Diskussionsforum der stw-boerse: Sonstiges: Politik Deutschland: Archivierte Beiträge bis 24. September 2004
chinaman - Mittwoch, 25. August 2004 - 08:40
"Wer wie unser Finanzminister sein Budget auf eine nicht stattfindende Konjunkturerholung aufbaut, der ist bald pleite"

Hmm. Das Wort bald ist etwas riskant in dem Statement. Das momentan akzeptierte allgemeine Sentiment ist immer noch, nichts ist "sicherer" wie eine Staatsanleihe. Solange dieses gilt und alle Sparer Ihre Säckel zum Staat tragen, geht der Krug weiter zum Brunnen ...

Meiner Ansicht nach sollte man als Anleger einen Kollaps des Finanzsystemes einerseits nicht ausschliessen. Andererseits kann das ganze, abhängig vom Sentiment, durchaus noch eine Weile gutgehen ...


:-)
Gruß
Chinaman

chinaman - Mittwoch, 25. August 2004 - 08:41
Den dritten Sündenfall vor Augen
Deutschland reißt Defizit-Hürde erneut - Reform des Paktes in Vorbereitung
von Martin Halusa und Andreas Middel

Brüssel/Berlin - Erste Warnungen hatte es schon vor Monaten gegeben: Das deutsche Staatsdefizit könnte in diesem Jahr noch einmal steigen, obwohl es in den vergangenen Jahren die im Stabilitätspakt geforderte Drei-Prozent-Obergrenze schon spürbar überschritten hatte. Mit den Halbjahreszahlen des Statistischen Bundesamtes scheinen sich die Befürchtungen zu bestätigen: Trotz der besseren Konjunkturlage wird das Defizit kaum sinken und womöglich wieder den Vorjahreswert von 3,8 Prozent erreichen.


Für den Haushaltsexperten der CDU, Dietrich Austermann, sind die Zahlen alarmierend: "Wir haben den Gipfel bei der Defizit-Entwicklung noch nicht erreicht." Darum fordert er umgehend eine Haushaltssperre. Schon in den vergangenen Jahren habe keine Prognose der Bundesregierung hinsichtlich Steuereinnahmen und Neuverschuldung gestimmt. Der Schuldenaufbau werde ungebremst fortgesetzt.


Im Finanzministerium setzt man hingegen auf das Prinzip Hoffnung. Möglicherweise könnte das Staats-Defizit in der zweiten Jahreshälfte noch so weit sinken, dass die prognostizierten 3,5 Prozent erreicht werden. Ein Einhalten der Stabilitätskriterien gilt selbst unter den größten Optimisten in der Regierung als ausgeschlossen. Erst 2005 soll es soweit sein.


Die neuen Zahlen aus Deutschland nahm die EU-Kommission am Dienstag noch relativ gelassen entgegen. Dort ist nur eines sicher: 3,0 bleibt 3,0 und 60 Prozent bleiben 60 Prozent. An den Kriterien des Stabilitäts- und Wachstumspaktes wollen EU-Währungskommissar Joaquin Almunia und die Finanzminister der EU nicht rütteln - gleichgültig wie hoch das deutsche Defizit in diesem Jahr ausfallen wird. Zur Diskussion jedoch steht die Frage, wie der Pakt in Zukunft ausgelegt werden soll. Entfacht haben die Debatte die Defizitsünder Deutschland und Frankreich. Auch das Defizit bedrohte Italien hat sich der Forderung angeschlossen.


Das Rote-Zahlen-Trio fordert seit langem eine flexiblere Anwendung des Paktes. Und das bedeutet aus seiner Sicht: eine stärkere Berücksichtigung des konjunkturellen Umfeldes. Zugleich sollen in Wachstumsphasen mehr Konsolidierungsanstrengungen unternommen werden. Auch sollten Länder ihrer Ansicht nach unter bestimmten Umständen mehr Zeit erhalten, ihre Defizite abzubauen. Almunia hat signalisiert, dass er diese Forderungen unterstützt. Denn er will den Stabilitätspakt retten.


Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) hat sich seinerseits bereits gegen "Tricks" beim Stabilitätspakt ausgesprochen. Bestimmte Ausgaben bei der Ermittlung des staatlichen Defizits herauszurechnen - etwa die Forschungsinvestitionen, wie ein Vorschlag lautet -, sei "fundamental falsch", betonte Eichel. Der Vertrag müsse nicht neu formuliert werden; wohl aber sei eine "Diskussion über den Wortlaut" nötig. Und dazu gehört nach deutscher Lesart auch die Berücksichtigung der deutschen Bruttozahlungen an die EU, die von heute gut 22 Mrd. Euro auf mehr als 35 Mrd. Euro in den kommenden Jahren steigen werden. Deutschland könne nicht ständig neue Belastungen aufgebürdet werden, gleichzeitig aber wegen der steigenden Ausgaben mit einem Defizit-Verfahren überzogen werden.


In Brüssel wird jedenfalls fieberhaft an einer Überarbeitung des Vertrages gebastelt. Bis zum 3. September will der Spanier Almunia erste Vorschläge für Reformen präsentieren. Darunter soll sich die Überlegung befinden, nationale Stabilitätspakte zu vereinbaren, die von einer unabhängigen Institution überwacht werden.


Am 10. und 11. September wird das Thema schließlich bei einem informellen Treffen der EU-Finanzminister in Den Haag ganz oben auf der Tagesordnung stehen. An den Stabilitätskriterien - 3,0 Prozent Obergrenze bei der Neuverschuldung und 60 Prozent Limit bei der Staatsverschuldung - wollen sowohl die Minister als auch der EU-Kommissar festhalten. Die Lösung steckt im Detail und in der Interpretation des Textes.


Die Linie ist klar: Brüssel und die Mitgliedstaaten wollen eine Formel ermöglichen, um auch künftig eine Bestrafung von Defizitsündern - bis zu 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts - zu vermeiden. In EU-Kreisen heißt es hinter vorgehaltener Hand, dass Milliardenbußen - wie sie bei mehrmaligem Verstoß gegen den Stabilitätspakt und der Missachtung von Sanierungsempfehlungen möglich wären - wohl nie verhängt würden, sondern stets eine politische Lösung gefunden werde. Denn im Ministerrat, der die Strafen mit Zwei-Drittel-Mehrheit verabschieden muss, können die großen EU-Staaten leicht ein Votum gegen sich verhindern.


Zuletzt hatte es etwa Italien in letzter Minute einen "Blauen Brief" vermieden. Auch Berlin konnte sich vor zweieinhalb Jahren erfolgreich gegen eine Brüsseler Verwarnung stemmen. Deutschland und Frankreich waren Ende Juli zwar nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) wieder näher an eine Strafe gerückt. Doch Almunia betonte, dass er sich eng mit Berlin und Paris abstimmen wolle.


Beide Staaten werden im Jahr 2004 zum dritten Mal in Folge das Defizitkriterium brechen; die Einleitung eines Strafverfahrens - wie es der Stabilitätspakt vorschreibt - war aber vom Rat der Finanzminister im November 2003 ausgesetzt worden. Stattdessen verpflichteten sich die beiden Sünder zu einer rechtlich nicht bindenden Verpflichtung, 2005 wieder unter die Defizitmarke von 3,0 Prozent zu gelangen. Dagegen hatte die EU-Kommission beim EuGH geklagt und teilweise Recht bekommen.


Bis zum Herbst will Almunia nun die wirtschaftliche Lage in Deutschland und Frankreich analysieren. Derzeit laufen auch gegen die Niederlande und Griechenland Defizitverfahren der Kommission. Athen, das schon in diesem Jahr mit vier Prozent die Grenze deutlich überschreitet, wird wahrscheinlich noch höher gegen die Auflagen verstoßen. Ursache dafür sind die Olympischen Spiele, die statt der geplanten 4,6 Mrd. Euro voraussichtlich mehr als sieben Mrd. Euro verschlingen werden.


Artikel erschienen am Mit, 25. August 2004
Die Welt

chinaman - Mittwoch, 25. August 2004 - 13:34
Ein weiteres kleines Problemchen, dass in den heutigen Zahlen zum Budgetdefizit noch gar nicht enthalten ist ...

Gruß
Chinaman


Arbeitgeber kritisieren Überversorgung von Pensionären

Strategiepapier prangert wachsende Benachteiligung von Rentnern an

KARL DOEMENS HANDELSBLATT, 25.8.2004 BERLIN. Die Ausgaben des Staates für die Beamtenversorgung drohen sich bis 2030 auf 75 Mrd. Euro zu verdreifachen. Gleichzeitig wird der Niveauunterschied zwischen den Pensionen und den gesetzlichen Renten nach Einschätzung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) immer größer. In einem Positionspapier, das dem Handelsblatt vorliegt, fordert die BDA nun eine radikale Notbremsung: Die Versorgung der Beamten müsse "auf eine Basissicherung" zusammengestutzt werden. Dazu sei die Streichung des Anspruchs auf amtsangemessene Besoldung, das Alimentationsprinzip, im Grundgesetz unumgänglich.

Der Vorstoß der Arbeitgeber ist bemerkenswert, weil die BDA formal für den öffentlichen Dienst nicht zuständig ist. "Das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit", argumentiert Alexander Gunkel, Mitglied der BDA-Hauptgeschäftsführung. Die Wirtschaft könne nicht einseitig nur Abstriche in den gesetzlichen Sozialsystemen fordern. Zudem sei die heutige Beamtenversorgung "dauerhaft nicht mehr finanzierbar". Langfristig würden die öffentlichen Haushalte durch die Pensionen "in einer vergleichbaren Dimension" erdrosselt wie der Bund durch den jährlichen Zuschuss zur Rentenkasse.

Die BDA verlangt daher den "Abschied vom überholten System der Gesamtversorgung im Beamtenrecht". Die bereits beschlossene Senkung des Versorgungshöchstsatzes von 75 auf 71,75 Prozent der letzten Bezüge reiche "in keiner Weise aus", heißt es in dem Strategiepapier. Schließlich liege das Bruttorentenniveau eines Standardrentners derzeit bei lediglich 48 Prozent und werde durch die Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors bis 2030 auf unter 40 Prozent sinken. Zudem erreiche der Arbeitnehmer diesen Wert, der sich am Durchschnittseinkommen orientiert, erst nach 45 Jahren.

Als Minimalposition schlägt die BDA vor, die erforderliche Dienstzeit zum Erreichen der maximalen Pension von 40 auf 45 Jahren anzuheben. Außerdem sollten die Dienstbezüge nur noch bis zu einer Höchstgrenze für die Ruhegehälter angerechnet werden.

"Zukunftsweisender" sei jedoch der komplette Systemumstieg. "Das wird nicht ohne Bruch mit den Grundsätzen des Berufsbeamtentums aus dem 19. Jahrhundert und einer Änderung des Grundgesetzes gehen", sagt Gunkel. Nach den Vorstellungen der Arbeitgeber müssten sich die Beamten mit einer Basissicherung auf gesetzlichem Rentenniveau bescheiden. Diese könnte durch eine betriebliche Altersvorsorge ergänzt werden.

Deutliche Kritik übt die BDA am Gesetzgeber. Schon heute werde ein Beamter effektiv im Durchschnitt mit 2 200 Euro versorgt: "Das entspricht dem Dreifachen einer Durchschnittsrente." Die Kluft werde durch die zögerliche Übertragung von Sozialreformen noch vergrößert. So liege für die Anwendung des im Juni beschlossenen Nachhaltigkeitsgesetzes auf die Beamten "nicht einmal ein Gesetzentwurf" vor. Auch die Gesundheitsreform habe das Ungleichgewicht noch vergrößert: Während Rentner nun den vollen Krankenkassenbeitrag auf Betriebsrenten zahlen müssen, erhielten Pensionäre immer noch bis zu 70 Prozent Beihilfe zu ihren Behandlungskosten, moniert die BDA.

chinaman - Donnerstag, 26. August 2004 - 13:42
HANDELSBLATT, Donnerstag, 26. August 2004, 11:55 Uhr


Nahles-Arbeitsgruppe zur Bürgerversicherung tagt zum letzten Mal.


Schmidt fordert höhere Zinssteuer


Bundessozialministerin Ulla Schmidt (SPD) hat angeregt, im Zuge der Einführung einer Bürgerversicherung die Besteuerung von Kapitalerträgen zu erhöhen.

HB BERLIN. Es sei nicht gerecht, das Gesundheitssystem allein über Löhne zu finanzieren, sondern es müssten auch große Vermögen einen Beitrag dazu leisten, sagte Schmidt am Donnerstag in Berlin. Sie verwies darauf, dass in der SPD-Arbeitsgruppe zur Bürgerversicherung bereits diskutiert werde, die Kapitalertragssteuer zu erhöhen, und ließ Sympathie für einen solchen Weg erkennen: „Ich neige dazu, dass wir eine steuerliche Lösung finden.“ Schmidt betonte, dass die Bürgerversicherung eine Öffnung der Privatkassen auch für Versicherte mit geringen Einkommen mit sich bringen müsse.

Die Ministerin wies zugleich Kritik der Union zurück, dass durch das Modell der SPD vor allem Facharbeiter als Kernwähler belastet würden. „Mir ist nicht bekannt, dass die Kernwählerschaft der SPD über dauernd hohe Vermögen verfügt“, sagte sie.

Die Bürgerversicherungskommission der SPD wird heute ihre Beratungen abschließen. Über das Ergebnis wird dann der SPD-Vorstand am Wochenende beraten. Schmidt ließ offen, ob sich die Parteispitze hinter die Pläne des Gremiums unter der Leitung der Parteilinken Andrea Nahles stellen wird. Kommissionschefin Andrea Nahles hat schon klar gemacht, dass die 15-köpfige Expertenrunde kein einheitliches Modell vorlegen wird, sondern der SPD-Spitze mehrere Vorschläge präsentiert. Im Grundsatz wird die Gruppe nach Angaben aus Kommissionskreisen dafür plädieren, auch Kapitaleinkünfte zur Finanzierung des Gesundheitssystems heranzuziehen. Ob dies aber über Kassenbeiträge geschieht oder über eine Erhöhung der Kapitalertragssteuer, wird offen gelassen.

Über die Eckpunkte der Reform soll nach dem Willen der SPD-Spitze erst im Juni nächsten Jahres entschieden werde. Beschlossen werden soll das Konzept auf dem nächsten Bundesparteitag Ende 2005. Die Nahles-Kommission sollte vor allem die grundsätzliche Machbarkeit einer solchen Neuregelung prüfen. Wie es aus SPD-Kreisen hieß, haben sich die Mitglieder der Kommission bislang nicht auf eine gemeinsame Position verständigt. In die Schlussrunde für die Vorberatungen ging man mit zwei unterschiedlichen Vorlagen.


Ein Kernziel ist es, Beamten einen leichteren Zugang in die gesetzliche Krankenversicherung zu ermöglichen. Die Staatsdiener sollen künftig wählen können, ob sie sich privat oder gesetzlich versichern. Das ergebe sich aus einem Detail eines Gesetzentwurfs der Koalition zur Pflegeversicherung, berichtet die "Berliner Zeitung". Künftig sollen Beamte, die sich gesetzlich versichern wollen, die Hälfte des Beitrags vom Staat ersetzt bekommen. Sie wären damit Arbeitnehmern gleich gestellt.

Bisher ist die gesetzliche Krankenversicherung für die Beamten keine Alternative, weil sie die Beträge allein bezahlen müssen. Beamte sind daher in der Regel privat versichert, da in diesem Fall der Arbeitgeber einen Teil der Rechnungen bezahlt. Ein Wechsel der Staatsdiener in die gesetzliche Krankenversicherung halten SPD und Grüne laut Zeitung für wünschenswert, weil die Einbeziehung von Beamten und Selbstständigen das Kernelement der angestrebten Bürgerversicherung ist. Die Neuregelung solle zunächst nur für die 300 000 Bundesbeamten gelten. Die Neuregelung für soll dem Bericht zufolge rund 40 Millionen Euro kosten.


Durch einen Umstieg auf die Bürgerversicherung würden nach Einschätzung des Gesundheitsexperten Karl Lauterbach die Krankenkassenbeiträge in den kommenden zehn Jahren für fast alle Erwerbstätigen leicht sinken.

Nur eine kleine Gruppe der Beitragszahler werde deutlich mehr, fast alle Erwerbstätigen dagegen weniger zahlen, sagte Lauterbach in der ARD. Vor allem die Empfänger kleinerer und mittlerer Einkommen würden entlastet. Der Experte berät die SPD-Kommission zur Bürgerversicherung.

Der CDU-Gesundheitsexperte Andreas Storm kritisierte das Konzept der Bürgerversicherung. Er gehe davon, dass die Beiträge so gut wie gar nicht sinken würden, erklärte er in der ARD. Am Ende würden hauptsächlich die Facharbeiter belastet. Der SPD-Parteivorstand will am Wochenende über die Pläne der Kommission beraten.

chinaman - Mittwoch, 8. September 2004 - 08:38
8. September 2004, 02:06, Neue Zürcher Zeitung

Deutschland in der Zwangsjacke der Schuldenwirtschaft

pra. (Berlin) Der ehemalige «Spar-Hans» hat alle Glaubwürdigkeit verloren. Die Konsolidierungspolitik, von welcher der deutsche Finanzminister Hans Eichel noch immer spricht, ist gescheitert. Das Haushaltdefizit des Bundes ist Jahr für Jahr gestiegen: zuerst von 23 Mrd. Euro 2001 auf 32 Mrd. Euro, dann 39 Mrd. Euro in den Folgejahren. Im Jahr 2004 ist eine Nettoverschuldung von rund 45 Mrd. Euro zu erwarten, für 2005 sind trotz Beteiligungsverkäufen von 15 Mrd. Euro und optimistischen Annahmen weitere 22 Mrd. Euro budgetiert. Eichel spricht vor dem Bundestag von Zukunftsorientierung und verweist auf die leicht erhöhten Etats für Forschung und Bildung - die im Übrigen gar keine primäre Aufgabe des Bundes sind. Gleichzeitig veräussert die Regierung die letzten Staatsbeteiligungen, belastet künftige Generationen mit Schulden, deren Zinsen allein fast einen Sechstel des Bundesetats beanspruchen, und fährt die Infrastrukturinvestitionen auf ein Minimum zurück, das nicht einmal mehr die Instandhaltung der Strassen erlaubt. Das hat nichts mit Nachhaltigkeit zu tun. Und es erlaubt der Regierung nicht mehr, kräftigere politische Akzente zu setzen - ausser der unpopulären Sparpolitik. Zwar hat Eichel Recht, wenn er die Quellen der Probleme in einer nicht weniger frivolen Schuldenwirtschaft der Vorgängerregierung ortet, deren Parteivertreter heute mit dem Finger auf Rot-Grün zeigen. Doch der Blick zurück löst die Probleme nicht. Schröders Agenda 2010 hat mit Kürzungen in der Renten-, der Arbeits- und der Gesundheitspolitik einige wichtige Weichen gestellt, denn das Wachstum der Sozialleistungen auf mittlerweile 57% der gesamten Staatsausgaben macht den grössten Teil des Schuldenproblems aus. Doch diese Korrekturen wirken sehr langfristig. Rascher wirkte die Streichung der Subventionen und Steuervergünstigungen, wozu sich beide Lager von unsinnigen Steckenpferden wie den Kohlesubventionen oder der Eigenheimzulage lösen müssten. Doch auch das reicht nicht. Noch immer fehlt eine Alarmstimmung in Berlin, die auch zu radikalen Schnitten bei vermeintlichen Staatsaufgaben und der üppig dotierten Administration führen würde.


http://www.nzz.ch/2004/09/08/bm/page-article9UDAG.html

chinaman - Donnerstag, 16. September 2004 - 16:24
6000 EURO LOHN

Beamter klagt auf mehr Arbeit

Der Mann will nicht mehr Lohn - der 60-jährige Referatsleiter aus dem Bundesbildungsministerium will mehr zu tun bekommen. Die Aufgaben einer Woche füllten grade mal vier Stunden aus, gab der Ministerialrat an.

Bonn - Wegen seiner Unterbeschäftigung hat Lothar Schulte vor dem Verwaltungsgericht Köln Klage gegen den Bund eingereicht. Nach eigenen Angaben bezieht der Ministerialrat beim Bildungsministerium in Bonn rund 6000 Euro im Monat. Dafür tut er seiner Meinung nach zu wenig.

Nach einer Änderung der Aufgaben seines Referats hat Schulte keine Mitarbeiter mehr. Früher seien es sieben gewesen, sagte der Beamte. Obwohl nichts zu tun sei, müsse er zur normalen Arbeitszeit im Ministerium anwesend sein. Nun klagt der 60-Jährige auf eine "angemessene Beschäftigung".

"Ich verlange eine Aufgabe, die mich ausfüllt, mir auch Leitungsfunktionen zuschreibt", sagte er im WDR. Zugleich wies Schulte darauf hin, dass es im Ministerium weitere Kolleginnen und Kollegen gebe, denen es ebenso gehe wie ihm.

Gerichtssprecher Klaus-Peter Uhlenberg sagte, das Gericht habe nun eine Stellungnahme des Ministeriums angefordert. Dafür gebe es eine Frist von sechs Wochen, dann werde man sehen. Es sei völlig offen, wann das Gericht sich mit dem Fall befassen werde, frühestens wohl im nächsten Jahr.

In Justizkreisen hieß es, die zuständige Kammer sei ziemlich ausgelastet unter anderem mit Klagen ehemaliger Postbeamter, die bei Post AG und Telekom in Beschäftigungsgesellschaften abgeschoben worden seien. Es sei deshalb durchaus denkbar, dass für den Fall des Ministerialrats erst im Jahr 2006 ein Termin gefunden werden könne.


Quelle: Spiegel online

stw - Donnerstag, 16. September 2004 - 16:54
Da fällt einem wirklich nichts mehr dazu ein...

:-(( stw

chinaman - Samstag, 18. September 2004 - 08:46
Es droht der Staatsschulden-K.O.
Auch der deutsche Aktienmarkt ist auf tief greifende Reformen angewiesen
von Michael Schramm

Kaum ein Thema aus der politischen Arena - Hartz IV einmal ausgenommen - berührt die Deutschen emotional stärker als die zunehmende Staatsverschuldung. Motto: "Wenn wir uns im privaten Bereich so benehmen würden wie `die da oben`, wären wir alle schon längst pleite". Das stimmt und stimmt doch wiederum nicht. Denn der Staat verfügt bis kurz vor der endgültigen Zerrüttung seiner Finanzen über eine nahezu unendliche Kreditwürdigkeit. Dennoch: Ein Festhalten am jetzigen Zustand kann nicht mehr lange gut gehen. Mit der deutschen Vereinigung ging ein sprunghafter Anstieg der Staatsschulden einher. In diesem Jahr werden sie 1400 Mrd. Euro beziehungsweise zwei Drittel unserer gesamten Wirtschaftsleistung (BIP) erreichen. Dennoch wird in diesem und im nächsten Jahr zum dritten und vierten Mal in Folge die Maastrichter Neuverschuldungsgrenze von drei Prozent des BIP überschritten.


Dabei ist die Lage bereits jetzt dramatisch. Nicht nur, dass der Bund bei einer geplanten Neuverschuldung von 22 Mrd. Euro und Ausgaben von 250 Mrd. Euro fast jeden zehnten Euro aus fremden Börsen nimmt. Inzwischen ist die Zinslast dermaßen gestiegen, dass jeder neunte Euro zu ihrer Bedienung aufzuwenden ist, ohne dadurch auch nur einen Cent des Schuldenturmes abzubauen. Über 70 Prozent aller Ausgaben dienen der Beamtenbesoldung oder fließen in Sozialkassen. Lediglich sechs Prozent können noch investiert werden, stehen also konjunkturstimulierenden Zwecken zur Verfügung. Das reicht allerdings schon jetzt nicht mehr, um zumindest das Straßennetz in Ordnung zu halten. Der Staat hat sich in die Ecke manövriert. Dort steht er wie ein angeschlagener Boxer, der den Niederschlag erwartet.


Der wiederum könnte aus einer unerwarteten Richtung kommen. Denn die "offiziellen" Schulden stellen nur die Spitze des Eisberges dar. Der Staat hat Pensionszusagen für eine wachsende und vor allem länger lebende Beamtenschar zu erfüllen und er steht in der Pflicht, Zuschüsse in die Sozialversicherungen zu leisten.


Für die ersten hat er keinerlei Rückstellungen gebildet. Kein Unternehmen würde damit durchkommen.


In der Alimentierung von Kranken- und Rentensystemen schlummert eine weitere Quelle zukünftig stark steigender Staatsschulden. Sie sind die Folge der immer schneller alternden und dabei auch noch schrumpfenden Bevölkerung. Bereits 2002 schätzte der Sachverständigenrat die aus diesen zukünftigen Entwicklungen resultierenden Staatsschulden auf 270 Prozent des deutschen BIP, also dem vierfachen der "offiziellen" Last. Ohne Handeln droht deshalb der Staatsbankrott.


Erstaunlicher weise enthält die Agenda 2010 durchaus nützliche Lösungsansätze. Stellt sich nur die Frage, warum diese den Bürgern nicht erklärt wird. Der ab 2005 einsetzende Nachhaltigkeitsfaktor bei den Rentenanpassungen, die zunehmende Eigenbeteiligung bei Krankenkassenbeiträgen, nach Hartz IV sinkende Arbeitsmarktsubventionen und die nach gelagerte Besteuerung von Alterseinkünften dürften die verborgenen Staatsschulden um 90 Prozent des BIP absenken. Eine Verschiebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre wäre für weitere 55 Prozent "gut".


Deutschland muss auf diesem Reformweg unbedingt voranschreiten. Derzeit liegen wir innerhalb der Eurozone deutlich vor Frankreich und Italien. Die in die Zukunft blickenden Aktienbörsen haben dies während der vergangenen 18 Monate mit einer überdurchschnittlichen Kursentwicklung des Dax honoriert. Über gute Langfristperspektiven verfügen neben Pharmatiteln vor allem kreative Finanzdienstleister, die Produkte für eine sich schnell verändernde Vorsorgestruktur anbieten können.


Zuletzt hat sich dieser Trend jedoch nicht mehr fortgesetzt. Die Märkte reagieren mit einem feinen Gespür auf einen drohenden erneuten Reformstau bis zur Bundestagswahl 2006. Nichts brauchen wir weniger als das. Wir sollten auf der Überholspur bleiben. Die Börse wird uns zeigen, wo es lang geht: Lähmende Schuldenlast oder ein Stück zurück gewonnene Handlungsfreiheit.


Michael Schramm ist Generalbevollmächtigter der Berenberg Bank


Artikel erschienen am Sa, 18. September 2004
Die Welt

chinaman - Sonntag, 19. September 2004 - 11:46
Für die es noch nicht glauben wollten, hier zu sehen. Die Entwicklung der deutschen Staatsverschuldung als Video:

http://www.scantax.de/panorama.avi

:-((
Gruß
Chinaman

prof - Sonntag, 19. September 2004 - 21:13
Wenigstens hat "meine" FDP heute den Einzug in den sächsischen Landtag geschafft. Somit wird es zu Schwarz/Gelb kommen. Und ich hoffe, wir kriegen das mal irgendwann so hin wie die Bayern bzw. Schwaben.

Die Plakate der FDP waren echt der Lacher: "Diäten runter", "Lasst die Schule im Dorf" (sind eh schon alle zugemacht worden, in den letzten 15 Jahren).
Aber der Zweck heiligt die Mittel ...

:-)) Prof

chinaman - Montag, 20. September 2004 - 10:43
WAHL-ANALYSE

Konterrevolution im Osten

Von Stefan Berg

Es gibt nichts zu beschönigen: Aus der Perspektive von 1989 fand bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg eine Konterrevolution statt. Nur der Sieg Platzecks gibt Hoffnung für die Zukunft der Demokratie im Osten.

Potsdam - Es war vor wenigen Tagen im Zentrum Berlins. In der Landesvertretung von Sachsen-Anhalt saßen Bärbel Bohley, Ehrhard Neubert und Stefan Hilsberg und diskutierten die Vergangenheit.

Vor 15 Jahren hatten sie Mut bewiesen, Bohley das Neue Forum gegründet, Hilsberg die SPD der DDR, Neubert den Demokratischen Aufbruch. Es war der Herbst 1989, die DDR war am Ende. Aber niemand konnte wissen, wie dieses Ende aussehen wird. Blutig, mit Panzern auf dem Alexanderplatz? Mit Schüssen auf Montagsdemonstranten in Leipzig?

Erst ein paar wenige DDR-Bürger, dann immer mehr bewiesen Mut. Mit Kerzen in der Hand und Hoffnung im Herzen erkämpften sie die Demokratie. Reisefreiheit für alle, Wahlen jetzt, Stasi in die Produktion, stand auf ihren Transparenten. Der Westen sah "Tagesthemen" und staunte - was sind das nur für tapfere Kerle, diese Zonis.

15 Jahre nach der friedlichen Revolution, ist der Osten wieder Tagesthema. Doch die Nachrichten sind alles andere als erfreulich: Über neun Prozent der Wähler stimmten bei den Landtagswahlen in Sachsen für die NPD, 6,1 Prozent in Brandenburg für die DVU. Die Wahlbeteiligung lag bei 59 Prozent in Sachsen, bei 56 Prozent in Brandenburg.

Und die Partei, gegen deren Vorgängerorganisation die Menschen einst demonstrierten, die PDS, nennt sich stolz Volkspartei. Dem Ergebnis nach hat sie allen Grund dazu: In Brandenburg stimmten über 28 Prozent für die knallroten Genossen der PDS, in Sachsen über 20 Prozent.

Das Fazit ist bitter: Gemessen an den Zielen des Herbstes von 1989 kann dieser Wahlabend getrost eine Konterrevolution genannt werden. Denn - rechnet man die Nichtwähler und Anhänger von DVU, NPD und PDS zusammen - hat sich eine Mehrheit der Sachsen und Brandenburger an diesem Abend gegen die Demokratie, gegen die Werte des Herbstes 1989 entschieden. Das ist die eine Seite dieses Wahlergebnisses.

Die andere: Es gibt einen, der in diesem Wahlkampf gezeigt hat, dass man Menschen überzeugen kann, dass es sich lohnt, in der Demokratie zu streiten. Der Mann heißt Matthias Platzeck. Er ist Sozialdemokrat, ist alter und voraussichtlich neuer Ministerpräsident des Landes Brandenburg. Er war auf aussichtslosem Posten. Der Kanzler hatte Hartz IV durchgeboxt und den Osten gegen sich aufgebracht.

Auf den Montagsdemonstrationen waren Sozialdemokraten - um es vorsichtig auszudrücken - nicht gern gesehen. Selbst Sonnyboy Platzeck, Typ Schwiegersohn, bekam den Volkszorn zu spüren. Er wurde beschimpft, mit Eiern und Tomaten beworfen, ausgepfiffen. Er solle lieber nicht mehr auf die Marktplätze gehen, rieten ihm Vertraute.

Andere kniffen längst: Georg Milbradt (CDU), der Ministerpräsident des Landes Sachsen, ein bekennender Sozialstaat-Abbauer, hatte sich bei den Demonstranten angebiedert, Jörg Schönbohm (CDU), Innenminister von Brandenburg, hatte dem Kanzler geraten, lieber nicht mehr unters Volk zu gehen. Er, der Ex-General, versteckte sich in abgeschlossenen Sälen.

Nur Platzeck blieb stur: Der Mann, der nach der Amtsübernahme von Manfred Stolpe so harmlos und überfordert wirkte, gewann Profil. In diesem Wahlkampf zeigte er sich als streitbarer Demokrat. Nein, er werde sich nicht verstecken, erklärte er im Wahlkampfstab und verwarf den Rat einiger Strategen, dem Volkszorn auszuweichen. Er ging weiter raus auf die Marktplätze: "Politiker müssen sich dem Volk stellen", erklärte er und legte sich mit der PDS an. Er warb für Reformen und warnte überall, wo er auftrat, vor den Versprechen der PDS. Die könnten nie und nimmer umgesetzt werden.

Und siehe da, die als stur bekannten Märker kamen ins Staunen: Da war einer, der zuhört, der Politik erklärt, der sich auch mit den eigenen Landeskindern anlegt und vor falschen Hoffnungen warnt. "Nein, ich werde nichts versprechen", schrie er anfangs gegen die Pfiffe an, die in den letzten 14 Tagen des Wahlkampfs seltener wurden. So einer, muss in den letzten Tagen vielen Brandenburgern aufgegangen sein, wird sich wenn nötig auch mal mit dem Kanzler anlegen.

So konnte Platzeck am Wahlabend jubeln und die sieben Prozent Verlust der SPD verschmerzen. Gegen den Trend in Bund und Land hatte er gewonnen. Und gegen den Trend konnte er ein demokratisches Signal aus dem Osten senden. Das hat der Mann aus Potsdam schon einmal. Vor 15 Jahren, im Herbst 1989, zählte auch Platzeck zu den Frauen und Männern, die Mut bewiesen. Er war Mitgründer der ostdeutschen Grünen.

chinaman - Montag, 20. September 2004 - 10:54
ftd.de, Mo, 20.9.2004, 7:34
SPD bietet sich für Koalition in Sachsen an

Die CDU muss sich nach den Landtagswahlen in Sachsen einen Bündnispartner suchen. Für eine Koalition mit der FDP reichen die Stimmen nicht aus.

Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis der Landtagswahl in Sachsen kommen die Christdemokraten auf 41,1 Prozent und verlieren damit 15,8 Prozentpunkte. Nur noch 55 CDU-Abgeordnete ziehen in das Landesparlament ein. Die CDU muss sich nun erstmals einen Koalitionspartner im Dresdner Landtag suchen, der durch Überhang- und Ausgleichsmandate von 120 auf 124 Sitze erweitert wird.


Zusammen mit der FDP, die auf 5,9 Prozent der Stimmen und 7 Sitze kommt, gibt es jedoch keine ausreichende Mehrheit. Für die absolute Mehrheit sind 63 Sitze erforderlich. FDP und CDU kommen zusammen nur auf 62 Sitze.


Die SPD rutscht von 10,7 auf 9,8 Prozent ab und erhält 13 Sitze. Die Sozialdemokraten kommen damit als Koalitionspartner der CDU um Ministerpräsident Georg Milbradt in Frage. "Wir nehmen die Gesprächsangebote an, wenn sie uns erreichen", sagte SPD-Chef Thomas Jurk. Die CDU äußerte sich noch nicht.


Die PDS erreicht 23,6 Prozent und 31 Sitze. Die rechtsextreme NPD zieht mit 9,2 Prozent erstmals seit 1968 wieder in einen Landtag ein und erhält 12 Sitze.


PDS zieht an CDU vorbei




vorl. amtl. Ergebnis Brandenburg


In Brandenburg sieht das vorläufige amtliche Endergebnis die SPD bei 31,9 Prozent. Sie büßt 7,4 Prozentpunkte ein, bleibt aber dennoch stärkste Kraft. Die PDS legt um 4,7 Prozentpunkte auf 28,0 Prozent zu. Sie schiebt sich damit klar an der CDU vorbei, die 7,2 Prozentpunkte verliert und auf 19,4 Prozent kommt. Die rechtsextreme DVU verbessert ihr Ergebnis von 5,3 auf 6,1 Prozent und zieht wiederum in den Landtag ein. Die Grünen mit 3,6 Prozent und die FDP mit 3,3 Prozent verfehlten wiederum den Sprung in den Landtag. Nach der Sitzverteilung erhält die SPD 33 Sitze, die PDS 29, die CDU 20 und die DVU 6 Sitze.

Die Wahlbeteiligung blieb in beiden Ländern auf ähnlichem Niveau wie vor fünf Jahren. In Brandenburg verbesserte sie sich leicht von 54,3 auf 56,6 Prozent. In Sachsen sank sie von 61,1 auf 59,6 Prozent. Insgesamt waren 5,7 Millionen Menschen zur Wahl aufgerufen.

prof - Montag, 20. September 2004 - 11:47
Wird also nichts mit Schwarz/Gelb! Die Roten werden sich ihre 13 Sitze im Landtag mit vielen Zugeständnissen der CDU bezahlen lassen, denn die Schwarz/Rote Koalition ist nun die praktisch einzig mögliche.


Der Artikel von Stefan Berg stellt eine persönliche Meinung dar, mehr nicht:
Ostdeutschland ist seit 15 Jahren im Umbruch und es brechen immer neue Veränderungen ein. Die Menschen kommen einfach nicht zur Ruhe.

Meiner Meinung nach ist es doch positiv, dass 90% des Wählervolkes nicht auf die Parolen von Rechtsaußen hereingefallen sind. Die PDS sehe ich nicht als das Problem, mit zunehmender Integration in Gesamtdeutschland wird sie an Stellenwert verlieren. Immerhin: Man regiert in Berlin mit und der Laden läuft trotzdem einigermaßen.

Prof

chinaman - Montag, 20. September 2004 - 12:50
"Ostdeutschland ist seit 15 Jahren im Umbruch und es brechen immer neue Veränderungen ein."

Das ist schon richtig. Andererseits fordert die Globalisierung doch überall grosse Veränderungen. Diese treffen auch Westdeutschland und alle anderen Industrienationen.

Gruß
Chinaman

prof - Montag, 20. September 2004 - 13:16
Schon richtig, aber bisher dürfte sich doch für den braven Wessi kaum etwas geändert haben. Im Osten hat sich ALLES geändert:

Zwei neue Währungen, Schulsystem, Arbeitsplatz(oftmals mehrere), Behörden, Wohnverhältnisse, Versicherungen, Bankensystem, Drogenprobleme, Rechtssystem, Krankensystem, Steuersystem, Rentensystem, Arbeitsamt und EU-Erweiterung (betrifft auch am meisten die angrenzenden Bundesländer). Kein Zweifel, es ist vieles besser geworden. Aber gerade ältere Menschen kommen mit dem neuen System nicht zurecht und wählen deshalb PDS. Unter den Jüngeren wandern diejenigen mit der höchsten Motivation/Bildungsgrad nach dem Westen aus, es bleibt (D)er (D)ämliche (R)est, und darunter sind halt viele NPD-Wähler.
:-( Prof

chinaman - Montag, 20. September 2004 - 15:09
Stimmt schon, für den Ossi hat sich mehr verändert ...

Die Begründung, deshalb PDS oder NPD zu wählen, ist für den Wessi - wie etwa mich ;-)) - doch nur sehr sehr schwer nachzuvollziehen ...

Gruß
Chinaman

prof - Mittwoch, 22. September 2004 - 08:48
Diese Analyse zeigt die enge Korrelation zwischen Arbeitslosigkeit und dem Wahlergebnis extremistischer Parteien auf.
Prof

chinaman - Donnerstag, 23. September 2004 - 09:15
Demographie sprengt die Staatshaushalte

Ifo-Studie warnt vor Schuldenexplosion, zeichnet aber auch Wege für Reformen auf

DONATA RIEDEL HANDELSBLATT, 22.9.2004 BERLIN. Wenn heute der Finanzausschuss des Bundestages über Subventionskürzungen für die Bauern diskutiert, geht es um die geringe Summe von 350 Mill. Euro - gering jedenfalls im Vergleich zu den Gesamtausgaben des Bundeshaushalts 2005 von 258 Mrd. Euro. Dabei müssten die Politiker längst viel grundsätzlicher auf Sparkurs gehen, fordern Wissenschaftler. Wegen der Alterung der Bevölkerung werden die öffentlichen Haushalte ab 2012 beginnen, vollkommen aus dem Ruder zu laufen: mit einer Staatsverschuldung von bis zu 200 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und einer jährlichen Neuverschuldung weit über sieben Prozent vom BIP.

Zu diesem Ergebnis kommt eine noch unveröffentlichte Studie des Münchner Ifo-Instituts über die "langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen", die dem Handelsblatt vorliegt. Zu ähnlichen Ergebnissen waren zuvor Untersuchungen der Industrieländer-Organisation OECD und der EU-Kommission gekommen. Die Ifo-Studie zeigt aber auch, wie Politiker am ehesten verhindern können, dass das Worst- Case-Szenario eintritt: Mit Reformen, die dazu führen, dass möglichst viele Menschen auf eine möglichst lange Lebensarbeitszeit kommen werden.

Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) will auf Basis der Studie erstmals einen "Tragfähigkeitsbericht" erstellen, der regelmäßig fortgeschrieben werden soll. Seit Ende August befindet sich die Studie in der Abstimmung zwischen den Ressorts Finanzen, Soziales, Wirtschaft, Innen und Forschung.

Eichels Beamte sorgen sich, dass die Minister und später die Abgeordneten das Demographie-Problem nicht als dringlich erachten könnten, weil die Konsequenzen der demografischen Entwicklung erst in der Zukunft spürbar werden. Denn bis zum Jahr 2012 bescheinigt die Studie der Bundesregierung, dass ihre Reformen wirken: Die Beiträge zu den Sozialversicherungen und die Neuverschuldung des Staates werden sinken - um dann aber ohne neue Reformen umso schneller zu wachsen.

Ab 2012 wird die Zahl von Menschen über 65 Jahren im Vergleich zu jener der 15- bis 64-Jährigen stetig steigen - bis auf einen Altersquotienten von 50 Prozent im Jahr 2050. Daran würde sich auch durch hohe Einwandererzahlen nur wenig ändern: Die Neubürger würden zwar laut Ifo verhindern, dass die Bevölkerungszahl in Deutschland ab 2030 schrumpft - das Zahlenverhältnis von Rentnern zu Arbeitenden bliebe aber fast unverändert.

Die Alterung verursacht steigende Kosten für Rente, Gesundheit und Pflege. Bei der Bildung bleiben die Ausgaben vermutlich in etwa stabil, so die Forscher: Weniger Kinder werden besser, aber in kürzerer Zeit ausgebildet. Einzig die Kosten der Arbeitslosigkeit werden sinken.

Die Studie beruht auf Modellrechnungen, die nach Aussage der Wissenschaftler hohe Unsicherheiten bergen: etwa die Annahme, dass die Zinsen durchschnittlich bei 3,5 Prozent liegen werden und das Wachstum von 2,2 Prozent im Jahr 2010 auf 1,1 Prozent 2050 zurück geht. Der CDU-Haushaltsexperte Dietrich Austermann hält auch die Annahme für fragwürdig, dass Eichels Haushalt 2005 ohne neue Milliardenlöcher umgesetzt wird und seine mittelfristige Finanzplanung bis 2008 stimmt.

Haushaltspolitiker der Koalition sehen die Stärke der Studie vor allem in den Sensitivitätsanalysen: Sie zeigen, wie stark unterschiedliche Reformansätze die Grundszenarien verändern. So kann es 2050 in Deutschland noch ebenso viele Arbeitsplätze geben wie heute - wenn dann wirklich jede Frau und jeder Mann bis 65 Jahre arbeitet.

Rentenkassen und Staatshaushalte spürbar entlasten würde vor allem die stufenweise Anhebung des Rentenalters auf 67. Die Diskussion über diesen Vorschlag der RürupKommission hat die Bundesregierung allerdings vertagt: auf die Zeit nach der Bundestagswahl Ende 2006.

Quelle: Handelsblatt

prof - Freitag, 24. September 2004 - 16:57
Nur recht und billig, auch privat etwas vorzusorgen - Prof


Bundesregierung trifft Vorbereitungen für wirtschaftlichen Notstand

Abseits der Öffentlichkeit trat am 12. August 2004 eine Verordnung in Kraft, die staatliche Maßnahmen für den Ernstfall vorsieht, wenn im Rahmen der Marktmechanismen die Güterversorgung der Bevölkerung nicht mehr gewährleistet ist.


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Wirtschaftssicherstellungsverordnung
Vorrangerklärung
Verpflichtungsbescheid
Bezugsberechtigung
Folgerungen
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Merkwürdige Dinge geschehen in diesen Tagen in Berlin. Ohne Debatte im Bundestag und bislang ohne die geringste Anteilnahme der etablierten Medien erließ die Bundesregierung am 12. August 2004 eine "Verordnung über die Sicherstellung von Leistungen auf dem Gebiet der gewerblichen Wirtschaft (Wirtschaftssicherstellungsverordnung)", welche den wirtschaftlichen Teil der Notstandsgesetze von 1968, das "Wirtschaftssicherstellungsgesetz", erweitert und präzisiert. Die Verordnung wurde von Kanzler Schröder und Bundeswirtschaftsminister Clement unterschrieben und sodann am 17. August im Bundesgesetzblatt (Jahrgang 2004 Teil I Nr. 43, Internetadresse: http://217.160.60.235/BGBL/bgbl1f/bgbl104s2159.pdf) veröffentlicht. Dort heißt es am Ende lapidar: "Der Bundesrat hat zugestimmt".

Eine Anfrage im Wirtschafts- und Justizministerium förderte zunächst großes Erstaunen hervor ("noch nie davon gehört"). Aber nach einigem Hin und Her bekannten die ministerialen Mitarbeiter, daß es die neue Verordnung tatsächlich gibt. In den Internetforen, etwa der ARD-Tagesschau, wird derweil schon heftig diskutiert, ob die wirtschaftliche Notstandsverordnung zum jetzigen Zeitpunkt deshalb einer großen Revision unterzogen wurden, weil man kriegerische Auseinandersetzungen erwartet, der soziale Frieden in Deutschland gefährdet ist oder weil "das internationale Geldsystem" vor dem Zusammenbruch steht.

Dabei betont doch der Internationale Währungsfonds (IWF) in seinem am 15. September vorgelegten "Bericht zur globalen Finanzstabilität 2004", die Finanzmärkte befänden sich zur Zeit in allerbester Verfassung und es sei überhaupt nicht erkennbar, "von welcher Seite kurzfristig systemische Bedrohungen ihren Ausgang nehmen könnten". Es ist also eigentlich alles in bester Ordnung. Warum also dann ein neues Notstandsgesetz?


Wirtschaftssicherstellungsverordnung
Wie das bisherige "Wirtschaftssicherstellungsgesetz" von 1968, so erlaubt auch die neue "Wirtschaftssicherstellungsverordnung" (WiSiV 2004) die Außerkraftsetzung von Marktmechanismen im Verteidigungsfall und "wenn eine Gefährdung der Versorgung durch marktgerechte Maßnahmen nicht, nicht rechtzeitig oder nur mit unverhältnismäßigen Mitteln zu beheben oder zu verhindern ist". Unter solchen Bedingungen werden die üblichen Marktmechanismen durch Notstandsbestimmungen ersetzt, welche "die Bearbeitung, die Verarbeitung, die Zuteilung, die Lieferung, den Bezug und die Verwendung" von "Waren der gewerblichen Wirtschaft" und von "bestimmten Erzeugnissen der Ernährungs- und Landwirtschaft sowie der Forst- und Holzwirtschaft" regeln.

Neben den Fertigprodukten dieser Sektoren gelten die Bestimmungen auch für die "Produktionsmittel der gewerblichen Wirtschaft", also unter anderem den Maschinenpark und die Rohstoffvorräte der Unternehmen. Schließlich sind auch der Bausektor und technische Dienstleistungen betroffen, das heißt "Werkleistungen von Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft zu Instandsetzungen aller Art sowie zur Instandhaltung, Herstellung und Veränderung von Bauwerken und technischen Anlagen".

Der Energiesektor ist nur deswegen dem Anwendungsbereich des WiSiV 2004 entzogen, weil es für diesen bereits eigene Notstandsregelungen gibt: die "Mineralölbewirtschaftungsverordnung", die "Elektrizitätslastverteilungsverordnung" und die "Gaslastverteilungsverordnung".

Neu in der WiSiV 2004 ist die Einführung einer Reihe von legalen Instrumenten, mit denen die Regierung im Notstandsfall in den Wirtschaftsprozeß eingreifen kann. Sie hätte all dies im Prinzip auch nach dem Gesetz von 1968 machen können. Aber nun wird erstmals genau beschrieben und festgelegt, wie das im einzelnen aussehen wird. Die neuen Instrumente heißen "Vorrangerklärung", "Verpflichtungsbescheid" und "Bezugsberechtigung".


Vorrangerklärung
Mit "Vorrangerklärungen" werden einzelne Unternehmen angewiesen, ihre Warenlieferungen oder Werkleistungen vorrangig auf vorgegebene Ziele auszurichten. Wenn also ein Unternehmen Aufträge von unterschiedlichen Kunden und für unterschiedliche Produkte vorliegen hat, so wird es durch diese Erklärungen gezwungen, bestimmte Aufträge als erstes zu erledigen und alle übrigen Aufträge zurückzustellen. Ermächtigungen zur Abgabe von "Vorrangerklärungen" werden von einer nicht näher bezeichneten "zuständigen Behörde" erteilt.

Es versteht sich, daß die Verabschiedung der WiSiV 2004 im August dieses Jahres überhaupt keinen Sinn macht, wenn nicht zugleich innerhalb der Ministerialbürokratie die Vorbereitungen für die Schaffung einer derartigen Behörde angelaufen sind oder sogar bereits abgeschlossen wurden. Schließlich liegt es in der Natur von Notstandsverordnungen, daß der Fall der Fälle jederzeit ohne Vorwarnung eintreten kann und die Bestimmungen sodann unverzüglich in Kraft treten müssen. Die "zuständige Behörde" erteilt ihre "Vorrangerklärungen" auf Antrag bestimmter Institutionen. Hierzu zählen zunächst "der Bund", sodann "die Länder, die Gemeindeverbände, die Gemeinden sowie die sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts." Auch Personen und private Unternehmen, die mit "öffentlichen Ver- oder Entsorgungsaufgaben", mit "lebens- oder verteidigungswichtigen Aufgaben" oder mit "Aufgaben zur Durchführung des Energiesicherungsgesetzes" betraut sind, können die Abgabe von "Vorrangerklärungen" beantragen.


Verpflichtungsbescheid
Aber das ist noch nicht alles. Denn es ist eine Art Verkettung der "Vorrangerklärungen" vorgesehen. Diese dürfen nämlich auch von jedem Unternehmen abgegeben werden, welches "selbst eine Vorrangerklärung empfangen hat und nur auf diese Weise die von ihm geschuldete Leistung vorrangig erbringen kann."

Nun kommen die "Verpflichtungsbescheide" ins Spiel. Im Unterschied zu den "Vorrangerklärungen", die prinzipiell von einer großen Zahl von Institutionen und Unternehmen beantragt und abgegeben werden können, tritt hier die "zuständige Behörde" unmittelbar als Akteur auf. Sie kann damit Unternehmen direkt anweisen, "Waren zu liefern oder zu beziehen", "Waren zu gewinnen, herzustellen, zu bearbeiten, zu verarbeiten oder sonst innerbetrieblich zu verwenden", "Werkleistungen zu erbringen" und "ihre Produktionsmittel instandzuhalten, herzustellen, zu verbringen, zu verwenden oder abzugeben."


Bezugsberechtigung
Schließlich wird mit dem Instrument der "Bezugsberechtigungen", d.h. der Erteilung von "Bezugsscheinen", die "Warenbewirtschaftung" im Notstandsfall geregelt. Die WiSiV 2004 sagt hierzu: "Schränkt das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit durch Verordnung die Lieferung, den Bezug oder die Verwendung von Waren zeitlich oder mengenmäßig ein (Warenbewirtschaftung), so darf der Unternehmer solche Waren nur liefern, sie beziehen oder verwenden", sofern dies zur Erfüllung einer "Vorrangerklärung" oder eines "Verpflichtungsbescheides" erforderlich ist, eine spezielle Genehmigung des Ministeriums vorliegt, oder "auf begründeten Antrag" von der zuständigen Behörde "Bezugscheine" erteilt wurden. Letztere "dürfen nicht übertragen werden", sind also an bestimmte Unternehmen und deren Leistungen gebunden.


Folgerungen
Wer sich näher mit den Bestimmungen der WiSiV 2004 auseinandersetzt, der muß sich schon schwer wundern. Die gleichen Ministerien, die nach außen hin beständig beschwören, daß a) keinerlei systemische Gefahren drohen und b) die Gesetze des Marktes unantastbar sind, arbeiten insgeheim an detaillierten Plänen für den Fall eines flächendeckenden Zusammenbruchs der Marktordnung.

Noch beklemmender wird die Angelegenheit durch das bislang vollständige Schweigen sämtlicher führender Tageszeitungen und Nachrichtenmagazine.

Eine Schlußfolgerung liegt auf der Hand: Die Bundesregierung ist sehr viel mehr über die Aufrechterhaltung unseres Wirtschaftssystems besorgt, als sie öffentlich zugibt. Innerhalb der Bürokratien wird man dies vermutlich mit der Gefahr terroristischer Anschläge begründen und von den Beteiligten Stillschweigen verlangen. Tatsächlich dürfte sich hinter der neuen Verordnung aber die berechtigte Sorge verbergen, daß sich das globale Finanzsystem in einem unhaltbaren Zustand befindet und ein jederzeit möglicher Zusammenbruch die gesamte Realwirtschaft ins Chaos treiben könnte.

Zum anderen bedeutet die Durchsetzung der WiSiV 2004 eine Bestätigung der Bemühungen seitens LaRouche und der Bürgerrechtsbewegung Solidarität, konkrete Pläne für einen Wiederaufbau unserer produktiven Kapazitäten unter Bedingungen einer Systemkrise auszuarbeiten. Auch der Wiederaufbau nach dem Krieg konnte nur deshalb zu einem "Wirtschaftswunder" führen, weil gerade in den ersten zehn Jahren eine äußerst dirigistische Wirtschaftspolitik vorherrschte. In den verschiedenen Sektoren wurde die Bewirtschaftung, etwa bei Wohnungen, erst dann schrittweise aufgehoben, nachdem die dirigistische Kredit- und Investitionspolitik bereits Erfolge zeitigte.

In diesem Zusammenhang gibt es durchaus eine Parallele zwischen den "Vorrangerklärungen" der WiSiV 2004 und den Entscheidungen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), welche ihre Investitionskredite gezielt an solche ausgewählten Unternehmen vergab, deren Produkte für den Wiederaufbau als prioritär eingestuft wurden.

chinaman - Freitag, 24. September 2004 - 17:38
@ prof: Sehr interessant, was Du da ausgegraben hast ... ;-)) verrätst Du mir auch die Quelle ???

Gruß
Chinaman

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