Diskussionsforum der stw-boerse: Sonstiges: Politik Deutschland: Archivierte Beiträge bis 20. Mai 2004
chinaman - Mittwoch, 12. Mai 2004 - 10:37
"Es werden einfach mehr Schulden gemacht und basta! "

Ja, genau. Hinzuzufügen ist nur noch: Wer nicht 100 % von der späteren Rückzahlung dieser Schulden ausgeht, kann auch noch in den Himmel kommen ...


;-))
Gruß
Chinaman

wojtek_m - Mittwoch, 12. Mai 2004 - 13:56
In Demokratien werden immer Schulden gemacht und das nicht nur von linken Regierungen - die Menschen wählen halt die die 'geben'... ich bin schon seit langem dafür die Grenze der Neuverschuldung starr im Grunggesetz (oder EU-Verfassung) zu verankern und zwar mit ganz wenigen Ausnahmen (...vielleicht nur im Falle von Krieg?). Wischi-waschi Verträge wie der von Maastricht werden immer fallen - es hat sich vom Anfang an keiner daran gehalten...


Gruß,

Wojtek

chinaman - Mittwoch, 12. Mai 2004 - 15:29
@ Wojtek: Sicherlich richtig, wenn auch auf Herrscher ganz allgemein anwendbar. Deshalb sind ja auch historisch betrachtet alle früheren Reiche verschwunden. Allerdings hat niemand für die Schulden der verschwundenen Reiche bezahlt ...

;-))
Gruß
Chinaman

mib - Mittwoch, 12. Mai 2004 - 17:56
doch... zuerst die Leute in den eroberten Gebieten und zuletzt die Leute in den Erobererstaaten selbst...

chinaman - Mittwoch, 12. Mai 2004 - 18:32
... nee, nee. Immer nur so lange wie die Reiche auch bestanden ...

:-)
Gruß
Chinaman

chinaman - Donnerstag, 13. Mai 2004 - 07:54
Aus der FTD vom 13.5.2004
Betriebsrentner ziehen den Kürzeren
Von Timo Pache, Berlin

Empfänger von Betriebsrenten gehen bei der Senkung der Krankenkassenbeiträge in diesem Jahr leer aus. Dies sieht ein bislang nicht beachtetes Detail der Gesundheitsreform vor.


Danach sinken Krankenkassenbeiträge auf die betriebliche Altersvorsorge - anders als auf gesetzliche Renten - erst zum 1. Januar 2005. Für gesetzliche Renten gilt, dass sinkende Beiträge bereits nach drei Monaten an Rentner weiter gegeben werden müssen. Vertreter von Koalition und Union sagten zu, die Regelung im Herbst zu korrigieren.

Obgleich nur ein Detail, verstärkt es doch den Unmut vieler Rentner, die hinter den Sozialreformen vor allem willkürliches Abkassieren vermuten. "Damit wird die Bestrafung der Rentner einfach fortgesetzt", sagte Walter Hirrlinger, Präsident des Sozialverbands VdK, der FTD. Er sagte, "Unmut und Frustration" unter Rentnern seien nie so groß gewesen.


Korrektur im Herbst


Seit Jahresbeginn zahlen Rentner auf ihre Betriebsrente den vollen Krankenbeitrag - im Schnitt rund 14,3 Prozent. Zuvor hatten sie den halben Beitrag zahlen müssen. Für eine Betriebsrente von 200 Euro beträgt das Minus im Monat rund 14 Euro. Hinzukommt seit April der volle Pflegebeitrag von 1,7 Prozent der Einkünfte.


Vertreter der Koalition und der Union bestätigten die ungleiche Behandlung der Alterseinkünfte und sagten für Herbst eine Korrektur zu. SPD-Fraktions-Vize Gudrun Schaich-Walch sagte, bei einer Zwischenbilanz der Reform gehöre die Regelung auf den Prüfstand. "Wir sehen in dem Punkt Handlungsbedarf", sagte Schaich-Walch der FTD.


"Fehler der Reform"


CDU-Sozialexperte Andreas Storm sagte der FTD: "Das ist ein Fehler der Reform, den wir korrigieren müssen." Es könne nicht sein, dass die Beiträge auf Betriebsrenten deutlicher langsamer sinken als die auf gesetzliche Renten. Auch im Sozialministerium von Ulla Schmidt zeigte man sich gesprächsbereit. "Wir nehmen Kontakt mit den Zahlstellen auf, um zu prüfen, ob die Beitragsänderungen zeitnah weitergeben können", sagte Schmidts Sprecherin.


Falle die Antwort positiv aus, sei eine Änderung des Gesetzes nicht ausgeschlossen. Bereits zu Jahresbeginn hatte es Unmut über die zusätzlichen Lasten für Betriebsrentner gegeben. Nordrhein-Westfalens Sozialminister Harald Schartau forderte umgehend, den vollen Krankenbeitrag auf Betriebsrenten zurückzunehmen. Die Hälfte der 19,5 Millionen Rentner in Deutschland bezieht neben der gesetzlichen eine Betriebsrente. Bei fünf Millionen Rentnern macht die Betriebsrente 150 bis 200 Euro im Monat aus. Häufig liegt sie aber deutlich höher.


Um den Unmut der Rentner abzufedern, einigten sich Koalition und Opposition bei der parteiübergreifenden Gesundheitsreform zumindest auf eine Entlastung: Sinken die Krankenbeiträge in diesem Jahr, sollten sie zügig an Rentner weiter gereicht werden. Bislang galt eine Frist von bis zu einem Jahr. Dass die Betriebsrenten dabei leer ausgingen, wurde offenbar übersehen. "Es ist nicht begründbar, dass Rentner unterschiedliche Beitragssätze auf eine einheitliche Bemessungsgrundlage zahlen", zeigte sich auch Regierungsberater Bert Rürup überrascht.

chinaman - Donnerstag, 13. Mai 2004 - 13:06
ftd.de, Do, 13.5.2004, 12:26
Schätzer prognostizieren höhere Steuerausfälle

Die öffentlichen Haushalte müssen nach Berechnungen der Steuerschätzer bis zum Jahr 2007 mit rund 61 Mrd. Euro weniger Steuern rechnen als bislang angenommen. Auf Bundesfinanzminister Hans Eichel kommen massive Probleme bei der Aufstellung des Haushaltsplanes zu.


In Kreisen der Steuerschätzer hieß es am Donnerstag in Gotha, allein im laufenden Jahr drohten Mindereinnahmen von 9,6 Mrd. Euro im Vergleich zur Steuerschätzung vom November vergangenen Jahres. Im kommenden Jahr stiegen die Steuerausfälle im Vergleich zur Schätzung vom Mai 2003 sogar auf 15,2 Mrd. Euro. Allein auf den Etat von Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) kämen 2004 rund 8,3 Mrd. Euro und 2005 etwa 9,3 Mrd. Euro Mindereinnahmen zu. Das Bundesfinanzministerium will die Zahlen am Nachmittag in Berlin bekannt geben.

Nach Angaben der Kreise steigen die Ausfälle in den kommenden Jahren noch einmal an. So betrügen die Ausfälle im Vergleich zur Schätzung vom Mai des vergangenen Jahres für den Gesamtstaat im Jahr 2006 rund 18,4 Mrd. Euro. Im Jahr 2007 beliefen sie sich auf 17,8 Mrd. Euro. Für den Bund stelle sich die Lage auch in diesen Jahren schlecht dar. Im Jahr 2006 müsse hier mit rund 11,2 Mrd. weniger und im Jahr 2007 mit rund 11,4 Mrd. Euro weniger gerechnet werden.


Das Bundesfinanzministerium rechnet in seiner Vorlage für die Expertenrunde bis 2007 mit rund 50 Mrd. Euro weniger Steuern für den Staat als bislang angenommen. Allein im laufenden Jahr betragen die Mindereinnahmen demnach rund 7,5 Mrd. Euro. Im kommenden Jahr sollen es etwa 14 Mrd. Euro sein. Die Steuerschätzung, an der die Experten seit Dienstag im thüringischen Gotha arbeiten, liefert die entscheidende Basis für die Etatplanungen von Bund und Ländern.


Mix aus Sparmaßnahmen und Privatisierungserlösen


Weil der Bund überdurchschnittlich von den Einnahmeausfällen betroffen ist, wird das Ergebnis der Steuerschätzung Bundesfinanzminister Hans Eichel vor massive Probleme bei der Aufstellung seines Haushalts für das kommende Jahr stellen. Eichel hat bereits eingeräumt, bei der Aufstellung des Haushalts die europäisch vereinbarte Defizitobergrenze von drei Prozent des Bruttoinlandproduktes nicht einhalten zu können. Er will jedoch alles daran setzen, es bis Ende 2005 zu erreichen.


Eichel will in Berlin die Strategie der Bundesregierung erläutern, wie die Haushaltslöcher in diesem und im nächsten Jahr gestopft werden können. Dabei geht es um einen Mix aus bereits beschlossenen Sparmaßnahmen und Privatisierungs- Erlösen.


Der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber warf der Regierung Versagen in der Haushalts- und Finanzpolitik vor. In der Hagener "Westfalenpost" sagte der bayerische Ministerpräsident ein Desaster bei der Steuerschätzung voraus. Die Finanzmisere sei in erster Linie ein Problem von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Stoiber: "Schröder hat an Autorität verloren. Für das Chaos in Berlin ist in erster Linie der Kanzler verantwortlich."


Grüne wollen Bundesländer beteiligen


Aus den Reihen der Unions-Länder wächst laut "Handelsblatt" der Druck auf Eichel, die Defizit-Kriterien des EU- Stabilitätspaktes einzuhalten. Wegen der Neuverschuldungspolitik gebe es keine Chance mehr für eine Beteiligung der Länder an EU-Strafzahlungen im Rahmen eines nationalen Stabilitätspakts, sagten die CDU-Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg und Niedersachsen, Erwin Teufel und Christian Wulff.


Die Grünen-Finanzpolitikerin Christine Scheel sagte indes dem "Tagesspiegel", an den gegebenenfalls zu leistenden Strafzahlungen an die EU müssten "die Bundesländer beteiligt werden". Sie seien mit 60 Prozent an der Einhaltung des EU-Stabilitätspaktes beteiligt und hätten im Bundesrat bei den Sparbeschlüssen "ein Trauerspiel geleistet".


Der "Wirtschaftsweise" Peter Bofinger forderte eine Reform des Stabilitätspakts. "Der Pakt hat versagt", sagte Bofinger der "Märkischen Allgemeinen". "Wir müssen dringend darüber nachdenken, den Pakt neu zu fassen." Andernfalls bleibe in zwei Jahren nur noch "eine leere Hülse". Zugleich wandte sich Bofinger gegen eine Verschärfung des gegenwärtigen Sparkurses.

mib - Donnerstag, 13. Mai 2004 - 13:58
tja... da koennen wir uns wohl getrost auf 20% Mwst vorbereiten...
wo sollte die Knete sonst herkommen!?
...aber vielleicht koennen wir ja Sylt verkaufen...!?!
das wird ja eh immer kleiner und wir sollten versuchen, es loszuwerden, solange wir noch was dafuer kriegen...
:-))
Mib

stw - Donnerstag, 13. Mai 2004 - 18:48
Eine Erhöhung der Mwst. wäre wirklich die beste Lösung. Aber gleichzeitig müssen dann Lohn(neben)kosten und Einkommensteuern runter. Wir müssen uns den Nachberländern angleichen und da gehört wohl auch eine Erhöhung der MwSt dazu, auch wenn das keiner hören will.

:-) stw

wojtek_m - Donnerstag, 13. Mai 2004 - 20:44
Wir kommen wahrscheinlich an einer Erhöhung der Mwst. nicht vorbei... ich wundere mich aber trotzdem, dass immer noch an den Einnahmen des Staates herumgedoktert wird statt an den zu hohen Ausgaben, die der wahre Grund für das Defizit sind... jeder zweite Euro geht schon über den Staat...

prof - Freitag, 14. Mai 2004 - 19:05
Mwtsteuer ist theoretisch ok. Allerdings bezweifle ich, dass damit dauerhaft die Lohnnebenkosten gesenkt werden. Es wird weiter verschwendet und subventioniert werden und nach zwei Jahren ist alles wie vorher, nur eben nicht die Mehrwertsteuer.
Prof

chinaman - Freitag, 14. Mai 2004 - 20:56
Wojtek ist eigentlich nichts hinzufügen. Die Steuerbelastung ist schon heute demotivierend hoch !

:-)
Gruß
Chinaman

chinaman - Sonntag, 16. Mai 2004 - 10:21
Doch noch ein Gedanke zum Thema Staatsverschuldung. Es wird ja immer der Ist-Zustand mit dem Maastrichter Vertrag verglichen. Die "Aufregung" kommt dadurch zu Stande, das diese Kriterien verfehlt werden. Nun kommen die Kritiker des Stabilitätspaktes und argumentieren: "Diese Kriterien sind ja völlig willkürlich gewählt ..."

Nun, völlig willkürlich gewählt sind die Kriterien nicht. Vielmehr stehen hinter diesen Verabredungen ganz konkrete Annahmen.

Die Annahme damals war verdichtet folgende:
Staatsschulden sind an sich nichts Schlechtes. Vielmehr würden die Bürger ja Staatstitel als Element Ihrer Altersversorgung bzw. Kapitalanlage "nachfragen".

Soweit, so gut ... Dann machte man sich aber doch noch ein paar Gedanken über die Zuwachsraten der Vergangenheit und die "Bezahlbarkeit" der ganzen Geschichte. Dabei wurde den Politikern dann doch etwas bange und man wollte zumindest den weiteren unkontrollierten Anstieg eindämmen.
Soweit ja auch noch ganz vernünftig ...

Nun rechnete man also etwas und setzte sich (nach langem Palaver) das Ziel, im Verhältnis zum BIP sollten die Staatsschulden bitte schön immer bei ca. 60 % bleiben (wahrscheinlich weil 60 % in vielen entscheidenden Ländern so ungefähr der Istzustand war). Den Rest kann man auch mit Hilfe von Excel nachvollziehen. Bei einer Neuverschuldung von 3 % per anno bleiben die Staatsschulden bei einer bestimmten Ziel-wachstumsrate immer im Verhältnis zum BIP bei den berühmten 60 %.

Nun kommt (zumindest für mich) der Hammer: Welche durchschnittliche Wachstumsrate wurde denn nun in diesem Modell für die nächsten Jahre und Jahrzehnte unterstellt. Bitte setzt Euch. Es sind sage und schreibe 5 % jährliches durchschnittliches Wachstum.

Zusammengefasst: Erreichen wir 5 % jährliches durchschnittliches Wachstum und reduzieren wir die Neuverschuldung auf 3 %, dann bleiben die Staatsschulden langfristig "beherrschbar".

Wer (wie bspw. ich) nicht an die Erzielbarkeit von durchschnittlichen Wachstumsraten von 5 % glaubt, kann nun 2 Dinge tun:

Er kann versuchen, die Neuverschuldung deutlich unter die geforderten 3 % zu reduzieren, indem er bspw. entsprechende Aufklärung betreibt.

Oder er kann sich ernsthaft mit einem (irgendwann) kommenden Staatsbankrott und dessen Folgen auseinandersetzen ...

Natürlich kann man auch beides Tun ...

Habt Ihr weitere Ideen ???


:-)
Gruß
Chinaman

mib - Sonntag, 16. Mai 2004 - 15:45
Grundbesitz in Perth oder Durban?

chinaman - Sonntag, 16. Mai 2004 - 17:23
Goldmine in Australien oder Südafrika ?

chinaman - Dienstag, 18. Mai 2004 - 12:43
DER SPIEGEL 21/2004 - 17. Mai 2004
URL: http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,300143,00.html
Arbeitslose

Abstieg in die vierte Liga

Gestern noch Chef, heute Hiwi: Die deutsche Krise trifft immer häufiger gut verdienende Führungskräfte. Wollen sie nicht als Sozialfall enden, müssen viele zu Billigjobs greifen. Von Bruno Schrep

Nein, so weit bin ich noch nicht, dachte Christiane W., als sie das Angebot der Zeitarbeitsfirma erhielt. 1000 Euro brutto im Monat für einen Vollzeitjob als kaufmännische Hilfskraft - ausgeschlossen.

"Sie wollen wirklich nicht bei uns anfangen?", fragte die Personalchefin missbilligend am Telefon. "Nein. Nicht zu diesen Bedingungen." "Dann muss ich Sie dem Arbeitsamt melden."

Wenige Tage später bekam Christiane W. Post von der Agentur für Arbeit, Außenstelle Hamburg-Wandsbek. Unter dem Betreff "Feststellungen über den möglichen Eintritt einer Sperrzeit" wurde ihr mitgeteilt, dass ihr Arbeitslosengeld drei Wochen lang gestrichen worden sei.

Es hat sich einiges geändert im Deutschland der Agenden und Reformen, der Hartz-Kommission und der Massenarbeitslosigkeit. Wer Nein sagt, geht ein hohes Risiko ein.

Der Fall Christiane W. ist einer von vielen, die zeigen, dass die Wirtschaftskrise nun auch immer härter den Mittelstand trifft. Und sie deklassiert die Menschen weitaus schneller, als die meisten das für möglich halten: Vom Manager zur Aushilfe brauchen viele nur ein paar Monate.

Auch Christiane W., gepflegt, modebewusst, gebildet, gehörte bis vor kurzem zur großen Gruppe qualifizierter und gut bezahlter Angestellter der scheinbar krisenfesten Dienstleistungsbranche. Seit die Wirtschaft lahmt, stehen viele aus dieser Gruppe vor den Trümmern ihres Berufslebens: überqualifiziert, zu alt, zu teuer.

Die Frau hatte geglaubt, sie könnte ohne Zeitdruck eine neue Beschäftigung suchen. Seit sie im August 2003 ihre Stelle verlor, kassierte sie rund 750 Euro Arbeitslosengeld monatlich. Was sie nicht wusste: Bereits nach einem halben Jahr darf sie keinen Job mehr ablehnen, der netto so viel bringt wie das Arbeitslosengeld. Andernfalls droht Kürzung oder Streichung der staatlichen Unterstützung.

"Total ungerecht", findet die 44-Jährige. Arbeitet sie nicht seit über 24 Jahren? Hat sie nicht stets eingezahlt? Und jetzt, erstmals in einer Notlage, soll sie ruck, zuck zu einer untergeordneten Tätigkeit gezwungen werden, noch dazu einer lausig bezahlten. "Ich warte nur noch auf den Vorschlag, am Hauptbahnhof Würstchen zu verkaufen."

Christiane W. hat Reisen verkauft. Nach Afrika, auf die Philippinen, in die Tundra. Als ein expandierender Konzern sie anheuerte, damit sie als Leiterin eine Reisestelle für die Mitarbeiter aufbaut, schien der berufliche Aufstieg gepackt.

Die Ernüchterung folgte schnell: Dem Konzern gingen die Aufträge aus, Filialen wurden geschlossen, Dienstreisen auf ein Minimum reduziert. Christiane W. wurde nicht mehr gebraucht.

Also zurück in ein Reisebüro, sagte sie sich - von wegen. Um das Lebensgefühl des "Up'n'away" glaubhaft zu vermitteln, setzen die meisten Firmen auf junge Kräfte. Als Christiane W. es einmal bis zu einem Vorstellungsgespräch geschafft hatte, bedauerte der Filialleiter: "Sie kennen ja den Altersdurchschnitt unseres Unternehmens." Der liegt bei 26.

Vor kurzem geschieden, zieht Christiane W. schonungslos Bilanz: "Mitte vierzig, keine Kinder, keinen Job, keinen Mann. Schiete, was?" Dass sie den 1000-Euro-Posten ablehnen und die Sperre des Arbeitslosengeldes in Kauf nehmen konnte, verdankt sie der Unterstützung ihrer Familie.

Auf solche Unterstützung kann Karin Hagemeister, 46, nicht bauen. Die Frau aus einem Arbeiterhaushalt ist die Erste in der Familie, die studiert hat, die Erste, die Karriere gemacht hat, die Erste, die viel Geld verdient hat.

Über 60 000 Euro jährlich waren es zuletzt, als "Account-Managerin" einer renommierten Werbeagentur. Die Frankfurterin organisierte Telefonwerbung für Automobilkonzerne, entwarf Slogans, motivierte Mitarbeiter zu Höchstleistungen.

Gelebt hat die Managerin dabei aus dem Vollen, "in Saus und Braus", wie sie selbst sagt. Das Geld ging drauf für Fernreisen, für Klamotten, für die erste schöne Wohnung in ihrem Leben. "Carpe diem" lautete ihr Motto - Nutze den Tag.

Inzwischen wird der Alltag der 46-Jährigen zeitweise von einem anderen Gefühl überschattet: von Angst. Der Angst, wieder in ärmlichen Verhältnissen zu versinken. Der Angst, von Schulden erdrückt zu werden. Der Angst, nie mehr eine gute Anstellung zu finden. Ein rasanter Abstieg.

"Vom Besserverdiener zur armen Kirchenmaus, das ging blitzschnell", erinnert sich Karin Hagemeister. Nachdem die Werbeagentur von einem großen Konzern geschluckt worden war, dauerte es bis zur Kündigung nur wenige Monate.

Die lebensfrohe Frau verfiel in Tristesse. Zeitweise traute sie sich nicht einmal mehr in die Frankfurter Innenstadt, wo sie früher oft eingekauft hatte. Als Arbeitslose, glaubte sie, habe sie dort nichts mehr zu suchen.

Beim Arbeitsamt wurde ihr geraten, sich doch einfach selbständig zu machen. Raus aus der Statistik, ein bisschen was riskieren, na und? Als sie dem Stellenvermittler erklärte, sie suche lieber wieder einen Führungsjob in einem Unternehmen, guckte der sie mitleidig an, prophezeite in breitem Hessisch: "Des wird aber schwer in Ihrem Alder."


"Ich dachte, der kommandiert dich jetzt zum Stadtparkfegen ab."


Der Mann hatte Recht. Eineinhalb Jahre lang suchte Karin Hagemeister vergebens. Einmal wähnte sie sich am Ziel: Eine englische Firma bot ihr eine Leitungsfunktion als "Sales Managerin Telemarketing" zu ihren alten Bezügen an, ein Traum. Doch dann teilte ihr der Chef mit, man habe leider umdisponiert. Sie könne aber, wenn sie wolle, Aufträge kopieren und weiterfaxen - für ein Fünftel des vereinbarten Gehalts. "Deppenarbeit", sagt Karin Hagemeister, ließ die Anstellung sausen. Aber zum letzten Mal.

Seit Ende April wirbt sie drei Tage wöchentlich neue Kunden für eine PR-Firma, verdient viel weniger als früher. Und hat mehr Abstriche gemacht, als sie sich das je vorstellen konnte.

Ohne diesen Job hätte sie noch Anspruch auf Arbeitslosenhilfe, könnte wegen ihres einst hohen Verdienstes monatlich rund tausend Euro kassieren. Doch spätestens Anfang 2005, wenn Arbeitslosenhilfe und Stütze zusammengelegt werden, würde sie nach und nach auf das Niveau eines Sozialhilfeempfängers zurückgestuft - für die Aufsteigerin eine Schreckensvision.

Die Rolle der Bittstellerin hätte sie ohnehin keinen Tag länger ausgehalten. Als kürzlich der Mann vom Arbeitsamt anrief, bekam sie einen Schreck: "Ich dachte, der kommandiert dich jetzt zum Stadtparkfegen ab."

"Ohne Job fühlt man sich als Paria der Gesellschaft", sagt auch Gabriele S. aus Hamburg. Für das Ziel, als Frau eine Spitzenposition in der Wirtschaft zu erkämpfen, stellte die heute 40-Jährige jahrelang andere Bedürfnisse hintenan: den Wunsch nach Kindern, nach mehr Freizeit, mehr gemeinsamen Erlebnissen mit Freunden.

Ihr Ehrgeiz wurde belohnt: Als Medienmanagerin verantwortete sie Zeitschriftenbeilagen und Prospekte eines führenden Internet-Anbieters. Sie verwaltete ein Millionenbudget, verdiente mehr als 50 000 Euro im Jahr. Vergangenheit. Zurzeit jobbt die ehemalige Managerin im Vertrieb eines Verlags. Auf ihrem Hausausweis steht: "Aushilfe". Ihr Verdienst ist gering. Dem Absturz in die vierte Liga ging ein Jahr Arbeitslosigkeit voraus. Nachdem die Internet-Firma sie und 80 weitere Mitarbeiter zwecks Rationalisierung gefeuert hatte, hoffte Gabriele S. monatelang auf einen gleichwertigen Posten.

Schildert sie ihre Erfahrungen bei Vorstellungsgesprächen, ballt sie vor Zorn die Fäuste. Trotz fast fünf Millionen Betroffener werde Arbeitslosigkeit noch immer als selbst verschuldeter Makel gedeutet. "Eigentlich werfe ich Bewerbungen von Arbeitslosen sofort weg", habe ihr ein Personalchef ins Gesicht gesagt.

Gedemütigt fühlte sich die Erwerbslose auch bei der Wohnungssuche. Als Gabriele S. die Frage nach ihrer Tätigkeit mit "arbeitslos" beantwortete, legten mehrere Immobilienmakler kommentarlos auf.

Ihr Vertrag als Aushilfe läuft nur noch ein paar Wochen. Wenn bis dahin kein Wunder passiert, muss sie Arbeitslosenhilfe beantragen.

Was das bedeutet, hat ihr die Sachbearbeiterin vom Arbeitsamt schon mal erklärt: Sie muss ihr Erspartes offen legen, behalten darf sie nur 8000 Euro. Auch ihre Lebensversicherung, die sie vor über 20 Jahren abgeschlossen hat, muss sie verkaufen, der Erlös wird mit der Hilfe verrechnet.

"Später werd ich mal eine arme Rentnerin", fürchtet die 40-Jährige. Es klingt, als hätte sie aufgegeben.

Christian Falky aus Hamburg, Typ erfolgreicher Kaufmann, hat sich geschworen zu kämpfen. Wäre doch gelacht, wenn ein Kerl wie er, mit 43 im besten Alter, nicht wieder eine prima Stellung ergattern würde. Bei den Erfahrungen, bei den Erfolgen.

Zurechtgemacht wie zur Vorstandskonferenz, mit Anzug, passendem Hemd und Krawatte, sitzt er schon morgens um sieben vor seinem Computer, studiert Stellenangebote, entwirft Bewerbungen, versendet E-Mails.

Irgendeine untergeordnete Tätigkeit annehmen, vielleicht vorübergehend, als Übergang? "Niemals." Wozu hat er denn, bitte schön, in Firmen mit Milliardenumsätzen Niederlassungen geleitet, Geschäfte in Englisch und Italienisch abgewickelt, jahrelang im Ausland gearbeitet, mit Ausnahme von Afrika die ganze Welt beackert?

Da bewirbt man sich als Geschäftsführer, als Exportchef, als Vertriebsleiter. Fordert 85 000 Euro im Jahr, so viel, wie man früher verdient hat. Streckt die Brust raus, gibt nicht klein bei.

Das Ganze hat nur einen Fehler: Es funktioniert nicht. Seit Falky im September 2003 seinen Posten als Auslandschef einer Schreibgerätefirma verlor, hat er über hundert Bewerbungen verschickt. Zurück kamen nur Absagen.

Die Erkenntnis, dass ein bis dato erfolgreicher Manager Anfang vierzig in Deutschland kaum noch Chancen hat, macht den früher freundlichen, verbindlichen Mann hart und aggressiv. Sein besonderer Zorn richtet sich gegen Mitarbeiter des Arbeitsamts, die er für seine Misere mitverantwortlich macht.

Dort vorzusprechen, Arbeitslosengeld einzufordern bedeutet für ihn Qual und Schmach zugleich. "Man steht wie Karl Napp in der Schlange vorm Tresen", beklagt er sich. "Dann sagt man seinen Spruch auf, alle anderen hören zu, kriegen alles mit, live und in Farbe. Entwürdigend."


"Klinkenputzen mit Musterköfferchen, möglichst mit eigenem Auto".


Das Personal sei häufig auch noch "übel gelaunt", "nicht motiviert", gelegentlich "schlecht angezogen". Und brauchbare Stellenangebote, moniert er, gebe es für Führungskräfte wie ihn so gut wie nie. Unter dem Stichwort "Geschäftsführer" habe ihm seine Betreuerin die Offerte "Geschäftsführer eines Sonnenstudios in München-Schwabing" herausgesucht. "Da soll ich wohl kontrollieren, ob drei Aushilfen die Kabinen richtig sauber schrubben."

Auch die Frage, ob er nicht eine Ich-AG gründen wolle ("Können Sie vielleicht was Handwerkliches?"), fand Falky deplatziert. Allerdings: Ausgemusterte Manager seines Alters, hoch qualifiziert, hoch anspruchsvoll, schwierig unterzubringen, gibt es in Deutschland schon zu Tausenden. Sie werden verwaltet, aber selten vermittelt.

Für Christian Falky, der seit einem halben Jahr Arbeislosengeld bezieht, wird die Situation prekär: Findet er bis Anfang nächsten Jahres nichts, kriegt er nur noch den Sozialhilfesatz und ein paar Zuschläge - oder er muss mit vom Einkommen seiner Ehefrau leben. Die hat noch einen Job.

Ob der 43-Jährige unter diesen Umständen beim "Niemals" bleibt, ist offen. Kürzlich hat er jedenfalls sehr genau das Inserat einer Firma studiert, die "Mitarbeiter für den Außendienst" suchte. Was da gefordert wird, ist ihm klar: "Klinkenputzen mit Musterköfferchen auf Provisionsbasis, möglichst mit eigenem Auto".

Rainer Schneider aus Baden-Baden hat den Sturz aus dem Chefsessel schon eineinhalb Jahre hinter sich. Der 54-Jährige ist tief gefallen. Fabrikbesitzer war er, Boss einer Metallwarenfirma im Baden-Badener Industriegebiet, hoch angesehen.

Jetzt ist er Taxifahrer. Fährt in Baden-Baden täglich zwölf Stunden, von 6.30 Uhr bis 18.30 Uhr, kommt dabei auf einen Stundenlohn von fünf Euro. "Mein am schlechtesten bezahlter Hilfsarbeiter hat deutlich mehr verdient", erinnert er sich. Es klingt verbittert.

Wenn Rainer Schneider aus dem Fenster seines Einfamilienhauses schaut, guckt er auf das über 5000 Quadratmeter große Firmengelände, das bis 2002 ihm gehörte. Maschinen und Fahrzeuge sind längst verkauft, in den leeren Produktionshallen, die demnächst versteigert werden, nisten Schwalben.

Der Niedergang begann, als das über hundert Jahre alte Familienunternehmen, spezialisiert auf Kaminanlagen für Privathaushalte, mit den Weltmarktpreisen nicht mehr konkurrieren konnte.

Schneiders Versuch, die Belegschaft zu freiwilliger Mehrarbeit zu bewegen, von 35 auf 37 Wochenstunden ohne Lohnausgleich, scheiterte. Betriebsrat und Gewerkschaft legten sich quer. Von der Traditionsfirma blieb nur ein Schuldenberg.

Um den Lebensstandard zu halten, suchte der gescheiterte Chef eine gut bezahlte Anstellung. Schließlich konnte er einen Ingenieurtitel vorweisen, hatte auch Betriebswirtschaft studiert, kennt die Branche. "Ich kann Sie zwar in unsere Kartei aufnehmen", desillusionierte ihn der Mann vom Arbeitsamt, "aber Hoffnung kann ich Ihnen nicht machen."

Und Arbeitslosengeld? Fehlanzeige. Zwar war Rainer Schneider vor der Firmenübernahme als Juniorchef bei seinem Vater angestellt, hat 13 Jahre lang hohe Summen in die Versicherung eingezahlt. Sein Anspruch ist jedoch längst verfallen. Geld bekommt nur, wer in den letzten Jahren Beiträge geleistet hat.

Zum Taxifahren entschloss sich der 54-Jährige, um nicht beim Sozialamt zu landen; ein Taxiunternehmen engagierte ihn probeweise. Als Deutscher gehört er zur Minderheit: 40 Prozent der Baden-Badener Chauffeure stammen aus Russland, 40 Prozent aus Iran. Der Konkurrenzkampf ist hart.

"Dass er sich dem aussetzt, macht mich stolz", sagt Schneiders Ehefrau, "das hätte ich ihm nicht zugetraut." Freunde des Unternehmerehepaars sind perplex. "Die dachten, ich halte das keine drei Wochen aus", erinnert sich Schneider.

Anfangs fiel dem Ex-Boss die Umstellung schwer. Inzwischen, nach sechs Monaten, ist er nicht mehr schockiert, wenn Fahrgäste wegen fünf Cent streiten, im Auto einschlafen oder während einer zehnminütigen Tour eine komplette Lebensbeichte ablegen wollen.

"Früher lebte ich völlig abgeschottet", sagt Schneider. Heute lernt er an manchen Tagen mehr Menschen kennen als damals in einem halben Jahr. An einige muss er immer wieder denken: an den besessenen Zocker zum Beispiel, den er ständig hin und her gefahren hat - vom Hotel zum Spielcasino, vom Spielcasino zur Bank, von der Bank zum Spielcasino, wieder zur Bank, wieder zum Casino, schließlich zum Frankfurter Flughafen.

An die alte Frau, die nach einem Cafébesuch den Fahrpreis von 4,80 Euro nicht mehr zusammenbekam, aus Verzweiflung darüber in Tränen ausbrach, ihm dann als Ausgleich zwei Plastiktütchen mit Kaffeesahne schenkte, die sie aus ihrer Handtasche kramte.

An den gebrechlichen Herrn, der geführt werden musste, nicht mehr allein die Treppe hinaufkam, im Flur seine Gehhilfe stehen hatte - und sich trotzdem noch zu einer attraktiven, jungen Frau chauffieren ließ, die ihn "Schatzilein" nannte.

Nur einmal lehnte der frühere Fabrikbesitzer eine Fahrt ab: Als über Funk der Auftrag kam, einen seiner früheren Arbeiter zum Bahnhof zu fahren, gab Schneider die Tour an einen Kollegen weiter.

prof - Dienstag, 18. Mai 2004 - 13:08
Das ist halt die andere Seite der (Marktwirtschafts) Medaille. Es gibt keine Garantie für eine lebenslange Anstellung mit gutem Gehalt. Jeder Arbeiter/Angestellte/Selbständige hat einem mehr oder weniger hohem Leistungsdruck standzuhalten. Einzig Topp-Manager scheint das nicht zu treffen (Ron Sommer, Karstadt ...).

Damit müssen die Betroffenen schon selbst fertig werden. Es ist im Interesse der Gesellschaft, dass sie nach einer Wartezeit auch schlechter bezahlte Jobs annehmen müssen. Im Notfall muss eben eine zweite Kariere her!

Und noch etwas:
Gelebt hat die Managerin dabei aus dem Vollen, "in Saus und Braus", wie sie selbst sagt. Das Geld ging drauf für Fernreisen, für Klamotten, für die erste schöne Wohnung in ihrem Leben. "Carpe diem" lautete ihr Motto - Nutze den Tag.
Bei ordentlicher und vernünftiger Lebensführung wäre jetzt genug Geld da, um die saure Gurkenzeit zu überwinden oder die besagte ICH-AG zu gründen.
Wir alle (Deutschen) leben über unsere Verhältnisse!
Prof

stw - Dienstag, 18. Mai 2004 - 16:42
Dieser Artikel aus dem Spiegel macht wirklich nachdenklich. Keiner sollte denken, dass es ihm nicht so ergehen kann. Gerade in der IT-Branche sind die Gehälter bei Neueinstellungen meiner Meinung nach im freien Fall, die fetten Jahre sind vorbei und die Konkurrenz aus dem Osten drängt mit Macht auch auf den Arbeitsmarkt.

Ich mache nun mal wieder Urlaub und melde mcih erst in 14 Tagen wieder zurück. Bis dahin alles Gute und eine schöne zeit wünscht Euch

:-) stw

chinaman - Donnerstag, 20. Mai 2004 - 06:04
@ stw: Mich hat der Artikel auch sehr nachdenklich gemacht. Natürlich leben wir in Summe über unsere Verhälnisse. Aber die Ausgestaltung der Arbeitslosenhilfe zeigt, dass die Sozialversicherungsbeiträge immer mehr in Richtung einer Steuer gehen. man zahlt wahnsinnig hohe Beiträge in ein staatliches Zwangssystem, das dann nur Hilfe in Höhe der Sozialhilfe bietet. "Gewinner" sind diejenigen, die Sozialhilfe ohne irgendeine Gegenleistung Ihrerseits bekommen.

Dir jedenfalls einen schönen und erholsamen Urlaub !


:-)
Gruß
Chinaman

chinaman - Donnerstag, 20. Mai 2004 - 06:05
I F O - C H E F S I N N

"Sozialhilfe ist der falsche Weg"

19.05.04 |

Ifo-Chef Hans-Werner Sinn hat die Hoffnung auf eine radikale Reform des Arbeitsmarktes und der Sozialhilfe unter der rot-grünen Bundesregierung aufgegeben.

Das Problem der Sozialhilfe, die in Deutschland als zu hoher Mindestlohn den Arbeitsmarkt verzerre, werde durch die jüngsten Reformen nicht behoben, sagte Sinn am Mittwoch in München. „Die Sozialhilfe ist vom Grundsatz her falsch.“ Auf diesem Weg erhielten die Menschen einen „Lohn für das Nichtstun“.

Nahezu die gesamte Arbeitslosigkeit sei in Deutschland in den vergangenen 30 Jahren im Niedriglohnsektor entstanden, sagte Sinn. Es sei ein eigenartiges Phänomen, dass es gleichzeitig etwa im Sozialwesen zu viele offene, schlecht bezahlte Stellen gebe. „Wir brauchen einen Wechsel vom Lohnersatz zu einem Lohnzuschuss„, forderte er daher. Sein Modell einer aktivierenden Sozialhilfe sieht eine Absenkung des Sozialhilfesatzes verbunden mit Lohnzuschüssen vor.

Diese radikale Reform habe aber nach seiner Ansicht erst nach einem Regierungswechsel eine Chance, sagte Sinn. Dem im Dezember im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat erzielten Kompromiss hätte nach Ansicht Sinns gar nicht erst zugestimmt werden dürfen. Obwohl dieser Teilelemente des ifo-Modells enthalte, berge er die Gefahr einer „Spaltung des Arbeitsmarktes“ und werde Zusatzkosten von elf Milliarden Euro bescheren.

(Quelle: dpa)

Diskussionsforum der stw-boerse: Sonstiges: Politik Deutschland: Archivierte Beiträge bis 20. Mai 2004