Diskussionsforum der stw-boerse: Sonstiges: Politik Deutschland: Archivierte Beiträge bis 1. Dezember 2004
chinaman - Montag, 8. November 2004 - 10:40
Rentenversicherer fordert Kürzung der Renten
BfA-Chef Kleiner: Ohne Notmaßnahmenpaket droht 2005 die Zahlungsunfähigkeit - Mehr Steuermilliarden nötig
von Dorothea Siems

Berlin - Der Vorstandsvorsitzende der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), Hartmann Kleiner, hat die Bundesregierung aufgefordert, umgehend Notmaßnahmen zur Stabilisierung der Rentenversicherung zu ergreifen. Ansonsten werde die gesetzliche Rentenversicherung im kommenden Jahr auf Kredite des Bundes angewiesen sein, um die Renten noch auszahlen zu können, sagte Kleiner der WELT. Die Renten müßten 2005 gekürzt und der steuerfinanzierte Bundeszuschuß an die Rentenkasse müsse aufgestockt werden, verlangte der Vertreter der Arbeitgeber in der BfA: "Die Bundesregierung muß kurzfristig etwas tun, um die Rentenversicherung zu entlasten."


Um die Finanzlage der Rentenversicherung zu stabilisieren, seien Einschnitte bei den Renten nötig, sagte der BfA-Chef. Die vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) jüngst angekündigte Nullrunde sei nicht ausreichend. Ließe man den mit der letzten Rentenreform eingeführten "Nachhaltigkeitsfaktor" vollständig wirken, ergäbe sich nach Berechnungen der Rentenversicherer als Folge der stagnierenden Lohnentwicklung eine Minusanpassung. Eine Ausnahmeklausel im Gesetz verhindert jedoch, daß die Renten sinken können. "Diese Klausel muß gestrichen werden", forderte Kleiner. Die Renten würden dann zum 1.7.2005 voraussichtlich um 0,7 Prozent sinken.


Kleiner plädierte außerdem dafür, die Ökosteuereinnahmen vollständig der Rentenversicherung zukommen zu lassen. Tatsächlich gehe ein beträchtlicher Teil der Ökosteuer in den Bundeshaushalt, kritisierte Kleiner: "Insgesamt deckt der Bundeszuschuß noch immer nicht vollständig die versicherungsfremden Leistungen." Der BfA-Vorstandschef kritisierte, daß die Regierungsprognosen zur Entwicklung der Rentenversicherung im kommenden Jahr "unrealistisch optimistisch" seien.


Artikel erschienen am Mon, 8. November 2004
Die Welt

chinaman - Montag, 15. November 2004 - 16:08
ftd.de, Mo, 15.11.2004, 14:32
Stichwort: Der Gesundheitskompromiss

CDU und CSU haben sich nach monatelangem Streit auf ein gemeinsames Reformkonzept für das Gesundheitssystem verständigt. Im Folgenden sind die Vereinbarungen aufgeführt und den ursprünglichen unterschiedlichen Vorstellungen der Unionsparteien gegenüber gestellt.

Versicherungsprämie: Jeder gesetzlich Krankenversicherte soll eine einheitliche einkommensunabhängige "Persönliche Gesundheitsprämie" in Höhe von 109 Euro monatlich bezahlen. Für Kinder soll generell keine Prämie anfallen. Zusätzlich sollen von den Arbeitgeberbeiträgen für jeden Versicherten 60 Euro abgeführt werden, so dass bei den Krankenkassen pro Versicherter monatlich eine Summe von 169 Euro eingeht - die "Gesamt-Gesundheitsprämie".

Die CDU hatte auf ihrem Parteitag in Leipzig vor einem Jahr eine Gesundheitsprämie von 200 Euro für Erwachsene beschlossen, in der ein Vorsorgebeitrag von 20 Euro für erwartete höhere Gesundheitskosten im Alter enthalten ist. Kinder sollten beitragsfrei mitversichert bleiben, die Kosten dafür sollten über das Steuersystem aufgebracht werden. Die CSU war mit Nachdruck dafür eingetreten, bei der bisherigen Regelung zu bleiben, wonach sich die Höhe der Versicherungsbeiträge am Einkommen bemisst und Kinder mit abgedeckt sind. Sie hatte je nach Einkommenshöhe zehn Prämienstufen vorgeschlagen.


Arbeitgeberbeiträge: Die Arbeitgeber, die bislang die Hälfte der Krankenversicherungsbeiträge von derzeit gut 14 Prozent des Arbeitnehmerlohns zahlen, sollen künftig einen Beitrag in Höhe von 6,5 Prozent leisten. Diese Prozentmarke soll festgeschrieben und damit von der Entwicklung des Gesundheitskosten abgekoppelt werden. Die Arbeitgeberbeiträge ergeben eine Gesamtsumme von 65 Mrd. Euro, von denen rund 41 Mrd. für den Aufschlag auf die persönliche Gesundheitsprämie verwendet werden.


Mit dieser Regelung ist die CDU von einem Kernelement ihres Modells abgerückt. Sie wollte die Arbeitgeberbeiträge einmalig als Lohnbestandteil an die Arbeitnehmer auszahlen. Damit würden sie besteuert und wären sozialversicherungspflichtig sowie unabhängig von Einkommenserhöhungen. So sollten der Anstieg der Lohnnebenkosten gebremst und die Schaffung von Arbeitsplätzen erleichtert werden.


Sozialausgleich: Die Versicherten sollen nicht mehr als sieben Prozent ihres Einkommens auf die Krankenversicherung verwenden, wobei auch Einnahmen aus Mieten, Pachten und Zinsen berücksichtigt werden sollen. Erreichen Geringverdiener dabei weniger als die vorgesehene Pauschalversicherungssumme von 109 Euro, soll der Restbetrag über einen Sozialausgleich finanziert werden. Die CDU hatte die Höchstbelastungsgrenze bei 15 Prozent des Bruttogesamthaushaltseinkommens angesetzt.


Finanzierung des Sozialausgleichs: Rund 24 Mrd. Euro für den Sozialausgleich und zunächst zum Teil auch für die Versicherung der Kinder sollen aus der Gesamtsumme der Arbeitgeberbeiträge kommen. Weitere 7 Mrd. Euro sollen Spitzenverdiener über Steuern leisten. Dazu wird das Steuersenkungsprogramm der Union verändert, das bislang eine Verringerung des Spitzensteuersatzes auf 36 Prozent vorsah. Die Höchstbelastung soll nun bei 39 liegen. Weitere Möglichkeiten für einen Sozialausgleich über Steuern sollen geprüft werden.


Die CDU hatte die Finanzierung des Sozialausgleichs weitgehend offen gelassen und allgemein von Subventionsabbau und einer Verzahnung mit einer umfassenden Einkommensteuerreform gesprochen. Die CSU hatte sich strikt dagegen gewandt, größere Abstriche am Steuersenkungsprogramm der Union zu machen. Sie hatte aber erwogen, Privatversicherte am Sozialausgleich zu beteiligen.


Leistungsumfang: Die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung sollen erhalten bleiben. Allerdings weisen CDU und CSU darauf hin, dass nach der Regelung der Einnahmenseite durch die Einführung einer Gesundheitsprämie später bei der Ausgabenseite Veränderungen anstünden, falls die Gesundheitskosten weiter ansteigen sollten.

mib - Dienstag, 16. November 2004 - 08:47
ein intelligentes Konzept von Deutschlands Rettern auf Abruf... weiss zwar keiner, woher die Knete kommen soll, aber was soll's denn... wird ja sowieso totgeredet und ist in 2 Jahren von der 23sten Variante abgeloest...

Der Buerger nimmt's achselzuckend zur Kenntniss und wendet sich wieder der Beobachtung junger Menschen mit niedrigem IQ zu, in der Hoffnung, dass diese sich in ihrem Container endlich mal wieder befummeln...
...und bald ist ohnehin Weihnachten!

Mib

chinaman - Dienstag, 16. November 2004 - 17:25
Tja, auch die Opposition will eben nicht an die Ausgabenseite ran. Ein weiterer Grund, weshalb ich bezüglich des Staatsdefizites so skeptisch bin ...

Gruß
Chinaman

chinaman - Dienstag, 16. November 2004 - 17:26
ftd.de, Di, 16.11.2004, 13:16

Rechnungshof greift Eichels Haushaltsführung an
Von Kai Beller, Berlin

In ungewöhnlich scharfer Form hat der Präsident des Bundesrechnungshofes, Dieter Engels, die Haushaltsführung der Bundesregierung kritisiert. Er malte ein düsteres Bild von der Lage der öffentlichen Finanzen.

"Die finanzwirtschaftliche Situation Deutschlands entwickelt sich mit einer Dramatik, die immer noch unterschätzt wird", sagte Engels bei der Vorstellung der Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 2004 am Dienstag in Berlin. Der Bundeshaushalt sei strukturell in eine extreme Schieflage geraten. "Die Schieflage ist so extrem, dass es einem den Atem verschlägt", sagte Engels.

Sozialausgaben und Zinslasten beanspruchten in diesem Jahr 86 Prozent der Steuereinnahmen. Nur noch rund 13 Prozent der Steuereinnahmen kämen Investitionen zugute. "Doch nur ein bleibender Wert, also Investitionen würden es rechtfertigen, unsere Kinder und Kindeskinder mit Schulden zu belasten", sagte Engels.


Der Bundesrechnungshof prüft die Haushaltsführung des Bundes und berät Bundesregierung, Bundesrat und Parlament. Mit seinen Bemerkungen informiert der Rechnungshof jährlich über seine Prüfergebnisse. Der Bericht enthält eine Vielzahl von Beispielen für die Verschwendung öffentlicher Mittel.


Der Bundeshaushalt für das kommende Jahr umfasst ein Volumen von 254,3 Mrd. Euro. Bundesfinanzminister Hans Eichel plant eine Neuverschuldung von rund 22 Mrd. Euro bei Investitionen von 22,7 Mrd. Euro, womit der Etat auf dem Papier den Vorgaben des Grundgesetzes entspricht. In Artikel 115 ist festgelegt, dass die Nettokreditaufnahme die Investitionen nicht übersteigen darf.


Kritik an Privatisierungsplänen

Engels verlangte eine Kreditregel "mit mehr Biss", da sich die verfassungsrechtliche Regel zur Kreditbegrenzung nicht bewährt habe. Es gehe nicht an, dass der Bund auch in wirtschaftlich günstigeren Zeiten zusätzliche Kredite aufnehme. Er forderte daher, den Investitionsbegriff im Grundgesetz enger und schärfer zu fassen. Sollte dennoch einmal in Krisenzeiten ein Kredit aufgenommen werden, müsse zugleich ein Tilgungsplan erstellt werden.


Engels kritisierte die im Bundeshaushalt 2005 vorgesehenen Privatisierungserlöse von rund 17,2 Mrd. Euro. Ein erheblicher Teil stamme aus dem Verkauf von Aktien der Post und Telekom. Eigentlich seien diese Erlöse für die Finanzierung der Pensionen ehemaliger Beamter vorgesehen, nun dienten sie der Haushaltsfinanzierung. Der Bund müsse aber noch über viele Jahrzehnte für die Pensionen früherer Postbeamter aufkommen. "Dies bedeutet eine zusätzliche finanzwirtschaftliche Hypothek für künftige Generationen", sagte Engels.


Trotz der dramatischen Haushaltslage seien dem Bund durch zu hohe Ausgaben und verpasste Einnahmen 2,4 Mrd. Euro verloren gegangen. Hinzu komme ein Sparpotenzial von rund 800 Mio. Euro jährlich. Diese Summen bewegten sich im Rahmen der vergangenen Jahre, seien zugleich aber eine niedrig angesetzte Schätzung.


Vergabepraxis oftmals mangelhaft

"Eigentlich müsste es selbstverständlich sein, dass der Bund in Zeiten knapper Kassen besonders verantwortungsbewusst mit öffentlichen Mitteln umgeht", sagte Engels. Erstaunlich sei, wie leicht es oftmals für die Verwaltungen gewesen wäre, unwirtschaftliches Verhalten zu erkennen und abzustellen.


Kritik übte der Rechnungshof unter anderem an der Vergabepraxis des Bundes. Oftmals werde auf das simple Instrument des Preisvergleichs verzichtet. Auffallend sei auch, dass rasche Reaktionen auf ein verändertes Umfeld ausblieben. "Hier hat sich leider die Bundeswehr als wenig reaktionsschnell hervorgetan."

chinaman - Mittwoch, 17. November 2004 - 09:16
Fiskus drohen neue Steuerverluste
EuGH-Urteil stellt deutsches Außensteuerrecht in Frage - BDI sieht Standort in Gefahr
von Cornelia Wolber

Berlin - Der Bundesregierung drohen neue Steuerausfälle in Milliardenhöhe. Grund ist ein ausstehendes Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zur grenzüberschreitenden Verlustverrechnung. Rot-Grün befürchtet, daß der Klage stattgegeben wird. "Schlimmstenfalls sogar mit rückwirkender Geltung", hieß es aus Koalitionskreisen. Dann würde der Fiskus künftig nicht nur weniger einnehmen sondern müßte obendrein auch noch Rückzahlungen leisten. In den Kreisen war von "einem hohen einstelligen Milliardenbetrag" die Rede. Bislang wurden über 90 Prozent der dem EuGH vorgelegten Steuerfälle zugunsten des Steuerpflichtigen entschieden.


Geklagt hatte die Bekleidungskette Marks &Spencer, eine in Großbritannien ansässige Kapitalgesellschaft. Deren Töchter in Belgien, Frankreich und Deutschland hatten in den Jahren 1998 bis 2001 ausschließlich Verluste geschrieben. Da diese in den Sitzstaaten der Tochgesellschaften steuerlich nicht berücksichtigt werden konnten, beantragte M&S in Großbritannien die Berücksichtigung von Verlusten. Dabei beriefen sich die Anwälte auf das sogenannte "Group Relief". Der britische Fiskus wies das Ansinnen zurück. Die "Group Relief" sei auf solche Konzerngesellschaften beschränkt, die in Großbritannien ansässig sind, oder dort eine Betriebstätte unterhalten. Ähnlich verhält es sich mit der Besteuerung verbundener Unternehmen in Deutschland (Organschaft).


Die Klage ging dennoch an den EuGH (Rechtssache C-446/03). Der muß feststellen, ob die Niederlassungsfreiheit beschränkt wird, wenn das Steuerrecht Unternehmer hindert, Verluste von ausländischen Gesellschaften zum Abzug zu bringen. Trifft das für die "Group Relief" zu, wäre damit auch die Rechtmäßigkeit der hiesigen Organschaft fraglich.


Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) rechnet mit dem Urteil im Sommer kommenden Jahres. Entsprechend sei Eile geboten, sagt BDI-Steuerabteilungsleiter Bernd Welling. Statt das Urteil abzuwarten und dann hektisch zu reagieren, sollte die Bundesregierung jetzt handeln, fordert der BDI.


Der Industrieverband schlägt die Einführung einer Gruppenbesteuerung nach österreichischem Vorbild vor. Dort ist es internationalen Konzernen erlaubt, Gewinne und Verluste österreichischer Töchter mit Verlusten ausländischer Firmen zu verrechnen. Die Regelung gilt bereits ab einer Beteiligungsquote von 50 Prozent.


Die Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium, Barbara Hendricks (SPD), hatte sich dazu skeptisch geäußert. Grund: Durch das Angebot wird die Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer reduziert, was zu Steuerausfällen führt. Zu dem gebe es zu viele Gestaltungsmöglichkeiten. Alternativ könnte die Organschaft abgeschafft werden. Das aber würde den Standort gegenüber Wettbewerbern benachteiligen, warnt der BDI. Keinesfalls jedoch dürfe es wieder so laufen, wie nach dem Urteil zur Gesellschafterfremdfinanzierung, sagt Welling. Damals hatte die Regierung nach einem EuGH-Urteil die schärferen Regeln für ausländische Gesellschaften auf inländische übertragen und damit der hiesigen Wirtschaft einen Bärendienst erwiesen.


Artikel erschienen am Mi, 17. November 2004
Die Welt

chinaman - Mittwoch, 17. November 2004 - 09:18
Teures Recht
Der Kommentar
von Cornelia Wolber

Bei Steuerfragen hat der Europäische Gerichtshof in mehr als 90 Prozent zugunsten des Klägers entschieden. Entsprechend hoch ist die Wahrscheinlichkeit, daß auch der Klage von Marks & Spencer statt gegeben wird. Dann entstünde ein Präzedenzfall, wonach möglicherweise Verluste von ausländischen Töchtern innerhalb der EU mit den Gewinnen der Konzernmutter verrechnet werden könnten.


Die Bundesregierung will dennoch abwarten, bis das Urteil auf dem Tisch liegt und sich erst dann den beklagten Punkten im Steuerrecht widmen. Mit dieser Strategie hat Rot-Grün dem Standort bislang jedoch eher geschadet. Statt systematisch vorzugehen, wird hastig geflickschustert. Dabei entstehen Fehler, die mit zusätzlichen Gesetzen wieder behoben werden müssen. Statt einfacher wird das Steuerrecht so immer komplizierter. Und durch die häufigen Korrekturen fehlt den Unternehmen die nötige Planungssicherheit.


Sicher, die zunehmende Globalisierung macht die Sache nicht einfacher. Im Gegensatz zu Deutschland lassen sich andere Staaten nicht so leichtfertig das Zepter aus der Hand nehmen. Österreich etwa hat sein Steuersystem erst kürzlich entrümpelt und muß deshalb das EuGH-Urteil nicht fürchten. Angesichts solcher Konkurrenz vor der eigenen Haustür kann sich Deutschland sein kompliziertes Steuerrecht nicht mehr leisten.


Artikel erschienen am Mit, 17. November 2004
Die Welt

chinaman - Donnerstag, 18. November 2004 - 16:26
Steuereinnahmen brechen im Oktober kräftig ein
Donnerstag 18 November, 2004 16:03 CET

Berlin (Reuters) - Die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden (ohne reine Gemeindesteuern) sind im Oktober kräftig um 6,2 Prozent eingebrochen.

Für den Bund ergab sich nach Angaben des Finanzministeriums sogar ein Rückgang von 13,8 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat.

Das Ministerium sprach in einer Mitteilung vom Donnerstag von Sondertatbeständen, die zu diesem negativen Ergebnis geführt hätten. Für den Zeitraum Januar bis Oktober seien die gesamten Steuereinnahmen um 0,9 Prozent gesunken. Damit nähere sich diese kumulierte Veränderungsrate dem Wert an, den jüngst die Steuerschätzer mit minus 1,3 Prozent errechnet hatten. Die geringeren Steuereinnahmen seien aber bereits im Nachtragshaushalt 2004 berücksichtigt, der in der parlamentarischen Beratung ist.

Das kräftige Minus beim Bund war dem Ministerium zufolge durch zwei kassentechnische Sondervorgänge überzeichnet. Die Einnahmen aus der Tabaksteuer lagen im Oktober rund ein Viertel unter dem Wert des Vorjahres.

chinaman - Donnerstag, 18. November 2004 - 16:29
SO SEH ICH ES


Die Last der stillen Verschuldung


Der Konsolidierungsdruck auf die öffentlichen Kassen ist erheblich stärker, als von den Finanzpolitikern bislang eingestanden wird

Der Kampf des Finanzministers um die Einhaltung des europäischen Stabilitätspakts scheint vorerst beendet. Der Haushaltsausschuss des Bundestages hat den Etat für das kommende Jahr beschlossen. Hans Eichel will für 2005 erstmals nach drei Jahren mit 2,9 Prozent ein Defizit an die EU-Kommission melden, das wieder unter der bestehenden Höchstgrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt.

Ironie des Schicksals ist, dass Brüssel mit drohenden Bußgeldern von bis zu zehn Milliarden Euro nicht nur einen erheblichen Druck auf Deutschlands Haushaltsgebaren ausübt. Die EU-Kommission hat Hans Eichel ebenso überhaupt erst in die Lage versetzt, einen Haushalt für das kommende Jahr aufzustellen, der nicht von vornherein die Regeln des seinerzeit von Deutschland so vehement geforderten Stabilitätspakts abermals missachtet.

Es war nämlich die Entscheidung derselben Kommission, welche die Landesbanken dazu verdonnerte, erhaltene Subventionen den Bundesländern wieder zurückzuzahlen. Nach Eichels Ansicht sind diese Mittel ein ganz wesentliches Element für die Schließung der Finanzlücke gewesen.

So gesehen waren die Subventionen im Nachhinein eine gute "Anlage" für kostbare Steuergelder vergangener Jahre. Wer weiß schon, wo das Geld sonst hingeflossen wäre? Mit Absicht - so lässt sich jedenfalls stark vermuten - wäre es wohl kaum in der Rücklage für schlechte Zeiten gelandet.

Dieser Konsolidierungsteil keynesianischer Konjunkturpolitik, wonach der Staat nicht nur in schlechten Zeiten die Wirtschaft ankurbeln, sondern sie auch in Boomzeiten bremsen und die gewonnenen Steuergelder zur Konsolidierung abzweigen sollte, ist in Deutschland nie wirklich angewendet worden. Zu groß ist stets die Versuchung gewesen, überschüssige Mittel aus wirtschaftlich starken Jahren hauptsächlich zur Ausweitung der öffentlichen Verwaltung sowie für teure Wahlgeschenke zu nutzen. Das Bittere daran ist: Wir werden an diesem sorglosen Selbstbetrug der Vergangenheit noch recht lange zu knabbern haben.

Der hohe Schuldenberg, der sich im Laufe von Jahrzehnten durch diesen freizügigen Umgang mit Steuergeldern beharrlich aufgetürmt hat, erschwert uns - selbst für den Fall, dass wir sofort reagieren - für viele Jahre die politischen Gestaltungsmöglichkeiten.

Doch wenn wir in absehbarer Zeit die Lage wieder verbessern wollen, müssen die öffentlichen Haushalte jetzt konsequentere und radikalere Einschränkungen anstreben. Wir sollten aus den Süden vergangener Tage lernen. Zu wenig erscheinen sie in den aktuellen Diskussionen als eine der wesentlichen Ursachen für die schwierige Lage.

Noch immer wird so getan, als sei unser einziges Problem, die Zeit bis zum nächsten Aufschwung zu überbrücken. Die neuesten Konjunkturdaten legen die Vermutung nahe, dass wir in der kurzfristigen Betrachtung das Beste bereits wieder hinter uns haben. Es hat uns nicht geholfen.

Langfristig gesehen steht uns das meiste noch bevor. Wir müssen unsere Anstrengungen darauf verwenden, am Anfang eines tiefen Reformprozesses die Weichen richtig zu stellen. Andernfalls werden wir aus dem Tunnel nicht wieder herauskommen, nicht einmal das Licht an seinem Ende erblicken können.

Die letzten Reserven zusammenzukratzen, um den nächsten Haushalt noch hinzubiegen, reicht einfach nicht aus. Das ist nicht der Weg, der uns aus der Misere führt. Er verlagert lediglich das Problem nach dem üblichen Muster auf unsere Kinder und Enkel. Doch auf diese kommen schon genug Forderungen zu. Der Konsolidierungsdruck auf die öffentlichen Kassen ist nämlich deutlich höher, als in den Diskussionen, die hierüber geführt werden, bislang eingestanden wurde.

Nach einer detaillierten Auflistung der Pensionslasten des Bundes von 2004 bis 2040, die das Bundesfinanzministerium jetzt erstmalig zusammenstellte, lassen sich die zu erwartenden Zahlungen an unsere Beamten, einschließlich Soldaten sowie Post- und Bahnbeamten, ablesen. Die Summe aller Pensionsleistungen innerhalb der nächsten 35 Jahre ist demnach kaum weniger als eine Billion Euro schwer. Rechnet man diesen enormen Finanzbedarf der Zukunft auf den heutigen herunter, so würden immer noch fast 400 Milliarden Euro jetzt und hier benötigt, damit der Bund in Zukunft ohne weitere Schuldenaufnahme die Pensionen unserer Beamten bezahlen kann. So steht fest, dass die reale Staatsschuld des Bundes nicht bei 40 Prozent, sondern bei 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt, also um satte 50 Prozent höher als ohne die Berücksichtigung der Pensionslasten.

Leider ist damit immer noch nicht alles berücksichtigt. Schon 2001 warnte der Sachverständigenrat vor einer Verdoppelung der Versorgungsleistungen bis 2025 und anschließender Stagnierung. Ähnlich trifft es die Gemeinden, deren Pensionslasten sich in den nächsten 30 Jahren um 60 Prozent erhöhen sollen.

Wenn man dann noch - unter der Annahme sicherer Renten - die künftigen Zuzahlungen in die gesetzlichen Rentenkassen mit einrechnet, kommt man laut Sachverständigenrat zu einer impliziten Gesamtverschuldung von 270 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Ausgewiesen ist hingegen nur die explizite Staatsschuld von gut 60 Prozent. Und die reichen uns schon längst.

Angesichts dieser Zahlen darf man durchaus ins Grübeln geraten, ob wir für den notwendigen Reformkurs gerüstet sind, wenn wir schon zu Beginn sämtliches Pulver verschießen. Anstatt damit fortzufahren, die Lasten von morgen zu produzieren, sollten wir endlich damit anfangen, die Fehler von gestern zu korrigieren.

Lothar Späth kommentiert jeden Mittwoch im Handelsblatt die deutsche Wirtschaftspolitik.


Quelle: Handelsblatt

chinaman - Donnerstag, 18. November 2004 - 16:29
Privat Versicherte sollen Pauschale zahlen


Sachverständigenrat schlägt eine "Bürgerpauschale" für alle vor - Bildungsreform angemahnt


HANDELSBLATT, 17.11.2004 dri BERLIN. Die fünf Wirtschaftsweisen wollen alle Bürger in ein künftiges gesetzliches Krankenversicherungssystem einbeziehen. Die heutigen Privaten Krankenversicherungen (PKV) sollen darin den Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) gleich gestellt werden und mit ihnen konkurrieren. In seinem neuen Gutachten nennt der Sachverständigenrat das Modell "Bürgerpauschale". Sie soll pro Kopf 198 Euro betragen.

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung veröffentlicht heute sein Jahresgutachten, das dem Handelsblatt vorliegt. In einem früheren Gutachten hatte der Sozialversicherungsexperte Bert Rürup erstmals die Idee einer Kopfpauschale vorgestellt, die sich vergangenes Jahr die CDU-Vorsitzende Angela Merkel zu eigen machte. Die Bürgerpauschale ist eine Weiterentwicklung der ursprünglichen Kopfpauschale, nicht des umstrittenen Unions-Kompromisses. Aus den Berechnungen des Finanzbedarfs der Wirtschaftsweisen geht indirekt hervor, dass die Unionsprämie mit 169 Euro bei weitem nicht kostendeckend sein kann.

Der Sachverständigenrat besteht in seinem Modell darauf, dass die Prämie einkommensunabhängig sein soll, dass alle Bürger, auch Beamte und Selbstständige, sie zahlen, und dass sich ihre Höhe aus der Umlage der Kosten einer Krankenkasse auf alle bei ihr Versicherten ergibt. Der Arbeitgeberbeitrag zur Krankenversicherung soll als Bruttolohn ausgezahlt werden. Ziel ist es, damit die Krankenversicherung vom Lohn abzukoppeln. Die Pauschale von 198 Euro errechnet sich einschließlich der Kosten für die Kinder, die beitragsfrei mitversichert werden.

Damit Niedrigverdiener nicht zusätzlich belastet werden, soll es einen Ausgleich für alle Bürger geben, bei denen die Pauschale mehr als 13 Prozent des Bruttolohns ausmacht. Das kostet bei einer Prämie von 198 Euro laut Sachverständigenrat 30 Mrd. Euro. Knapp die Hälfte käme über die Versteuerung der bisherigen Arbeitgeberbeiträge herein, der Rest müsste aus Steuern finanziert werden.

Der Sachverständigenrat erwartet, dass durch die Alterung der Gesellschaft die Kosten der Kranken- und der Pflegeversicherung stark ansteigen werden. Daher sollte der Gesetzgeber darüber "nachdenken", zusätzlich zur Krankenversicherung eine Kapitaldeckung einzuführen. Diese könnte entweder bei den Versicherungen in einem Risikopool angespart werden oder auch individuell als weitere Form des Altersvorsorgesparens.

Einen Übergang zu einem kapitalgedeckten Modell empfiehlt der Rat auch für die Pflegeversicherung, der er ebenfalls dringenden Reformbedarf attestiert. Möglich sei aber ebenso eine weitere Kopfpauschale von 25 Euro.

Das von SPD und Grünen favorisierte Modell einer Bürgerversicherung, bei der in das heutige Krankenversicherungssystem auch Beamte und Selbstständige sowie Miet- und Zinseinnahmen einbezogen werden sollen, lehnen die Wirtschaftsweisen ab.

Die Gesundheitsreform, mit der zum Jahresbeginn 2004 die Praxisgebühr eingeführt wurde, bezeichnen die Sachverständigen als wirkungsvoll: Der Rückgang der Arztbesuche führe zusätzlich zu weniger Verschreibungen und damit zu einer Ausgabensenkung bei Arzneimitteln. Dass sich der Erfolg bisher kaum in niedrigeren Beiträgen für die Versicherten niederschlägt, liege an den wegen der hohen Arbeitslosigkeit niedrigen Einnahmen. Außerdem hätten die Krankenkassen stärker Schulden abgebaut, als die Beiträge gesenkt.

Der Rat unter Vorsitz von Wolfgang Wiegard kritisiert allerdings, dass die ursprünglich beschlossene Pauschale für den Zahnersatz jetzt doch in Form einer Beitragssatzerhöhung kommt: Dies werde vermutlich in künftigen Tarifverhandlungen zu "Anpassungsreaktionen" führen, und damit werde es zu den eigentlich erwarteten positiven Beschäftigungseffekten nicht kommen.

Reformen fordern die Sachverständigen auch für das Bildungssystem. Sie verlangen eine Neuverteilung der öffentlichen Mittel auf die einzelnen Zweige: Kindergärten und Grundschulen müssten finanziell besser ausgestattet werden als heute. Studenten sollten hingegen künftig Studiengebühren zahlen, da für sie der individuelle Nutzen höher sei als der Nutzen für die Gesellschaft.


Quelle: Handelsblatt

prof - Donnerstag, 18. November 2004 - 18:49
Es gibt nur zwei Wege aus der Misere:
- Staatsbankrott oder
- mehrjährige, wenigstens zweistellige Inflationsraten.

Wer glaubt denn allen Ernstes daran, dass die Schulden ordentlich zurückgezahlt werden? Die Gläubiger (Beamte, Rentner und Anleihekäufer) werden sich noch wundern!
Prof

chinaman - Freitag, 19. November 2004 - 09:06
Hallo Prof,

bei Deiner Aufstellung fehlen noch die Mitmenschen, die per Zwangssystem durch Ihre Arbeit die Kassen der maroden Sozialversicherungssysteme füllen (müssen).

Gruß
Chinaman

chinaman - Montag, 22. November 2004 - 09:11
Eichels Etatentwurf für 2005 ist womöglich nicht beschlußfähig
FDP rechnet mit Veto des Bundesrechnungshofes
von Cornelia Wolber

Berlin - Bundesfinanzminister Hans Eichel droht neuer Ärger. Grund ist ein von der FDP beim Bundesrechungshof in Auftrag gegebenes Gutachten zur Beschlußfähigkeit des Etatentwurfes 2005, den das Parlament in diese Woche abschließen beraten will. Nach Einschätzung des haushaltspolitischen Sprechers der FDP-Fraktion, Andreas Pinkwart, "kommt der Bundesrechungshof zu dem Ergebnis, daß der Etat möglicherweise nicht beschlußfähig ist."


Grund zu dieser Annahme liefert der Verkauf von Pensionsverpflichtungen der Post und der Telekom gegenüber der Postpensionskasse. In diese Kasse zahlen beide Unternehmen und der Bund ein, um die Leistungen an ehemalige Postmitarbeiter zu finanzieren. Der Verkauf der Pensionsverpflichtungen soll dem Bund 5,5 Mrd. Euro einbringen, mit denen er seinen Anteil an den Zahlungsverpflichtungen bezahlen will. Dadurch reduzieren sich die Ausgaben im Bundeshaushalt und Eichel kann die Neuverschuldung wie geplant bei 22 Mrd. Euro und damit 700 Mio. Euro unter den Investitionen halten. Damit ist der Etat verfassungskonform.


Doch eben diesen Deal hält der Bundesrechnungshof offenbar "für nicht Etatreif", wie Pinkwart der WELT sagte. Das würde bedeuten, daß Eichels Rechnung nicht aufginge und er die 5,5 Mrd. Euro auf die im Haushalt geplanten Ausgaben (258,3 Mrd. Euro) aufschlagen müßte. Wäre dies so, müßte Eichel mehr Kredite zum Ausgleich des Defizits aufnehmen. Die Folge: Die Neuverschuldung läge dann über der Investitionssumme, und der Bundeshaushalt wäre verfassungswidrig.


Das Bundesfinanzministerium widersprach dieser Ansicht. "Wir sind überzeugt, daß der Etat in der vorliegenden Form beschlußreif ist, und den Anforderung des Haushaltsrechtes nach Wahrheit und Klarheit so wie der Verfassung entspricht", sagte ein Sprecher.


Unklar ist offenbar auch die geplante Übertragung des Sondervermögens aus dem Nachkriegs-Aufbau-Programm ERP an die staatseigene Kfw-Bankengruppe. Dieses umfaßt zehn Mrd. Euro. Laut Beschlußvorlage für die Beratung im Parlament soll die Kfw acht Mrd. Euro bekommen und versichern, daß sie die restlichen zwei Mrd. Euro erwirtschaftet. Den Differenzbetrag bucht Eichel als Einnahme im Ressort des Bundeswirtschaftsministers. Am Wochenende wollte das Ministerium jedoch nicht ausschließen, das Sondervermögen komplett in den Etat zu überführen. Statt über Fonds-Mittel würde die Förderung des Mittelstandes dann aus dem laufenden Etat finanziert.


Sollte der Stabilitätspakt im kommenden Jahr dahingehend reformiert werden, daß bestimmte Investitionen nicht mehr als Ausgaben gerechnet werden, würden sich Eichels ERP-Pläne günstig auf das gesamtstaatliche Defizit auswirken.


Im aktualisierten Stabilitätsprogramm rechnet die Bundesregierung mit einem Defizit von 3,75 Prozent für 2004. Bis 2008 soll das Defizit auf 1,5 Prozent sinken. Nächstes Jahr sollen es drei Prozent sein, 2006 dann 2,5 Prozent und 2007 zwei Prozent. Der Stabilitätspakt erlaubt eine Neuverschuldung von maximal drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Das Programm wird nach Beschluß des Etats Anfang Dezember nach Brüssel verschickt


Artikel erschienen am Mo, 22. November 2004
Die Welt

prof - Montag, 22. November 2004 - 09:48
Er kann so viel hin- und herbuchen wie er will, es fehlt unterm Strich einfach das Geld!
Prof

chinaman - Freitag, 26. November 2004 - 12:58
ORDNUNGSPOLITIK IM HANDELSBLATT

Schrumpfen statt wachsen

Die eigentliche Aufgabe der Politik in den kommenden Jahren wird sein, den unvermeidlichen Rückbildungsprozess der Wirtschaft zu organisieren

Die fetten Jahre sind vorbei" lautet der Titel des neuen Films von Hans Weingartner, der in diesen Tagen in die Kinos kommt. Eine geradezu programmatische Zustandsbeschreibung: Während Regierung und Opposition noch über Zehntelwachstumsprozente für das kommende Jahr streiten, erscheint das langfristige Schrumpfen der deutschen Wirtschaft unvermeidlich.

In den nächsten 25 Jahren wird die Zahl der Erwerbstätigen um rund 40 Prozent abnehmen, die Zahl der Einwohner - je nach Zuwanderung - um mindestens 20, vielleicht aber sogar um bis zu 30 Millionen schrumpfen. Die Auswirkungen auf die Rentenversicherung werden exakt berechnet - die viel dramatischeren Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum, den Garanten für Wohlstand und politische Stabilität, dagegen nicht.

Nun gibt es kein Grundgesetz, wonach in Deutschland mindestens 80 Millionen Menschen leben müssen. Und Wachstum kommt von beschäftigten Arbeitnehmern, nicht von Arbeitslosen. So rechnet z.B. der Wirtschaftsnobelpreisträger Robert W. Fogel vor, dass allein der technische Fortschritt die Wirtschaftsleistung pro Arbeitskraft in den nächsten 50 Jahren um 70 oder sogar 80 Prozent anhebt. Die gute Nachricht damit ist, dass auch bei schrumpfender und alternder Bevölkerung der Wohlstand pro Kopf sogar noch zunehmen kann.

Auch der Wachstumsvorsprung der USA relativiert sich: Die Bevölkerung der USA wächst voraussichtlich in den kommenden Jahrzehnten um ein halbes Prozent - wegen der Einwanderung aus Mexiko und wegen einer Geburtenrate, die auch bei den weißen Amerikanerinnen um rund 50 Prozent über jener der Frauen in Deutschland liegt. Das hohe Wachstumstempo der US-Wirtschaft reicht folglich gerade dazu aus, dass dort das Pro-Kopf-Einkommen ähnlich schnell wächst wie in Europa und Deutschland.

Aber die schlechte Nachricht für Deutschland ist: Die künftige Schrumpfungsrate von rund einem Prozent der Bevölkerung bremst und blockiert das Wachstum. Die Wachstumsschwäche des kommenden Jahres mit einem mageren Plus von voraussichtlich 1,4 Prozent ist dann nicht nur ein erneuter Ausrutscher einer reformunfähigen Wirtschaftsverfassung, sondern künftig das Maximum des Möglichen.

Nach sechs Jahrzehnten Dauerwachstum sind Wirtschaftsverfassung, Sozialsysteme und Denken auf diese ganz anderen Grenzen des Wachstums nicht vorbereitet. Die Konsequenzen lassen sich in den neuen Bundesländer studieren, wo der Wegzug der Mobilen vorwegnimmt, was auch im Westen wegen des demographisch bedingten Rückgangs der Bevölkerung bald Normalität sein wird: Abriss statt Neubau. Leipzig hängt dem programmatisch das beschönigende Mäntelchen von der "perforierten Stadt" um: Was leer steht, wird abgerissen - mit der Folge, dass bislang geschlossene Straßenzeilen neuerdings das bedrohliche Grinsen von Zahnlücken zeigen.

Düsseldorfs Oberbürgermeister Joachim Erwin erwartet, dass auch im Westen bald ganze Stadtviertel planiert werden müssen. Der Rückkauf von Grundstücken und Bebauungsrechten käme billiger als die Aufrechterhaltung einer nicht mehr ausgenutzten urbanen Infrastruktur. Essen hat seit 1960 über 20 Prozent seiner Einwohner verloren, und weitere zwölf Prozent Verlust sind zu erwarten - wobei zwei Drittel des Bevölkerungsrückgangs von der Geburtenlücke und das weitere Drittel durch Wegzug verursacht werden. Hier zeigt sich, wie wenig aber Planung und Politik auf die dauerhafte Ausdünnung vorbereitet sind: Längst stehen in fast jeder verdichteten, flächenarmen deutschen Großstadt riesige Brachen für Wirtschaft und Wohnen zur Verfügung. Allein in Köln, Düsseldorf, Essen, Berlin und Frankfurt sind das jeweils mehrere Dutzend Hektar Freifläche: erschlossen, urban, verwaist, verödet.

Trotz dieser sichtbaren Auflösung der Zentren werden im Umland weiterhin Gewerbegebiete und Neubauflächen neu ausgewiesen, und wertvolle Landschaft wird plump weiter zersiedelt. Und selbst im baden-württembergischen Albstadt ist der dortige Bürgermeister Jürgen Gnevecko damit beschäftigt, die riesigen Leerflächen der verschwundenen Textilindustrie bei eher rückläufiger Bevölkerung zu revitalisieren. Was als Strukturwandel der Industrie begann, beschleunigt sich durch Entvölkerung und Überalterung: In Duisburg, Mülheim oder Essen sind bereits heute 20 Prozent der Städter älter als 65 Jahre. In wenigen Jahren wird dort ein Drittel der Bürger älter als 70 Jahre sein - der Pott ist alt, bald uralt.

Verabschiedet man sich vom Mythos Wachstum, wird die ohnehin längst krankhaft wuchernde Staatsverschuldung endgültig unerträglich: Künftig wird eine zahlenmäßig halbierte Generation von Erwerbstätigen die durch Zinseszins verdoppelte Schuldenlast zu tragen haben.

Auch hier zeigt ein Blick auf kleinere Einheiten, welche Absurditäten eine blinde, Wachstum als selbstverständlich voraussetzende Politik aufbaut: Auf mehrere hundert Milliarden Euro schätzt der Bundesrechnungshof den notwendigen Kapitalstock zur Bedienung der Pensionsansprüche der früheren Postbeamten. Der Börsenwert der Deutschen Post AG beträgt gerade 18 Milliarden: Dies ist ein eklatantes Missverhältnis von noch vorhandener wirtschaftlicher Leistungskraft und Zahlungsverpflichtungen in der Zukunft, die (auch) in diesem Fall der öffentlichen Hand auferlegt wurden.

Im Bundeshaushalt offen gelegt werden diese Beträge allerdings nicht. In einem vertraulichen Papier hat das Bundesfinanzministerium die künftigen Pensionsverpflichtungen insgesamt auf über 500 Milliarden berechnet. Aber auch Hans Eichels schön gerechnete Zahl erhöht die Staatsverschuldung um ein glattes Drittel. Die Deutschen sterben vermutlich als Volk schneller als seine Pensionäre.

Roland Tichy ist Chefredakteur des Wirtschaftsmagazins "Euro".

chinaman - Montag, 29. November 2004 - 10:45
Immer weniger Beschäftigte zahlen in Sozialversicherung ein
Wirtschaftsweiser:"Gefahr für Sozialsysteme"
von Christoph B. Schiltz

Berlin - Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten wird in diesem Jahr auf den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung fallen und 2005 noch weiter sinken. "Die Zahl der sozialversichtungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse wird im kommenden Jahr im wesentlichen um 85 000 zurückgehen: Während die Zahl der herkömmlichen Teilzeitarbeitsverhältnisse um 130 000 steigt, wird die Zahl der vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer um 215 000 zurückgehen", sagte der zuständige Abteilungsleiter im Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit, Eugen Spitznagel, der WELT. Dieser Rückgang sei jedoch deutlich schwächer als im Vorjahr. In diesem Jahr werden nur rund 26,5 Millionen Personen sozialversicherungspflichtig beschäftigt sein - ein Minus von 6,5 Prozent im Vergleich zu 1994.


Der Wirtschaftsweise Wolfgang Franz kritisierte die Entwicklung. "Der permanente Rückgang der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland ist alarmierend und eine Gefahr für die sozialen Sicherungssysteme, weil dadurch Einnahmen verloren gehen, die dringend benötigt werden", sagte Franz. Wenn die Einnahmen zur Finanzierung der Sozialversicherung sänken, drohten höhere Beiträge für Arbeitgeber und Arbeitnehmer.


Warum die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse zurückgeht, ist bisher nicht ganz klar. Experten nennen als wichtigste Ursache, daß immer mehr geringfügige Beschäftigungsverhältnissen entstehen. Dagegen sagte IAB-Abteilungsleiter Spitznagel: "Bisher gibt es keine empirischen Anhaltspunkte dafür, daß Vollzeitarbeitskräfte gezielt entlassen und durch geringfügig Beschäftigte ersetzt werden." Andererseits dürfte aber neuer Arbeitskräftebedarf zunehmend durch geringfügig Beschäftigte gedeckt werden.


Artikel erschienen am Mo, 29. November 2004
Die Welt

chinaman - Mittwoch, 1. Dezember 2004 - 07:56
Aus der FTD vom 1.12.2004


Experten verreißen rot-grüne Rentenpolitik


Von Timo Pache, Berlin


Der Sozialbeirat der Bundesregierung hat die Rentenpolitik von SPD und Grünen ungewöhnlich deutlich kritisiert. In seinem diesjährigen Gutachten greifen die Experten insbesondere die Annahmen der Regierung über die Lohn- und Rentenzuwächse der nächsten Jahre an.

Diese seien zu optimistisch, kritisieren die Experten. Angesichts nur geringer Lohnzuwächse seien nennenswerte Rentensteigerungen bis 2008 nicht zu erwarten. Die niedrigen Lohnzuwächse seien zudem ein Risiko für den Rentenbeitrag. Sollten die "sehr optimistischen Annahmen" der Regierung nicht eintreten, befürchtet der Sozialbeirat 2005 finanzielle Engpässe für die Rentenkassen und in der Folge könne "der Beitragssatz von 19,5 Prozent im Jahr 2006 nicht wie beabsichtigt gehalten werden", heißt es in dem Bericht, der der FTD vorliegt.

Die Warnung trifft den Rentenversicherungsbericht der Regierung an einer heiklen Stelle. Darin geht Sozialministerin Ulla Schmidt davon aus, dass die Renten schon ab 2006 wieder deutlich zulegen können. Anders als ihre Berater im Sozialbeirat nimmt Schmidt an, dass Löhne und Gehälter ab 2006 wieder kräftiger steigen. Auch rechnet die Ministerin bis 2010 mit einem stabilen Rentenbeitrag von 19,5 Prozent, der bis 2012 sogar auf 18,9 Prozent sinken soll.


Der Rentenversicherungsbericht 2004, der der FTD ebenfalls vorliegt, soll am Mittwoch verabschiedet werden. Mit dem über 100 Seiten starken Bericht informiert die Regierung jedes Jahr über die Entwicklung der Renten und die Kassenlage der Versicherer in den nächsten 15 Jahren. Schon in den vergangenen Jahren haben sich die Voraussagen und Zahlen aber stets sehr schnell als Makulatur erwiesen.


Erhebliche Risiken


Nach einer Nullrunde in diesem Jahr und einer weiteren 2005 sind auch 2006 steigende Renten kaum in Sicht. Die Regierung unterstellt für 2005 ein Plus bei Löhnen und Gehältern von nominal 1,6 Prozent. Ohne Eingriffe könnten Rentner 2006 mit einem entsprechenden Zuwachs rechnen. Aber Abschläge für die private Vorsorge und der neue Nachhaltigkeitsfaktor sorgen dafür, dass die Renten nur konstant bleiben.


Trotz der Nullrunde dürfte sich die Finanzkrise der Rentenkassen zuspitzen. Die Regierung erwartet ein Defizit von 1,8 Mrd. Euro - "obwohl durchweg sehr optimistische Annahmen getroffen wurden. Sollte diese Sichtweise nicht zutreffen, so sind keine finanziellen Reserven vorhanden, um Mindereinnahmen auszugleichen", kritisiert der Sozialbeirat. Ein Beitragsanstieg 2006 wäre dann kaum zu vermeiden.


Auch für die Jahre nach 2005 sehen die Experten erhebliche Risiken. So seien die angenommenen Lohnsteigerungen "sehr optimistisch". Die Regierung rechnet zwischen 2006 und 2008 mit Lohnzuwächsen von nominal zwei Prozent und danach sogar mit plus drei Prozent. Die Zuwachsrate ist deshalb so wichtig, weil sich daran sowohl die Einnahmen der Rentenkassen als auch die Zuwächse der Renten orientieren.


"Weitere Nullrunden programmiert"


Damit ignoriere die Regierung aber nicht nur die sich abzeichnenden niedrigeren Lohnsteigerungen, sondern verschleiere auch "absehbar niedrige Rentenzuwächse", hieß es dazu im Sozialbeirat. Selbst bei den unterstellten zwei Prozent Plus seien höchstens Zuwächse von 0,5 Prozent zu erwarten. Bei geringeren Lohnsteigerungen seien weitere Nullrunden programmiert.


Auch die langfristigen Berechnungen der Regierung halten die Experten für geschönt. Selbst unter den Annahmen der Regierung sei absehbar, dass die Vorgaben der jüngsten Rentenreform kaum eingehalten werden können.


Die Mitte des Jahres verabschiedete Reform sieht vor, dass der Rentenbeitrag bis 2020 nicht über 20 Prozent steigen darf. Das Leistungsniveau der Rentenkassen darf im Gegenzug bis 2020 nicht unter 46 Prozent der Bruttolöhne und -gehälter sinken.


Allerdings kann die Regierung die Beitragsvorgabe nur einhalten, wenn die Löhne jedes Jahr um drei Prozent zulegen. Bei geringeren Lohnsteigerungen kommt sie für 2020 auf Beiträge deutlich über den vorgeschriebenen 20 Prozent. Um dies abzuwenden, empfiehlt die Mehrheit des Sozialbeirats, 2008 die geplante Rente mit 67 auf den Weg zu bringen.

drwssk - Mittwoch, 1. Dezember 2004 - 09:21
Alle diese Maßnahmen werden letzten Endes an der Bürokratie und der Verschwendung der Versicherungsanstalten scheitern.
Rentenversicherung schließen, eingezahlte Beiträge auszahlen, jeder selbst sollte entscheiden, wo und wie er sein Geld für das Alter anlegt. Soziale Komponente, Grundsicherung für Sozialschwache, wie es derzeit ja schon ist. 844,- Euro/Monat sind nicht viel, aber ein machbares Netz. So, jetzt könnt ihr über mich herfallen, aber ich werde immer wieder protestieren, wenn Essensgelder der Bediensteten der LVA subventioniert werden (wovon ???) oder Luxussanierungen (wovon???) - ich bin Nutzer eines Hauses, welches einer LVA gehört - durchgeführt werden.
be.

prof - Mittwoch, 1. Dezember 2004 - 09:51
"Eingezahlte Beiträge auszahlen?"
Für jeden 3 Euro fuffzig oder wie? Der Rest ist natürlich schon verdonnert.
Das Geld wird in der Tat verschwendet. Warum hat man nicht im Osten die LVA mal in einen sanierten Plattenbau einziehen lassen?
Nein, es muss alles neu gebaut werden!

Die Kaufkraft von heute 844 Euro im Monat als Soziales Netz werden in 25 Jahren niemals gezahlt werden können.
Es ist wie bei der Staatsverschuldung, es gibt nur zwei Auswege:
- Pleite des Systems oder
- jahrelange zweistellige Inflationsraten ohne Rentenanhebung

Wäre ich Politiker, würde ich mich für den zweiten Weg entscheiden!
Da ich aber kein Politiker bin und auch älter werde, muss ich die richtigen Konsequenzen für mich persönlich ziehen.
Prof

chinaman - Mittwoch, 1. Dezember 2004 - 18:20
Na ja. Bei der Rente gibt es natürlich auch noch den Weg deutliche Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Wahnsinnig unpopulär ! Kommt aber so sicher wie das Amen in der Kirche ...


Gruß
Chinaman

Diskussionsforum der stw-boerse: Sonstiges: Politik Deutschland: Archivierte Beiträge bis 1. Dezember 2004