistungen der Rentenversicherung abgedeckt werden, erhöht werden?


Ruland: Im Prinzip: Nein. Zwar zeigen neue Berechnungen auch der Bundesregierung, daß es noch eine Differenz zwischen der Summe der nicht beitragsgedeckten Leistungen und dem Bundeszuschuß gibt. Dennoch sollte man mit der Forderung nach zusätzlichen Steuermitteln für die Rentenkasse vorsichtig sein. Die Rentenversicherung ist eine Versicherung, und als Versicherung sollte sie über Beiträge und nicht über Steuern finanziert werden. Es ist aber nicht auszuschließen, daß es wegen der sehr langen Rezessionsphase vorübergehend zu einer stärkeren Steuerfinanzierung der Rentenversicherung kommen könnte, zumal ihre hierfür vorgesehene Schwankungsreserve durch den Gesetzgeber in den letzten Jahren zu sehr abgesenkt wurde.


Die Welt: Wird es als Folge der Rentenreformen der letzten Jahre in Zukunft wieder mehr Altersarmut als heute geben?


Ruland: Die Sozialhilfequote der über 65jährigen beträgt heute 0,7 Prozent, da kommt noch eine kleine Dunkelziffer hinzu. Bei den Kindern und Jugendlichen ist die Abhängigkeit von der Sozialhilfe mit 7,2 Prozent um ein Vielfaches höher. Das zeigt, daß Armut heute kein Problem des Alterns ist. In Zukunft wird sich die Lage aber wandeln. Zwar ist nicht mit einer signifikant höheren Armutsquote unter den Rentnern zu rechnen. Aber es gibt Problemgruppen, die größer werden. Dies gilt vor allem für Langzeitarbeitslose, deren Alterssicherung zu sehr heruntergefahren wurde. Die Bezieher des künftigen Arbeitslosengeldes II werden auf der Basis von 400 Euro versichert. Nach zehn Jahren Arbeitslosigkeit erhalten sie daraus eine Rente von etwas mehr 40 Euro. Vor allem in den neuen Bundesländern sehe ich wegen der viel höheren Arbeitslosigkeit Probleme auf uns zukommen.


Die Welt: Die Bundesregierung hat bisher darauf verzichtet, die von der Rürup-Kommission empfohlene Rente mit 67 in Angriff zu nehmen. Ein Fehler?


Ruland: Deutschland ist innerhalb Europas schon Vorreiter. Es gibt kaum ein Land, in dem die gesetzliche Altersgrenze von 65 Jahren für Frauen und Männer bereits gesetzlich verabschiedet ist. Wer jetzt noch vorzeitig in Rente geht, muß hohe Abschläge hinnehmen. Das durchschnittliche Renteneintrittsalter ist deshalb auch schon wieder angestiegen. Die Frage ist aber, ob das wegen der steigenden Lebenserwartung langfristig ausreicht. Ich war in der Rürup-Kommission dafür, das gesetzliche Renteneintrittsalter ab 2011 in kleinen Schritten auf 67 Jahre anzuheben. Zwar erlaubt die derzeitige Arbeitsmarktsituation eine solche Maßnahme nicht. Doch die Rente mit 67 jetzt ankündigen, wäre ein wichtiges Signal an Arbeitgeber und Arbeitnehmer gewesen, daß die Zeiten der Frühverrentung vorüber sind. Wir brauchen eine deutlich höhere Erwerbsquote der älteren Bevölkerung.


Die Welt: Wurde den Rentnern etwa mit Nullrunden und vollem Pflegebeitrag zuviel zugemutet?


Ruland: Die Rentner sind aufgrund der mehrfachen Belastungen aufgeschreckt. Das ist verständlich, denn sie fühlen sich nicht mehr in der Lage, auf Veränderungen zu reagieren. Gegen die Inflationsanpassung 2000 hatten wir eine Million Widersprüche, gegen den vollen Pflegebeitrag 1,6 Millionen - alle wohl ohne Aussicht auf Erfolg. Jetzt fordern wir die Rentner der Geburtsjahrgänge bis 1940 auf, nachzuweisen, ob sie Kinder haben, weil sie ansonsten künftig als Kinderlose einen Zuschlag in der Pflegeversicherung zahlen müssen. Mitte nächsten Jahres müssen wir darüber informieren, daß ein Sonderbeitrag für die Krankenversicherung fällig wird. Auch dagegen wird sicherlich wieder geklagt werden. Die Neuregelungen entlasten die anderen Sozialkassen - den Ärger bekommen wir. Die Rentner müssen allerdings einsehen, daß es auch für die Arbeitnehmer derzeit nur geringe Lohnzuwächse gibt und sie ebenfalls den Kinderlosenzuschlag zur Pflege und den Sonderbeitrag zur Krankenversicherung zahlen müssen. Außerdem treffen die Einsparungen im Rentensystem die Jüngeren viel stärker als die heutigen Rentner, die noch von den Übergangsregelungen profitieren.


Interview: Dorothea Siems


Artikel erschienen am Di, 7. Dezember 2004
Die Welt

chinaman - Dienstag, 7. Dezember 2004 - 15:53
Zahl der überschuldeten Verbraucher nimmt drastisch zu
Gesamtzahl der Insolvenzen stagniert
Wiesbaden - Die Zahl der überschuldeten Verbraucher nimmt dramatisch zu. Das Statistische Bundesamt erwartet in diesem Jahr einen Anstieg um mehr als 40 Prozent auf 33 609 Verbraucherinsolvenzen. Bei den Firmenzusammenbrüchen wird es nach Einschätzung der Statistiker dagegen einen leichten Rückgang um 320 auf rund 39 000 Fälle geben. Weniger zuversichtlich hatte sich in den vergangenen Wochen in diesem Punkt die Wirtschaftsauskunftei Creditreform gezeigt, sie rechnet mit einem Anstieg der Unternehmenspleiten um 0,3 Prozent auf 39 600 Insolvenzen.


Die Statistiker wiesen am Montag darauf hin, daß die Zunahme der Verbraucherinsolvenzen auch im Zusammenhang mit der Ende 2001 geschaffenen Möglichkeit stehe, die Verfahrenskosten stunden zu lassen. "Der Anstieg ist deshalb nicht allein als Ausdruck einer aktuellen Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation der Verbraucher zu werten."


Nach Angaben des Bundesamtes ist in den ersten neun Monaten die Zahl von Pleiten größerer Unternehmen um sechs Prozent gesunken, die Zahl der Zusammenbrüche kleinerer Unternehmen dagegen um acht Prozent gestiegen. Diese Tendenz dürfte auch für das gesamte Jahr 2004 gelten.


In den ersten neun Monaten wurden insgesamt 87 185 Insolvenzen gemeldet, 16,1 Prozent mehr als im Vorjahr. Auf Unternehmen entfielen 29 730 Pleiten, 0,3 Prozent weniger als im Vorjahr. Die Zahl der Verbraucherinsolvenzen stieg dagegen deutlich um 43,2 Prozent auf 34 915 Fälle. 20 665 Pleiten wurden von ehemals Selbstständigen und Gesellschaftern gemeldet (plus 8,6 Prozent) und 1875 bei Nachlässen (plus 0,9 Prozent). Die von den Gerichten ermittelten offenen Forderungen beliefen sich auf 29,4 Mrd. Euro.


Im September gab es den Angaben des Statischen Bundesamts zufolge mit insgesamt 10 203 Insolvenzen 17,8 Prozent mehr Pleiten als im Vorjahresmonat. Dabei sank die Zahl der Unternehmenszusammenbrüche um 0,8 Prozent auf 3241, die der übrigen Schuldner stieg um 29,1 Prozent auf 6962 Fälle. AP


Artikel erschienen am Di, 7. Dezember 2004
Die Welt

chinaman - Donnerstag, 16. Dezember 2004 - 09:15
Mal was zum schmunzeln, aber mit bitterernstem Hintergrund:


"Einkommen ist die Provision, die einem der Staat für die Erarbeitung der Steuern zuerkennt"


Gruß
Chinaman

chinaman - Donnerstag, 16. Dezember 2004 - 13:31
15.12.2004
KOMMENTAR
Tanz auf dem Drahtseil
Von RUTH BERSCHENS

Handelsblatt

Die Bundesregierung hat das Prinzip Hoffnung zur politischen Maxime für den Rest der Wahlperiode erklärt: Alles wird angeblich gut im nächsten Jahr, ob beim Wirtschaftswachstum, bei den Rentenfinanzen oder im Staatshaushalt. Der Bundeskanzler platzt beinahe vor Zuversicht, seine Minister strahlen um die Wette. Wer es wagt, der geballten guten Laune etwas entgegenzuhalten, der wird postwendend als Miesmacher des Standorts Deutschland in die Ecke gestellt.

Ob die Alles-wird-gut-Strategie ausreicht, muss bezweifelt werden. Die Fakten an der Konjunkturfront geben zu Jubelstürmen keinen Anlass. Dass die Wirtschaft 2005 um 1,7 Prozent wächst, glaubt mittlerweile nur noch die Regierung selbst. Die Wirtschaftsforschungsinstitute sind gerade dabei, ihre Vorhersagen nach unten zu korrigieren.

Von Abschwung ist dabei zwar keine Rede. Doch die Regierung kann sich noch nicht einmal den kleinsten konjunkturellen Dämpfer leisten. Der Bundeshaushalt und die Rentenfinanzen sind so knapp kalkuliert wie nie zuvor. Wenn die Wachstumsrate nur wenige Zehntel unter Plan bleibt, bricht die ganze Budgetplanung zusammen. Für die Regierung ein Schreckensszenario: Hans Eichel müsste zum vierten Mal in Folge sein in Brüssel gegebenes Versprechen brechen, die gesamtstaatliche Defizitquote unter den Grenzwert von drei Prozent zu drücken. Und Ulla Schmidt käme nicht mehr umhin, zum Auftakt des Wahljahres 2006 den Rentenbeitrag von 19,5 auf 19,6 Prozent zu erhöhen.

Es muss nicht, aber es kann so schlimm kommen. Wenn der Euro-Kurs im nächsten Jahr zu neuen Höhenflügen ansetzt, würde die Konjunktur unweigerlich Schaden nehmen. Vorbereitet ist die Regierung darauf nicht. Hans Eichel hat sich zwar im stillen Kämmerlein neue Sparvorschläge für den Krisenfall ausgedacht, doch er hat dafür keine Zustimmung beim Kanzler eingeholt. Die Warnungen der Rentenversicherung weist das Sozialministerium schlicht als Panikmache zurück. Mit dieser Wirtschaftspolitik tanzt die Regierung auf dem Drahtseil – Absturz im Wahljahr nicht ausgeschlossen.

prof - Donnerstag, 16. Dezember 2004 - 15:32
Wo ist das Problem? Natürlich wird Brüssel auch bei Verletzung der Kriterien im vierten Jahr keine Sanktionen verhängen. Und die Bundesanleihen finden doch reißenden Absatz - NOCH!
Prof

chinaman - Freitag, 17. Dezember 2004 - 07:34
"Und die Bundesanleihen finden doch reißenden Absatz"

Tja, Bundesanleihen sind eben etwas "solides" und "sivheres". Da weiss man, was man hat *kopfschüttel*


Gruß
Chinaman

chinaman - Mittwoch, 22. Dezember 2004 - 17:18
Da sieht man wieder wie die Politik das Problem der unbequemen Regeln löst ...


Aus der FTD vom 23.12.2004
Eichel fordert neue Defizit-Kriterien für EU-Stabilitätspakt
Von Birgit Marschall und Claus Hulverscheidt, Berlin

Bundesfinanzminister Hans Eichel hat eine grundlegende Neuorientierung des Europäischen Stabilitätspakts gefordert. Künftig solle für ein Defizitverfahren der EU-Kommission nicht mehr entscheidend sein, ob ein Land die Drei-Prozent-Defizit-Grenze des Pakts verletzt.


Das sagte Eichel der Financial Times Deutschland. Statt dessen solle Brüssel die Finanzpolitik jedes Landes einzeln anhand von sechs bis acht festgelegten "ökonomischen Kriterien" bewerten wie etwa den Nettoransferleistungen innerhalb der EU oder Strukturreformen in der Sozialpolitik. Erst dann solle die EU-Kommission entscheiden, ob und unter welchen Vorgaben ein Verfahren eingeleitet wird.

Die bisherige Anwendung des EU-Pakts gebe der Finanzpolitik in konjunkturell schwächeren Phasen zu wenig Spielraum für wachstumsfördernde Maßnahmen. "Es ist ein falscher Anreiz, immer die Leute quälen zu wollen", sagte Eichel. "Man muss stattdessen Anreize setzen für eine bessere Fiskal- und Wirtschaftspolitik."


Bei der Reform solle es nicht darum gehen, das Drei-Prozent-Kriterium ganz aufzuheben oder einzelne Ausgabeposten aus der Defizitbewertung herauszurechnen, stellte Eichel klar. Auch das Schuldenstandskriterium des EU-Pakts, das die Gesamtverschuldung eines Staates auf 60 Prozent des BIP limitiert, solle nicht abgeschafft werden. "Wir wollen nur eine vernünftigere Anwendung des Stabilitätspakts." Der Finanzminister zeigte sich zuversichtlich, dass die Reform noch im ersten Halbjahr 2005 beschlossen wird. "Die Chancen, zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen, sind eindeutig gestiegen, weil alle begriffen haben, dass die bisherige Handhabung nicht das Non plus ultra gewesen ist", sagte Eichel. Er stellte in Aussicht, dass die Neuausrichtung noch 2005 wirksam werden könnte. "Am Ende werden die Staats- und Regierungschefs entscheiden, ob die Reform des Stabilitätspakts schon 2005 oder erst 2006 wirksam wird."

chinaman - Donnerstag, 10. März 2005 - 09:59
Finanzpolitischer Selbstmord
Der Osten hat ständig neue Kredite aufgenommen
von Uwe Müller

Noch nie in der Geschichte ist eine arme Region so subventioniert worden wie Ostdeutschland. Für den Landesteil wurde ein Rundum-sorglos-Paket geschnürt - bestehend aus dem Fonds "Deutsche Einheit" (1990 bis 1994, 160 Mrd. D-Mark), dem Solidarpakt I (1995 bis 2004, 210 Mrd. D-Mark) und dem Solidarpakt II (2005 bis 2019, 156 Mrd. Euro). Die drei Programme, verteilt auf 30 Jahre, kosten nominal 345 Mrd. Euro - fast anderthalbmal so viel wie der Bundeshaushalt 2005. Seit 1995 profitieren die Ost-Länder zusätzlich vom gesamtdeutschen Finanzausgleich.


Der Osten ist mit seiner Finanzausstattung über den Weststandard gehoben worden und damit in der Lage, je Einwohner erheblich höhere Beträge einzusetzen. So lagen die Pro-Kopf-Ausgaben der ostdeutschen Flächenländer 2003 bei beachtlichen 3913 Euro. Von solchen Summen können die westdeutschen Flächenländer nur träumen: Sie mußten sich mit 2783 Euro begnügen - 71 Prozent des Ost-Niveaus.


Der Osten kann viel mehr Geld ausgeben als der Westen, der es aufbringt: Dieser Sachverhalt ist den meisten Ostdeutschen ebenso wenig bewußt wie die Tatsache, daß ihre Länder, Städte und Gemeinden ohne die Hilfen aus dem Westen sofort ruiniert wären. Nicht einmal die Löhne und Gehälter für das Personal in den Amtsstuben könnten ohne die Transfers bezahlt werden. Auch Kultur, Schulen, Universitäten und Krankenhäuser wären im derzeitigen Umfang nicht finanzierbar.


Anders als die postkommunistischen Staaten hatte Ostdeutschland einen großen Bruder - und der zahlte zuverlässig. Trotzdem zapften die neuen Länder eine Zusatzquelle an: Im Rekordtempo nahmen sie neue Kredite auf. Zum überlassenen kam nun auch noch das geliehene Geld. Bald drehte sich die Schuldenspirale schneller als im Westen, obwohl der doch die Hauptlast für das Aufbauwerk trug.


Schulden, Schulden und nochmals Schulden: Zumindest in diesem Bereich ist dem Osten die Aufholjagd gelungen. In den ersten 13 Jahren stieg die Verschuldung von null auf rund 83 Mrd. Euro - das ist weltrekordverdächtig. Bereits 1998 überrundeten die neuen Bundesländer mit einer durchschnittlichen Pro-Kopf-Verschuldung von 3502 Euro die alten Länder um 81 Euro. Der Osten erreichte das Schuldenniveau, das von den West-Ländern über ein halbes Jahrhundert hinweg aufgebaut worden war, in gerade mal acht Jahren.


Ostdeutschland hat sich sogar stärker verschuldet, als es auf den ersten Blick scheint. Die absoluten Zahlen taugen nicht als Vergleichsmaßstab. Es zählt vielmehr, was jede Bank prüft - das Leistungsvermögen eines Kreditnehmers. Im Osten haben Staatskredite ein höheres Gewicht als im Westen. Die Schuldenquote, also die Kredithöhe im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt, legt diese Unterschiede offen. Erst sie zeigt, in welch ausweglose Lage die öffentlichen Finanzen manövriert wurden. Mit Ausnahme von Sachsen, das seine Finanzpolitik an strikter Nachhaltigkeit orientierte, sind die Raten der neuen Länder fast doppelt so hoch wie die der westdeutschen Flächenländer.


Auch ohne Anrechnung der anteiligen Bundesschulden hatten Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen 2003 jeweils eine Quote von rund 40 Prozent, das Schlußlicht Sachsen-Anhalt kam auf 45 Prozent. Solche Quoten rechtfertigen die sofortige Einweisung auf die finanzpolitische Intensivstation.


Eine vergleichbar hemmungslose Schuldenmacherei war den mittel- und osteuropäischen Wendestaaten nach 1990 schon dadurch verwehrt, daß ihre Kreditgeber Strafzinsen verlangt hätten. Obwohl diese Reformländer das Schuldenerbe ihrer kommunistischen Vorgänger antreten mußten und obwohl sie eigenständige Staaten sind, weisen sie fast durchweg solidere Staatsfinanzen auf. Die Schuldenquote liegt in Tschechien bei 26, in Rumänien bei 29 und in der Slowakei bei 34 Prozent.


Die ostdeutschen Länder hatten zwar kaum bessere Wirtschaftsdaten vorzuweisen als die jungen Reformstaaten. Trotzdem wurden sie als solvente Schuldner eingestuft und erhielten von den Rating-Agenturen eine passable Beurteilung ihrer Bonität - denn hinter ihnen steht letztlich der deutsche Staat. Dank solcher Haftungsverhältnisse blieb das finanzielle Harakiri ohne Sanktionen.


Der Maßlosigkeit waren damit keine Grenzen gesetzt. Vielerorts kultivierte man eine DDR im Kleinen. Mochte der alte Staat auch untergegangen sein, seine allumfassende Fürsorgepolitik lebte fröhlich weiter. Die Menschen mußten ein neues Gesellschaftssystem verdauen, und deshalb kümmerten sich die Volksvertreter um sie in geradezu rührender Weise - im Osten bot der Staat seinen Bürgern fast durchweg mehr als das, was im Westen üblich war.


Mit Rücksicht auf die angespannte Situation auf dem Arbeitsmarkt vermied man Kündigungen in den Verwaltungen, die zu DDR-Zeiten hoffnungslos überbesetzt waren. Statt den Menschen Selbstverantwortung nahe zu bringen, fütterte man unablässig die kollektive Anspruchshaltung, die sie im Obrigkeitssystem gelernt hatten. Dabei eröffnete die neue Währung ganz neue Möglichkeiten, und ein D-Mark-Sozialismus gedieh.


Niemand hat die Strategie des Bewahrens konsequenter verfolgt als der Kirchenjurist Manfred Stolpe. Um Wohltaten für seine Brandenburger Landeskinder zu erhalten, nahm der ehemalige SPD-Regierungschef und heutige Bundesverkehrsminister besonders viele Kredite auf. Auch die Politiker, die aus den alten Ländern importiert wurden, schöpften aus dem Vollen. Thüringens Ex-Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU) verkündete, daß er für eine niedrigere Arbeitslosigkeit gern eine höhere Verschuldung in Kauf nehme.


Die zwangsläufige Folge: Mitte der neunziger Jahre kippte der Osten - finanziell. Inzwischen ist der desaströse Zustand der Haushalte dramatischer als die kranken DDR-Staatsfinanzen Ende der achtziger Jahre. So wie damals ist auch heute eine Sanierung aus eigener Kraft unmöglich.


Teil 4 des Vorabdrucks. Bisher erschienen: "Das vertriebene Kapital" (7. März), "Der Osten wird immer älter" (8. März), "Demontage einer Stadt" (9. März). Das Buch kostet 12,90 Euro und ist vom 18. März an im Handel.


Artikel erschienen am Do, 10. März 2005
Die Welt

prof - Donnerstag, 10. März 2005 - 10:53
Ein Fass ohne Boden!
Die Ostländer (Polen, Tschechien uws.) stehen wirtschaftlich (z.B. in den Wachstumsraten) weit besser da, auch wenn dort der Lebensstandard noch nicht so hoch ist.
Dort wird nicht gejammert, sondern geklotzt. Irgendetwas ist in der Ostförderung völlig schief gelaufen! Ein Punkt ist sicher die Bürokratie, die jede Initiative im Keim erstickt!
:-( Prof

wojtek_m - Donnerstag, 10. März 2005 - 18:08
Es ist ist eigentlich einfach: Nach der Wende wurden die Löhne zu schnell an das Westniveau angeglichen, obwohl die Produktivität weit niedriger lag (und immer noch ist...). Wer soll denn dort investieren? Natürlich geht man lieber nach Tschechien, wo man vergleichbare Produktivität zu deutlich niedrigeren Kosten kriegt. War aber damals wohl politisch nicht anders machbar...

drwssk - Donnerstag, 10. März 2005 - 19:46
Natürlich nicht zu vergessen, 20 Milliarden Euro werden jährlich an die EU 'verschenkt', damit z.B. auch in Tschechien und den anderen Beitrittsländern die Löhne subventioniert werden können. Um nicht mißverstanden zu werden, ich bin natürlich nicht für Runterfahren auf Null, jedoch auf die Sätze vergleichbarer Länder, wie Frankreich und England. Die lachen sich kaputt, wie lange schon D gemolken wird.

chinaman - Freitag, 11. März 2005 - 11:04
"Ein Punkt ist sicher die Bürokratie, die jede Initiative im Keim erstickt!"


Der Hauptpunkt ist aber wahrscheinlich die Transferleistung, die es fürs "Nichtstun" gibt. Der Sozialhilfeanspruch der Bürger aus den Neuen Bundesländern liegt doch Lichtjahre über den Löhnen in Polen und Tschechien für "harte Arbeit".


Gruß
Chinaman

ceran - Freitag, 11. März 2005 - 11:42
@chinaman

deine sozialhilfelichtjahre lassen aber leider ausser acht, dass natürlich die lebenshaltungskosten ebenfalls um ähnlich viele lichtjahre weit entfernt liegen...
ein grund warum es ein reges einkaufspendeln in den grenzregionen gibt...

ein weiterer wichtiger punkt der schwäche ostdeutschlands, neben den hier schon richtig formulierten, darf aber auch nicht ausser acht gelassen werden...nach der wende, kam es, ähnlich wie in der ehem. sowjetunion, zu einem regelrechten raubtierkapitalismus...viele ostdeutsche unternehmen wurden von der westdeutschen konkurrenz aufgekauft, um sie dann ausbluten zu lassen...ganze regionen verloren nahzu die gesamte wirtschaftliche infrastruktur, ein aus heutiger sicht irreversibler vorgang, dessen folge nahezu menschenleere gegenden in vielleicht 25 jahren sein werden...

ceran

wojtek_m - Freitag, 11. März 2005 - 18:35
"deine sozialhilfelichtjahre lassen aber leider ausser acht, dass natürlich die lebenshaltungskosten ebenfalls um ähnlich viele lichtjahre weit entfernt liegen... "

Stimmt nicht. Die Lebenshaltungskosten in Deutschland sind zwar höher, aber keineswegs Lichtjahre entfernt. Ich bin selbst Pole und habe viele Freunde drüben, die hierher kommen um Unterhaltungselektronik, Autos, Kleidung usw. zu kaufen. Diese Sachen sind hier teilweise viel günstiger. Nur Grundnahrungsmittel wie Kartoffeln, Brot usw sind dort günstiger, genauso wie allerhand Dienstleistungen, weil gerade die menschliche Arbeit dort 'billig' ist. Der Durchschnittslohn in Polen (ca. 2000 zl) ist niedriger als die Sozialhilfe hinter der Grenze. Chinaman hat vollkommen Recht, Wachstum entsteht durch harte Arbeit und nicht durch Nichtstun, aber gerade die Sozialhilfe (auf diesem Niveau) begünstigt das Nichtstun.

Raubtierkapitalismus in Ostdeutschland??? Mit Flächentarifverträgen, Kündigungsschutz, enormen Transferzahlungen etc. war es eher ein 'erweiterter' Sozialismus, nach dem Kommunismus, der zu der heutigen Misere geführt hat.

Übrigens, was du Raubtierkapitalismus nennst, ist das System das im historischen Vergleich den höhsten Wohlstandswachstum gebracht hat. Kapitalismus gibt den Menschen Maximum an Freiheit, was sie selbst damit machen, ist ihre Sache.

ceran - Freitag, 11. März 2005 - 22:08
@wojtek_m
"Wachstum entsteht durch harte Arbeit und nicht durch Nichtstun, aber gerade die Sozialhilfe (auf diesem Niveau) begünstigt das Nichtstun"
da kann ich dir nur recht geben, aber die leute die hier sozialhilfe bekommen sind keine unternehmer sondern gering- bis gar nicht qualifizierte. einige davon sicherlich auch sozialschmarotzer. wo sollen die denn hart arbeiten, die straßen fegen sich auch in 12 stunden nicht sauberer. mit durchschnittlich 20% arbeitslosigkeit (genau wie in polen) sinkt natürlich auch die zahl potentieller selbstständiger, von denen einige sicherlich gern hart arbeiten würden, aber finanziell einfach dazu nicht in der lage sind. selbst wenn sie die risiken einer gbr o.ä. auf sich nehmen würden hätten sie in ostdeutschland einfach nicht genug kaufkraft um wirtschaftlich arbeiten zu können. alles herumgerede nützt nichts, der fakt ist,dass die meisten arbeitslosen in ostdeutschland einfach überflüssig sind, für sie wird es auch in entfernter zukunft keine jobs geben. hier müssen ganz neue ideen ran, alle überlegungen zu arbeitplatzmassnahmen sind da überflüssig und dienen nur der sicherung der nächsten legislatur.

"Mit Flächentarifverträgen, Kündigungsschutz, enormen Transferzahlungen"
kann mit oben gesagtem ebenfalls nahezu gestrichen werden. was nützt der beste kündigungsschutz wenn die firma insolvent oder bankrott ist.

"das System das im historischen Vergleich den höhsten Wohlstandswachstum gebracht"
wahrscheinlich soviel wohlstand wie in polen, wo derzeit 25% der bevölkerung die demokratie gern wieder zu den akten legen würden und sich nach der starken hand sehnen...
ich sehe es hier ähnlich wie bei der lehre, welche zumeist nur bei solchen auf fruchtbaren boden fällt, bei denen sie eben auf grund ihrer begabung schon wieder überflüssig ist...will hier heißen, dass die von denen du schreibst, sie würden nach dtl. kommen um hier luxusgüter zu erstehen, wohl kaum den durchschnittlichen polen repräsentieren...dann könnte man genauso gut von der arbeitswut der deutschen erntehelfer sprechen, die man glaube es kaum, immer noch zahlreich existieren, auch wenn viele von ihnen wohl mittlerweile nur noch auf polnisch oder tschechisch kommunizieren.

"Kapitalismus gibt den Menschen Maximum an Freiheit, was sie selbst damit machen, ist ihre Sache"
hoch lebe smith! was für ein quatsch... determinismus ist wohl hier das schlagende argument was ich und zum glück schon viele gescheite menschen vor mir einzubringen haben. diese ideen wurden doch schon tausendfach widerlegt und es finden sich historische wie aktuelle geschehnisse, welche die perfiden konsequenzen dieser reinen idee aufzeigen und entlarven.
ich bin verfechter einer marktwirtschaft, da sie meiner ansicht nach dem menschlichen dasein am genügsamsten ist, aber unter beobachtung und kontrolle.
deine auffassung von freiheit müsstest du in diesem kontext schon etwas präzisieren. den gleichen satz könnte man genausogut mit kommunismus formulieren und würde eine ebensolange liste mit pro und contra entwerfen können. die möglichkeit zu selbstverwirklichung (ich interpretiere deine freiheit jetzt mal so) ist in beiden systemen gegeben solange man sich hemmungslos dem jeweiligen unterwirft und genau da hört nämlich die freiheit wieder auf.
das gewinnstreben des einzelnen führt zum wohle aller, aber nicht wenn der einzelne sich bis zur besinnungslosigkeit dem rausch von konsum und rendite ergibt. wenn die selbstkontrolle versagt (wie bei sehr vielen menschen) muss eben eine institution, zb der staat, einspringen und dies, zum wohle aller, übernehmen. jeder einzelne kann dann die frei gewordene last der verantwortung nutzen, um die weniger mündigen seiner umgebung nicht ihrer freiheit im kapitalismus zu überlassen, welcher sie hoffnungslos ausgeliefert wären.

abschließend möchte ich noch loswerden, dass ich es erschreckend finde, in welcher lage sich die polen derzeit befinden, von allen neuen eu-ländern haben sie glaube ich die niedrigste "kaufkraftparität". dass einige nach dtl. kommen um luxusgüter zu erwerben und andere sich für monate hier "abrackern" und das zumeist noch schwarz, nicht um ihren familien einen höheren lebensstandard zu bieten, sondern um die grundversorgung zu sichern, zeigt doch wer von den neuen umständen profitiert und das geld nun mal zu geld wird, und wer keins hat wird auch sobald keins haben.

auch wenn hier im board alle daran arbeiten ihr geld wachsen zu lassen und in den meisten fällen zu den gewinnern gehören, sollte man nicht vergessen, dass der großteil der menschen eben nicht vom system in dieser weise profitiert.

ceran

ps:ich denke wachstum entsteht schon eine ganze weile nicht mehr durch harte arbeit, sondern durch richtige entscheidungen und pfiffige ideen.

chinaman - Samstag, 12. März 2005 - 06:35
"alles herumgerede nützt nichts, der fakt ist,dass die meisten arbeitslosen in ostdeutschland einfach überflüssig sind, für sie wird es auch in entfernter zukunft keine jobs geben."


Zu den aktuellen Löhnen hast Du da leider 100 % recht. Das geht aber eben nicht in die Spatzenhirne unserer sozialromantischen Politiker ...


Gruß
Chinaman

drwssk - Sonntag, 13. März 2005 - 18:18
Zum Thema 'Hart arbeiten':

Warnstreik bei AS Création

12.03.2005 07:09 Uhr

BOMIG. Zum ersten Mal in der mehr als 30-jährigen Geschichte der Tapetenfabrik AS Création haben die Arbeitnehmer gestreikt. 200 Mitarbeiter legten gestern Morgen in Bomig während der Frühschicht von 4 bis 9 Uhr die Arbeit nieder. Mit dem Warnstreik haben sie sich für die Weiterführung des Manteltarifvertrags eingesetzt.
Der wesentliche Streitpunkt ist die wöchentliche Arbeitszeit, die die Arbeitgeber von 35 auf 40 Stunden heraufsetzen wollen.

Man ist also nicht einmal bereit, 40 Stunden zu arbeiten !!!
be.

wojtek_m - Sonntag, 13. März 2005 - 20:16
Ceran, habe leider keine Zeit auf alle Deine Punkte umfassend einzugehen, werde mir deshalb nur einige schnell herausgreifen:

„hoch lebe smith! was für ein quatsch...“

? Alle erfolgreichen Systeme unserer Zeit basieren auf Smith… die meisten haben noch einen sozialen ‚Overhead’ – tendenziell ist es so, dass je mehr sozialer Overhead vorhanden ist, desto langsamer entwickelt sich das jeweilige Land im Vergleich zu den anderen… ich bin nicht für Abschaffung der soz. Leistungen, nur sollte man die ‚Grundsicherung’ anders definieren… ausserdem sollten soz. Leistungen nicht als Konkurrenz zur Arbeit, sondern als Zusatz zur Arbeit (oder wenn nicht möglich irgendeine Art von ‚Sozialdienst’) ausgezahlt werden

„wahrscheinlich soviel wohlstand wie in polen, wo derzeit 25% der bevölkerung die demokratie gern wieder zu den akten legen würden und sich nach der starken hand sehnen..“
+
„abschließend möchte ich noch loswerden, dass ich es erschreckend finde, in welcher lage sich die polen derzeit befinden, von allen neuen eu-ländern haben sie glaube ich die niedrigste "kaufkraftparität"“

Polen befindet sich immer noch in einem Umbruch, 20% der Bevölkerung arbeiten in der Landwirtschaft, Jahrzehnte lang wurden unprofitable Industriezweige subventioniert usw. – klar dass in so einer Phase viele Leute auf der Strecke bleiben, keine Arbeit haben usw. klar dass diese Leute das alte System haben wollen, weil sie sich an die alten, angeblich schönen Zeiten erinnern… Aber gerade Polen ist mal wieder ein Beispiel dafür, dass zu viel Staat zu misere führt – Polen hat etwa die gleiche Staatsquote wie Deutschland (wissen viele nicht) – jeder zweite Zloty geht durch den Staat. Die anderen EU-Neulinge haben sich reformiert, teilweise niedrige Linearsteuern eingeführt, Polen nicht. Polen hat im EU-Neulingen-Vergleich die höchsten Steuern und Abgaben. Das kann man mit dem größeren Absatzmarkt nur teilweise wettmachen… ok, Schluss, das ist ein D-Thread ;-)

„ps:ich denke wachstum entsteht schon eine ganze weile nicht mehr durch harte arbeit, sondern durch richtige entscheidungen und pfiffige ideen“

Wachstum entsteht, abgesehen von der Demographie, vor allem durch technischen Fortschritt. Die pffigen Ideen, die Du meinst, hat man meist wenn man arbeitet und nicht zu Hause sitzt und fernsieht.

Gruß,

Wojtek

prof - Donnerstag, 13. Oktober 2005 - 08:59
Mein ganz spezieller Freund Münti als Arbeitsminister! Wenn es nicht so traurig wäre, müsste ich jetzt lachen ...
Prof

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