Diskussionsforum der stw-boerse: Börsen-Know-How: Sozialversicherungssysteme: Archivierte Beiträge bis 30. April 2004
chinaman - Dienstag, 5. November 2002 - 15:20
RENTEN-KRISE
Quelle: Spiegel online

Warum Rot-Grün (noch) nicht die Wahrheit sagt

Von Markus Deggerich

Der Rentenkompromiss von SPD und Grünen ist allenfalls Flickwerk. Erst nach den Landtagswahlen im kommenden Jahr will die Koalition den Wählern die Wahrheit mitteilen: Das Rentensystem kollabiert. Rentner müssen länger arbeiten, Beamte sollen zahlen und dennoch werden alle im Alter weniger bekommen.

Berlin - Eine Jahrhundertreform hatte es werden sollen. Doch nur knapp ein Jahr nachdem der damalige Arbeitsminister seine Rentenreform pries und Rot-Grün mit der Riester-Rente und der Ökosteuer versprach, die Beiträge stabil zu halten, ist das Jahrhundertwerk zusammengebrochen und als eine weitere Scheinlösung entlarvt.
Die Aufregung ist groß, vor allem bei Besserverdienenden und Arbeitgebern. Doch gemessen an dem, was in Fragen der Rente noch nachkommt, dürfte das ein laues Lüftchen gewesen sein. Die gegen den Willen der Grünen durchgesetzte Erhöhung des Beitrages von 19,1 auf 19,5 Prozent und die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze dienen nur dem schnellen Euro. Ein Blick auf die Konjunkturaussichten und den Arbeitsmarkt hatte gereicht, um zu wissen, dass im kommenden Jahr zu wenig Geld in die Staatskasse gespült wird.

Aber die ganze Wahrheit liegt noch nicht auf dem Tisch, sondern in den Schubladen der Koalition. Grünen-Fraktionschefin Krista Sager deutet bereits an, dass mit dieser Einigung "das Thema noch nicht vom Tisch" ist. Die Reform der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme durch die Erfassung der Arbeitseinkommen sei das grundlegende Problem, das noch angegangen werden müsse. Und dann sagte sie den entscheidenden Satz: Weitere Personen- und Einkommensarten müssten als Quelle für die finanzielle Sicherung einbezogen werden. Doch selbst das, weiß die Koalition, ist nur die halbe Wahrheit.

Denn die Rente ist nicht mehr sicher. Der sogenannte demografische Faktor zeigt das Problem: Immer mehr Menschen gehen früher in Rente, leben länger und immer weniger Arbeitende zahlen ein. Und auch höhere Beiträge der jetzt arbeitenden Generation verlagern nur das Problem: Denn höhere Beiträge führen später zu höheren Ansprüchen. Das System ruiniert sich selbst. Die wohlfeilen Prinzipien von "Nachhaltigkeit" und "Generationengerechtigkeit", mit denen Rot-Grün seinen Koalitionsvertrag anpries, sind so Makulatur.

Das dicke Ende kommt noch. Kanzler Schröder wird nach dem Vorbild der Hartz-Kommission noch diesen Herbst eine Expertengruppe einsetzen, die sich mit den beiden Großbaustellen Rente und Gesundheit befasst. Bis zum Frühjahr 2003 soll sie arbeitsfähig sein, bis Ende kommenden Jahres Ergebnisse vorlegen. Anfang 2004 erwartet das Land dann "umfassende" Konzepte für die Neugestaltung der Sozialversicherungen.

Dann werden auch die Wahrheiten diskutiert, die SPD und Grüne bereits kennen, aber auch aus Rücksicht auf die Landtagswahlen im Februar kommenden Jahres vorläufig in die kommende "Kommission für Nachhaltigkeit in den Sozialversicherungen unter Berücksichtigung der Demografie" verlagern. Als Leiter der Expertengruppe ist der Wirtschaftsweise Bert Rürup im Gespräch. Das alles dient der politischen Vorbereitung für den großen Knall: Das Thema soll möglichst lange öffentlich diskutiert werden, um Problembewusstsein zu schaffen und die Menschen auf die "Reform" vorzubereiten. Um die Wahlen in Hessen und Niedersachsen nicht zu gefährden, werden die "Wahrheiten" aber erst nach dem Februar kommenden Jahres offen diskutiert.

Zu den bitteren Wahrheiten, die dann aus der Schublade geholt werden, könnte gehören: Wer mit 60 aufhört zu arbeiten, ist nicht Rentner, sondern arbeitslos. Höhere Lebenserwartung muss längere Lebensarbeitszeit bedeuten. Das heute geltende Renteneintrittsalter von 65 wird faktisch immer unterboten, muss eigentlich aber steigen - theoretisch auf über 70. Private Vorsorge wird einen größeren Anteil an der Alterssicherung einnehmen. Die Anpassung der Renten an die Lohnentwicklung wird nicht in dem Maße möglich sein, wie bisher. Ganze Bevölkerungsgruppen wie Beamte und Selbständige, die sich bisher nicht an den Sozialversicherungen beteiligen, werden einbezogen. Vor allem die Beamten, deren Pensionen voll steuerfinanziert sind, hat die Politik im Auge. Die Einwanderungspolitik wird noch wichtiger - mit allen damit verbundenen Problemen von Integration und späteren ebenfalls angesammelten Rentenansprüchen.

2003 und 2004, heißt es in der SPD-Spitze, werden unsere Jahre des Missvergnügens.

prof - Samstag, 9. November 2002 - 14:27
Eines meiner Lieblingsthemen!

chinaman - Mittwoch, 20. November 2002 - 09:29
INTERVIEW MIT RENTENEXPERTE RAFFELHÜSCHEN

"Die Jahrhundertreform ist nur ein Tippelschritt"

Das Renten-Notpaket der Koalition hält er für Flickwerk: "Es zielt in die völlig falsche Richtung", sagt der Finanzexperte Bernd Raffelhüschen im Interview mit SPIEGEL ONLINE. Er verlangt mehr Mut von der Politik. Sonst sei der aktuelle Ärger nur ein "laues Lüftchen im Vergleich zu dem Orkan, der uns erwartet".

Bernd Raffelhüschen ist Volkswirtschafts-Professor an der Uni Freiburg und einer der profiliertesten Rentenexperten Deutschlands. Sein Name wird gehandelt für die Reformkommission von Sozialministerin Ulla Schmidt (SPD), die bis kommendes Jahr Vorschläge erarbeiten soll für den Umbau des Renten- und Gesundheitssystems.
SPIEGEL ONLINE: Herr Raffelhüschen, die Super-Ministerin Ulla Schmidt will eine Super-Kommission für eine Super-Reform bei Rente und Gesundheit. Doch kaum deutet der Kommissions-Chef Bert Rürup erste harte Wahrheiten an, regt sich in der SPD-Fraktion Widerstand. Bekommen Rente und Gesundheit in dem Gremium nur eine Beerdigung erster Klasse, weil der Politik am Ende doch der Mut fehlt?

Raffelhüschen: Diese harten Wahrheiten über Rente und Gesundheit kommen ja nicht über Nacht. Wir wissen das seit langem und sprechen es auch aus. Es war nur nicht zur Kenntnis genommen worden. So gesehen kann die Kommission ja nichts aufregend Neues erforschen oder herausfinden. Es liegt alles auf dem Tisch.

SPIEGEL ONLINE: Das heißt, die Kommission ist überflüssig und die Koalition versucht nur Zeit zu gewinnen?

Raffelhüschen: Nein. Eine Kommission ist nicht das Dümmste. Aber es muss ein klarer Auftrag her. Die Kommission sollte mit Verpflegung für ein halbes Jahr eingeschlossen werden, um die Erkenntnisse der verschiedenen Experten zusammen zu fügen. Dann gehören Ergebnisse auf den Tisch - und die muss die Politik dann umsetzen.

SPIEGEL ONLINE: Wenn sie den Mut dazu hat...

Raffelhüschen: Bisher hat sie Angst, mit der Botschaft rauszukommen.

SPIEGEL ONLINE: Was halten Sie denn von den Notgesetzen, die die Koalition gerade durch den Bundestag gebracht hat?

Raffelhüschen: Um es kurz zu sagen: Gar nichts. Es ist Flickwerk. Das geht genau in die falsche Richtung. So stopft man kurzfristig Löcher, um später noch größere zu erzeugen. Höhere Beiträge führen bei diesem System ja auch zu höheren Ansprüchen.

SPIEGEL ONLINE: Und die Jahrhundertreform Riester-Rente...

Raffelhüschen: ... ist kein Jahrhundertwurf, sondern ein Tippelschritt. Allerdings ist sie ein Wendepunkt hin zu einer stärkeren privatwirtschaftlichen Orientierung in der Alterssicherung. Ein Anfang, der noch nicht besonders akzeptiert wird.

SPIEGEL ONLINE: Das heißt, das alte System hat ausgedient?

Raffelhüschen: Das alte System funktioniert in fetten Jahren. Jetzt haben wir schwierige Zeiten.

SPIEGEL ONLINE: Droht uns ein Verteilungskrieg Jung gegen Alt?

Raffelhüschen: Einen Krieg möchte ich das nicht nennen. Aber wenn wir die Probleme jetzt nicht lösen, ist alles, was wir jetzt erleben nur ein laues Lüftchen im Vergleich zu dem Orkan, der uns dann erwartet. Die Stellschrauben sind ja bekannt: Entweder die Höhe der Rentenzahlung sinkt oder die Menschen arbeiten länger. Wir müssen die Rentenformel so ändern, dass eine Erhöhung der Beiträge die künftigen Rentenzuwächse stärker bremst als bisher.

SPIEGEL ONLINE: Wir müssen länger und mehr vorsorgen und werden am Ende weniger bekommen?

Raffelhüschen: Darauf läuft es hinaus.

SPIEGEL ONLINE: Gehören Beamte und Selbständige einbezogen?

Raffelhüschen: Bei den Beamten ist das Problem, dass sich die Höhe der Pension an den letzten drei Arbeitsjahren bemisst. Das ist sehr teuer. Sie jetzt einzubeziehen würde für den Staat erstmal noch teurer: Er müsste in der Übergangszeit die alten Pensionen weiterbezahlen und bei den anderen ja den Arbeitgeberanteil einzahlen.

SPIEGEL ONLINE: Eine andere Möglichkeit ist: Den rund 18 Millionen Rentnern an die Geldbörse zu gehen.

Raffelhüschen: Wenn man es sich traut. Die Generation der heutigen Rentner hat wahnsinnig viel geleistet: Lange gearbeitet, viele Kinder erzogen. Aber eine Wahrheit ist auch, dass es dieser Generation noch nie so gut ging. Das gilt sicher nicht für alle. Aber die Wahrscheinlichkeit, auf ein Kind in der Sozialhilfe zu treffen, ist heute zwei bis dreimal höher, als auf einen armen Rentner zu treffen.

SPIEGEL ONLINE: Zumutungen kosten Zustimmung. Haben die Älteren Kraft Masse die Jüngeren im Griff, weil sie wissen, dass sich die Politik nicht traut?

Raffelhüschen: Dann kostet es ihre Kinder und Enkel die Zukunft. Wir sitzen alle in einem Boot.

SPIEGEL ONLINE: Was erwarten Sie von der Politik?

Raffelhüschen: Den Mut zur Wahrheit.

Die Fragen stellte Markus Deggerich

chinaman - Montag, 9. Februar 2004 - 10:36
Keine Lust zu sparen
Die Ersparnis vieler Haushalte in den Industriestaaten ist gesunken. Doch ohne private Vorsorge gehen viele Menschen arm in Ruhestand, meint Robert J. Shiller
Die Bevölkerungen in den Industrieländern werden immer älter, immer weniger Nachwuchs wird geboren. Die rapide steigende Zahl alter Menschen wird die Finanzierung der Sozialsysteme weiter erschweren oder gar verunmöglichen. Das Demografieproblem ist zwar keineswegs neu, aber umso erstaunlicher ist es, dass die Sparquoten der privaten Haushalte in den meisten reichen Ländern der Welt gefallen sind.


Aus einer OECD-Studie geht hervor, dass die Sparquoten der Haushalte zwischen 1984 und 2001 in den meisten entwickelten Staaten rückläufig waren. In den USA sparen die privaten Haushalte statt Anfang der 80er Jahre 10,6 Prozent heute nur noch 1,6 Prozent ihres Einkommens.


Man könnte glauben, dass es bei sinkenden Geburtenraten in reichen Ländern, leichter fallen müsste, mehr zu sparen. Weniger Kinder bedeuten weniger Ausgaben und die Erwachsenen können länger arbeiten, um mehr zu verdienen als sie aktuell benötigen. Doch die Menschen entschließen sich nicht auf Grund sorgfältiger Berechnungen ihrer zukünftigen Bedürfnisse, mehr zu sparen. Der Entschluss, weniger auszugeben und mehr zu sparen, hat seinen Ursprung in kurzfristigen Überlegungen.


Aus einer Studie der Weltbank über die Sparquoten in 150 Ländern ging hervor, dass einige grundlegende ökonomische Faktoren die Veränderungen der nationalen Sparquoten erklären konnten. Überraschenderweise fand man heraus, dass die Sparquoten bei hoher Inflation hoch sind und sinken, wenn die Inflation sinkt. Da die Inflation in den meisten Ländern in den letzen 20 Jahren rückläufig war, könnte das den Rückgang der Sparquote teilweise erklären.


Die Verfasser der Studie glauben, dass die Inflation deshalb zum Sparen ansporne, weil sie eine Atmosphäre der Ungewissheit schafft. Bei hoher Inflation schließen die Menschen auf eine prekäre Wirtschaftslage, in der es vielleicht besser wäre, den Gürtel enger zu schnallen. So fungiert die Inflation als gefühlsmäßige Mahnung, zu sparen, während das Alter für die meisten Menschen zu weit entfernt zu sein scheint, um darüber nachzudenken.


Es gibt aber auch noch einen anderen Grund, warum die hohe Inflation in der Vergangenheit das Sparen förderte: Die hohen Zinssätze, die einen raschen Preisanstieg üblicherweise begleiten. Kreditnehmer könnten gezwungen sein, mehr zu "sparen", da sie höhere Hypothekarzinssätze zu bezahlen haben. Stellen Sie sich vor, Sie kaufen ein Eigenheim zum Preis von drei Jahreseinkommen und müssten dann 45 Prozent Ihres Einkommens nur für die Hypothekenrückzahlungen aufwenden. Das zwang die US-Haushalte des Jahres 1980, ihre Konsumausgaben drastisch einzuschränken, was wiederum zur hohen Sparquote beitrug. Als die Inflation fiel, refinanzierten die Menschen ihre Hypothekendarlehen zu niedrigeren Zinssätzen und fingen an, wieder mehr Geld auszugeben. Die Zunahme der Kreditkarten und Verbraucherkredite hatte den gleichen Effekt.


Schließlich reflektieren weltweit rückläufige Sparquoten das starke Wachstum auf den Vermögensmärkten in den letzten zwanzig Jahren. Wir messen unseren Vermögensbeständen einen größeren Wert zu, weil wir meinen, dass in Zukunft große Nachfrage danach herrschen wird. Aus dieser Psychologie folgt, dass Preise für Vermögenswerte steigen. Für die Meisten sind die Probleme der Alterskrise weit weg, während sich boomende Aktienkurs aus den Tageszeitungen entnehmen lassen. Die Menschen fühlen sich reicher und sparen weniger.

Diese Wertzuwächse führen dazu, dass unser mangelnder Sparwille keinerlei ernsthafte Auswirkungen hatte. Wir glauben, wir werden immer reicher, auch wenn wir weniger sparen. Da aber Spekulationspreise letztlich psychologisch bestimmt werden, kann es auch zu einem plötzlichen Preisverfall kommen. Wenn wir die Kombination aus rückläufigen Sparquoten und fallenden Geburtenraten nicht in den Griff bekommen, werden sehr viel Rentner verarmen.


Der Autor ist Wirtschaftsprofessor an der Yale University
© Project Syndicate


Artikel erschienen am 9. Feb 2004
Die Welt

prof - Montag, 9. Februar 2004 - 19:12
Es gibt noch einen ganz praktischen Grund: Die soziale Grundsicherung für Rentners wird erst dann greifen, wenn auch der allerletzte Euro eigenes Vermögen "verbraucht" wurde. Das ist eine Quasi Enteignung.

Nichts wird vor den Märchenerzählern (auch Politiker genannt) sicher sein: Keine Riesterrente, keine Lebensversicherung, keine Aktie, kein Eigenheim. Das wird alles schön angerechnet. Jede (ach so bequeme) Kartenzahlung heute ist ein Schritt in Richtung Bargeldabschaffung. Ich gehe mal davon aus, dass spätestens in 20 Jahren das Bargeld abgeschafft wird. So lassen sich Vermögen und Geldströme wunderbar kontrollieren.

Ich sehe nur zwei Auswege:
a) Geldanlage in Naturalien, Edelmetallen
b) Das ganze Geld jetzt, wo wir noch (relativ) jung sind, verbraten. Den Karibik-Urlaub 2004 kann Vater Staat in 2024 nicht mehr rückgängig machen.


:-( Prof

chinaman - Dienstag, 10. Februar 2004 - 14:48
Jetzt wird es natürlich etwas "philosophisch".
Im Moment würde ich die Zusammenhänge aber so deuten:

Es gibt ein ausgeufertes staatliches Sozialversicherungs(un-)wesen. Dessen Leistungen werden bei steigenden Kosten immer weiter abnehmen (auch aus demographischen Gründen). Dieses System wird im Alter aber nur noch deutlich weniger Leistungen finanzieren können. Wollen wir etwas besser leben, brauchen wir zusätzliche Rücklagen. Treten aber andere zusätzliche Alterskosten auf (bspw. Pflegerisiken) auf, bedient sich der Staat gerne dieser Rücklagen um die Belastung des Staates via Sozialhilfe zumindest abzumindern.

Da hilft die Geldanlage in Naturalien und Edelmetallen auch nur dann, wenn diese später "verschwiegen" werden. Das ist natürlich auch bspw. mit Auslandskonten denkbar. Das der Staat natürlich andererseits immer mehr versucht, die Bürger zu kontrollieren und zu überwachen (bespitzeln) ist auch klar.

Letztendlich heißt der Konflikt Selbstverantwortung gegen ausufernder (und letztendlich gescheiterter) Sozialmoloch.


:-( Chinaman

prof - Dienstag, 10. Februar 2004 - 14:56
Damit hast du mein Posting sehr treffend ins Wirtschaftsdeutsch übersetzt.
Prof

chinaman - Donnerstag, 12. Februar 2004 - 08:41
Empfänger von Betriebsrenten leiden unter "Doppelschlag"
Reformen führen zum Teil zu starken Belastungen
von Dorothea Siems

Berlin - - Millionen von Betriebsrentnern haben zum Jahresanfang ein böses Erwachen erlebt. Als Folge der Gesundheitsreform müssen sie auf ihre Zusatzrente statt des halben nun den vollen Krankenkassenbeitragssatz von rund 14 Prozent entrichten. Erstmals in die Beitragspflicht einbezogen wurden zudem Direktversicherungen, bei denen die Auszahlung auf einen Schlag erfolgt. Und vielen Senioren droht bereits neues Ungemach. Das von Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) vorbereitete "Alterseinkünftegesetz" sieht vor, dass ab kommendem Jahr 1,4 Millionen Rentner Steuern zahlen müssen, die bislang vom Fiskus verschont blieben. Auch diese Neuregelung trifft vor allem Betriebsrentner. Nicht nur Gewerkschaften und Sozialverbände fordern deshalb Korrekturen. Auch innerhalb der Koalition und in der Opposition mehren sich die Stimmen, die Nachbesserungen an der Gesundheitsreform und den Plänen zur Rentenbesteuerung verlangen.


Eichels Pläne sehen vor, dass ab 2005 schrittweise die Besteuerung aller Alterseinkünfte - entsprechend einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts - vereinheitlicht wird. Nach einer Übergangszeit sollen alle Beitragszahlungen steuerfrei gestellt sein. Dafür unterliegen dann die Auszahlungen der vollen Besteuerung. Im ersten Schritt sind die gesetzlichen Renten ab 2005 zur Hälfte zu versteuern. Bislang setzt das Finanzamt bei Senioren lediglich den so genannten Ertragsanteil an, der oftmals nur bei 27 Prozent der Rente liegt. Selbst wenn ein Ruheständler noch über Zusatzeinkünfte verfügt, bleibt er somit in der Regel vom Fiskus verschont. Dies wird sich mit der Neuregelung ändern. Weil mehr Rentner als bisher ihren steuerfreien Grundfreibetrag dann schon mit der gesetzlichen Rente ausschöpfen oder sogar darüber liegen werden, langt das Finanzamt bei den Zusatzeinkünften und somit auch bei den Betriebsrenten stärker zu.


Aus Sicht vieler Experten führt dieser "Doppelschlag" durch die beiden Reformen vielfach zu unzumutbaren Härten. Regierungsberater Bert Rürup hält eine Nachbesserung der Gesundheitsreform für sinnvoller, als eine Änderung an Eichels Steuerplänen: "Die größeren Belastungen resultieren in der Tat aus der im Einzelfall nicht unproblematischen Verbeitragung mit dem vollen Krankenkassenbeitrag." Darüber werde man noch einmal reden müssen. Auch CDU-Sozialexperte Andreas Storm forderte, "die Änderungen beider Reformen im Zusammenhang zu sehen". Über eine Nachbesserung der Gesundheitsreform an dieser Stelle "könne man reden", sagte er. Ähnlich äußerte sich auch CSU-Landesgruppenchef Michael Glos. Innerhalb der SPD führt der nordrhein-westfälische SPD-Landesvorsitzende Harald Schartau die Kritiker an. Er verlangt Vertrauensschutz-Regelungen. Sozialverbände, Gewerkschaften und Krankenkassen halten die Beitragserhöhung auf Betriebsrenten schlichtweg für verfassungswidrig und unterstützen deshalb Betriebsrentner bei Musterklagen. Bis zu einem Urteil könnten allerdings Jahre vergehen.


Artikel erschienen am 12. Feb 2004
Die Welt

chinaman - Donnerstag, 12. Februar 2004 - 08:43
Nach der Reform ist vor der Reform ...

;-))
Gruß
Chinaman


Rentenreform wird nachgebessert


Koalitionsfraktionen wollen stark sinkende Altersbezüge verhindern - Kritik der Union
Berlin - - Die Koalition prüft Änderungen an der geplanten Rentenreform. Die Sozialexperten von SPD und Grünen haben sich für die Einführung einer Sicherungsklausel in das Gesetz ausgesprochen. Damit soll verhindert werden, dass das Rentenniveau auch langfristig zu stark absinkt.


Die Rentenversicherungsträger hatten zuvor in einer Expertenanhörung vor dem Sozialausschuss des Bundestages ein entsprechendes Konzept für eine Niveausicherungsklausel präsentiert. In der Opposition lösten derartige Vorschläge ein geteiltes Echo aus.


Der Entwurf der geplanten Rentenreform, den Bundessozialministerin Ulla Schmidt (SPD) im vergangenen Dezember ins Parlament eingebracht hat, sieht den Einbau eines Nachhaltigkeitsfaktors in die Rentenanpassungsformel vor. Dadurch wird das Rentenniveau schrittweise weiter fallen. Derzeit liegt es nach 45 Berufsjahren bei knapp 70 Prozent. Schon durch die letzte Rentenreform von 2001 wird das Niveau in den kommenden Jahren schrittweise sinken. Eine damals eingebaute Sicherungsklausel legt allerdings fest, dass das Niveau nicht unter 67 Prozent rutschen darf. Dieser Passus sollte mit der anstehenden Reform ersatzlos gestrichen werden.


Hintergrund ist, dass gleichzeitig zur Rentenreform eine Neuregelung der Rentenbesteuerung auf den Weg gebracht wird. Ab kommendem Jahr werden Renten sukzessive stärker als bisher besteuert. Im Gegenzug werden die Beitragszahlungen schrittweise von der Steuer befreit. Nach einer langen Übergangszeit unterliegen die Alterseinkünfte dann der vollen Besteuerung. Rentner, die bereits Leistungen bekommen, müssen ihre Rente ab 2005 zur Hälfte versteuern. Diese Quote wird sich auch in den Folgejahren für sie nicht erhöhen. Wer aber erst in zehn Jahren in den Ruhestand geht, muss bereits einen Anteil von 70 Prozent versteuern, da sich die Quote mit jedem Jahr für jeden neuen Rentnerjahrgang um zwei Prozent erhöht. Die Folge ist, dass es künftig kein einheitliches Nettorentenniveau mehr gibt. Entsprechend mache auch die bisherige Sicherungsklausel keinen Sinn mehr, argumentierte bisher die Bundesregierung.


Die Rentenversicherungsträger warnten allerdings bei der Anhörung davor, dass es ohne eine Klausel keinen Schutz vor einem "freien Fall" der Altersbezüge gebe. Ins gleiche Horn stießen auch Gewerkschaften und Sozialverbände. Nach Berechnungen des Verbandes der Deutschen Rentenversicherungsträger (VDR) droht bis 2040 das Rentenniveau von knapp 70 bis auf 49 Prozent einzubrechen. VDR-Chef Franz Ruland plädierte deshalb für eine Sicherungsklausel, die ein Mindestnettorentenniveau abzüglich der Sozialabgaben vor Steuern von 43 Prozent garantieren soll. Derzeit liege dieses "steuerbereinigte Nettorentenniveau" bei 53 Prozent.


In der Koalition stieß der Vorschlag der Rentenversicherer auf Zustimmung. SPD-Fraktionsvizechefin Gudrun Schaich-Walch bestätigte, dass man über eine Korrektur an der Rentenreform nachdenke. "Wir bewegen uns", sagte die SPD-Politikerin. Auch die Sozialexpertin der Grünen, Birgitt Bender, signalisierte Zustimmung. FDP und Wirtschaftsverbände warnten hingegen vor einem solchen Schritt. Damit werde das Ziel, den Beitragssatz langfristig nicht über 22 Prozent steigen zu lassen, gefährdet, hieß es.


Innerhalb der Union löste die Forderung nach einer Sicherungsklausel unterschiedliche Reaktionen hervor. Während sich der Rentenexperte der CDU, Andreas Storm, für eine solche Maßnahme einsetzte, reagierte CSU-Vize Horst Seehofer ausgesprochen skeptisch auf die SPD-Pläne zur gesetzlichen Garantie eines Renten-Mindestniveaus. "Bei allen Prozentsätzen, die oberhalb der tatsächlichen Rentenentwicklung liegen, handelt es sich um eine Fiktion", so der CSU-Abgeordnete, "und da muss die SPD erklären, wie sie das finanzieren will". Dies sei nur durch höhere Beiträge oder eine längere Lebensarbeitszeit zu machen. Seehofer: "Das wird die SPD genau erläutern müssen."


Die Union kritisierte zudem die im Zuge der Rentenreform geplante Streichung der Ausbildungszeiten. Für viele der jetzt unter 60-jährigen Menschen bedeutet dies eine monatliche Rentenminderung von bis zu 58,80 Euro. Die Bundesregierung verletze mit der Abschaffung sträflich das Gebot des Vertrauensschutzes, sagte CDU-Rentenexperte Storm. Er fügte hinzu: "Ein Konsens mit der Union über diese Rentenreform ist nicht in Sicht." dsi/A.G.


Artikel erschienen am 12. Feb 2004

© WELT.de 1995 - 2004

mib - Donnerstag, 12. Februar 2004 - 09:34
meine Antwort:
Mindestrente deutlich rauf (!!!), alle anderen Rentenbezuege deutlich runter! Das gesetzliche Rentensystem ist nicht dazu gedacht, dass Rentner 1x im Jahr in Kur und 3x im Jahr in Urlaub fahren.
Wer wirklich entlastet werden muss, das sind Familien mit Kindern, - und belastet werden muessen Leute ohne Kinder... - Kinder sind naemlich die, die letztendlich das System am Leben erhalten muessen.
Also Kinderfreibetraege deutlich erhoehen und die Bildungsausgaben drastisch(!) anheben!
Finanzierung ueber totalen Subventionsabbau (z.B. Steinkohle) ueber 5 Jahre, Erhoehung der Tabak- und Alkoholsteuer, steuerliche Gleichbehandlung aller(!) Einkuenfte... sowie automatisches EU-weites Handelsembargo und Reiseverbot gegen Steueroasen (einschliesslich der Schweiz!!!).

so...!

Mib

stw - Donnerstag, 12. Februar 2004 - 09:40
"Reiseverbot gegen Steueroasen (einschliesslich der Schweiz!!!)"

Das meinst Du doch nicht etwa im Ernst, oder ? Dann können wir ja gleich wieder eine große Mauer bauen. Um Himmels willen...

:-) stw

prof - Donnerstag, 12. Februar 2004 - 09:56
Gegen die Mauer wollte ich auch gerade protestieren, aber stw war schneller.

"Mindestrente deutlich rauf (!!!), alle anderen Rentenbezuege deutlich runter!"

Und genau diese Gleichmacherei wird passieren. Bereits heute weiß jeder, dass er - egal wieviel er in die GRV einzahlt - nur eine Mindestrente rausspringt. Bei dieser Mindestrente wird garantiert die private Altersvorsorgen mit angerechnet. Warum dann privat vorsorgen?

"Wer wirklich entlastet werden muss, das sind Familien mit Kindern, - und belastet werden muessen Leute ohne Kinder... "

Da gebe ich dir völlig recht. Das wird aber leider nicht passieren, da keinen Politiker interessiert, was in 20 Jahren ist. Der denkt nur bis zur nächsten Wahl. Bereits heute dürfte die Anzahl der Wähler, die gleichzeitig Kinder erziehen kleiner sein, als die Zahl der Wähler die keine Kinder bzw. keine Kinder mehr erziehen.
Kinder kosten Geld, und von diesem Geld könnte man doch lieber schöne Wahlgeschenke machen ...

Prof

mib - Donnerstag, 12. Februar 2004 - 13:26
...wisst ihr... nachdem ich auf mein Auslandsdepot quasi niemals eine Reaktion bekomme, freu ich mich immer, wenn ich mit ein paar flapsigen/provokativen Kommentaren zu anderen Themen wenigstens mal eine Reaktion sehe... :-))

...allerdings hab ich heute frueh gar nichts von einer Mauer geschrieben... aber wenn ich's so bedenke... :-))

...und es kann doch nicht sein, dass deutsche Banken gegenueber dem amerikanischen IRS auskunftspflichtig sind und dem auch unaufgefordert nachkommen, dem deutschen Finanzamt dagegen nicht.
...zum Thema Schweiz sag ich wohl besser nichts mehr... warum die EU sich das bieten laesst, kann ich nicht nachvollziehen.

chinaman - Donnerstag, 12. Februar 2004 - 13:56
DDR für alle !!!

;-)))
Gruß
Chinaman

chinaman - Donnerstag, 12. Februar 2004 - 14:00
Eure Überlegungen mit den Kindern in allen Ehren, aber was hat dies den systematisch mit einer Renten"versicherung" zu tun. Weil Euch die strangulierende Gleichmacherei mit sozialistischen Steuersätzen noch nicht reicht, wollt Ihr nun also auch noch die versicherungen zu "Umverteilungsagenturen" machen.

Vielleicht könnte mib ja mal berichten, wie diese Art von Umverteilung den in seinen hochgelobten USA so praktiziert wird ???

:-(((
Gruß
Chinaman

chinaman - Mittwoch, 3. März 2004 - 12:40
EINIGUNG ÜBER MINDESTRENTE

43 Prozent sind das letzte Wort

Um den Kritikern entgegen zu kommen, hat die rot-grüne Koalition ein Mindestrentenniveau festgeschrieben. Bis zum Jahr 2020 soll die gesetzliche Rente bei 46 Prozent des durchschnittlichen Bruttoeinkommens liegen, zehn Jahre später soll der Satz dann nochmals auf 43 Prozent fallen.

Berlin - Die neuen Sicherungsziele sollen nach Angaben der Bundesregierung das Vertrauen in die gesetzliche Rente stärken. "Wir wollen den Menschen Anhaltspunkte für die zu erwartenden Leistungen geben", sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Birgitt Bender, gegenüber der "Financial Times Deutschland".

Die neuen Mindestniveauziele sind ein Zugeständnis an die Kritiker der geplanten Rentenreform. Gewerkschaften, Sozialverbände und die Rentenversicherer hatten vor einem "freien Fall der Renten" gewarnt, wenn ein Mindestniveau nicht ausdrücklich festgesetzt werde.

Die geplante Rentenreform der Bundesregierung hatte ursprünglich vorgesehen, die Mindestsicherung komplett zu streichen. Nach heftiger Kritik hatte Bundessozialministerin Ulla Schmidt Nachbesserungen zugesichert.

Die Kritiker sind jedoch auch damit nicht zufrieden. Der SPD-Abgeordnete Horst Schmidbauer sagte der "Frankfurter Rundschau", das vereinbarte Rentenniveau von 43 Prozent im Jahr 2030 sei "viel zu niedrig". Gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses, Klaus Kirschner (SPD), wolle er in der Fraktion daher einen Änderungsantrag einbringen, der ein Rentenniveau von 46 Prozent im Jahr 2030 garantiert. Notfalls müssten dazu die Beiträge erhöht oder ein höherer Zuschuss des Bundes bereitgestellt werden, sagte Schmidbauer. Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer unterstützte die Forderung.

Die Änderungen am Gesetzentwurf für die Rentenreform sollen schon heute im Bundestagssozialausschuss beraten werden. Die Verabschiedung des Gesetzes ist in einigen Wochen geplant.

chinaman - Dienstag, 16. März 2004 - 08:40
16.03.2004
Rentenversicherung droht im Herbst neues Finanzloch Finanzminister Hans Eichel muss mit Kredit aushelfen

Berlin (pt/HB/hej). Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) hat nachdrücklich vor weiteren Einschnitten bei der Rente gewarnt. Der Vorstandsvorsitzende Christian Zahn sagte am Montag in Berlin, inzwischen sei ein Punkt erreicht, an dem eine weitere Senkung des Rentenniveaus nicht mehr möglich sei, wenn das System weiterhin akzeptiert werden solle.

Ein langjährig Versicherter müsse aufgrund seiner Beitragszahlungen im Alter eine Rente erhalten, die deutlich über dem Betrag liegt, den er auch ohne jede Beitragszahlung durch die neue Grundsicherung im Alter bekommen würde, betonte Zahn. Wenn die Versicherten den Eindruck hätten, dass die Rente das Sozialhilfeniveau nicht mehr überschreite, „dann werden sie immer neue Wege suchen und finden, Beitragszahlungen zu vermeiden“, warnte der BfA-Vorstandschef. Zahn begrüßte die Festlegung eines Mindestwertes im Rahmen der Rentenreform, betonte jedoch, dass auch mit dieser Regelung die heute 30- oder 40-Jährigen noch keine Sicherheit für die langfristige Rentenentwicklung hätten. Allein durch die Reformen der vergangenen drei Jahre werden die Renten im Jahr 2030 um mehr als 16 Prozent niedriger ausfallen als ohne diese Reformen.

Für die Rentenkassen warnte Zahn vor einem finanziellen Engpass im Herbst. Dann könnte die BfA erstmals in ihrer Geschichte zur Sicherung ihrer Zahlungsfähigkeit auf ein Darlehen des Bundes in Milliardenhöhe angewiesen sein. Im November würden die Finanzreserven der Rentenversicherung auf nur noch 250 Millionen Euro abgeschmolzen sein. „Sollte die tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung im laufenden Jahr nur geringfügig ungünstiger verlaufen als in den Annahmen unterstellt, würde deshalb die Inanspruchnahme eines zinslosen Bundesdarlehens notwendig werden", betonte der BfA-Vorstandschef.

Bis dahin könnten eventuelle Liquiditätsengpässe durch ein Vorziehen der Monatsrenten zum Bundeszuschuss ausgeglichen werden. Im November sei der gesamte Zuschuss vom Bund aber bereits ausgezahlt, so dass es nichts mehr vorzuziehen gäbe und nur noch ein Darlehen in Frage käme. Dies müsste laut BfA-Direktor Klaus Michaelis dann auch bei der Festsetzung des Beitragssatzes für das Jahr 2005 berücksichtigt werden.

Grund für die Warnung der Rentenversicherer ist die schwache Einnahmenentwicklung. Wie BfA-Präsident Herbert Rische erläuterte, blieben die Beitragseinnahmen im Januar und Februar um 100 Millionen Euro hinter den Schätzungen von November zurück. Die Beitragseinnahmen seien um 0,8 Prozent geringer ausgefallen. Erwartet worden sei ein Plus in der gleichen Höhe. Wenn es in diesem Jahr permanent schlechter werde, reiche die Schwankungsreserve nicht aus, um unterjährige Engpässe auszugleichen, erklärte Rische.

Besondere Probleme bereiten den Rentenversicherungsträgern die Zahlungen, die sie monatlich für die gesetzlich krankenversicherten Rentner an den Finanzausgleich zwischen den Krankenkassen zahlen müssen. Ende November fehlten die dafür erforderlichen rund 1,5 Milliarden Euro, erklärte Rische. Das Sozialministerium nannte derartige Warnungen überflüssig. Es gäbe keinen Grund an der Finanzentwicklung der Rentenversicherung zu zweifeln, sagte Sprecher Klaus Vater.


Der Tagesspiegel

chinaman - Donnerstag, 22. April 2004 - 07:32
Aus der FTD vom 22.4.2004
EU-Erweiterung: Diskussion über Renteneintrittsalter
Von Hubert Beyerle

Die deutsche Rentenreform nimmt sich noch zögerlich aus - zumindest im Vergleich zu den Reformen in Deutschlands östlichen Nachbarländern. Die EU-Beitrittskandidaten handelten bisher konsequent, was ihre Rentensysteme angeht.


Lob dafür kommt von internationalen Institutionen wie der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und der Weltbank. "Wir beobachten, dass in den Beitrittsländern eine größere Bereitschaft zu grundlegenden Reformen vorhanden ist als in den bisherigen EU-Staaten", schreiben Experten in einem aktuellen Weltbank-Bericht.

"Die Beitrittsländer haben mit ihren Rentenreformen in den vergangenen Jahren einen eindeutigeren Richtungswechsel vollzogen als Deutschland", sagt Sabine Horstmann von der Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung in Köln. "Nach dem Ende des Sozialismus hatten die Beitrittsländer einen stärkeren Willen, die Altersversorgung vom Staat zu lösen und mehr Eigenverantwortung einzubringen."


Vorwiegend Drei-Säulen-Systeme


Rentenexperten unterscheiden bei der Altersversorgung generell drei Säulen: Die erste bildet das gewöhnliche Umlagesystem. Es ist die Basis der Altersversorgung in allen Beitrittsländern und entspricht dem deutschen System. Die zweite Säule sind die Betriebsrenten. Darin legt ein Beschäftigter Ersparnisse an, die ihm im Alter ausgezahlt werden. In den Beitrittsländern gilt dafür meist ein Pflichtbeitragssatz, die Anlage erfolgt bei einem privaten Finanzinstitut. Die dritte Säule besteht aus zusätzlichen Angeboten privater Anbieter, etwa Banken und Lebensversicherungen.


Die meisten Beitrittsländer haben eine Altersversorgung, die sich auf drei Säulen stützt. Die stärkste ist die kapitalgedeckte zweite Säule. Die Betriebsrenten sollen den Druck vom Umlagesystem nehmen. In Polen etwa soll die zweite Säule künftig im Schnitt die Hälfte der Renteneinkommen abdecken. Dafür zahlen die Beschäftigten 7,3 Prozent des Bruttolohns ein. Der Rentenbeitrag liegt in Polen mit 19,52 Prozent des Lohns etwa so hoch wie in Deutschland. Arbeitgeber und Arbeitnehmer teilen sich den Beitrag.


Rentenalter noch niedrig


"Überraschend ist, wie schnell einige Länder die zweite Säule aufgebaut haben. Diese Entwicklung wird die Rentenlandschaft in der EU nach der Erweiterung verändern", sagt Winfried Schmähl, Rentenexperte von der Universität Bremen.


Eines haben die Rentensysteme der Beitrittsländer gemeinsam: das niedrige Rentenalter. Bereits mit 62 Jahren gehen etwa Männer in Ungarn, Polen und demnächst auch in Tschechien in Rente. Damit liegen diese Länder deutlich unterhalb des deutschen Renteneintrittsalters - auch wenn die Beitrittsländer diese Grenzen tendenziell anheben möchten. "Vor 1990 lag das Renteneintrittsalter für Männer bei 60 Jahren und für Frauen bei 55", erklärt Horstmann. "Die bisherige Anhebung des Rentenalters ist bereits politisch schwierig gewesen und auf Widerstand gestoßen."


Anreize für längeres Arbeiten


Auch in Lettland dürfen Männer schon mit 60 Jahren in Rente gehen. Tatsächlich arbeiten sie durchschnittlich aber bis zum 64. Lebensjahr. Denn es bestehen Anreize, länger als nötig zu arbeiten. Denn wie in Polen hängt in Lettland die Höhe der monatlichen Rente von der Lebenserwartung beim Renteneintritt ab.


Viele Rentner in den Beitrittsländern arbeiten darüber hinaus auf Teilzeitbasis weiter. Der Grund dafür ist ihre wirtschaftliche Not. "In vielen Ländern sind Rentner zum Überleben auf die Hilfe der Angehörigen angewiesen", sagt Elvira-Barbara Sawada von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen in Deutschland. Ihre Organisation unterstützt ähnliche Vereine in den Beitrittsländern.


Druck auf Rentenkassen steigt


Tendenziell ist die Rente im Vergleich zum Durchschnittseinkommen im Osten deutlich niedriger als im Westen. Sie liegt in Polen und Ungarn bei rund 60 Prozent, im Baltikum bei 40 Prozent. Deutsche und italienische Ruheständler bekommen im Schnitt rund 70 Prozent ihrer Durchschnittsgehälter als Rente. "Es gibt allerdings kein einheitliches Bild der Armut unter Rentnern in den Beitrittsländern", sagt Experte Schmähl.


In den Beitrittsländern steigt der Druck auf die Rentenkassen der ersten Säule auf Grund der demografischen Entwicklung. Immer weniger Beitragszahler stehen einer steigenden Zahl von Beitragsempfängern gegenüber. Deshalb diskutieren Experten über das Rentenniveau. In den meisten Ländern wird es im Verhältnis zum Durchschnittslohn sinken - ähnlich wie in Deutschland. Ob die Reformen in den Beitrittsländern als Vorbild taugen, muss sich erst erweisen. Denn sie sind für Rentensysteme erst relativ kurze Zeit im Einsatz.

chinaman - Freitag, 30. April 2004 - 10:16
Rente wird auf neue Füße gestellt
Bundestag lässt Steuerprivileg für Lebensversicherungen fallen - Fast alle müssen umdenken

Frankfurt/Main - Der höchste Werbeetat der Geschichte wäre wohl nötig, um das am Donnerstag vom Bundestag verabschiedete Alterseinkünftegesetz und die damit verbundenen Änderungen der Rentenbesteuerung zu erklären. Nicht nur die gemeinen Bundesbürger wissen langsam nicht mehr so recht, wie sie in der Zukunft ihre Altersvorsorge organisieren sollen. Auch Experten in den Verbraucherzentralen sind verzweifelt, ob der vielen Details der Neuregelung. Denn die Bundesregierung stellt mit dem Alterseinkünftegesetz die Besteuerung der Renten auf neue Füße. So sollen ab 2005 schrittweise nicht mehr die Beiträge, sondern die Rentenzahlungen besteuert werden ("nachgelagerte Besteuerung").
Allerdings geht dies nicht von heute auf morgen. Die Regierung hat einen Übergangszeitraum von 35 Jahren vorgesehen. Erst die Ruheständler im Jahr 2040 müssen die Renten wie sonstige Einkommen voll der Steuer unterziehen.
Von 2005 unterliegen die Auszahlungen der gesetzlichen Rente zunächst zu 50 Prozent einer Besteuerung. Für jeden Jahrgang, der danach ins Rentenalter kommt, steigt der steuerpflichtige Anteil bis 2020 um zwei Punkte, danach geht es bis 2040 in Einerschritten weiter. Beispiel: Wer 20 000 Euro Rente im Jahr bekommt, muss bislang keine Steuern zahlen. Ab dem kommenden Jahr fallen 70 Euro Steuern an. Besonders hart getroffen sind jene, die derzeit neben der gesetzlichen Rente weitere Einkünfte etwa aus Verpachtung beziehen, weil sie in eine höhere Steuerprogression rutschen. Nach Berechnungen des Finanzministeriums werden von den rund 14,2 Millionen steuerpflichtigen Rentnern statt zwei künftig 3,3 Millionen Ruheständler tatsächlich Steuern zahlen - Tendenz steigend.
Umgekehrtes Spiel bei den Einzahlungen: Von den Gesamtbeiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung soll zunächst ein Anteil von 60 Prozent von der Besteuerung frei gestellt werden. Der Arbeitgeberanteil von 50 Prozent ist heute schon steuerfrei. Die Freistellung und damit Entlastung der Beitragszahler steigt dann bis 2025 jährlich um zwei Punkte auf 100 Prozent. Maximal kann dann ein Betrag von 20 000 Euro steuerfrei für die Altersvorsorge angespart werden. Diese Fiskal-Anreize sind nicht allein auf die staatliche Rente begrenzt. Die Bürger können die 20 000 Euro auch zusätzlich für private Vorsorgepläne nutzen. Dies ist aber nur für so genannte Leibrenten möglich, die beispielsweise nicht vererbbar sind. Nur solche Produkte zählen zur Basisversorgung und damit der ersten Schicht des künftigen Rentenmodells.
Die jüngere Generation, die heute in die Rentenkasse einzahlt, wird durch die Steuerfreistellung der Beiträge immerhin um einige Milliarden entlastet. Doch auch die Jungen müssen nach der Verabschiedung des Alterseinkünftegesetzes umdenken. Denn im Zuge der Neuregelung wird der Deutschen liebstes Kind für die private Rentenvorsorge, die Kapitallebensversicherung, unattraktiver gemacht. Bei Neuverträgen ab 2005 soll hier das so genannte "Steuerprivileg" fallen. Beim aufgelaufenen Kapitalgewinn langt dann der Fiskus in Höhe des persönlichen Einkommenssteuersatzes zu. Immerhin machte die Bundesregierung ein Zugeständnis. Bei Ausschüttung nach der Vollendung des sechzigsten Lebensjahres soll die Steuerprogression dadurch gedämpft werden, dass der Kapitalgewinn fiktiv auf fünf Jahre verteilt wird.
"Werfen die aktuellen Kapitallebensversicherungen im Schnitt zwischen fünf und sechs Prozent ab, bleiben bei einem persönlichen Steuersatz von 40 Prozent künftig davon nur noch drei bis 3,6 Prozent übrig", rechnet Manfred Poweleit vom Branchendienst MAP Report vor. Auch ein weiteres Privileg fällt weg. Die Beiträge für die Lebensversicherung, die bisher noch steuerlich geltend gemacht werden konnten, müssen künftig aus dem bereits versteuerten Netto bezahlt werden. Denn diese Sparform zählt künftig zur dritten Schicht des Rentenmodells, die nicht mehr als förderungswürdig gilt. Experten rechnen daher damit, dass es in diesem Jahr noch zu einem Boom bei Neuabschlüssen kommen wird.
Eins ist klar: "Die Kapitallebensversicherung wird gegenüber anderen Vorsorgeprodukten - vor allem der Betriebsrente - unattraktiver", sagt Manfred Guggi, Experte bei Towers Perrin. Für Betriebsrenten, der zweiten Schicht der Altersvorsorge, können Bundesbürger Lohnanteile künftig steuerfrei bis zu einer Obergrenze von 4272 Euro statt bisher 2472 Euro umwandeln. Davon ist aber nur der letztgenannte Betrag auch sozialversicherungsfrei. Bei einem anderen Produkt der zweiten Schicht, der Riester-Rente, hat die Bundesregierung so genannte Unisex-Tarife vorgesehen. Für die private Altersvorsorge mit der staatlich geförderten Rente werden ab 2006 einheitliche Tarife für Männer und Frauen vorgeschrieben.
Doch die Konfusion perfekt macht die Tatsache, dass noch längst nicht klar ist, ob die Opposition das Gesetz den Bundesrat passieren lässt oder aber Änderungen erzwungen werden. DW

Artikel erschienen am 30. April 2004
Die Welt

prof - Freitag, 30. April 2004 - 10:26
Eins ist sicher: Die Rente ist unsicher!

Diskussionsforum der stw-boerse: Börsen-Know-How: Sozialversicherungssysteme: Archivierte Beiträge bis 30. April 2004