Diskussionsforum der stw-boerse: Sonstiges: Politik Deutschland: Archivierte Beiträge bis 24. August 2004
mib - Donnerstag, 22. Juli 2004 - 19:44
sag mal, chinaman... koenntest du dich vielleicht mal fuer 5 min nicht persoenlich angesprochen fuehlen?
Ich wage mal die verwegene These, dass deine Frau und du wahrscheinlich nicht repraesentativ fuer die Masse der Besserverdienenden sind. -

Ich nehme mal an, ich zaehle wohl auch zu den Besserverdienenden, habe aber keine Probleme damit, hohe Steuern und Abgaben zu leisten, wenn mit dem Geld sinnvolle Sachen gemacht werden und nicht Missstände verwaltet oder künstlich am Leben erhalten werden.

Zum Thema Kinder:
das kann man nun drehen und wenden wie man will, ohne Kinder funktioniert nun mal keine Gesellschaft - weder sozial noch finanziell. Konsequenterweise muss man Bedingungen schaffen, die es attraktiver machen, Kinder zu haben. Da die lieben Kleinen aber nun mal Geld kosten - und nicht zu knapp - ist es doch nur gerecht und ökonomisch sinnvoll, wenn Leute mit Kindern finanziell gefördert werden - just dies geschieht aber z.Z. nur unzureichend, wie das Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach bemängelt hat. Das dieses Geld dann von den Leuten kommt, die aus was für Gründen auch immer keine Kinder haben, erscheint mir ebenfalls sinnvoll, da es ja nichts brächte, wenn man das Geld denen mit Kindern wieder abnähme.
Ich verstehe daher nicht so ganz, worüber du dich so aufregst, chinaman. Das ganze ist doch letztendlich eine volkswirtschaftliche Thematik.

also komm mal wieder aus deinem Schmollwinkel raus!

Mib

chinaman - Freitag, 23. Juli 2004 - 08:09
@ Mib:

"sag mal, chinaman... koenntest du dich vielleicht mal fuer 5 min nicht persoenlich angesprochen fuehlen? "

Wie sollte ich mich denn Deiner Ansicht nach durch Sätze wie:

"Ach ja - es ist schon ein Kreuz, daß man nicht ungemindert abräumen kann... "

"Na, immerhin kann man sich ja schon mal krankheitskostenmäßig aus dem Sozialsystem abseilen."

"Es ist letztlich die Akzeptanz des Teilens als eines ganz normalen Vorgangs in einer Gemeinschaft, die in Deutschland auf der Strecke geblieben ist"

"Der Medizin etwa - dazu ist mir grad ein Gedanke gekomen: Das Hirn ist die Hure des Bauches"

und Wörter wie "Balgen"

angesprochen fühlen ?????????????????????????


Natürlich bekomme ich davon einen geschwollenen Kamm und einen dicken Hals ...


"Das ganze ist doch letztendlich eine volkswirtschaftliche Thematik. "

Sicherlich. Aber eine die uns alle sehr sehr stark betrifft. Bspw. durch die auch politisch bedingte Auszehrung der Leistungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft.

Natürlich kann und wird man immer unterschiedliche Standpunkte vertreten können.

Was mich aber stark irritiert, ist der Umstand dass ich sowohl bei Dir als auch bei J.R. den subjektiven Eindruck habe, Ihr nehmt Euch das Recht heraus, den eigenen politischen Glauben mit dem eines "Gutmenschen", einer "höheren moralischen Instanz" und so einer Art "Moralfraktion des Forums" zu verbinden. Vor meinem geistigen Augen erscheint bei diesem Habitus irgenwie immer das Bild eines Wolfgang Thierses, auch so ein "überlegener" Gutmensch.

Irgendwie wundert mich, warum Ihr den doch einfachen Widerspruch in Eurer eigenen Argumentation nicht seht oder nicht sehen wollt.

Einerseits glaubst Du eine "Art soziale Kälte" in Deutschland zu registrieren. Anderseits sprichst Du Dich für weitere Steuer- und Sozialabgabenerhöhungen als Therapie aus. Nun, wenn eine hohe Belastung durch Steuern und Abgaben ein Maßstab für die "Fähigkeit und die Kultur des Teilens" ist, haben wenige Länder auf der Welt so eine tolle Kultur des Teilens und Gebens entwickelt, denn fast nirgendwo ist der "freie" Bürger so durch Steuern und Abgaben geknebelt wie bei uns. Wir müssten also nach Eurer Theorie schon heute führend im "Teilen" sein.

Weiter müßte nach Eurer Theorie - je mehr Steuern und Abgaben desto besser - ja doch eigentlich Steuern und Abgaben in Höhe von 100 % des Einkommens erhoben werden ? Oder gibt es da nicht etwa doch auch andere Kriterien und Einflußfaktoren ?


Gruß
Chinaman

mib - Freitag, 23. Juli 2004 - 10:15
???
wo hab ich denn hoehere Steuern/Abgaben gutgeheissen?
ich hab doch nur gesagt, dass ich es ok finde, wenn es zu einer gewissen Umverteilung von oben nach unten kommt. Es bringt doch der deutschen Volkswirtschaft (und damit der Arbeitslosigkeit, dem Steueraufkommen etc. und somit dem deutschen Buerger) kaum etwas, wenn wir Besserverdienenden netto mehr Geld in der Tasche haben. Wofuer geben wir das Geld denn aus? Letztendlich fuer Produkte, die NICHT (mehr) in Deutschland produziert werden oder, wieder in zunehmendem Mass, fuer Wohnungseigentum (ok - damit ernaehren wir Makler - eine Spezies, wo diesmal ich einen dicken Hals bekomme :-) ).

Also um es mal ganz deutlich zu sagen:
Steuern und Abgaben in D muessen runter, - aber prozentual staerker fuer die unteren Einkommensschichten als fuer die oberen!!!
Wir leben in einer Zeit des Uebergangs in D - da hat es uns nun einmal erwischt... ist nicht so schoen und komfortabel wie fuer die heute 60jaehrigen, aber was wollen wir machen. Das System muss geaendert/angepasst/reformiert werden und in Zeiten des Umbruchs gibt es Verwerfungen und Haerten. Da ist nun mal so - immer noch besser als '45 - '60!!!
Wenn aber nun ausgerechnet wir Besserverdienenden, denen es ja vergleichsweise supergut geht, rummeckern, was koennen wir dann von einem Niedrigverdiener erwarten? Soll nun ausgerechnet dieser im Gegensatz zu uns "Juchheidie" schreien und sagen: "Oh ja - da habt ihr aber recht, das seh ich ein, dass ich mich weiter einschraenken muss!" ?
Wenn "WIR" die Reformen nicht anregen, mittragen, durchsetzen, verstaendlich und einsehbar machen... wer denn dann???
Demokratie hin oder her, letztendlich ist es die "geistige Elite" (grausiger Begriff - aber mir faellt spontan nix besseres ein) einer Gesellschaft, die die Richtung weisst und die die Verantwortung traegt, und nicht die amorphe Masse der Bildzeitungsleser!

Ausserdem bringt es doch rein gar nichts - und trifft auch den Tatbestand nicht - wenn wir uns hier gegenseitig "thiersen" bzw. "essern" vorwerfen!

Wo in Afrika war deine Frau eigentlich?
Ich war/bin oft im suedlichen Afrika und sehe mit Grausen was mit Zimbabwe und Swasiland passiert (ist) - von HIV in besonders Botswana ganz zu schweigen...

Gruss - Mib

chinaman - Freitag, 23. Juli 2004 - 11:15
Moment mal. Die ganze Entwicklung der Diskussion ist eigentlich leicht nachlesbar und im Thread dokumentiert.

Wir haben aufgesetzt am 15.7. mit Artikeln aus der Welt zu den Empfehlungen der Rürup-Kommission. Die habe ich mit dem subjektiven einführenden Kommentar "Höhere Steuern braucht das Land" versehen. Stw hat dann auf Gefahren von „Ausweichreaktionen“ der Gutverdienenden und Kinderlosen hingewiesen.

Dann hast Du gepostet:

„Was mich frustriert, ist vielmehr die Tatsache, dass es als leistungsfeindlich bezeichnet wird, wenn Gutverdiener und Kinderlose stärker belastet werden als Niedrigverdiener und Kinderreiche!“

Damit wurde meines Erachtens ein Fass aufgemacht, dass hier überhaupt noch nie ernsthaft von jemandem hier im Forum in Abrede gestellt wurde. Ich habe hier niemanden erlebt, der für eine Art Kopfsteuer oder auch gleichem Einkommenssteuersatz für alle die Keule geschwungen hat. Ich denke schon, dass wir Konsens haben, dass starke Schultern auch prinzipiell mehr tragen können und sollen, als schwächere Schultern.

Mein Problem (und ich denke auch das von stw) ist doch vielmehr, dass wir schon einen Status des Steuer- und Abgabensystems erreicht haben, dass nach meiner Meinung hier die Grenzen des guten Geschmacks eindeutig überschreitet. Ich habe dann versucht klarzumachen, welche Grenzsteuer- und Abgabenbelastungssituation wir denn in diesem unserem Lande als Ausgangssituation schon heute haben. Die sieht nun einmal so aus, dass einem einigermaßen gut verdienenden Zeitgenossen von einem zusätzlichen Euro ca. 2/3 für zusätzliche Steuern und Abgaben wieder abgenommen werden. Oder bestreitet dies jemand hier ernsthaft ???

Was ich für falsch halte, ist auf diese total demotivierende Ausgangssituation jetzt noch weitere „Verteilungsgerechtigkeit“ draufzusatteln. Dann können wir ja auch gleich wieder „DDR“ auf unseren Staat draufschreiben !

Zum Posting von J.R. am 17.7. möchte ich mich ja eigentlich gar nicht mehr äußern. Nur eines: Ich kann durchaus damit umgehen, wenn ich selber angegriffen werden. Aber wenn der Beruf meiner Frau ins lächerliche gezogen wird (und ich gleichzeitig sehe wie sich da täglich reinkniet und engagiert) und die Kinder dann auf einmal „Balgen“ sind ...


Gruß
Chinaman

chinaman - Freitag, 23. Juli 2004 - 11:18
By the way: Meine Frau war in Tansania in der Entwicklungshilfe.

prof - Freitag, 23. Juli 2004 - 11:28
Hört ihr mal auf, euch hier die Köpfe einzuhauen? Unsere Generation muss bluten, egal ob arm oder reich. Der Lebensstandard wird wohl nicht zu halten sein. Im 20. Jahrhundert gab es viel schlimmeres: Diktaturen und Kriege. Natürlich mache ich mir auch Gedanken über die Zukunft - speziell im Osten - zumal ich nicht gerade ein Großverdiener bin.

Kümmert euch jetzt doch lieber mal um Aktien, den Job oder das schöne Badewetter!
Prof

mib - Freitag, 23. Juli 2004 - 12:11
@chinaman:
hm... - ist es leistungsfeindlich, wenn mir 2/3 des zusaetzlichen Geldes abgeknoepft werden....... ?

ok - ich nehm mich selbst wieder als Beispiel... ich bekomm mein gutes Jahresgehalt und dafuer muss ich arbeiten... ob 50, 60 oder 70h die Woche interessiert niemanden... 30% meiner Urlaubstage verfallen auch ungenutzt... fuer meine (Mehr)Arbeit bekomm ich aber keinen mueden Euro mehr... ergo ist meine Leistungsbereitschaft offensichtlich voellig unabhaengig von meinen Nettoeinkommen... ich waer froh, wenn ich mehr Geld bekaeme... da duerfte ich immerhin 1/3 von behalten... :-))
Ich arbeite also damit "der Laden laeuft" und weil es mir irgendwo trotzdem Spass macht!!! ...und ich arbeite notfalls noch mehr, bin also leistungsbereit, obwohl ich NULL Euro dadurch mehr verdiene.
ich denke nicht, dass viele der Leute, die in einer vergleichbaren Position sind, das anders sehen.
soviel als Erlaeuterung zu meinem statement:
„Was mich frustriert, ist vielmehr die Tatsache, dass es als leistungsfeindlich bezeichnet wird, wenn Gutverdiener und Kinderlose stärker belastet werden als Niedrigverdiener und Kinderreiche!“

zu Afrika:
in Ostafrika war ich noch nicht.
Mein Eindruck ist aber, dass die generellen Probleme ueberall in Afrika dieselben sind: die westliche Wertewelt wird durch das westlich gepraegte Weltwirtschaftssystem auf einen Kulturkreis gepresst, der diese Wertvorstellungen nicht teilt. So traurig und frustrierend das ist: Afrika ist in diesem System chancenlos (obwohl es auch Ausnahmen wie Botswana oder bis vor ein paar Jahren Swaziland gibt).

schoenes Wochenende - Mib

PS: @prof: ist doch ok, wenn wir im "Sonstiges" Forum soetwas diskutieren. ...und JR hat eben eine spitze Zunge, - was ich persoenlich eher erfrischend finde... ;-)

chinaman - Freitag, 23. Juli 2004 - 12:33
"Ich arbeite also damit "der Laden laeuft" und weil es mir irgendwo trotzdem Spass macht!!! ...und ich arbeite notfalls noch mehr, bin also leistungsbereit, obwohl ich NULL Euro dadurch mehr verdiene. "

Wunderbar. Damit bekommst Du von unserem Staat sicher eine Art Auszeichnung verliehen. Nennen wir Sie mal die "goldene Melkkuh" ;-))))

Wenn sich genügend Leute finden, die diese Einstellung haben, läßt sich ja die Belastungsschraube noch deutlich anziehen. Dann mal zu, Ihr lieben Politiker ...

Alle anderen, werden sich dann eben an die veränderten Rahmenbedingungen bestmöglich adaptieren ...

Fragt sich dann für mich nur, warum der Kommunismus eigentlich gescheitert ist, wenn doch die Leute sich auch ohne jegliches Anreizsystem aufarbeiten ...

Zu Afrika: Deinen Eindruck, dass in Afrika die Probleme weitgehend gleich sind, teile ich. Afrika ist der verlorene Kontinent ...


ebenfalls schoenes Wochenende !
Chinaman

stw - Freitag, 23. Juli 2004 - 13:44
Ich will mich aus dieser Diskussion eigentlich raushalten, zumal ich als Unternehmer ohnehin zu einer Spezies gehöre, die sich nicht beliebter macht, wenn sie (auf hohem Niveau) herumjammert über das Abgabenniveau.

Mich stören auch viel weniger meine eigenen Steuern (Körperschaftssteuer, Gewerbesteuer, Einkommenssteuer, Soli, Kirchensteuer, da kommt einiges zusammen) sondern vielmehr die Steuerprogression bei den Normalverdienern unter meinen Mitarbeitern. Mit einer normalen Gehaltserhöhung kann man da keinen zu Zusatzleistungen motivieren, da die Grenzbelastung aus Steuern und Abgaben einfach zu hoch ist. Denen bleibt netto einfach nicht viel mehr übrig von einer Gehaltserhöhung und das ist dann schon leistungsfeindlich !

Noch schlimmer für mich als Unternehmer ist das Verhalten der Banken in D: die gehen keinerlei Risiko mehr ein und vergeben keine Kredite für die nicht absolut wasserdichte Bürgschaften vorliegen. Das ist wachstumsfeindlich ! Für einen kleinen Unternehmer wie mich, der Geschäfte mit großen Konzernen macht bedeutet dies zudem, dass auch eine GmbH nicht schützt vor den desaströsen Folgen, die ein einziger Fehler von mir oder einer meiner Mitarbeiter haben kann. Denn schützen kann man sich vor solchen Fehlern auch durch keine Haftpflichtversicherung, da müssten ja die Versicherungen ein Risiko tragen und das ist in D anscheinend ebenfalls unüblich.
Und dann fragt man sich schon, ob man sich das hier in D antun muss, wenn die Rahmenbedingungen in vielen Nachbarländern einfach wesentlich besser sind.

Ich will wirklich nicht weiter rumjammern: Fakt ist jedoch, dass es einen zunehmenden Exodus von Leistungsträgern (Unternehmern, Wissenschaftlern und anderen Experten gleichermassen) aus D gibt. Sehr viele sind tief frustriert. Die Gründe dafür sind allerdings nicht nur das Steuersystem...

:-( stw

chinaman - Freitag, 23. Juli 2004 - 14:12
"Mit einer normalen Gehaltserhöhung kann man da keinen zu Zusatzleistungen motivieren"

ist ja genau meine Rede. Allerdings habe ich ja inzwischen gelernt, dass ein Großteil der Menschen die Zusatzleistung ja sogar ohne Gehaltserhöhung erbringt. Dann spar die doch einfach das Geld für die Gehaltserhöhung ;-))

"Noch schlimmer für mich als Unternehmer ist das Verhalten der Banken"

Die leihen Ihr Geld halt lieber "risikolos" ;-))) dem Staat. Da tust Du Dich als kleine GmbH natürlich schwer in der Konkurrenzsituation um das knappe Geld ...

"Fakt ist jedoch, dass es einen zunehmenden Exodus von Leistungsträgern (Unternehmern, Wissenschaftlern und anderen Experten gleichermassen) aus D gibt. Sehr viele sind tief frustriert. "

Jawohl. Damit sind wir bei den Ausweichreaktionen.

"Die Gründe dafür sind allerdings nicht nur das Steuersystem... "

Nee, da kommt schon noch mehr zusammen. Unsere Bürokratie "überlegt" sich in Ihren "produktiven" Stunden ja auch so einiges ... Man braucht ja seine "Daseinsberechtigung".

Was mich an den ganzen Quasselbuden von Kommissionen etc auch wild macht, ist folgendes: Jeder Unternehmer muss seine Kosten gnadenlos durchforsten und kann sich keine Ineffizienzen leisten. Sobald der Staat aber mit im Boot ist, reden wir nur noch von Verteilungskämpfen und Finanzierung. Gerade weil meine Frau Ärztin ist, weiß ich aber auch, welche Ineffizienzen auch im staatlich regulierten Gesundheitssystem stecken. Nur, wer geht da ran ...

Wehe einer stellt die Frage nach der Berechtigung des berühmten künstlichen Hüftgelenkes für 85jährige ... Das ist natürlich politisch absolut nicht opportun und dafür werde ich jetzt sicher auch im Thread wieder Dresche von "Gutmenschen" kriegen.


Gruß
Chinaman

chinaman - Dienstag, 27. Juli 2004 - 15:16
KOPFPRÄMIE

Graue Theorie Von PETER THELEN

Grau, teurer Freund, ist alle Theorie und grün des Lebens goldner Baum." Die Worte aus Goethes Faust, mit denen der Dichter einem wissbegierigen Studenten die Grenzen der Wissenschaften durch Mephisto in der Verkleidung des Dr. Faust aufzeigen lässt, haben selten besser gepasst. In der Theorie ist die von Bert Rürup in Deutschland salonfähig gemachte Idee, den lohnbezogenen Krankenkassenbeitrag durch eine Kopfpauschale oder Gesundheitsprämie zu ersetzen, ein Selbstläufer.

Statt prozentualer Beiträge vom Lohn zahlt jedes Mitglied einen die Durchschnittskosten seiner Kasse je Erwachsenen widerspiegelnden Pauschalbeitrag. Pro Kind wird eine kleinere Kopfprämie fällig. Der Arbeitgeberbeitrag - 50 Prozent des Beitragssatzes von derzeit durchschnittlich 14,2 Prozent - wird mit dem Lohn ausgezahlt.

Die Vorteile des Manövers liegen auf der Hand: Die Belastung der Wirtschaft durch die Krankheitskosten wird eingefroren. Von Einkommenserhöhungen müssen die Arbeitnehmer nicht mehr automatisch einen fixen Prozentsatz an ihre Kasse abführen. Die Finanzlage der Kassen wird unabhängig von Schwankungen bei der Lohn- und Beschäftigungsentwicklung. Außerdem ersetzt die Prämie die intransparente prozentuale Abgabe vom Lohn durch echte Preise für den gesetzlichen Leistungskatalog. Sie entlastet Millionen Arbeitnehmer, deren heutiger Beitrag deutlich höher ist als die Kopfpauschale von - je nach Ausgestaltung - 170 bis 200 Euro und belebt so unmittelbar die dümpelnde Binnenkonjunktur.

Doch hat die glänzende Vorderseite des Kopfprämienmodells eine unerfreuliche Kehrseite mit Namen Sozialausgleich. Würde die Prämie als Teil einer staatlichen Krankenversicherung in den USA diskutiert, niemand würde sich dort über diesen sozialen Ausgleich Gedanken machen. Wer es täte, geriete schnell in Sozialismus-Verdacht. Warum, diese Frage müsste eigentlich auch in Deutschland gestellt werden, soll es eigentlich bei der Krankenversicherung anders laufen als zum Beispiel bei der KFZ-Versicherung? Jeder Autobesitzer muss sie haben. Trotzdem richtet sich ihr Preis nach Autotyp und Schadensquote. Niemand fordert, ihn nach dem Einkommen zu staffeln.

Fragen dieser Art sind in Deutschland aber nicht erlaubt. Denn hier ist seit über 100 Jahren ehernes Gesetz, dass keinem Bürger nur wegen geringen Einkommens die medizinisch zweckmäßige und notwendige Versorgung vorenthalten werden darf. Zustände wie in den USA, wo 40 Millionen Bürger keine Krankenversicherung haben, will nicht einmal die FDP. Daher versprach CDU-Chefin Merkel als erste Tat, dass niemand durch die Prämie schlechter gestellt wird. Sonst hätte sie die Zustimmung des Leipziger Parteitags nicht bekommen.

Statt über die Vorteile der Kopfprämie wird daher seit Monaten nicht nur in der CDU um die Finanzierung des Sozialausgleichs gerungen. Fast 40 Milliarden Euro würde es kosten, das Versprechen von Merkel einzulösen, hat Rürup errechnet. Wie man es dreht und wendet, ohne Steuer- oder Abgabenerhöhungen lässt sich diese gigantische Summe nicht stemmen. Rürups Finanzierungsvorschläge sind Anschauungsmaterial für die unerwünschten Nebeneffekte. Wird die Mehrwertsteuer erhöht, würden zwar die von der Kopfprämie erwarteten Konjunktur- und Beschäftigungseffekte weitgehend gerettet. Doch belasten indirekte Steuern bekanntlich vor allem untere Einkommen. Die vom Sozialausgleich Begünstigten würden verdonnert, ihn über ihre Konsumausgaben selbst zu finanzieren. Ähnlich verhält es sich mit der Idee, die Kinderprämien aus Steuern auf den ausgezahlten Arbeitgeberbeitrag zu zahlen. Dass sich an beiden Einnahmequellen auch die zehn Prozent privat Versicherten beteiligen, ändert daran wenig.

Die anderen Finanzierungsmodelle, ob Gesundheitssoli oder prozentualer Sonderbeitrag, sind verteilungspolitisch gerechter. Sie bleiben aber die Binnenkonjunktur lähmende und den Druck auf die Arbeitskosten steigernde Steuer- und Abgabenerhöhungen. So handeln sich Rürup und die CDU die Probleme, die sie mit der Einheitsprämie lösen wollen, mit dem Sozialausgleich gleich wieder ein.

Schließlich hätte eine starre Überforderungsgrenze - Rürup setzt sie bei 12,5 Prozent des Einkommens - den Effekt, dass unvermeidbare Prämienerhöhungen automatisch über den Sozialausgleich finanziert würden. Das bisher von der Versichertengemeinschaft getragene Kostenrisiko der Krankenversicherung ginge auf den Staat über. Will das jemand? Nein.

Ein Befreiungsschlag für den Standort Deutschland könnte daher aus der Prämie nur werden, wenn auf ihre Kehrseite, den Sozialausgleich, weitgehend verzichtet würde. Solange es dafür keine Mehrheit gibt, bleibt Rürups Konzept graue Theorie.

Quelle: Handelsblatt

mib - Dienstag, 27. Juli 2004 - 20:28
"Warum, diese Frage müsste eigentlich auch in Deutschland gestellt werden, soll es eigentlich bei der Krankenversicherung anders laufen als zum Beispiel bei der KFZ-Versicherung? Jeder Autobesitzer muss sie haben. Trotzdem richtet sich ihr Preis nach Autotyp und Schadensquote. Niemand fordert, ihn nach dem Einkommen zu staffeln."

Peter Thelen ist offensichtlich ein gutverdienender gesunder Mann ohne Kinder, der niemals in den USA gelebt hat.
Wir wollen ihm wuenschen, dass sich seine Situation niemals aendert, wenn er uns dafuer verspricht, in Zukunft nur noch fuer das Anzeigenblatt in Krefeld-St.Tönis zu schreiben.

(sorry, chinaman... - aber du hast indirekt wieder angefangen... da musste ich einfach ein bisschen dagegen polemiken... ;-)

Mib

chinaman - Mittwoch, 28. Juli 2004 - 07:48
Meines Erachtens ist Peter Thelen ein Mann, der nüchtern zwischen ökonomischer Wirkung und Sozialausgleich unterscheidet und die Sache ziemlich auf den Punkt bringt: Es gibt hier keine eierlegende Wollmilchsau.

Entweder wir wollen die wirtschaftliche Situation verbessern oder wir wollen den Sozialstaat zumindest etwas den wirtschaftlichen Realitäten anpassen. Da hilft halt leider keine Tagträumerei und Sozialromatik ...

Ich habe zwar noch nie in den (hochgelobten) USA gelebt, aber ich war genügend oft in fremden Ländern um beurteilen zu können, das außerhalb Westeuropas die Gesundheitskosten sich nicht grenzenlos ausweiten dürfen und man einfach lernen muss zwischen medizinisch möglichem und wirtschaftlich bezahlbarem zu unterscheiden.

Wir Deutsche stehen nur an der Spitze der Gesundheitsausgaben ohne dass wir deshalb gesünder sind ...


:-)
Gruß
Chinaman

chinaman - Mittwoch, 28. Juli 2004 - 07:51
Muß natürlich heissen:

"Entweder wir wollen die wirtschaftliche Situation verbessern und den Sozialstaat zumindest etwas den wirtschaftlichen Realitäten anpassen oder wir wollen mit dem Sozialstaat heutiger Prägung gemeinsam untergehen. Da hilft halt leider keine Tagträumerei und Sozialromatik ... "

:-)
Gruß
Chinaman

chinaman - Freitag, 6. August 2004 - 07:58
Aus der FTD vom 6.8.2004 www.ftd.de/hartz
Hartz IV: Reform reißt Milliardenlücken in Bundesetat
Von Birgit Marschall, Berlin

Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe bringt die Regierung in Bedrängnis: Sie birgt Milliardenrisiken für den Haushalt. Die Grünen fordern Korrekturen - und die Sozialverbände rufen zu Montagsdemonstrationen auf.

Die Hartz-IV-Arbeitsmarktreform wird im Bundeshaushalt 2005 nach Auffassung von Haushaltsexperten neue Milliardenlücken verursachen. "Ich sehe zusätzliche Ausgaberisiken von insgesamt 5 Mrd. Euro durch Hartz IV. Schon eines der Risiken, etwa die Auszahlung des Arbeitslosengeldes II auch im Januar, reicht aus, um den Haushalt verfassungswidrig zu machen", sagte CDU-Haushaltspolitiker Dietrich Austermann der FTD. Auch der FDP-Finanzpolitiker Carl-Ludwig Thiele sagte: "Wir werden erleben, dass der Haushalt durch Hartz IV verfassungswidrig wird."

Die Hartz-IV-Reform sieht zum 1. Januar 2005 die Zusammenlegung der Arbeitslosen- mit der Sozialhilfe vor. Künftig wird der Bund nicht mehr nur für die 2,2 Millionen bisherigen Arbeitslosenhilfe-Bezieher, sondern auch für gut eine Million erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger aufkommen, die bisher ihr Geld von den Kommunen erhielten. Die Reform birgt erhebliche Finanzrisiken, die Finanzminister Hans Eichel in Bedrängnis zu bringen drohen.


Ärger um Zahltag

So wird die Regelung von Wirtschaftsminister Wolfgang Clement nicht zu halten sein, den Zahltag für das Arbeitslosengeld II (Alg II) der bisherigen Arbeitslosenhilfe-Bezieher im Januar 2005 ausfallen zu lassen. Da sie Ende Dezember 2004 das letzte Mal Arbeitslosenhilfe erhalten, wollte Clement ihnen das Alg II erst am 1. Februar 2005 überweisen.


Doch den Eindruck, die Regierung prelle die Betroffenen um eine Monatszahlung, will die Regierungsspitze unbedingt vermeiden. Clement werde daher spätestens auf der Regierungsklausur am 3. und 4. September von Kanzler Gerhard Schröder, SPD-Chef Franz Müntefering und den Grünen zum Umlenken gezwungen, hieß es in Regierungs- und Parteikreisen. Das Alg II soll demnach nicht erst am 1. Februar, sondern bereits am 31. Januar und weiter jeweils am Monatsende fließen.


Allein die Zahlungslücke bringt Eichel in Bedrängnis

Dies wird den Haushalt der Bundesagentur für Arbeit (BA) jedoch mit zusätzlich 1,9 Mrd. Euro belasten, wobei 500 Mio. Euro auf Sozialbeiträge entfallen. Bisher hatte Eichel mit nur elf Monatsauszahlungen kalkuliert. Defizite der BA müssen aus dem Bundesetat ausgeglichen werden.


Allein das Schließen der Zahlungslücke werde die Neuverschuldung 2005 über die verfassungsrechtlich zulässige Höhe schieben, sagte Austermann. Bei geplanten Investitionen von 22,8 Mrd. Euro und einer Neuverschuldung von 22,0 Mrd. Euro bliebe Eichel nur ein zusätzlicher Verschuldungsspielraum von 800 Mio. Euro. Der Haushalt ist verfassungswidrig, wenn die Neuverschuldung die Investitionssumme übersteigt.


Mehr Arbeitlose als geplant


Hinzu kämen weitere Risiken, sagte Austermann. So steige die Zahl der Arbeitslosenhilfe-Bezieher schon derzeit stärker, als Eichel im laufenden Etat vorgesehen habe. "Der Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit ist auch ein Milliardenrisiko für 2005." Zudem werde der Bund den Kommunen, die die Unterkunftskosten tragen, deutlich mehr als die 1,8 Mrd. Euro überweisen müssen, die dafür bisher im Etat vorgesehen seien. Austermann kündigte für den Fall, dass sich die Verfassungswidrigkeit im November offenbart, eine Klage der Union vor dem Bundesverfassungsgericht an.


Auch die Grünen-Haushaltsexpertin Antje Hermenau rechnet mit Haushaltsrisiken durch Hartz IV. "Ich gehe davon aus, dass bei der Regierungsklausur dafür Lösungen gefunden werden", sagte Hermenau. "Wir werden keinen verfassungswidrigen Haushalt zulassen." Auch beim Defizitkriterium des EU-Stabilitätspakts müsse Eichel "in der Nähe der drei Prozent" bleiben, sonst werde er in Brüssel unglaubwürdig.


Wirbel um Sparschwein-Plünderung


In der Debatte um die Anrechnung von Kindervermögen auf die Unterhaltshilfe der Sprösslinge sorgte die BA für eine Klarstellung. Dass Guthaben von Kindern im Alter von bis zu 15 Jahren über 750 Euro auf das Sozialgeld der Kinder angerechnet werden, hatte Wirbel ausgelöst. Dazu sagte ein BA-Sprecher: "Ein zu hohes Sparvermögen wird nur mit der ersten Monatsleistung verrechnet." Die BA geht davon aus, dass Vermögen der Kinder rasch "verbraucht" sind, sodass nur die erste Zahlung gemindert wird. Anders als erwartet hätten betroffene Eltern nicht damit begonnen, Sparguthaben ihrer Kinder aufzulösen, um der Anrechnung zu entgehen, erklärten Kreditinstitute.


Sozialverbände, Kirchen und Globalisierungsgegner von Attac wollen ihre Proteste gegen Hartz IV verstärken. In Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Berlin und Hamburg sollen ab dem 9. August regelmäßig Montagsdemonstrationen stattfinden.


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Legende: Arbeitslosenhilfe-Bezieher, die ab 2005 das Arbeitslosengeld II (Alg II) erhalten, müssen massenweise in billigere Wohnungen umziehen, zum Beispiel in unsanierte Plattenbauten.


Wahrheit: Nur wenige werden umziehen müssen. Der Staat zahlt Miete und Heizung für eine angemessene Wohnung. Als angemessen gilt für Singles eine Warmmiete von 318 Euro, für Paare von 409 Euro, für drei Personen von 463 Euro und für vier Personen von 511 Euro. Nach Auskunft des Bundeswirtschaftsministeriums erfüllen die Wohnungen der meisten Arbeitslosenhilfe-Empfänger bereits heute diese Kriterien.


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Legende: Künftig müssen Alg-II-Empfänger damit rechnen, dass Sozial-Detektive in ihrem Haushalt herumschnüffeln.


Wahrheit: Die Bundesagentur für Arbeit (BA) wird im Einzelfall Hausbesuche durchführen. Dies wird nur selten vorkommen, zumal die BA mit der Umsetzung der Reform gut beschäftigt ist. Bisher wird Sozialhilfe-Betrug nur nachgegangen, wenn konkrete Verdachtsmomente bestehen.


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Legende: Arbeitslosenhilfe-Bezieher werden im Januar 2005 um eine Auszahlung geprellt, weil sie erst am 1. Februar 2005 das Alg II erhalten sollen.


Wahrheit: Mit der Alg-II-Einführung zum 1. Januar 2005 wird die Arbeitslosenhilfe de facto abgeschafft. Für Betroffene gilt dann die Bedürftigkeitsprüfung, wie sie schon jetzt für Sozialhilfe-Bezieher obligatorisch ist. Wer im Januar nicht bedürftig ist, weil er Ende Dezember Arbeitslosenhilfe erhalten hat, bekommt kein Alg II.


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Legende: Arbeitslose Eltern müssen die Sparschweine ihrer Kinder plündern, weil der Staat sonst die Kinder-Unterstützung kürzen wird.


Wahrheit: Vermögen über einem Freibetrag von 750 Euro, die Kindern unter 15 Jahren gehören, werden auf das Sozialgeld der Kinder angerechnet. Sie könnten den staatlichen Zuschuss von 207 Euro pro Kind mindern, den die arbeitslosen Eltern erhalten.

chinaman - Freitag, 20. August 2004 - 11:20
Das Defizit ist damit weitaus größer als das bisher für das Gesamtjahr 2004 angenommene Haushaltsloch von 29,6 Milliarden Euro

Berlin - Wie aus dem am Donnerstag vorgelegten aktuellen Monatsbericht des Finanzministeriums hervorgeht, summierte sich das Saldo in den ersten sechs Monaten dieses Jahres auf 40,7 Milliarden Euro. Das sind 3,6 Milliarden mehr als vor einem Jahr.

Nach Darstellung des Finanzministeriums können anhand der Halbjahreszahlen keine Rückschlüsse auf den weiteren Jahresverlauf gezogen werden. In der Regel steige das Defizit im Jahresverlauf bis Ende November. Mit erfahrungsgemäß höheren Steuereinnahmen im Dezember werde es dann um mehr als 10 Milliarden Euro sinken.

Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) hatte bereits vor Wochen nicht ausgeschlossen, dass im Etat am Ende eine Lücke von 10 Milliarden Euro klaffen könnte. Sollte die geplante Neuverschuldung von mehr als 29 Milliarden Euro nicht ausreichen, soll im Herbst ein Nachtragsetat für 2004 vorgelegt werden.

Die Ausgaben des Bundes sanken zwar im ersten Halbjahr gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 0,5 Prozent auf 131 Milliarden Euro. Die Einnahmen des Bundes gingen jedoch um 4,3 Milliarden oder 4,6 Prozent auf 90,3 Milliarden Euro zurück. Die Steuereinnahmen legten im ersten Halbjahr zwar um 0,5 Milliarden auf 82,9 Milliarden Euro zu. Der Zuwachs blieb jedoch hinter den Erwartungen der für die Haushaltsaufstellung maßgeblichen Steuerschätzung vom November. Bund und Länder verbuchten Steuermehreinnahmen. Sie erhöhten sich nach endgültigen Zahlen um 1,1 Prozent auf 192,5 Milliarden Euro.

Mehrbelastungen drohen dem Bund durch die hohe Arbeitslosigkeit. Bisher ist für die Bundesagentur für Arbeit im Etat für 2004 ein Zuschuss von 5,2 Milliarden Euro eingeplant. Gegenüber diesem Soll bestehe aber das „Risiko begrenzter Mehrausgaben“, hieß es. „Bei der Arbeitslosenhilfe sind steigende Belastungen aufgrund höherer Langzeitarbeitslosigkeit festzustellen.“ Gegenüber dem Vorjahr stiegen Arbeitsmarkt-Ausgaben um 7,0 Prozent auf 17 Milliarden. Für ganz 2004 liegt hier das Soll bei 27,8 Milliarden Euro.

Die Zinszahlungen erhöhten sich um 4,2 Prozent auf 18,7 Milliarden Euro. Negativ zu Buche schlug auch der deutlich geringere Gewinn der Bundesbank. Diese hatte in diesem Jahr nur 0,25 Milliarden Euro an den Bund überwiesen nach 3,5 Milliarden Euro im vergangenen Jahr. WELT.de7dpa

Quelle: Die Welt (online) Do, 19. August 2004

chinaman - Samstag, 21. August 2004 - 10:19
SPIEGEL ONLINE - 20. August 2004, 13:49
URL: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,314091,00.html
Gesetze, Vorschriften, Verordnungen

"Belastungen in Milliardenhöhe"

Von Kai Lange

Die Belebung der Konjunktur geht am Mittelstand weitgehend vorbei. Ein starres Tarifsystem, hohe Arbeitskosten, rigider Kündigungsschutz und ausufernde Bürokratie bremsen den Motor der deutschen Wirtschaft: Durch die jüngsten Reformen ist wenig besser, aber vieles schwieriger geworden.

Berlin - Die geringe Kauflust der Deutschen setzt kleineren und mittleren Unternehmen ebenso zu wie die verschärften Kredithürden, die ihnen die Aufnahme eines Darlehens erschweren. Kaum jemand wagt zu investieren. Lediglich exportorientierte Unternehmen profitieren derzeit von den Impulsen einer anziehenden Weltwirtschaft, so die Einschätzung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Bei der Mehrheit der mittelständischen Unternehmen, die rund 80 Prozent der Arbeitsplätze in Deutschland stellen, seien die Wachstumsimpulse noch nicht angekommen.

Deutschland hinkt hinterher - auch auf Grund hausgemachter Probleme. Die Novelle des Betriebsverfassungsgesetzes sowie die Einführung einer Mindeststeuer waren mit Sicherheit das Letzte, was sich mittelständische Unternehmen in dieser Situation von den Regierenden in Berlin gewünscht haben. Erstaunlich, dass der Reformkurs des Kanzlers dennoch ein knappes Lob erhält.

"Es ist erfreulich, dass mit der Agenda 2010 das Fenster für durchgreifende Reformen geöffnet wurde", sagt Fritz-Wilhelm Pahl, Sprecher des IHK-Netzwerkes Mittelstand beim DIHK. Die Reformen am Arbeitsmarkt seien zumindest "ein guter Einstieg" für einen flexiblen Arbeitsmarkt. Es sei erfreulich, dass Sofortmaßnahmen wie etwa die Gesundheitsreform einen weiteren Anstieg der Sozialversicherungsbeiträge "zumindest vorerst" verhindert haben. Doch damit Schluss der guten Worte - die Liste der Versäumnisse und Patzer sei deutlich länger, der Reformweg sei noch sehr weit.

Steuerbelastung für Unternehmen bleibt hoch

Beispiel Steuerlast für Unternehmen: "Die vereinbarte leichte Senkung der Steuertarife wurde durch erhebliche Mehrbelastungen erkauft", sagt Pahl. So müssten Unternehmen im Jahr 2005 insgesamt 1,8 Milliarden Euro zusätzlich an den Fiskus überweisen. Vor allem die Einführung der Mindeststeuer durch die Begrenzung des Verlustvortrags sowie die Verschärfung der Gesellschafter-Fremdfinanzierung würden zusätzliche Belastungen für den Mittelstand bringen.

Deutschland sei trotz Steuerreform noch immer ein Hochsteuerland. Mit einer effektiven Steuerbelastung von knapp 40 Prozent liege Deutschland deutlich über dem Schnitt aller EU-Länder (knapp 30 Prozent), hat das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) errechnet. Berücksichtigt wurde die Summe von Gewerbe- und Körperschaftsteuern.

Betriebsverfassungsgesetz in der Kritik

Eine grundsätzliche Vereinfachung des deutschen Steuerrechts, der Abbau von Subventionen und die Absenkung der Steuersätze seien wichtige Schritte, um die Reformen voranzutreiben, betont der DIHK. "Die meisten Mittelständler können sich keine Steuerrechtsabteilung leisten, die ihnen einen Weg durch den deutschen Steuerdschungel ebnet", argumentiert Pahl.

Beispiel Betriebsverfassungsgesetz: Die Neufassung durch die Bundesregierung im Jahr 2001 hat dafür gesorgt, dass Betriebe ab einer Zahl von 200 Mitarbeitern einen Mitarbeiter für den Betriebsrat freistellen müssen. Außerdem sind die Mitspracherechte des Betriebsrates deutlich erweitert worden.

Die Zusatzkosten sind laut DIHK beträchtlich: Jeder freigestellte Betriebsrat koste einen Betrieb im Schnitt rund 31.000 Euro, sofern man einen Jahresdurchschnittsverdienst zu Grunde legt. Die Novelle müsse revidiert werden, fordert die IHK-Organisation.

Kündigungsschutz: Hindernis für neue Arbeitsplätze?

Für mittelständische Betriebe, die laut einer Studie des Bonner Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) mehr als die Hälfte der industriellen Arbeitsplätze stellen, sei das rigide Kündigungsschutzrecht in Deutschland noch immer Hindernis Nummer eins, wenn es um Neueinstellungen geht.

"Viele kleine und mittlere Betriebe befürchten, bei späterer Flaute die Beschäftigung nicht rechtzeitig an die neue Auftragslage anpassen zu können", so Pahl. Kaum ein mittelständisches Unternehmen verfüge über Personal- und Rechtsabteilungen, um die komplizierte Rechtsmaterie zu bewältigen.

Die Folge sei, dass mehr als 50 Prozent der Arbeitslosen in Deutschland mehr als ein Jahr ohne Beschäftigung seien - in Ländern mit einem lockeren Kündigungsschutz wie Dänemark seien es nur 20 Prozent. "Weniger Kündigungsschutz dürfte letztlich mehr Beschäftigung bringen", meint Pahl. Sein Vorschlag: Für neue Mitarbeiter sollte der gesetzliche Kündigungsschutz erst nach drei Jahren Betriebszugehörigkeit einsetzen. Kleine Unternehmen unter 20 Mitarbeiter sollten generell vom gesetzlichen Kündigungsschutz ausgeschlossen werden.

Tarifrecht - die Großen brechen bereits aus

Auch beim Tarifrecht haben Reformpolitiker nach Ansicht der Mittelstandsvertretung noch viel zu tun. Konzerne wie Siemens und DaimlerChrysler haben bereits Sondervereinbarungen geschlossen, um bedrohte Standorte zu halten - hier sind Unternehmen Vorreiter der Politik.

"Das größte Manko der deutschen Tariflandschaft ist, dass das System des Flächentarifvertrags den unterschiedlichen Ertragssituationen in den Unternehmen nicht gerecht wird", sagt Pahl. Abweichungen vom Tarifvertrag seien derzeit nur möglich, wenn mehr Lohn gezahlt oder weniger gearbeitet werde.

"Unternehmen müssen die Möglichkeit haben, ihre Tarife an die Ertragssituation anzupassen", fordert der DIHK-Experte. Abweichungen vom Tarifvertrag sollten erlaubt sein, wenn die entsprechende Vereinbarung die Existenz des Unternehmens und damit Arbeitsplätze in Deutschland sichert: Vorstellbar sei, dass die Tarifparteien kein Vetorecht mehr haben, wenn der Betriebsrat oder eine Zweidrittelmehrheit der Belegschaft einem neuen Entlohnungsmodell zustimmen.

Kurze Arbeitszeiten, teure Kredite

Die Liste der Dinge, die den Mittelstand in Deutschland quälen, ist lang. Dazu gehören die vergleichsweise kurzen Arbeitszeiten, die in vielen kleinen und mittleren Betrieben zu steigenden Lohnkosten geführt haben. "Generell brauchen wir längere und flexiblere Arbeitszeiten", so Pahl. Das könnte bedeuten, dass ein Mitarbeiter je nach Auftragslage seines Arbeitgebers zwischen 30 bis 50 Stunden pro Woche arbeitet.

Neue Gesetze haben die Kreditprobleme bei mittelständischen Unternehmen zudem verschärft. Nach einer Umfrage der DIHK bei mehr als 21.000 Unternehmen im Frühjahr 2004 bleibt die Finanzierungssituation des deutschen Mittelstandes angespannt: Fast jedes vierte Unternehmen meldete verschlechterte Kreditkonditionen, drei Prozent wurden sogar mit gekürzten Kreditlinien oder abgelehnten Anträgen konfrontiert.

"Bildung von Eigenkapital massiv erschwert"

Trotz aufgehellter Konjunkturerwartungen der Unternehmen reagierten die Banken zögerlich, da sie ihre Kreditkonditionen stärker an der Bonität der Kreditnehmer ausrichten müssen.


Die Erfahrung vieler mittelständischer Unternehmen sei, dass die Kreditinstitute bei dieser Prüfung eher "die Bilanzen von gestern" als "die Bilanzen von morgen" berücksichtigen.


Der eine oder andere Mittelständler ist sicher selbst dafür verantwortlich, dass die Erträge nicht ausreichen oder Eigenkapital knapp wird", sagt Pahl. Gleichwohl erschwere die Politik mit ihren wirtschafts- und steuerpolitischen Entscheidungen "massiv" die Bildung von Eigenkapital: Die Begrenzung des Verlustvortrages sowie die Steuernovelle zur Gesellschafter-Fremdfinanzierung bedeuteten für die Unternehmen per Saldo zusätzliche Belastungen in Milliardenhöhe.

Bürokratie kostet 46 Milliarden Euro pro Jahr

Nicht nur neue Gesetze - auch die ausufernde Bürokratie kostet Milliarden. Laut einer Studie des Instituts für Mittelstandsforschung im Auftrag des Wirtschaftsministeriums sind die Bürokratiekosten in Deutschland im Jahr 2003 auf insgesamt 46 Milliarden Euro gestiegen. Das sind pro Unternehmen im Schnitt 46.000 Euro. Knapp 60 Prozent aller Unternehmen in Deutschland fühlen sich durch Bürokratie "hoch" bis "sehr hoch" belastet: Besonders kleinere Unternehmen leiden unter der Papierlawine.

Unternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitern müssen pro Jahr rund 62 Stunden je Mitarbeiter aufwenden, um die bürokratischen Auflagen des Staates zu erfüllen, so die Studie. Große Unternehmen brauchen weniger Zeit je Mitarbeiter, da sie sich Experten für Arbeits- und Steuerrecht leisten können.

"Auf ein abgeschafftes Gesetz kommen drei neue", sagt DIHK-Experte Pahl. Mittlerweile seien mehr als 5000 Gesetze und Verordnungen mit mehr als 85.000 Einzelvorschriften zu beachten. Trotz aller Bemühungen um einen Abbau von Bürokratie seien per Saldo weitere Rechtsvorschriften hinzugekommen. Das Versäumnis der Regierenden, den Verordnungsdschungel zu lichten, wiege besonders schwer: Kleine und mittlere Unternehmen könnten die frei werdende Zeit wesentlich effizienter für ihre Kunden und Geschäftsideen nutzen.

chinaman - Dienstag, 24. August 2004 - 12:56
Schulden, Schulden, Schulden ... nichts als Schulden ... Aber es kann ja alles gut werden, wenn ...

:-(
Gruß
Chinaman


ftd.de, Di, 24.8.2004, 8:43, aktualisiert: Di, 24.8.2004, 12:27
Regierung beschwichtigt bei Rekorddefizit

Deutschland hat nach Angaben des Statistischen Bundesamts in den ersten sechs Monaten die EU-Defizit-Grenze deutlich überschritten. Das Bundesfinanzministerium warnte vor verfrühten Schlüssen aus den Halbjahreszahlen.


Im ersten Halbjahr lag das Defizit des Staates im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei 4,0 Prozent. Das teilte des Statistische Bundesamt am Dienstag in Wiesbaden mit. Bund, Länder und Gemeinden gaben in den ersten sechs Monaten 42,7 Mrd. Euro mehr aus als sie einnahmen.

Bleibt das Defizit der öffentlichen Hand auch im Gesamtjahr auf diesem Niveau, würde Deutschland erneut den Neuverschuldungs-Grenzwert des EU-Stabilitätspakts von 3,0 Prozent verfehlen. Im Gesamtjahr 2003 hatte das Defizit nach neuesten Berechnungen bei 3,8 Prozent gelegen und überschritt damit wie bereits 2002 den Grenzwert.


Finanzministerium erwartet besseren Wert für Gesamtjahr


Ein Sprecher des Finanzministeriums sagte, die ungleiche Verteilung von Einnahmen und Ausgaben im Jahresverlauf sowie der hohe Schätzanteil führten dazu, dass eine sinnvolle Interpretation der jüngsten Zahlen kaum möglich sei. Entscheidend sei, dass sich das Wirtschaftswachstum inzwischen verstärkt habe. "Das wird sich im Verlauf dieses Jahres positiv auf die Defizitquote auswirken."


Ein Sprecher des Statistischen Bundesamtes sagte, die Finanzierungslücke könne am Ende des Jahres sowohl höher als auch niedriger ausfallen als in der Zwischenbilanz. "Die Entwicklung war in der Vergangenheit sehr unterschiedlich."


Ungewissheit über EU-Sanktionen


Die Regierung hatte für 2004 mit einer Neuverschuldung von rund 3,5 Prozent kalkuliert. Ende des Monats wird der Bund die aktualisierte Prognose für das nationale Stabilitätsprogramm nach Brüssel übermitteln. Ziel der Regierung bleibe es, 2005 erstmals nach drei Jahren unterhalb der europäischen Obergrenze zu bleiben, sagte der Ministeriumssprecher. Gleichwohl zeichnet sich in diesem Jahr das höchste Staatsdefizit in der Geschichte der Bundesrepublik ab.


Derzeit ist offen, wie die EU gegen die "Defizitsünder" Deutschland und Frankreich vorgehen will. Der Europäische Gerichtshof hatte den Beschluss der EU-Finanzminister zur Aussetzung der Defizit-Strafverfahren gegen Berlin und Paris im Juli gekippt. Daher ist ein neuer Beschluss notwendig. Erste Vorschläge will die EU-Kommission in der kommenden Woche vorlegen. Da auch etliche weitere Mitgliedsländer Defizitprobleme haben, wird in der EU eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes diskutiert.


Binnenkonjunktur weiterhin schwach


Im abgelaufenen zweiten Quartal wuchs die deutsche Wirtschaft fast ausschließlich wegen des anziehenden Außenhandels. "Der Exportüberschuss (Außenbeitrag) trug mit 0,5 Prozentpunkten zum Wirtschaftswachstum bei", teilte das Statistische Bundesamt weiter mit. Die Exporte legten um 3,2 Prozent und damit stärker als die Importe (plus 2,2 Prozent) zu. In den Monaten April bis Juni war das BIP um 0,5 Prozent zum Vorquartal gewachsen. Im Vergleich zum zweiten Quartal 2003 legte die Wirtschaftsleistung um zwei Prozent zu.


Die Binnenkonjunktur blieb schwach. Im Gegensatz zum Außenhandel ging die inländische Verwendung um 0,1 Prozent zurück. Die meisten Volkswirte wie auch die Bundesregierung rechnen in diesem Jahr mit einem Wachstum von 1,5 bis zwei Prozent.


Analysten: Schwache Entwicklung beim privaten Konsum


Die privaten Konsumausgaben stiegen im Vergleich zum Jahresanfang real um 0,1 Prozent und die Konsumausgaben des Staates um 0,3 Prozent. Die Ausrüstungsinvestitionen blieben auf dem Niveau des Vorquartals.


Stefan Bielmeier von der Deutschen Bank nannte den Trend beim privaten Konsum schwach: "Hintergrund dürfte die Verunsicherung über weitere wirtschaftliche Entwicklung und weitere Reformen sein." Laut Lothar Hessler von HSBC Trinkaus & Burkhardt zeigen die Zahlen, "dass das Wachstum nur vom Export getrieben wird." Dieser Faktor sollte aber als treibende Kraft im zweiten Halbjahr nachlassen.


Hessler erwartet kaum einen Wachstumsbeitrag vom Export im dritten Quartal. Das Wachstum sollte sich auf 0,3 Prozent verlangsamen. Commerzbank-Volkswirt Ralph Solveen zufolge werden die Ausfuhren zwar nicht mehr mit dem starken Tempo des ersten Halbjahres steigen, sich aber weiter positiv entwickeln. "Enttäuschend" nannte Solveen die Entwicklung bei den Investitionen. Er hatte eher mit einem leichten Anstieg gerechnet.

stw - Dienstag, 24. August 2004 - 15:15
Ich kann diese Durchhalteparolen der dt. Politiker schon fast nicht mehr ertragen. Jeder der sich in der Geschäftswelt bewegt, wird bestätigen können, dass weit und breit nichts auf einen Aufschwung hindeutet. Für meine IT-Branche bedeuetet das, dass größere Projekte wie schon in den beiden Vorjahren wieder mal auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Niemand traut sich zu investieren, weil er glaubt, weiterhin sparen zu müssen. Das ist die Realität. Wer wie unser Finanzminister sein Budget auf eine nicht stattfindende Konjunkturerholung aufbaut, der ist bald pleite. Die Entwicklung des Defizits ist daher nicht verwunderlich für mich.

:-( stw

prof - Dienstag, 24. August 2004 - 15:19
Stimme stw voll und ganz zu - Prof

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